Den Kopf kann man verlieren, das kennen wir. Doch auch das Herz kann man verlieren. Den Kontakt zu dem, wie wir uns fühlen, was wir brauchen, was uns die innere Stimme rät. Dann werden wir getrieben, unruhig, erschöpft und irgendwie kalt und unlebendig.
Michael Hyatt schreibt von den „vier Disziplinen des Herzens“. Von den Dingen, die wir tun können, damit wir bei Kräften bleiben, unseren eigenen Weg mutig gehen und innere Ruhe verspüren.
Hier sind sie, wie immer (ohne Verhütung) gepaart mit meinen Gedanken.
Disziplin 1: Reflektieren
Laut und hektisch ist die Welt, alles blinkt, wirbelt und bellt. Wie in einer riesigen Waschmaschine schleudern wir hin und her. Passen wir da nicht auf, drehen uns Aufgaben, Anforderungen und Verlangen so lang durch die Mangel, bis wir überhaupt nicht mehr wissen, wo oben und unten ist, immer schneller rennen ohne Kopf.
„Nachdem wir das Ziel endgültig aus den Augen verloren hatten, verdoppelten wir unsere Anstrengungen“, sagte Mark Twain.
Was ich brauche, und Du vielleicht auch, ist ein regelmäßiger Rückzug von diesem Wahnsinn. Stille, etwa bei einem Spaziergang im Wald. Zeit, die ganze Sache mal von außen zu betrachten. Sehen, dass ich mich mal wieder im selbstgebauten Hamsterrad abstrample. Nachdenken darüber, was ich wirklich will. Meine Gefühle achtsam wahrnehmen, statt mich von verdrängtem Zorn und Angst knechten zu lassen.
Die spirituellen Führer haben’s vorgemacht. Buddha saß jahrelang unter einem Feigenbaum und meditierte. Der Dalai Lama steht dazu jeden Morgen 3:30 Uhr auf, erst ab 7 Uhr widmet er sich den Tagesaufgaben (ins Bett geht er 19 Uhr). Jesus ging wochenlang in Wüsten, Wälder oder auf Berge, um allein zu sein und zu beten. Mohammed zog sich zu diesem Zweck jedes Jahr für einige Wochen in eine Höhle zurück.
Disziplin 2: Ausruhen
Auch mit dem tausendsten Ratgeber für mehr Produktivität kommen wir nicht umhin, uns auszuruhen. Aber immerhin versuchen wir’s. Hier eine Stunde Schlaf weniger, da eine scheinbar nutzlose Pause streichen. Wir kämpfen an gegen Faulheit, die vielleicht in Wahrheit nur Erschöpfung ist. Legen dem Burnout den roten Teppich aus, und irgendwann kommt er und tanzt drauf, und das wird nicht schön aussehen.
Den Körper ausruhen, aber auch den Geist ausruhen, das Herz, das Leben durchatmen lassen. Feierabend machen, mindestens einen Tag in der Woche gar nichts arbeiten, wenn’s irgendwie möglich ist.
Sogar im Mittelalter – von dem wir heute denken: „Meine Fresse, muss das anstrengend gewesen sein!“ – war zeitweise jeder dritte Tage ein Feiertag, unterm Strich arbeiteten die Leute im 16. Jahrhundert nicht mehr Stunden im Jahr als wir heute, nämlich 2000 (vor allem, wenn wir Arbeitswege, Mail-Checken nach Dienstschluss etc. mit berücksichtigen). Bei den Bauern im 13. Jahrhundert waren es sogar nur 1600 Stunden.
Neulich hab ich von einer 26-Jährigen Controllerin gelesen. Der Reporter einer Zeitschrift fragte sie, wie sie’s so toll geschafft hat mit ihrer Karriere. Ihre Antwort: „Ich habe jede Ferienzeit im Studium für Praktika genutzt, damit nie Lücken in meinem Lebenslauf auftauchen!“ Applaus, Applaus. Im Grunde sollte es dafür jedoch nur ein Zeugnis geben können: das Armutszeugnis, dafür, dass wir uns selbst so durch’s Leben prügeln.
Woran erkennt man, dass man dringend Erholung braucht? Wenn man meint, keine Zeit dafür zu haben.
Disziplin 3: Erneuern
Wenn wir immer denselben Mist sehen, denken wir auch immer denselben Mist. Daran ändern auch die drei Stunden täglich nichts, die der durchschnittliche Deutsche vor der Glotze hängt und sich betäubt, als würde er sich im Irrenhaus selbst die Pillen in den Mund schieben, die ihn ruhig und klein halten.
Erneuern ist etwas anderes. Erneuern heißt: rauskommen, was Neues sehen, hören, machen, lesen, ausprobieren, erleben. Kreativ sein, in welcher Form auch immer, sei es beim Malen, Kochen, Häkeln, Kakteen-Züchten, Musizieren, oder beim Bloggen.
Freude erleben, uns erfrischen, unser Herz weiten. Etwas tun, in dem wir auf- statt untergehen. Am besten, wie Konfuzius es vorschlug: „Wenn Du die Absicht hast, Dich zu erneuern, tue es jeden Tag.“
Disziplin 4: Beziehungen
Forscher haben vor kurzem anhand der Daten von 181.000 Menschen herausgefunden: Einsamkeit schädigt das Herz und erhöht das Risiko von Herzinfarkten und Schlaganfällen um 30 Prozent.
Wir Menschen sind für Beziehungen gemacht. In ihnen können wir gleichermaßen ankommen und wachsen, Schwäche zeigen und Stärke gewinnen, Glück finden und Leid überwinden.
Doch die Welt zerfällt. Arbeitnehmer werden durch ganz Deutschland und über die ganze Welt gejagt (Karriere, geschlossene Niederlassungen) und können kaum noch ein soziales Umfeld mehr aufbauen. Was sie noch „flexibler“ macht, schließlich gibt’s nichts aufzugeben, nichts zu verlieren, und es wird immer weniger. Schwach verschleiert nur durch steigende Zahlen von Social-Media-Fantasie-Freunden.
Entschließen wir uns nicht ganz bewusst dazu, Beziehungen zu knüpfen und zu pflegen, entgleiten sie uns, mehr … und m e h r … schließlich scheint die Arbeit immer dringender. Dringend ist allerdings etwas anderes als wichtig. Und dass uns unser Job niemals wärmen wird in einer kalten Nacht ist uns doch eigentlich klar.
Kümmern wir uns also um diese Dinge, jeden Tag ein kleine bisschen, üben wir uns in den vier Disziplinen des Herzens.
P.S.: Hier kannst Du erfahren, was Dein Herz Dir sagen will.
Photo: Thomas Totz
Wie wahr, wie wahr …
Es geht aber nur mit „do it yourself“ und eiserner Selbstdisziplin. Das macht uns der Dalai Lama ja vor 😉. Warten, dass Zeit und Muße zum Reflektieren, Ausruhen und Erneuern kommen, hilft nicht. Man muss sie sich nehmen.
Erfrischend auch, dass Erneuern auf der Liste steht und nicht Lernen.
Merci und viele Grüsse, Jana
Sehr, sehr schöner Text =)
Ich finde es oft faszinierend bei dir, wie du bei solchen „großen Themen“ so gut auf den Punkt kommst, ohne oberflächlich zu schreiben.
Der letzte Satz bei Disziplin 2 hat mir besonders gut gefallen.
Welche kleine Übung mir im Alltag immer wieder hilft, ist, mir einfach vorzustellen, wie mein Herz atmet. Meistens atme ich dann auch besonders bewusst, was das Ganze gefühlt noch verstärkt, aber sogar nur 5 Sekunden diesen Gedanken zu haben finde ich schon sehr effektiv.
Herzliche Grüße =)
Dein Text erinnert mich an mein Lieblingszitat aus dem Buch „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exuperys:
„Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“
Besonders gut gefällt mir, dass du die einzelnen Rubriken Disziplin genannt hast. Wie beim Sport kann man Reflektieren, Ausruhen, Erneuern und Beziehungen üben. Wahrscheinlich geht es vielen so wie mir, der schwierigste Part ist es bis zum Trainingsplatz zu kommen.. Ist man erstmal da fallen die ersten Schritte leicht. Mein Coach in der Disziplin Beziehungen ist mein Mann. Da bin ich täglich gefordert und manchmal ganz schön außer Puste.
Es ist immer wieder so erfrischend deine Sprache aufzunehmen. dazu kommt noch der Inhalt, der das Lesen noch spannender macht.
Ganz toll was du über diese 4 Herdiszipline schreibst. So habe ich das noch nie gehört, kann jedoch ganz spontan aus vollem Herzen zustimmen.
Toll und danke
Monika
Hallo,
ein toller Beitrag.
Besonders den Punkt mit dem Erneuern finde ich wichtig. Denn man lebt von Veränderung. Es ist schön immer wieder Veränderungen zu erleben um zu erneuern.
Daher lege ich oft einen ganzen Tag ein, wo ich alle Dinge anders mache als sonst. Ich gehe auf der anderen Straßenseite zur Arbeit, um neue Menschen zu sehen und andere Eindrücke zu bekommen. Ich esse andere Sachen, um neues zu schmecken und ich spreche mit Fremden, um neue Inspirationen zu bekommen.
An solchen Tagen interessieren mich Themen, die ich sonst nicht wahrnehme und ich bin offen für alles.
Erneuerung hält jung und gibt neue Motivation und Schub für eigene Ideen. Einfach wundervoll.
Liebe Grüße aus Thailand
Alex
[…] P.S.: Den Original Blogpost von Tim findest du übrigens hier. […]
Hi Tim, wieder mal ein toller Beitrag von Dir.
Du bringst es einfach auf den Punkt und triffst damit voll meinen Ansatz. Wir Menschen werden von unseren individuell ausgeprägten Lebensmotiven „getrieben“. Wenn wir nach Ihnen leben, sind wir glücklich und zufrieden. Ignorieren wir sie, fühlen wir uns ausgelaugt und unzufrieden. Burn-Out ruft laut!
Von daher ist es auch gar kein Widerspruch, wenn für den einen die Ruhe & der Rückzug diese Erholung darstellt, für den anderen aber eben einfach die Verbindung oder einfach unter vielen Menschen zu sein. Darüber entscheidet die Ausprägung und es gibt hier kein richtig oder falsch, sondern nur ein „hören auf sein Herz“. Leider verlernen wir das viel zu oft bzw. wird es uns auch gelehrt, bitte zu funktionieren.
DANKE für diesen tollen Beitrag!
LG
Dirk
Wiedermal einfach GUT – SUPERGUT Dein Text!!