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Früher war ein Adliger ein Adliger. Er wusste, was er zu tun hatte: rumsitzen, saufen und seine Verwandtschaft heimlich im Stall knattern. Ein Bauer hingegen war ein Bauer und sein Sohn wurde auch Bauer, sobald er alt genug war, um sich nicht die Augen mit der Mistgabel auszustechen. Die Sache war klar. Heute kann der Bauer Programmierer werden, der Metzger veganer Koch, der Schmied als Drag Queen im roten Minirock Chansons singen – was ja auch gut und richtig ist.

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Alles scheint möglich. Das ist nichts Schlechtes, aber es hat einen Preis. Viele von uns haben keinen Plan, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen. 20-Jährige schreiben mir und fragen, was sie studieren sollen. 30-Jährige schreiben mir, sie hätten sich von ihrem Job und ihrem Leben etwas ganz anderes versprochen. 40-Jährige und 50-Jährige schreiben mir, dass sie immer noch verzweifelt nach ihrer Berufung suchen, nach Jahrzehnten an Schreibtischen, vor Monitoren, mit dem Gefühl: Oh man, das kann doch nicht alles gewesen sein.

Das Wichtigste zuerst: Vergiss die Berufung

Teil des Problems ist die Suche nach der „Berufung“ oder „Bestimmung“ oder „Lebensaufgabe“ selbst. Die lässt uns glauben, jeder Mensch müsste die eine große Aufgabe finden, für die allein er geboren sei und solange sie ihm nicht klar ist, sei seine gesamte Zeit auf der Welt komplett verschwendet, ein Leben für die Tonne.

Also hocken wir da und warten auf irgendeine kosmische Eingebung, bis uns der „Lebensplan“ wie Schuppen aus den Haaren fällt, wälzen Bücher, lesen Texte dazu im Internet, lassen uns coachen, rufen irgendwelche skrupellosen Arschlöcher bei Astro-Lines an. Wir bürden uns Unmögliches auf, sind mehr und mehr gelähmt. Dabei können wir Menschen wohl nie herausfinden, ob es eine von Gott oder wem auch immer gegebene Berufung überhaupt gibt. Und wenn ja, welche uns wirklich zugesprochen wurde.

Nur so viel ist klar: Unsere Berufung ist sicher nicht, Jahr um Jahr mit Warten verstreichen zu lassen, bis die Erleuchtung bei uns einschlägt, wir Candy Crush endlich beenden (warte, nur noch dieses Level) oder die Pornoseite schließen (warte, nur noch zwei Minuten, und mach die Tür wieder hinter Dir zu!), und die Chips-Tüte ein letztes Mal auslecken, aufstehen und eine gigantische Revolution starten, die uns für immer unsterblich macht.

Hilfreicher finde ich eine andere Sicht. Wir sind hier, wir sind am Leben, wer weiß wie lang, wir tun irgendwas mit unserer Zeit. Verschiedene Dinge. Dinge, die wir für wichtig halten. Und Dinge, die wir eigentlich unwichtig finden. Unsere Aufgabe besteht nun höchstens darin, hierauf eine Antwort zu finden:

Was will ich mit meiner Zeit anstellen, das ich für wichtig halte?

Das lässt mehrere Möglichkeiten zu und ist damit bei weitem nicht so absurd und erschöpfend wie die Suche nach der „Berufung“.

Übrigens, die „Leidenschaft“ finden zu wollen ist übrigens auch nicht ideal. Denn auch dieser Begriff führt uns in die Irre. „Leidenschaft“ klingt danach, als würden wir vor lauter Freude an unserer Arbeit von früh bis spät mit Dauerständer und singendem Herz durch den Tag rennen.

Und das bringt uns zur ersten von sieben ungewöhnlichen Fragen, die Dir herauszufinden helfen, was Du mit unserem Leben anfangen könntest.

1. Welches Sandwich mit Scheiße schmeckt Dir am besten?

fragt Blogger Mark Manson (auch zwei weitere der folgenden Fragen stammen von ihm) und meint damit:

Alles ist Scheiße, manchmal. Macht zwischendurch keinen Spaß. Hat Seiten, die uns nerven oder anöden. Es ist bloß eine Fantasie, dass uns irgendeine Tätigkeit da draußen immerzu glücklich machen würde. Da stoßen wir noch eher auf eine Herde Einhörner (vielleicht mit roten Miniröcken und behaarten Beinen).

Alles stinkt uns mal an. Aber nicht alles gleichermaßen und nicht alles davon schlucken wir gleichermaßen ungern.

Ich zum Beispiel setze mich lieber mal ein ganzen Tag zum Schreiben hin und starre ein weißes Blatt Papier und hasse mich oder die Muse dafür, dass mir gerade ums Verrecken nichts einfällt, als acht Stunden täglich in einem Büro mit irgendeinem „Team“ und einem Chef eingepfercht zu sein, der mir Arbeit anschafft. Für viele andere ist es wahrscheinlich umgekehrt.

Auf welche Weise leidest Du am liebsten?

Willst Du für zehn Jahre auf Familie verzichten und rund um die Uhr in Deiner Kanzlei arbeiten? Willst Du wieder und wieder mit Deinen Ideen scheitern, während Du Dein Business aufbaust? Willst Du auf ein geregeltes Einkommen verzichten und Dich als Kelly-Familiy-Cover-Straßenmusiker durchschlagen? Willst Du zurückgewiesen werden, missverstanden, ausgelacht, zerrissen werden, ein ums andere Mal, um von Deiner Kunst zu leben?

Auf den ersten Blick mag das eine etwas … deprimierende … Sicht sein. Auf den zweiten ist sie ziemlich gut. Schließlich umfasst sie auch die Schattenseiten. Sie zeigt uns, was als Ganzes zu uns passt und was wir nicht nur in der Fantasie durchhalten würden, sondern auch in der Realität und in den harten, ätzenden Zeiten, die wohl oder übel dazugehören.

Wenn schon ab und an ein unvermeidbares Sandwich mit Scheiße, dann doch lieber eins, an dem Du nicht würgst und erstickst (wie wär’s mit lecker Gürkchen drauf?).

2. Welche Wahrheit über Dich würde Dein 8-jähriges Ich zum Weinen bringen?

Maik sitzt in seinem Büro. Schaut aus dem Fenster, sechster Stock. Seine Gedanken wandern. Maik ist Controller geworden, kontrolliert Kostenstellen. Da muss er plötzlich daran denken, wie unkontrolliert er als Junge getanzt hat, getanzt und getanzt, drinnen und draußen. Ihm war egal, ob ihn jemand dabei sah und was er denken könnte. Er tat es nur für sich.

Irgendwann hatte Maik  damit aufgehört. Er weiß nicht genau, wann. Und auch nicht genau, warum. Vielleicht hatte es ihm jemand ausgeredet. Vielleicht konnte er es angeblich nicht gut genug. Vielleicht wollte er sich voll konzentrieren auf die schulische, dann die berufliche Laufbahn. Aber jetzt, wo er sich erinnert, fehlt ihm das Tanzen. Die Sprünge, die Drehungen, die irre Freude.

Viele von uns verlieren im Laufe ihres Lebens den Kontakt zu den Dingen, die ihnen als Kindern den größten Spaß gemacht haben. Würde unser 8-Jähriges Ich uns heute treffen und das feststellen müssen, vermutlich könnte es unsere „erwachsenen“ Gründe dafür kaum verstehen und bestimmt in Tränen ausbrechen. Welche Wahrheit über Dich würde Dein Kindheits-Ich zum Weinen bringen?

Die Dinge, die wir damals geliebt haben, sind wahrscheinlich immer noch die Dinge, die wir lieben. Wenn auch in angepasster Form. Kann gut sein, dass Maik jetzt nicht mehr auf der Straße Pirouetten drehen will, sich aber noch immer – oder mehr denn je – sehnt nach musikalischem, kreativem Ausdruck.

3. Was würde Deine Eltern schockieren?

Viele unserer Träume begraben wir mit der Schaufel eines anderen. Weil irgendwer verlangt hat, dass wir was Vernünftiges lernen und einen guten, sicheren Job bekommen und weil wir ihnen gefolgt sind. Wenn es nicht die Eltern waren, dann die Lehrer. Die Freunde. Der Partner.

Was würde Deine Eltern schockieren (oder den, für den Du Dich angepasst hast)?

Du musst Dir dafür nicht mit 43 Jahren die Jeans zerschneiden, Deine Nase piercen, Deine Haare grün färben und Dich bauchfrei auf Konzerten vom total fertigen Schlagzeuger in der Piss-Ecke abschleppen lassen. Du musst auch nicht mit Crystal Meth anfangen. Oder nachts mit der Dose losziehen und Hakenkreuze ans Rathaus sprühen.

Aber die Frage kann unterdrückte, verdrängte, wilde Ideen ans Tageslicht bringen, ein Gedankenexperiment frei von vorschneller Vernunft und frei von allen Erwartungen anderer Leute. Spannend sind gerade die Antworten, bei denen Du denkst: „Oh Gott, meine Eltern würden mich hassen!“ oder „Meine Freunde würden mich so auslachen!“

Zum Beispiel das Jura-Studium (Vater Anwalt, Mutter Anwältin) schmeißen und Leprakranken in Afrika helfen. Oder den Controller-Job an den Nagel hängen, in Brasilien Tango lernen, und dann, wieder zurück, eine Tanzschule aufmachen.

4. Wobei vergisst Du, dass Du eigentlich seit zwei Stunden aufs Klo musst?

Isaac Newtons Mutter musste ihren Sohn regelmäßig erinnern: „Nun iss doch mal was, Junge!“ Er war so vertieft in seine Arbeit, dass ihm alles andere egal war.

In meiner Jugend ging es mir mit dem Programmieren so (und „Programmieren“ ist hier kein Deckwort, aber mach beim Rausgehen trotzdem bitte wieder die Tür zu). Ich saß am Computer und hämmerte Code in die Zeilen, Stunde um Stunde. Ich war absolut gebannt. Ich wollte nicht aufstehen. Jede kleine Idee, die funktionierte, war ein Fest. Nur kurz merkte ich zwischendurch, dass ich seit einem halben Tag nichts gegessen hab, die Blase schon ewig drückt, oder „Code“ nicht die einzige Schreibweise für das war, was aus mir rauskam (nahezu, am Ende hab ich’s doch meistens hinbekommen mit dem Gang aufs Klo).

Heute programmiere ich nicht mehr. Und mir fehlt es auch nicht. Denn ich hab mitgenommen, um was es mir eigentlich ging: das Tüfteln. Damals war es Programmiersprache, heute normale Sprache, geschriebene Sätze, an denen ich bastele, während die Zeit – an guten Tagen – ohne mein Bemerken verstreicht.

Wann vergisst Du alles um Dich herum? Und falls Deine Antwort lautet „’Der Bergdoktor‘ schauen, bis ich alle Staffeln auswendig kann“ oder „meinem Goldfisch Morsesprache per Wasserblasen-Furzen beibringen“: Worum geht es Dir dabei wirklich, was ist der Kern, den Du auf eine andere Tätigkeit übertragen könntest?

5. Was kotzt Dich an dieser Welt am meisten an?

Wenn’s eins genug gibt auf der Welt, dann sind es Probleme. Welches davon regt Dich am meisten auf? Korrupte Politiker? Häusliche Gewalt? Dass die Zahnpasta immer von der Bürste fällt? Dass Du Dir immer wieder neue Passwörter ausdenken musst? Dass einige Menschen auf Rolltreppen links stehen bleiben?

Die eine Möglichkeit: Im Unterhemd auf der Couch sitzen, am Bauch kraulen, Bier aufmachen und drüber jammern. Die andere Möglichkeit: aufstehen, es anpacken, was draus machen.

Aus der Forschung ist bekannt, wie sehr Sachen zu unserem Glück beitragen, die über uns selbst hinausgehen, die einen Unterschied machen für unsere Mitmenschen.

Finde ein Problem, dessen Lösung Dir besonders am Herzen liegt und beginne damit, es zu lösen. Ja, Du wirst nicht alle Politiker zur Rechenschaft ziehen können und vielleicht muss noch viel Zahnpasta von Bürsten fallen, bis endlich eine goldene Zeit für die Menschheit anbricht. Aber entscheidend ist doch, ob Du daran mitwirkst, dass sich die Dinge in die richtige Richtung bewegen.

Peter Thiel, einer der PayPal-Gründer, empfiehlt bei der Suche nach geeigneten Problem die folgende Frage: „Hast Du zu einem Problem eine Meinung, von der Du glaubst, dass kaum ein anderer Dir zustimmen würde?“ So stößt Du vielleicht sogar auf etwas, das besonders dringend nach Deinem Einsatz verlangt.

Und der Dropbox-Gründer Drew Housten spricht von „Finde Deinen Tennisball“ – denn die erfolgreichsten Leute verfolgen die Lösung eines Problems, das ihnen wichtig ist, so, wie ein junger Hund einem Tennisball hinterher rennt. Der Hund mag dabei angepisst sein, er gibt jedoch nicht auf, bis er den Ball hat.

Wenn Du nicht weißt, was Du mit Deinem Leben anfangen sollst, dann fang mit etwas an, das Du für wichtig hältst.

6. Wobei würdest Du am liebsten scheitern?

Ein Klassiker unter den Berufungs-Fragen ist: Was würdest Du tun, wenn Du wüsstest, Du könntest nicht scheitern?

Leider können wir halt scheitern und leider wissen wir das nur zu gut. Ich hab das Ziel schon tausendmal verfehlt, was auch immer das Ziel gerade war. Die bessere Frage könnte sein, was es wert ist, getan zu werden, egal, ob man scheitert oder siegt.

Oder, anders ausgedrückt:

Wenn Du schon scheitern kannst, wobei am liebsten?

Bei welcher Aufgabe würdest Du am ehesten sagen: „Kacke, hat leider nicht so geklappt, aber immerhin hab ich’s versucht, und es war echt eine gute Zeit“?

Weil es Dir A) einfach wichtig ist und B) Du den Prozess liebst, die Tätigkeit selbst, nicht nur das Ergebnis.

7. Wie willst Du leben?

Statt zu fragen, was wir (beruflich) tun wollen und davon alles andere abzuleiten, können wir uns auch erst fragen, wie wir leben wollen, und daraus schließen, was wir dafür tun müssen.

„Streben wir nicht danach, Feuerwehrleute zu werden, und streben wir auch nicht danach, Banker zu werden, Polizisten oder Ärzte. Streben wir danach, wir selbst zu werden. Der Mensch muss einen Weg wählen, auf dem seine Fähigkeiten mit maximaler Effektivität auf die Befriedigung seiner Bedürfnisse einwirken“, rät der Skandalautor Hunter S. Thompson.

Für manche gibt’s nichts Schöneres, als allein Natur in der Natur zu sein und vierblättrige Kleeblätter zu sammeln. Andere hängen lieber mit vier Frauen auf einmal im Hotelzimmer ab. Manche machen gern langsam. Andere brettern mit ihrem Porsche auf der Autobahn durch die Rettungsgassen. Manche wollen im Mittelpunkt stehen. Andere stimmen ihre Klamotten farblich mit der Tapete ab, damit sie ja niemand anspricht.

Welche Deiner Bedürfnisse sind besonders stark ausgeprägt? Und wie kannst Du sie unter Einsatz Deiner Fähigkeiten so leicht wie möglich erfüllen?

Es ist Dein Leben, und Scheiße, vielleicht ist es das einzige, das Du hast. Also tu, was Dir wichtig ist und nicht, was Dir irgendjemand einreden will (dazu zähle ich natürlich auch).

So, das war’s von mir für heute. Wenn Du Dich berufen fühlst, unten einen Kommentar zu hinterlassen, freu ich mich wie immer.

P.S.: Hast Du schon in den neuen myMONK-Podcast gehört? Hier gibt’s Folge 1 mit 7 Fragen, die mein Leben verändert haben – und Dir vielleicht auch ein bisschen mehr Klarheit verschaffen können:

Alles weitere zum Podcast findest Du hier.

Photo: Rachel Docherty