Teile diesen Beitrag "Was Dich tragen kann, wenn alles zusammenbricht"
Es folgt ein Gastbeitrag von Sabrina Gundert.
Vor einigen Jahren brachen die wesentlichen Bereiche meines Lebens zusammen.
Mein Verlobter beendete die Beziehung, von der ich gedacht hatte, dass ich in Kürze vor dem Altar stehen würde.
Unser Haus brannte und ich fand mich nachts um halb zwei bei minus zehn Grad im Schlafanzug auf der Straße wieder. Plötzlich stand ich da mit der Frage wohin, wie weiter, was zählt jetzt wirklich und hatte keine Antwort darauf.
Wenige Tage später fingen dann die Panikattacken an. Als ich mit Herzrasen dachte, gleich in der Hamburger S-Bahn sterben zu müssen. Und das Gedankenkarussell mit all seinen Sorgen und Szenarien mich vom Aufwachen bis in den Schlaf begleitete.
Damals kannte ich viele tolle Techniken.
Ich wusste, wie ich meine Chakren reinigen konnte und kannte komplizierte Meditationspraktiken. Ich wusste, welche Yogaabfolge besonders gut war, um am Abend zur Ruhe zu kommen und konnte mindestens fünf Mantren mit Übersetzung fehlerfrei singen.
Geholfen hat mir das alles nicht.
In dieser Zeit fand ich zurück zur Einfachheit. Im Atmen. Und im Boden spüren.
Immer, wenn ich drohte, gleich in Panik zu verfallen, besann ich mich auf den Boden unter meinen Füßen. Ich fragte mich: Wie fühlt sich der Boden unter meinen Füßen an? Und nahm wahr, was ich gerade wahrnahmen konnte. Mehr nicht.
Bemerkte ich, dass ich mal wieder zwischen „Wo soll ich bloß hinziehen?“, „Wie geht es jetzt weiter?“ und „So eine Scheiße!“ in einer Gedankenschlaufe hängengeblieben war, richtete ich meine Aufmerksamkeit auf meinen Atem. Manchmal legte ich dazu auch die Hand auf meinen Unterbauch, so knapp unterhalb meines Nabels, und nahm einige Atemzüge lang nur das Heben und Senken meiner Bauchdecke wahr. Mehr nicht.
Ich staunte.
Wie wirksam der Boden und der Atem in ihrer Einfachheit waren. Denn ich konnte spüren, wie sie mich trugen. Wie sie mir halfen, mich wieder mehr in mir zu verankern und zurückzufinden zur tiefen Stille in mir – wenn auch manchmal nur für fünf Minuten.
Und doch. In dieser Zeit begann ich zu begreifen, welcher Wert in dieser Einfachheit liegt. Wie wenige Techniken ich im Endeffekt brauche. Wie sehr es reicht, wenn ich den Kern anwende – atmen, Boden spüren.
Zugegeben, zuvor hatte mich das nicht sehr überzeugt. Sicherlich, Achtsamkeit, das klingt erst mal gut, aber all die Techniken rundherum wirkten doch einfach viel kunstvoller, virtuoser, publikumsfähiger.
Einfach nur atmen und den Boden spüren? Mir war das, als die Steine meines Lebens noch scheinbar sicher beisammen gestanden hatten, zu wenig vorgekommen. Geradezu langweilig und schnöde. Nun war es gerade das, was wirklich trug.
Keine meiner Glaubensüberzeugungen überzeugte mich damals mehr. Keine der vielen Techniken. Kein Psychologe half mir wirklich im Umgang mit der Trennung und den Panikattacken. Keine Schokolade, keine wohlgemeinten Ratschläge von Freunden.
Es war die Achtsamkeit, so banal, so einfach, die mich trug. Nachdem ich jeden Abend zwei Stunden auf dem Boden meines Zimmer gelegen und darauf gewartet hatte, dass jemand kommen und mich retten würde, brachte mich die Achtsamkeit dazu, doch wieder aufzustehen und mir mein Leben anzusehen, so, wie es nun mal gerade war.
Ich redete den Schmerz nicht weg, ich lud ihn ein, da zu sein – und begriff, dass ich mit ihm sein und weitergehen konnte. Mit der Achtsamkeit im Kern. Und mit lauter Musik und Schreien zwischendurch, wenn ich es brauchte.
Die Achtsamkeit half mir auch bei meinen Panikattacken. Wieder ging es ums Wahrnehmen und Atmen. Wieder bemerkte ich, wie banal, wie einfach das klang und wie doch genau das jede Panikwelle abzufangen vermochte, wenn ich sie bei ihrem Auftauchen einfach wahrnahm, da sein ließ und mich daran erinnerte zu atmen.
Inzwischen sind drei Jahre vergangen. Verändert hat sich seither an meiner Praxis nicht viel. Ich atme. Spüre den Boden unter meinen Füßen. Manchmal, da muss ich mich erinnern, dass das reicht. Und merke zugleich, wie sehr es trägt. Ganz ohne komplizierte Techniken, ganz ohne Perfektion. Vielleicht gerade deshalb.
Autor:
Sabrina Gundert begleitet Menschen und vor allem Frauen mit ihren Coachings, Seminaren und Büchern dabei, herauszufinden, was sie einmalig macht – und es zu leben. Denn sie ist überzeugt: Jede von uns trägt etwas in sich, das nur sie auf diese Weise in die Welt bringen kann.
Photo (oben): AdriaanC
Toller Beitrag von dir Sabrina, hat mir sehr geholfen!
Liebe Grüße
Danke dir, das freut mich!
Herzlich,
Sabrina
Sehr schöner Beitrag, Sabrina. Einfachste Techniken helfen oft am besten um schwierige Situationen zu meistern.
Wenn ich sehr gestresst bin, konzentriere ich mich eine Minute lang auf meine Füsse und den Boden.
Mein Körper „fährt“ dann augenblicklich runter.
Lieber Roger,
ja, für mich sind es wie für dich immer wieder die einfachsten Dinge, die letztendlich doch die wirkungsvollsten sind. Mich auf den Boden unter meinen Füßen zu konzentrieren und mich zu fragen: „Wie fühlt sich der Boden unter meinen Füßen an?“ hilft mir immer wieder. Um mich zu fokussieren, zu konzentrieren, um als Hochsensible entspannt durchs Einkaufszentrum zu kommen, ohne mich links und rechts zu verlieren. Danke dir für das Einbringen!
Herzlich,
Sabrina
Hallo Sabrina, danke dafür. Das Boden spüren hilft mir auch sehr, mich zu stabilisieren. Leider vergesse ich es oft… Aber es sind tatsächlich die einfachen Dinge, die viel helfen.
Lg
Liebe Melly,
das Schöne ist ja, dass wir jeden Moment wieder neu damit anfangen können – diesen Atemzug bewusst wahrnehmen, jetzt den Boden unter den Füßen spüren – und wenn wir rausfallen einfach im nächsten Moment wieder neu einzusteigen. Ohne Selbstverurteilung, ohne erst mal ein Seminar besuchen oder eine Technik lernen zu müssen. Wenn das nicht grandios ist 😉
Alles Liebe,
Sabrina
Ein sehr schöner Beitrag. Ich glaube das Schlimmste in solchen Situation ist es, wenn man erkennen muss, dass man im Inneren völlig leer ist, dass alles, was man glaubte zu sein im Grunde nur etwas was, das von außen kam und man seine eigene Persönlichkeit überhaupt nicht entwickelt hat (aus welchen Gründen auch immer). Ich habe in meinem Bekanntenkreis vor einiger Zeit einen solchen Fall erlebt. Seitdem habe ich mich viel stärker damit beschäftigt, was in mir selbst eigentlich Substanz hat und was nur künstlich, man könnte auch sagen „aufgesetzt“, ist.
Lieber Oliver,
danke dir, dass du diese Nullstunde ansprichst! Ja, ich glaube es ist ein Punkt, der uns sehr herauszufordern vermag. An dem wir scheitern, schreien, toben, weinen, verzweifeln, uns absolut leer zu fühlen vermögen. Und der zugleich, lassen wir uns darauf ein, für uns zum Ausgangspunkt einer neuen Basis im Leben werden kann. Eine, die authentischer ist, tragender, die uns klarer sehen lässt, was wirklich zu uns gehört und was nicht.
Herzlich,
Sabrina
Hallo Sabrina,
danke für den Beitrag, er hat mich sehr berührt.
Wunderbar.
Grüße aus Thailand
Alex
Danke dir für deine Rückmeldung, Alex!
Herzliche Grüße vom Bodensee nach Thailand,
Sabrina
JA! Sabrina, DAS ist es! „annehmen, fühlen, spüren, danke sagen“ DU bist es, die alle Antworten in dir kennt! Kein anderer…oder andere… – Somit sind dann alle Ratgeber Bücher und Coaches überflüssig … – und das am Welttag des Buches…
ich wünsche dir, bleibe in deiner Kraft des Atems und sei immer mit der Erde und dem Himmel verbunden und der Herzensweg kann nur gelingen in Freude und Liebe!!! Ich schliesse mich dir an! Alles ist gut! DANKE, dass DU da bist!!!
Herzlicht Monika
Danke dir für deine Nachricht, liebe Monika!
Dass alle Bücher und Coaches überflüssig sind – so sehe ich es nicht unbedingt. Denn es waren damals wie heute immer wieder auch Bücher, die mich wieder an das Atmen erinnert haben, die mich haben aufstehen, weitergehen, weiteratmen lassen. Und es waren immer wieder Coaches, die – wie ich es in meiner Arbeit auch selbst tue – andere Menschen dabei begleiten, ihre eigenen Antworten zu finden. Das ist es, was mich am Coaching so begeistert: Dass es nicht darum geht, jemand einen Rat zu geben oder selbst zu meinen, die Richtung zu kennen, in die der andere gehen soll. Sondern vielmehr darum, gemeinsam die Antworten zu heben, die schon längst da sind – und die für die Person selbst stimmig sind. Dabei dürfen wir uns immer wieder auch Unterstützung (in welcher Form auch immer – Buch, Coach, Natur, Stille, …) holen.
Herzlich,
Sabrina
Liebe Sabrina,
danke für den tollen Beitrag und wieder bewußt machen.
So einfach und so wirksam.
Auch komme ich immer wieder an das Annehmen.
Habe mich dabei ertappt, dass ich mit gewissen Techniken etwas anders oder weg haben wollte.
Annehmen fühlt sich für mich wie innerer Frieden an.
Herzlichst,
Gudrun
[…] von Sabrina unter Was Dich tragen kann, wenn alles zusammenbricht. Und wie Du neue Gewohnheiten schaffen kannst, erfährst Du im myMONK-Buch 12 Gewohnheiten, die […]
[…] Quelle:myMONK.de | Für innere Ruhe und verwirklichte TräumeVeröffentlicht = Mittwoch, den 13.04.2016https://mymonk.de/was-traegt/ […]