Teile diesen Beitrag "Sind Vergewaltigte und Krebskranke selbst schuld?"
„Kein Wunder, war ja nur eine Frage der Zeit, wenn die immer mit so kurzen Röcken rumläuft!“
„Krebs, schlimm, klar, aber man bekommt eben immer die Quittung für seinen Lebensstil und seine negativen Gedanken!“
„Ja, ja, die Armen, schon blöd, dass die kein Geld für einen Arztbesuch haben, aber sie hätten sich halt mehr anstrengen müssen im Leben.“
Das alles ist natürlich totaler Unsinn und irgendwie auch ziemlich grausam.
Und leider weit verbreitet.
Auch ein Teil von mir möchte das gern glauben. Ich sehne mich nach Kontrolle. Nach Sinn. Danach, dass X zu Y führt, und dass ich das X in meiner Hand habe.
Umso mehr, je unsicherer und verwirrender die Welt wird.
Denn: Wenn anderen ohne ihr Zutun, einfach so, etwas Schlimmes widerfahren kann, kann es mir dann nicht auch passieren?
Das macht Angst, und die möchten wir gern wegschieben. „Blaming the victim“ nennt man das – dem Opfer die Schuld geben. Ein menschlicher Impuls, denke ich, aber keiner, bei dem wir bleiben sollten. Er ist so kindlich wie die Vorstellung, man könne mit Affirmationen alles beim Universum bestellen und abbestellen.
Das Leben ist und bleibt eine unsichere, verletzbare Angelegenheit. Was wir brauchen, ist nicht Schuldzuweisung, sondern Mitgefühl. Für uns und all die anderen da draußen, denen die Zeiten gerade nicht nur Honig aufs Brötchen schmieren.
Siehe auch: Warum Du so leidest und „Dein Unglücklich-Sein kotzt mich an!“
Photo: Konrad Lembcke
Das passiert jeden Tag. Vielleicht ist der Anfang der Gedanke: „Mir hilft ja auch keiner.“ Oder: „Ich bin ja auch allein mit meinem Problem.“ Oder noch schlimmer: „Ich bin ja an meinem Problem auch selber schuld.“
Hier geben sich dann Neoliberalismus und Esoterik elegant die Hand: Stress? Mach halt noch mehr Yoga. Optimiere dich selbst, finde dich selbst, liebe dich selbst. Selber schuld, wenn du das nicht loslassen kannst! Übertrieben? Neulich auf Deutschlandradio Kultur die Rezension zu einem Hörbuch verfolgt: Wie man mehr und erfolgreicher Arbeiten kann durch Achtsamkeit. Mit 3-bis-90-Sekunden-Power-Üben. Was bleibt da noch an selbst außer: Fick dich doch einfach selbst.
Man könnte natürlich auch solidarisch sein und denken, dass man es gemeinsam schafft und entsprechend handeln. Auch ne Idee.
Hi Toc,
ja, das ist insgesamt eine sehr unschöne Entwicklung. Was die 90-Sekunden-Übungen angeht, bin ich da keiner so eindeutigen Meinung.
Zum einen, denke ich, ist jede Minute Achtsamkeit besser als eine Minute Unachtsamkeit. Für manche ist das vielleicht ein wichtiger, nicht-überfordernder erster Schritt. Kritisch ist dabei sicher das Motiv: mache ich es für „mehr Power“? Oder um noch besser mithalten zu können? Oder geht es mir wirklich darum, mal innezuhalten, und sei es nur für einen Moment?
Liebe Grüße
Tim
Ich habe auch nichts gegen 90-Sekunden-Übungen. Wie Du sehe ich das Problem aber auch bei der Motivation. Und bei diesem Gedanken: „Ich muss mehr machen, um mehr leisten zu können.“ Also: Ich kann im Job nimmer mit, also mache ich Abends noch Yoga-Kurs. Nichts gegen Yoga-Kurs, Meditation, Achtsamkeit und so weiter. Aber das ist die falsche Prämisse. Richtig wäre, weniger zu machen, um Platz für die Selbstzuwendung zu haben, z.B. durch Yoga, Joggen, oder einfach nur Badewanne oder wie auch immer.
Das Bescheuerte ist, dass so viele Menschen dieses Leistungsgesellschafts-Hamsterrad mit antreiben. Dadurch wird es schwieriger für den Einzelnen, der sagt: Ich will nicht mit, oder sogar, ehrlicher: Ich kann das auf Dauer nicht mit.
Richtig gut auf den Punkt gebracht. Danke für die Erinnerung 🙂
Vielen Dank, Claudia!
Jetzt muss ich mich auch mal äußern, nach langer Zeit des Nur-Lesens – Du sprichst mir aus der Seele. Endlich mal jemand, dem das „Blame the victim“ und „Alles was dir widerfährt, hast du selbst verursacht“-Geseier auch so sauer aufstößt. Das ich noch dazu für gefährlich halte für Menschen, die z.b. wirklich traumatisiert wurden und verzweifelt Hilfe in solchen Ratschlägen suchen. Und was auch für mich nur zu erklären ist, wie du es hier beschreibst – dass die Menschen eine Erklärung brauchen für das Unerklärbare.
Hey Yvonne,
vielen Dank fürs lange Lesen und Deinen ersten Kommentar – bei dieser Gelegenheit: herzlich willkommen hier! 🙂
Während ich den Versuch, sich selbst durch Gedanken vor Leid schützen zu wollen, sehr menschlich finde (und auch, wie geschrieben, von mir selbst kenne), finde ich es ziemlich unmenschlich, das als Strategie verkaufen zu wollen an Leute, die doch stattdessen Zuwendung und echte bzw. auch rofessionelle Unterstützung benötigen.
Liebe Grüße Tim
Lieber Tim,
ein wichtiges Thema sprichst du da an. Die Empfänger solcher Botschaften müssen sich so zu dem bestehenden Leid noch mit der Ablehnung herumschlagen. Das macht mich jedesmal wütend, weil es der Heilung – ob emotional oder körperlich – nicht nur nicht dient, sondern diese sogar erschwert. Wie du es schreibst, brauchen diese Menschen Mitgefühl und Zuwendung.
Was mich so richtig in Rage bringt, ist dass es ausgerechnet in der spirituellen Szene sehr häufig zu diesen Schuldzuweisungen kommt, gerne auch von Menschen, die sich das Mitgefühl groß auf die eigenen Fahnen geschrieben haben und schon „so weit“ sind. Spiritueller Hochmut in Reinkultur. Wo bleibt da das Herz?
Du merkst, ein Thema, das mich sehr berührt. Ich habe dazu einen Artikel geschrieben und wenn es für Dich okay ist, würde ich ihn gerne hier verlinken http://claudiaheipertz.de/warum-du-eine-krankheit-nicht-persoenlich-nehmen-solltest/
Mach weiter so. Du gibst auf myMonk so viele wertvolle Impulse. Danke dafür!
Ganz liebe Grüße
Claudia
Hi liebe Claudia,
Dankeschön für Deine Zeilen und auch Dein Wertschätzung, die letzten Tage war hier themenbedingt viel mehr Gegenwind als ich’s sonst gewohnt bin, da tut es mir besonders gut, auch Positives zu lesen!
Letztlich kann man alles für alles benutzen – auch die „Spiritualität“, um sich selbst zu erhöhen und eher unheilsamer als heilsamer in seinen Taten zu werden. Ich möchte da gar nicht jedem, der mit dem Leid anderer nicht gut umgehen kann, schlechte Absichten unterstellen, aber wie Du schon schreibst: für einen, dem’s gerade richtig mies geht, ist das mitunter ein schwerer Hieb zusätzlich.
Liebe Grüße
Tim
Auch wenn es grausam ist….irgendjemand muss die Menschen aufwecken. Ich will damit nicht sagen, dass vergewaltigte selbst schuld sind. auf keinen Fall. Aber an einer Krebserkrankung ist man zumindest indirekt selbst schuld. Wir leben im Zeitalter der desinformation und bewussten Fehlinformation. Und die Menschen spielen dieses Spiel mit ohne sich darüber gedanken zu machen, konsumieren fast nur gift und zucker und wundern sich wieso ihr körper dann streikt. Das selbe phänomen kann man auch im größeren Maßstab betrachten. Unsere Erde ist ein riesiger lebender Organismus. jedes Tier, jede Pflanze, jeder Pilz, jedes Bakterium, jeder Stein, der Wind, das Wasser, das Alles ist ein abgeschlossener Organismus wie die Zellen in unserem Körper einen abgeschlossenen Organismus bilden. Der Mensch verhält sich hochgradig parasitär. Er nimmt sich alles, dehnt sich aus, braucht platz (bauwerke die die Natur verdrängen). Genauso wie es Krebszellen machen., nur in einem anderen maßstab. Dementsprechend ist unser verhalten der auslöser für krebs in uns und ebenso für die schädlichen auswirkungen auf unsere Umwelt. Wir sind der Krebs. Eine außer kontrolle geratener Fraktal der Realität, der sich immer weiter ausdehnt und rücksichtslos die Natur und somit das gleichgewicht und das Leben verdrängt.
Aber nein! es ist ja für alles gesorgt! Der Mensch kann sich aufführen wie ein unkontrollierbares Krebsgeschwür und wenn die Rechnung kommt geht man zum arzt und alles ist wieder gut. Mann, das leben wär schon einfach wenn man eine Rosarote Brille tragen würde.
Nur Schade dass Gespräche über solche Themen, und Kommentare meist vollkommen Sinnlos sind. Die Menschen hören nur was sie hören wollen, und sie schenken ihr vertrauen Leidergottes falsch- und halb-wissen.
So pauschal kann man das nicht sagen. Mit zum Teil selber schuld an der Krebskrankheit. Man kann auch Krebs bekommen ohne sich mit Gift vollzustopfen. Und der Gedanke, dass wir selbst ein Krebsgeschwür sind und es nicht besser verdient hätten, also komm… ich hab’s mir nicht ausgesucht, in diese Welt geboren zu werden und Teil der Menschheit zu sein. Mit dieser Argumentation wäre kollektiver Suizid doch das einzig konsequent logische. Das wäre ja wohl irrsinnig. Abgesehen davon können sich viele Menschen gar nicht aussuchen, was sie „in sich reinstopfen“, denn Zucker und Fett sind heutzutage die preisgünstigsten Nahrungsmittel, während es früher die teuersten waren. Gesundes Essen, am besten aus biologisch und ökologisch sinnvoller Landwirtschaft, das können sich viele einfach nicht leisten. Sind die dann selber schuld? Hätten sie halt auf die Uni gehen sollen und nen teuer bezahlten Job annehmen sollen? Nicht jeder hat das Zeug dazu… selber schuld, eher wenig intelligent geboren zu worden zu sein? Und so weiter.
Aber all das mal beiseite: Wenn Du mal einen Menschen vor Dir haben solltest, dem der Arzt gerade gesagt hat, dass er mit den Metastasen in seiner Leber eine 10%ige Überlebenschance nach der Behandlung hat, dann sag ihm doch mal Deine Ansichten ins Gesicht. Hoffentlich wird es kein Mensch sein, der Dich liebt, sonst hast Du einen weniger davon.
Es gibt sogar noch eine Steigerung dieses „blaming the victim“. Leider beobachtet man es gerade in spirituellen Kreisen, nämlich dann, wenn jedes Übel auf das „Karma“ einer Person zurückzuführen ist. Dann gibt es nämlich gar keine Opfer mehr, sondern jeder bekomme eben immer genau das, was er verdiene.
Hi Oliver,
soweit ich weiß sagen die Buddhisten: das Konzept des Karmas sollte man nur auf sich selbst anwenden. Auch damit stimme ich nicht so ganz überein – auch wenn es etwas tröstliches hätte, kann es ein vernichtender Gedanke sein. Richtig schwierig wird es aber wirklich dann, wenn ich den anderen mit „Geh sterben, Du mit Deinem Scheiß-Karma“ ablehne.
Liebe Grüße
Tim
Schuld gibt es im Grunde gar nicht. Jedenfalls kennen wir die Ursachen meistens wenig. Und noch weniger die Ursachen der Ursachen. Mitgefühl sollten wir immer haben, jedenfalls für einen Moment, auch wenn wir auf den ersten Augenblick mit „selbst schuld“ reagieren möchten. Ich meine, wo ich kein Mitgefühl aufbringen kann, dort regiert oft Überheblichkeit über die Akzeptanz. Dabei hätte Akzeptanz etwas von Liebe, während Überheblichkeit etwas von Ablehnung hat.
Trotzdem gibt es ja immer einen Ursache-Wirkung Aspekt. Ob der Leidtragende auch der Verursacher ist, das ist dann aber weniger klar.
Hi Richard,
ich weiß, dass Karma im Grunde nichts anderes heißt als „Ursache und Wirkung“ – so, wie ich es verstanden hatte, sucht man im aber zumindest im buddhistischen Karma die Ursache in früherem eigenem Handeln (bzw. sucht man sie nicht, weil man sie nicht finden kann, aber man nimmt sie an).
Wenn man das so nicht annimmt, ist der Ursache-Wirkungs-Zusammenhang aus meiner Sicht nicht sehr nützlich – zwar scheint es dann irgendwo einen Sinn, also Zusammenhang, zu geben, aber wenn das mit mir nichts zu tun hat, macht es mir das ja auch nicht leichter?
Liebe Grüße Tim
Ich bin auch der Meinung, dass man an eigenen Krankheiten oder „Unglücken“ selber Schuld ist. Jeder Mensch hat die “ Keime“ für schlimme Krankheiten, die Frage ist nur, gehe ich einen Weg, der diese Krankheit auslöst oder nicht. Und wenn mir etwas Schlimmes zustößt, muss ich auch einen Teil durch meine Charaktereigenschaft dazu beigetragen haben, dass es passiert. Mein höchstes Mitgefühl für jeden der leiden muss, weil er es nicht besser wusste, das Zentrum von kollektiven Denken wurde oder einfach sein musste, weil die Welt aus Gegensätzen besteht und alles seine Daseiberechtigung hat. Alles, auch wenn noch so schmerzhaft, hat einen Sinn.
Ja, vielleicht, ich bin für mein Krebs selber schuld, aber ich weiss eben nicht was habe ich alles falsch gemacht.