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Text von: Lena Schulte

Notaufnahme, Charité. Überall Menschen, die rumwuseln oder krank sind. Ich habe auch irgendwas, warte auf einen Arzt und neben mir fängt ein Obdachloser laut zu weinen an. Und er stört, denn hier hat jeder sein eigenes Drama am Laufen. Erwachsen, wie wir alle sind, besinnen wir uns außerdem darauf, dass wir ihm ja nicht zu nah treten wollen. Dass es uns ja nichts angeht. Hinterher machen noch was falsch! Ich denke das auch, und brauche unfassbar viel Mut, um mich dann doch unter den kritischen Blicken der anderen neben ihn auf den Boden zu hocken und ihm die Hand auf den Arm zu legen. War dann auch gar nicht so schlimm (bloß, das gebe ich zu, ein bisschen eklig).

Wollen (oder sollen) wir Trost spenden, kann das ganz schön überfordernd sein. Aber auch dank dieser Erfahrung habe ich gelernt, dass es nicht so sehr darauf ankommt, das Richtige zu sagen, sondern das Richtige zu tun.

Hier ein paar Gedanken zur Trauer – und wie man Trauernden wirklich helfen kann.

Trauer hat tausend Formen

Ich habe manchmal den Eindruck, dass tiefe Trauer eine Rechtfertigung braucht, um vom Umfeld geduldet zu werden. Wie häufig kommt es vor, dass wir uns selbst „zusammenreißen“, um jetzt bloß kein Drama zu machen? Dass wir aus lauter Scham vielleicht gar nicht erst drüber reden, was uns zu schaffen macht? Wer will sich denn schon lächerlich machen? Oder andere mit seinen „kleinen“ Sorgen belasten? Gibt immerhin Leute, denen es viel schlimmer geht!

Das Kind ist ja schließlich nicht aus der Welt, sondern nur von zuhause ausgezogen!

Es ging eh nicht lange mit uns, wir hatten ja nicht einmal eine Beziehung!

Alt und krank werden ist der normale Lauf der Dinge!    

Doch wenn das Herz weint, dann weint es. Punkt. Es gibt so einige Dinge jenseits von offensichtlichen, lauten Dramen, die ebenfalls verdammt weh tun. Der Verlust einer Fähigkeit, beendete Lebensphasen, unerfüllte Lebensträume, Vergangenes, Scheitern … Muss daraus ein Ranking werden, was bedauerungswürdig genug ist?

Nein. Trauer ist so facettenreich und individuell, weil sie menschlich ist und ein gesamter Lebensweg dahinter steckt. Deswegen können wir sie manchmal auch nur schwer (sofort) nachvollziehen. Für mich gilt grundsätzlich: Wer trauert hat Recht. Egal, ob mit oder ohne Segen anderer Leute.

Was ist also wichtig, wenn wir jemanden trösten wollen?

Zuerst die eigenen Gefühle ordnen

Sobald ich höre, dass einem geliebten Menschen etwas Schlimmes passiert ist, geschieht bei mir fast immer das gleiche: Ich werde unsicher. Fühle mich überfordert, habe Angst, bin vielleicht selbst traurig. Auf gar keinen Fall will ich jetzt irgendetwas falsch machen.

Für mich als Tröstenden erscheinen diese eigenen (Versagens-) Ängste oft unangemessen. Aber auch diese Gefühle sind da und beeinflussen unser Handeln. Deswegen erst einmal durchatmen und die eigenen Gefühle managen. Eine kurze Meditation, ein kleiner Spaziergang, ein Anruf bei einem vertrauten Menschen. Versuchen, den eigenen Stress auf ein annehmbares Level zu bringen. Mit emotionaler Klarheit können wir einfacher in schwierige Situationen treten und helfen.

Auf Billigtrost verzichten

Mit Trauernden zu sprechen kann verdammt schwer sein. Denn Worte können eine ungeheure Zerstörungskraft haben. Hier ein paar Floskeln, die (den meisten) Trauernden getrost nicht helfen:

Ich habe so etwas auch schon einmal erlebt./ Ich weiß, wie Du Dich fühlst.

Nein, weißt Du nicht. Absolut nicht. Zumindest nicht für den Trauernden. Auch bei ähnlichen Erlebnissen weiß man nie zu 100 Prozent, wie sich jemand anders gerade fühlt. Man kann es vermuten, aber nicht wissen.

Du musst nicht traurig sein.

Alles passiert aus einem Grund. / Die Wege des Herrn sind unergründlich.

Er/Sie hatte ja das Alter. / Es ist besser so. / So ist das Leben.

Bist Du etwa immer noch traurig? Es muss doch auch mal weitergehen.

Klar, Oma ist nach fünf gemeinsamen Jahrzehnten schließlich schon vier Wochen tot! Aber immerhin hatte sie ja das Alter …

Nicht alles lässt sich in Worte fassen. Und das muss es auch nicht

Schon das kann helfen: offen zuzugeben, dass wir nicht wissen, was wir sagen sollen. Es ist ein Anfang, ein ehrlicher, und zeigt der trauernden Person: Du bist nicht allein, nicht nur Dir fehlen die Worte. Mir geht es auch so.

Ein aufrichtiges „Es tut mir leid, ich wünschte, ich könnte irgendetwas sagen, aber es gibt nichts, was es besser machen würde“ oder ein „Ich möchte, dass Du weißt, ich bin für Dich da“ reichen fürs Erste schon aus.

Zuhören, da sein, dem Schmerz einen geschützten Raum geben

Wenn der Trauernde darüber sprechen möchte, kann einfaches Zuhören und ehrliche Präsenz wahre Erleichterungen schaffen. Zu zeigen: Ich bin hier, es interessiert mich ganz ernsthaft, was Du mir zu erzählen hast (selbst noch beim 10./20./100. Mal, auch wenn es immer wieder dieselbe Geschichte ist) und ich verurteile Dich nicht für Deine Trauer. Das schafft einen geschützten Raum, den man ganz besonders dann braucht, wenn alles andere um einen herum schon zusammengebrochen ist.

Zuhören, ohne zu unterbrechen.

Zuhören, ohne wieder das Gespräch an sich zu reißen („Das war bei miiir damals genau das Gleiche, iiich habe ja…“)

Zuhören, ohne zu erklären, wie man sich fühlen oder was man denken sollte. Oft haben Trauernde Schuldgefühle oder Gedanken, die für andere nicht nachvollziehbar sind. Anstatt dies abzutun „Ach, das ist doch Quatsch“ oder „Das ist doch wirklich nicht Deine Schuld“ können wir versuchen zu verstehen, warum er/sie diese Gedanken/Schuldgefühle hat, was dahintersteckt. Und darauf ein Gespräch aufzubauen.

Zuhören, ohne zu kritisieren. Wir trauern alle unterschiedlich. Manche werden lethargisch, andere wütend und der Nächste reißt die schlimmsten Witze. Trauer zu bewältigen ist eine Mammutaufgabe. Es ist nicht Dein Job dem Trauernden zu erklären, ob Du es gut findest, wie er seinen Trauerweg gestaltet. Richtig ist, was hilft. So lange dieses Verhalten nicht ernsthaft gefährlich oder unberechenbar wird, kann man durchaus auf das Trauerbewältigungs-Potenzial des anderen bauen und den Trauernden ermutigen, selbstbewusst mit seiner Trauer umzugehen.

In Aktion treten

„Melde Dich, wenn Du etwas brauchst“ ist nett gemeint.

Praktischer ist: „Soll ich Dich morgen anrufen, oder brauchst Du Zeit für Dich?“

Oft ziehen sich Trauernde zurück, sind passiv und können sich zu nichts mehr motivieren. Besonders bei alltäglichen Aufgaben (Abwasch, Kochen, Einkaufen, Kinder wegbringen,…) hilft ungefragte Unterstützung oft. Denn besonders diese banalen Aufgaben können für Trauernde plötzlich ziemlich schwierig sein.

Mir half ein Freund einmal ungemein, als er nach einem Schicksalsschlag plötzlich vor meiner Tür stand, mir mein Lieblingsbier in die Hand drückte und sagte: „Ich weiß, es ist beschissen und Alkohol löst keine Probleme. Aber das tut Cola ja auch nicht.“ Es war ihm (scheinbar) egal, ob er vielleicht stören könnte. Er versuchte sein Glück einfach.Vielleicht, weil er wusste, wie schlimm es ist, wenn man gerade verlassen wurde … und man dann auch noch vom Umfeld verlassen wird aufgrund dessen Unsicherheit und Angst. Wir saßen auf meiner Couch, tranken und er hörte einfach zu. Er tat nicht so, als könnte er irgendetwas ungeschehen machen. Oder als wüsste er, was man dazu sagen könnte. Er sparte sich selbst die tröstenden Worte. Besser hätte er mir nicht helfen können.

Trösten bedeutet nicht, dem anderen Trauer zu ersparen. Es bedeutet menschlich zu sein, Wärme zu geben, Gemeinschaft zu erleben und Unsicherheiten zu überwinden. Und wenn es von Herzen kommt, kann es das größte Geschenk sein, das wir einem Trauernden geben können.

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Photo: joe jukes