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Wir sprechen von „Glück“ und meinen verschiedene Dinge. Wir suchen das Glück und jagen dem falschen hinterher. Und zwar so lange, wie wir den heute so oft propagierten Sei-glücklich-Müll schlucken, der uns alles verspricht und an dem wir am Ende ersticken.

Von den drei Arten des Glücks habe ich in den Büchern des Philosophen Wilhelm Schmid gelesen.

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#1 Das Zufallsglück

Die erste Art des Glücks ist das Zufallsglück (englisch „luck“). Wie in „Viel Glück!“ oder in „Glück gehabt“. Also ein günstiger Verlauf von etwas, das wir nicht beeinflussen können. Gute Karten auf der Hand, wenn wir spielen, das blinde Huhn, das auch mal ein Korn findet.. Der irre Geisterfahrer, der uns knapp verfehlt, wenn wir nachts auf der Autobahn unterwegs sind. Der dicke Dachziegel, der herunterfällt und den Typen neben uns trifft, der dicke Dackel, der den Nachbarn ins Bein beißt, uns nicht uns. Der Partner, den wir zufällig kennen lernen, weil der dicke Dackel doch uns gebissen hat und wir ihm Krankenhaus vom hübschen Personal versorgt werden, das wir drei Jahre später heiraten und sechzig Jahre später in tiefer Trauer begraben, kurz bevor wir selbst sterben.

Ob diese Form von Glück echter Zufall oder von Gott oder dem Universum beabsichtigt ist, ist erst mal egal: wir können es nicht beeinflussen. Im besten Fall können wir uns öffnen für die positiven Zufälle, wie der Mann auf Partnersuche, der sich nicht darauf verlässt, dass seine Traumfrau am Samstagabend zufällig in seine Wohnung stürmt, während er wie jeden Abend vorm Fernseher kauert und ein soziales Leben wie der Psycho aus dem Film Psycho führt, mit seiner seit 10 Jahren toten Mutter im Sessel gegenüber. Oder wie der Mensch aus dem Zitat, der zumindest mal in seiner Nase bohren muss.

So wirklich hinterherjagen können wir dieser von außen bestimmten Art des Glücks trotzdem nicht. Auch mit dem Glücklichsein, Glücklichfühlen hat es wenig zu tun … erinnern wir uns nur an die Studien, die belegen, dass sowohl durch einen Unfall an den Rollstuhl gefesselte Menschen als auch Lottogewinner ein Jahr nach dem folgenschweren Zufall sich als genauso glücklich wie zuvor beschrieben. Nicht mehr, auch nicht weniger. Das Zufallsglück ist also nicht unser Problem.

Wenden wir uns also dem wichtigeren inneren Glück und der Arbeit an sich selbst zu und schauen uns zunächst die Art des Glücks an, die so vielen von uns das Leben so richtig schwer macht.

#2 Das Wohlfühlglück

Die zweite Art des Glücks wird unser größtes Unglück, wenn wir ihm hinterherjagen. Und hinterherjagen, das tun die meisten von uns. Mich oft eingeschlossen – ist ein längerer Prozess, mich von dieser Glücks-Propaganda loszulösen. Überall schreit und blinkt sie, diese Propaganda, in der Werbung, im Bücherregal, in Gesprächen, auch im eigenen Kopf. „Sei glücklich!“, „Werde glücklich!“. „Jetzt reiß Dich zusammen und werde halt endlich glücklich, verdammte Scheiße!“.

Wohlfühlglück (englisch „happiness“) dominiert unsere heutige Vorstellung von Glück. Es umfasst nur die Gefühle, die wir als „positiv“ bewerten, den Spaß, die Freude, den Rausch, die Gefühle, die mit einer Ausschüttung von Glückshormonen im Körper einhergehen. Auf der angestrengten Suche nach Wohlfühlglück wollen wir Lust maximieren und Schmerz minimieren.

Dem Wohlfühlglück hinterherzujagen bringt mehrere Probleme mit sich.

Erstens vertreiben wir es oft, wenn wir es herbeizwingen wollen, wie in der folgenden Geschichte von Anthony de Mello:

 „Das Glück ist wie ein Schmetterling.“ sagte der Meister. „Jag ihm nach, und er entwischt dir. Setze dich still hin, und er setzt sich auf deine Schulter.“

„Was soll ich tun, um das Glück zu erlangen?“

„Hör auf, hinter ihm her zu sein!“

„Aber gibt es nichts, was ich tun kann?“

„Du könntest versuchen, dich ruhig hinzusetzen, wenn du es wagst!“

Zweitens besteht das Wohlfühlglück nur aus Momenten. Es ist kein Dauerzustand. Der Schmetterling wird schon bald wieder weiterfliegen, der Sex, der Rausch, das tiefe Gespräch vorbei sein. Auch wenn die Promis im Fernsehen und so ziemlich alle Leute auf Facebook und Co. so tun, als wäre ihr Leben ein einziges Juhuuuuuu.

Drittens nutzt sich der Moment mit dem Schmetterling ab. Selbst wenn wir es schaffen, ihn mit irgendetwas anzulocken, oder ihn in einem Käfig einzusperren … so wird sich die Situation immer mehr abnutzen, der Körper bei jedem Schmetterlingsbesuch weniger Glückshormone ausschütten, das Wohlfühlglück austrocknen. Klar erkennen wir im Laufe unseres Lebens immer mehr, was uns solche Glücksmomente einbringt – Sex, Sauna, Saufen, Schlemmen, Shopping, … – ununterbrochen am Band produzieren lassen sie sich trotzdem genauso wenig wie die kostbaren Ming-Vasen. Die Lust muss sich erholen, schreibt Wilhelm Schmid.

Viertens und schlimmstens verneinen wir auf der Jagd nach Wohlfühlglück alles andere. Wir wollen die vermeintlich „negativen“ Gefühle ausrotten. Ein Tag ohne Wohlfühlglück ist ein Tag für die Tonne, denken wir. Halten es für unser Recht, ständig wohlfühl-glücklich zu sein. Und spätestens dann, wenn sich der Schmetterling einige Tage am Stück nicht blicken lässt, werfen wir eine Pille ein. Für uns ist die Abwesenheit jubelguter Gefühle eine Krankheit, die mit eisener Härte ausgemerrrzzzzt werden muss. Wer nicht dauergrinst, wird zum Feind, der einen herunter zieht und dem ENDSIEG gegen die unwürdigen Gefühle im Weg steht. Eine Art Glücksfaschismus.

Wenn wir Glück mit Wohlgefühl gleichsetzen, den sanften oder brachialen Rausch zur Messlatte machen, können wir doch nur scheitern.

Das Wohlfühlglück hat seine Berechtigung, klar. Es gibt so viele schöne Dinge und Momente, die ich gern genieße: Kaffee am Morgen, spazieren gehen in der Mittagspause, Musik hören und schreiben und quatschen und bowlen gehen, ab und zu, oder Bowle trinken. Aber: es macht wenig Sinn … und uns unglücklich … wenn wir alles andere im Leben verdrängen wollen, Langeweile, Flauten, Krisen, Abgründe, Schatten, Traurigkeit und Kummer. Die Zeit ohne Glücksgefühl ist nicht nur die Zeit zwischen zwei Glücksgefühlen, die es möglichst schnell zu beenden gilt. Auch sie ist berechtigt. Sie leitet uns an, gibt uns Orientierung, zeigt uns, wo wir stehen. Viel mehr noch: auch sie kann zum Glück dazugehören, und zwar zur dritten Art des Glücks, zum Glück der Fülle.

#3 Das Glück der Fülle

Das Glück der Fülle umfasst alles, was uns das Leben bietet, das „Positive“ wie das „Negative“. Auch wenn wir das Negative, Öde wie Schmerz, nicht gerade von uns aus suchen, so gehört es doch dazu, immer. Ob wir es akzeptieren oder nicht – es gibt keinen Ausweg, es gibt immer auch Negatives. Eingewachsene Nägel, Falten, Krebs, Beleidigungen, Ideendiebstahl, Giftgasanschläge, Motten im Kleiderschrank, Pisse im Schwimmbecken, Horror im Kopf. Der Schmetterling, der gerade noch auf unserer Schulter saß, fliegt weiter und wird von einer Eule gefressen, verdaut und ausgekackt (was für die Eule wiederum positiv ist).

Warum also nicht unser Glück als diese Fülle definieren?

Glück als Fülle zu betrachten, hat viele Vorteile:

  • Wir müssen (fast) gar nichts dafür tun, nur achtsam sein und annehmen, was im Innen und Außen geschieht
  • Es ist von Dauer
  • So wie erst Dunkelheit das Licht kostbar macht, und Hunger das Mahl, und Gewöhnliches das Ungewöhnliche … so werden auch Momente der Lust erst kostbar, wenn wir Unlust und Schmerz zulassen
  • Anders als bei der Jagd nach ständigem Wohlfühlglück verblöden wir nicht und verrennen wir uns nicht … nein, wir nehmen die Schmerzen an, lauschen, was sie uns sagen wollen, nehmen sie zum Anlass, nachzudenken und uns eventuell neu zu entscheiden

Wer das Glück der Fülle auskosten will, kann sich fragen:

Finde ich das Leben grundsätzlich lebenswert?

Sage ich JA zum Leben, mit allem, was dazu gehört?

Wer das für sich bejaht, braucht dem Wohlfühlglück nicht weiter hinterherzujagen. Er kann das Leben willkommen heißen und spüren – ob gerade ein Schmetterling auf der Schulter sitzt oder nicht, ob das Zufallsglück ihm gerade wohlgesonnen ist oder nicht, ob es gerade schwerer oder leichter ist, die Herausforderungen zu bewältigen. Er weiß in guten Zeiten, dass schlechtere bevorstehen und in schlechteren, dass die guten wieder folgen werden.

Im Fluss sein, mal aktiv und mal passiv, mal laut und mal leise und oft komplett unspektakulär … ohne dabei ständig vor lauter Lust und Ekstase tanzen zu wollen, das ist das Glück der Fülle.

Diese Art des Glücks hoch halten, das macht uns vom Lustmolch zum ganzen Menschen.

 

P.S.: Siehe auch „Dein Unglücklich-Sein kotzt mich an!“

 

Photo: Andrea Willa