Teile diesen Beitrag "Wann Du Deiner Intuition vertrauen solltest (und wann nicht)"
Text von: Lena Schulte
Einfach mal machen, nicht immer alles zerdenken, wieder mehr mit der inneren Stimme verbunden sein – wer will das nicht? Die Rückkehrbewegung zur eigenen Intuition ist einer der Burner in den Selfhelp-Charts. Inzwischen gibt es bestimmt auch schon einen danach benannten Tee. Es klingt oft so simpel, einfach nur mal etwas mehr aufs Bauchgefühl zu hören – aber ganz ehrlich: So einfach ist das nicht immer, zumindest nicht für mich. Als Kind war Intuition natürlich kein Problem. Aber als Kind bezahlten meine Eltern auch noch meine Rechnungen, Katastrophen gab es nur bei „Feuer, Wasser, Luftgefahr“ und aufgescheuerte Knie waren die größten Schmerzen, die ich so kannte.
Als Erwachsener wird die Welt dann ein wenig komplexer. Es gibt wahnsinnig viele Reize, die unseren Denkapparat täglich in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit überfluten. Ohne rationale Überlegungen, durchdachte Planungen und wichtige Entscheidungen könnten wir unseren Alltag kaum bewältigen. Kein Wunder also, dass wir oft nicht mehr wissen, ob es nun besser ist unsere Entscheidungen lieber rational oder doch intuitiv zu treffen. Nur: Wie können wir zwischen dem Kopf-Bauch-Gewusel unterscheiden? Was ist wann besser? Und wie können wir unsere Intuition weiter schulen?
Je komplexer, desto intuitiver
Wissenschaftliche Untersuchungen deuten darauf hin, dass unser Bauchgefühl zwar manchmal, aber längst nicht immer besser funktioniert als unser rationales Denken. Die Harvard-Forscherin Jennifer Lerner fand in vier Studien mit über 900 Versuchspersonen sogar heraus, dass wir die Emotionen unserer Mitmenschen mit systematischen Denken besser deuten können. Gelungene Empathie ist demnach das sorgsame Abwägen aller Informationen. Also lieber doch mehr den Kopf sprechen lassen?
Manche Situationen eignen sich zumindest besser dafür. Je höher das Maß an Ordnung und der regelhaften Rahmbedingungen ist (also je berechenbarer ein Umstand ist, in dem wir uns befinden), desto besser greift das logische Denken. Der Blogger Eric Barker vergleicht diese Systeme mit einem Puzzle: Wir können es lösen, indem wir mit unseren analytischen Fähigkeiten auf die Teile zurückgreifen, die sowieso schon vorhanden sind.
Mehr Informationen geben rasch ein Gefühl der Sicherheit. Doch je komplexer ein System wird, umso schneller führt logisches Denken zum Zerdenken. Analysieren wir zum Beispiel, ob Paul bzw. Uschi nun auf uns steht (oder halt nicht), führen mehr Informationen nicht automatisch zu klareren Erkenntnissen oder endgültigen Antworten. Ab einem gewissen Schwellenwert verwirren sie sogar mehr, als dass sie uns helfen. Anstatt mehrseitige Meinungsumfragen im Freundeskreis zu starten und Statistiken über WhatsApp Gespräche zu erstellen ist dann ein stiller, ehrlicher Moment mit uns selbst und unserer Intuition oft ratsamer: Vielleicht meldet sich in uns ja das Gefühl, dass Paul eher auf Tanja heiß ist und Uschi überglücklich mit ihren sieben Katzen verheiratet.
Auch wenn wir zwischen vielen Informationen wählen müssen, wie bei Klausur- oder Präsentationsvorbereitungen, hilft die eigene Intuition oft besser, um bedeutungsrelevante (Lern-) Schwerpunkte zu setzen.
Impuls vs. Intuition
Wenn ich mir bei kurzfristigen Entscheidungen nicht sicher bin, ob meine Intuition wirklich zu mir spricht, hilft mit manchmal auch die Unterscheidung, die ich einmal bei dem US-amerikanischen Autor Zach Dean gelesen habe. Er charakterisiert einen Impuls als einen Akt der Dringlichkeit. Er erscheint aus dem Nichts und geht mit einem großen Handlungsdrang einher. Ich muss es tun. Jetzt. Sofort. Das kann es bei der Intuition natürlich auch geben. Der entscheidende Unterschied ist jedoch, dass ein Impuls oft von äußeren Faktoren ausgelöst wird – und somit unberechenbarer und willkürlicher ist. Intuition dagegen ist instinktiver. Sie ist das Ergebnis aller Erfahrungen, die wir bisher gesammelt haben. Sie vereint zusätzlich noch Fakten, Emotionen und Logik und ist folglich ein Akt des Verstehens. Somit ist ihre Halbwertszeit viel länger als die eines Impulses … und auf einen längeren Zeitraum verlässlicher.
Intuition ist ein unglaublich komplexes Gebilde, das wir Menschen noch nicht vollständig erfassen können und vielleicht auch nie. Sie ist so schnell, dass unser bewusstes Denken nicht hinterherkommt. In Kontakt mit seiner Intuition zu stehen bedeutet demnach auch: mutig zu sein und zu vertrauen – vor allem in sich selbst und in die eigene Lerngeschichte.
Das Gute ist: Den Zugang zu unserer Intuition können wir trainieren. Hier ein paar Anregungen, wann und wie wir das tun können.
Wie erfahren sind wir auf dem Gebiet?
Als ich meinen Arm bei einem Sturz verletzte, betrachtete der Professor mein Röntgenbild gerade mal ein paar Sekunden, bevor er mir verkündete, dass ich ihn wohl das nächste halbe Jahr nicht mehr gebrauchen könne. Dabei hatte er sich das Bild doch gar nicht richtig angesehen! Dafür, dass ich selbst überhaupt nichts Spektakuläres erkennen konnte, kam mir diese Diagnose doch recht überstürzt vor. Der jüngere Assistenzarzt nahm sich viel mehr Zeit – kam aber auch zum gleichen Entschluss. Und so war es dann auch tatsächlich.
Haben wir eine Menge Erfahrung auf einem bestimmten Gebiet, erkennen wir die Zusammenhänge viel schneller und wissen, was zu tun ist. Langes Nachdenken führt dann viel wahrscheinlicher zu Fehlschlüssen. Sind wir dagegen noch unerfahrener auf einem Gebiet, reicht Intuition allein nicht aus, sondern sollte auch von einer logischen Warte betrachtet werden. Also: Wie viel Erfahrung haben wir schon auf dem Gebiet, auf dem wir die Entscheidung treffen sollen?
Fehler als Lernchance für die Intuition begreifen
Fehler zu machen nagt nicht nur am Selbstwertgefühl, sondern auch oft an der Motivation weiterzumachen. Aber besonders, wenn wir noch neu auf einem Gebiet sind (und unsere Intuition noch nicht geschult ist), wird unsere Intuition präziser durch den (sicher manchmal schmerzhaften) Erkenntnisgewinn nach falschen Entscheidungen. Kontinuierliches Üben und Scheitern zahlt sich aus. Eine Lüge zu verkennen, oder die Freundschaft-Plus mit einer aufblühenden Liebesgeschichte zu verwechseln, ist natürlich unangenehm. Aber mit einer vernünftigen Einschätzung hinterher und den richtigen Schlüssen Gold wert. Nicht umsonst sind die besten Eiskunstläufer die, die beim Training die häufigsten Gesichtskontakte mit dem Eis hatten.
Zukünftige Entscheidungen mental durchgehen
Nicht nur Schlagfertigkeit können wir trainieren, indem wir vorher mögliche Szenarien und Antworten mental durchgehen. Gary Klein verrät in seinem Buch „The Power of Intution“: Auch die Intuition lässt sich schulen. Wenn wir intuitiv getroffene Entscheidungen (und ihre Konsequenzen) genauer unter die Lupe nehmen, können wir einiges über uns und unsere inneren Prozesse lernen. Vielleicht entdecken wir, dass viele unserer intuitiven Entscheidungen von einer bestimmten Motivation angetrieben werden. Etwa vom Verlangen nach Wohlstand, Liebe, Erfolg oder Anerkennung. Kennen wie diese Motivatoren, können wir mental durchspielen, wie wir künftig wohl auf bevorstehende Herausforderungen reagieren werden, wozu das womöglich führt, und welche Alternativen uns wie motivieren würden.
Und mit diesem Wissen ziehe ich mich nun zurück und spiele jetzt mal diverse intuitive Entscheidungen durch. Schließlich muss ich schnell sein, wenn ein gutaussehender Erbe der WC-Enten-Dynastie es erwägen sollte, mich zu ehelichen.
Mehr unter Was Dein Herz Dir sagen will und unter Forschung: 3 Gründe, warum Du Deiner Intuition vertrauen solltest.
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Hey Lena,
toller Text! Vor allem den Zusammenhang zwischen Komplexität und Intuition finde ich spannend.
Allerdings denke ich auch, dass das Beispiel mit dem Arzt nicht ganz passt. Da hat er meiner Meinung nach nicht per Intuition entschieden, sondern eher aus Erfahrung. Die beiden Dinge gehören für mich nicht zwangsläufig zusammen. Für mich ist und war die Intuition beispielsweise bei jeder Schul-, Job-, Berufswahl ein wichtiger Entscheidungshelfer. Auch schon in meiner Jugend, als ich noch keine Erfahrungen auf dem Gebiet hatte. Ein ungutes Bauchgefühl hat mir schon damals von diversen Entscheidungen abgeraten. Das war auch gut so, wie sich später herausstellte.
Ich denke also, man kann auch ohne bestimmte Erfahrungen seine Intuition nutzen. Quasi als angeborene Superkraft =)
Liebe Grüße
Norman
Lieber Norman, danke für Deinen Kommentar 🙂 vor allem das mit Intuition als angeborene Superkraft finde ich sehr schön.
Und es stimmt natürlich, dass er nicht willkürlich entschieden hat, sondern aufgrund von Erfahrung. Es war dann weiterführend zu dem Beispiel, dass viel Erfahrung auch unsere Schnelligkeit (auch intuitive) Entscheidungen zu treffen positiv beeinflussen kann.
Liebe Grüße
Lena
Ich glaube, dass hier Intuition schon von Bedeutung ist. Ein Arzt wird mit viel Erfahrung schnell wesentliche Merkmale erfassen. Die Intuition liefert aber zumindest einen Beitrag zu Bauchgefühl und Stimmigkeit. Klar kann das Bauchgefühl durch Wunschvorstellungen leicht übertönt werden, so dass dann eine unklare Mischung vorliegt. In dem beschriebenen Fall würde eine Unstimmigkeit aber wahrscheinlich ein längeres Nachdenken bewirken. Sodass Erfahrung zusammen mit Intuition hier vermutlich zu der schnellen und sicheren Diagnose führten.
Mein Vater ist Arzt und sagt das gleiche: Wichtig sind Erfahrung, Wissen, Verstand und Intuition.
Mit der Zeit wird Intuition deutlich wichtiger, man entwickelt ein Gefühl, das besonders in diesem Beruf überlebenswichtig ist…
> Allerdings denke ich auch, dass das Beispiel mit dem
> Arzt nicht ganz passt. Da hat er meiner Meinung nach
> nicht per Intuition entschieden, sondern eher aus Erfahrung.
… und warum der Assistenzarzt seinem Chef nach dem Mund redet ist auch klar 😉
Dachte ich so beim Lesen 🙂
Das finde ich gut ausgearbeitet und gut beschrieben, Lena. Ich fand auch nur zwei Dinge irreführend. Zum einen die entweder/oder Darstellung in der Überschrift. Zum anderen die Verwendung des Begrifffs „Komplexität“ in diesem Zusammenhang. Diese Punkte gehören eben alleine zum mentalen Denken und dessen Versuchen, sich für eine Art digital berechenbares Ergebnis zu entscheiden. Intuition führt darüber hinaus. Ist Intuition massgeblich beteiligt an einer Entscheidung, dann „weiss“ ich es einfach. Aber ich weiss nicht so genau warum. Es geht um Vertrauen und wir nennen das dann oft auch Glauben. Der Intuition schliesst sich auch meistens ein Abwägen mit der mentalen Stimme an. Sehe ich hier eine ja/nein Frage, gewinnt sowieso die mentale Stimme.
Komplexität besagt ja gerade, dass ich etwas als komplex wahrnehme. Und wenn ich dies tue, hat Intuition keine Chance. Ich suche ja gerade nach Zusammenhängen und Logik. Intuition meldet sich sehr viel schneller als ein Gedanke. Wir haben verlernt, sie wahrzunehmen und ihr zu vertrauen. So hat der Gedanke danach leichtes Spiel, wichtiger genommen zu werden. Ein schneller erster Impuls kommt deshalb auch von der Intuition. War bereits ein Denken im Spiel, kommt er wahrscheinlich von dort.
Intuition IST einfach, wie Schöneit. Wir sagen ja auch nicht, ein beeindruckendes Bild sei etwas komplexes. Und solche Eindrücke stellen wir auch nicht dar als digitales Kopf-Ergebnis.
Sicherlich ist es nicht immer leicht, unsere Intuition wieder zu finden und stärker in unser Leben zu bringen. Ich erinnere mich noch gut an das Staunen einiger Forums-Teilnehmerinnen zum Thema Reiki, in meinen Anfängen dazu. Dass überhaupt ein Mann mit Intuition arbeitet, darüber schreibt und auch noch stimmig undeinleuchtend. Das hatten viele gar nicht erwartet und nicht erfahren.
Wir können aber alle Intuition finden, stärken und kultivieren. Es braucht vor allem Vertrauen in die Intuition und den Mut, sich darauf einzulassen, meist auch einen längeren Atem. Doch es lohnt sich, sich etwas vom kontrollierenden Denken wegzuewegen. Und das Gefühl vor dem ersten Gedanken war bei mir immer richtig. Manchmal erkennen wir das aber nicht. Weil es eine Stimme ist, die auf sehr viel mehr Information heraus spricht, als die für die praktische Durchführung so wichtige mentale Stimme.
Vielen Dank, lieber Richard.
Du scheinst Dich ja ziemlich viel mit der Thematik befasst zu haben (zumindest meine ich das aus dem Kommentar herauszulesen ;-).
„Intuition IST einfach, wie Schönheit. Wir sagen ja auch nicht, ein beeindruckendes Bild sei etwas komplexes. Und solche Eindrücke stellen wir auch nicht dar als digitales Kopf-Ergebnis.“ Ich finde, das ist ein interessanter Vergleich zur Kunst.
Liebe Grüße,
Lena
Der Text liebe Lena, ist so wie er hier zu lesen ist, in sich perfekt – denn wie sollte er anderes sein, als so wie er erscheint. 🙂
Möchte gerne eine Textpassage hervorheben.
„Impuls vs. Intuition“
Er erscheint aus dem Nichts und geht mit einem großen Handlungsdrang einher.
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Und genauso, verhält es sich mit den Gedanken – niemand denkt sie von selbst. 🙂 -:) 🙂
Wünsche einen schönen Tag.
Lieber Stephan,
freut mich, dass Dir der Text gefallen hat. Und um ehrlich zu sein, habe ich noch nie darüber nachgedacht, ob es sich auch so mit den Gedanken verhält 😉
Liebe Grüße
Lena
„Bauch sagt Kopf JA – Kopf sagt Bauch NEIN und zwischen den beiden steh ich. …“ Mark Forster kennt es also auch, dieses Problem wann man auf wen hören sollte und wie man seine Entscheidungen am besten trifft. Ich stimme den vorigen Kommentaren voll und ganz zu und weiß auch aus eigener Erfahrung, dass ich mich auf mein Bauchgefühl verlassen kann. Es scheint ganz selbständig zu wissen, wann es Sinn macht lauter zu werden und meinen Kopf zum Schweigen zu bringen. ..und dann habe ich vor einiger Zeit einen tollen Spruch in einer Zeitschrift entdeckt, der seitdem in direkter Sichtweite meines Arbeitsplatzes hängt : Vertraue darauf, dass du schon weißt, wie es geht! Und das kann ich absolut unterschreiben. ..
Liebe Melanie,
lieben Dank für Deinen Kommentar – und vor allem für den coolen Spruch. Der hat mir sogar gestern schon bei einer Schreibblockade geholfen und wird denke ich mal auch einen Platz über meinen Schreibtisch finden 🙂
Liebe Grüße
Lena
Toller Artikel. Sehr ausgewogen und nicht so platt pro Intuition.
Danke dafür. Diese Gedanken werden mich sicher noch lange bewegen …
Lieber Pit, freut mich, dass Dir der Artikel gefallen hat und Du etwas für Dich mitnehmen konntest 🙂
Liebe Grüße
Lena
Sehr interessanter Artikel, danke dafür. Meist versuche ich beides zu nutzen. Wenn sich der Situation entsprechend zunächst eine rationale Entscheidung aufdrängt, kann man seine Intuition quasi als „Kontrollinstanz“ nutzen. Bestätigt das Bauchgefühl die rationale Entscheidung, kann man umso sicherer und schneller voranschreiten. Beschleicht einen ein ungutes Gefühl, ist das eine sinnvolle Warnung, und man sollte die Situation vielleicht noch einmal genauer analysieren. Umgekehrt natürlich genauso, auch eine intuitive Entscheidung sollte man manchmal auch noch rational hinterfragen.
Problematisch wird es, wenn der Bauch und der Kopf in unterschiedliche Richtungen wollen, denn dann müssen wir und bewusst entscheiden….
Liebe(r) JayPee, danke für Deinen Kommentar. Das Problem mit Bauch in die Richtung, Kopf in die kenne ich auch, und manchmal bin ich dann so verwirrt, dass ich hinterher gar nicht mehr weiß, was jetzt von „wem“ kam. Letztens erst noch in einer Klausur passiert… 😀
Liebe Grüße
Lena