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Text von: Christina Fischer

Ich war 14 Jahre alt und saß im dunklen Zuschauerraum eines Theaters. Als die Lichter die Bühne erleuchteten, das Orchester die ersten Takte spielte und die Opernsängerin zu singen anfing, da hatte ich eine Offenbarung. Es war als hätte jemand in mir eine Lampe angeschaltet, ich war so ergriffen, dass ich spürte, wie meine Augen feucht wurden. Und plötzlich lag mein Weg klar vor mir. Ich traf eine Entscheidung: Ich würde – ich musste sogar – ebenfalls Schauspielerin werden.

Heute, 14 Jahre später, bin ich keine Schauspielerin geworden. Ich habe es noch nicht einmal wirklich versucht. Nach meiner Offenbarung habe ich allerhand zum Thema gelesen, einige Schauspielschulen gegoogelt. Dann habe ich zufrieden die Hände in den Schoß gelegt und mich darauf gefreut, dass mein zukünftiges Ich die Bühnen dieser Welt schon irgendwie erobern wird. Zukunfts-Ich tat jedoch genau das, was es immer tut: Es verharrte in der Zukunft und in meiner Gegenwart blieb alles wie es war.

Pläne schmieden ist eine Droge

Es ist eine Droge. Es berauscht, macht Hochgefühle – und süchtig: Das Pläneschmieden. Da ist das Buch, das ich schreiben will. Die Weltreise, von der ich träume. Das Haus, das Auto, das Boot, das ich haben, und die Kilos, die ich loswerden will.

Vor allem an Silvester laufe ich zur Höchstform auf. Dann schreibe ich die Vorsätze auf Silvesterraketen. Und freue mich schon darauf, dass mein Leben ab morgen (wieder mal) völlig anders, besser, erfüllter, gesünder sein wird. Doch meine ehrgeizigen Pläne fürs neue Jahr halten kaum länger als das Feuerwerk. Was mich jedoch nicht davon abhält, unermüdlich neue Pläne zu schmieden.

„Akrasia“ – Ein Problem so alt wie die Menschheit

Das Problem mit dem Aufschieben war bereits den alten Griechen wohlbekannt, die sogar einen Namen dafür prägten: Akrasia. Akrasia bezeichnet das Handeln wider besseren Wissens. Immer wenn wir noch eine Folge der aktuellen Serie schauen, obwohl wir eigentlich mit der Semesterarbeit anfangen wollten. Wenn wir unser Geld wieder mal für unnötigen Krempel auf den Kopf hauen, statt einen Teil davon für die Weltreise zu sparen. Wenn wir keinen Schauspielunterricht nehmen, wenn wir Schauspieler werden wollen. All das ist „Akrasia“.

Darum schieben wir unsere Pläne so oft auf

Dass wir dazu neigen, unsere Pläne auf die lange Bank zu schieben, ist kein Zufall. „Akrasia“ liegt ein Prinzip zugrunde, das mit einem Begriff aus der Verhaltensökonomie zu tun hat: „Zeit-Inkonsistenz. Damit ist gemeint, dass Menschen dazu neigen, kurzfristige Belohnungen höher zu bewerten als zukünftige. Getreu dem Motto „lieber den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach“ wollen wir lieber jetzt die leckere Schokolade reinstopfen, statt uns für unseren späteren Beachbody abzustrampeln. Statt uns auf die Hinterbeine zu stellen, glauben wir seltsamerweise oft, dass es ausreicht, Entscheidungen für unser zukünftiges Ich zu treffen. „Das wird ja schon irgendwie werden“, sagen wir uns. Dann gönnen wir uns voller Vorfreude erst mal eine Familienpizza und schon ist es passiert – wir sind in die „Akrasia“-Falle getappt.

Wollen wir es vielleicht einfach nicht genug?

Ein berechtigter Einwand wäre: Wenn man etwas wirklich will, dann tut man es auch. Wollte ich womöglich doch nicht so sehr Schauspielerin werden? Keineswegs. Ich wollte es mit jeder Faser meines Körpers. Doch in meiner jeweiligen Gegenwart scheute ich zurück. Da waren Zweifel: Vielleicht würde ich im Schauspiel- oder Gesangsunterricht herausfinden, dass ich viel zu schlecht dafür war. Und da waren andere „Hindernisse“ wie meine Schüchternheit, die ich erst mal noch überwinden wollte, bevor ich mich auf die Bühne wagte. Und so legte ich den Plan, Schauspielerin zu werden, vertrauensvoll in die Hände meines zukünftigen Ichs, in der Hoffnung, dieses wäre dann in der Lage, alles schon irgendwie zu rocken.

Das ist der Haken an der Sache: Während wir ganz groß darin sind, Pläne für unser Zukunfts-Ich zu schmieden, tun wir uns umso schwerer beim Gegenwarts-Ich. Wenn wir für unser Zukunfts-Ich entschieden haben, dass es eine erfolgreiche Schauspielerin werden soll, müssen wir gleichzeitig für unser Gegenwarts-Ich entscheiden, dass es bitteschön Schauspielunterricht nehmen soll, statt auf der Couch rumzufläzen. Und zwar jetzt. Das schmeckt uns aber meistens nicht, weil es anstrengend ist – da nehmen wir doch lieber wieder die Fernbedienung in der Hand .

Die „Akrasia“-Spirale durchbrechen

Zum Glück sind wir dem ewigen Kreislauf von „Akrasia“ jedoch nicht wehrlos ausgeliefert. Wir können uns an unseren eigenen Haaren wieder aus dem Aufschiebe-Sumpf herausziehen und unserem Gegenwarts-Ich dabei helfen, in die Gänge zu kommen (statt sich mit Gegenwarts-Schokolade den Bauch vollzuschlagen). Drei Strategien dafür hat beispielsweise James Clear in petto.

1. Strategie: Zukünftige Aktionen begünstigen

Bei Clears erstem Trick geht es darum, Voraussetzungen zu schaffen, die es wahrscheinlicher machen, etwas auch tatsächlich tun. Wenn wir etwa unsere Sporttasche schon fertig gepackt an der Haustüre postieren, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass wir nach Feierabend auch tatsächlich zum Sport gehen.

2. Strategie: Startschwierigkeiten überwinden

Vieles ist halb so schlimm, wenn man erst einmal damit angefangen hat. Sind die ersten Sätze für die Semesterarbeit geschrieben, fühlt man sich schon gleich besser als beim Anblick der leeren Seite. Steht man erst mal auf dem Laufband, zieht man das Training meistens auch durch. Wir müssen uns also nur dazu kriegen, loszulegen. Wenn wir wirklich verinnerlichen können, dass Aufschieben viel unangenehmer ist als uns mitten in der Aktion zu befinden, haben wir schon so gut wie angefangen. Und meistens finden wir dann hinterher: War doch gar nicht so schlimm.

(Siehe auch: Das Zen des Beginnens.)

3. Stategie: Ort und Zeit genau festlegen

Der Zahnarzt-Termin am 14. März um 15.30 Uhr steht dick im Kalender. Wir verspüren nicht die geringste Lust, uns im Gebiss herumbohren zu lassen, aber wir gehen trotzdem hin. Es ist eben ein Termin. Termine machen wir jedoch meistens nur für unsere Verpflichtungen. Pläne, die wir nur für uns machen, stellen wir gerne hinten an. Zahlreiche Studien belegen jedoch: Wenn wir den genauen Zeitpunkt für ein Vorhaben festlegen und schriftlich festhalten, steigt die Wahrscheinlichkeit immens, dass wir unser Vorhaben auch wirklich in die Tat umsetzen.

Enkrateia statt Akrasia

Wir müssen also nicht zwangsläufig Akrasia-Sklaven bleiben. Das wussten die alten Griechen auch schon. Aristoteles prägte noch einen anderen Begriff, der das Gegenteil von Akrasia meint: Enkrateia – die Fähigkeit, die Macht über sich selbst in Händen zu halten. Und wem die Selbst-Disziplin nicht in die Wiege gelegt wurde, für den gibt es Mittel und Wege, dem genusssüchtigen Gegenwarts-Ich Feuer unterm Hintern zu machen. Und wo ein Wille ist … ist auch Enkrateia.

Wenn Du Deine großen Pläne endlich in kleinen Schritten verwirklichen willst, kann Dir auch das myMONK-Buch helfen: 12 Gewohnheiten, die Dein Leben verändern. Ebenfalls wichtig: 10 Wege, sich von Perfektionismus zu befreien.

Photo: Georgie Pauwels