Teile diesen Beitrag "Selbstfürsorge: Warum sie so wichtig ist und wie sie gelingt"
Text von: Johanna Wagner
Ein stressiger Tag liegt hinter mir. Vielmehr war es eine stressige Woche. Ehrlich gesagt: Es waren sogar mehrere, aber das gebe ich nur ungern zu. Immer wieder freute ich mich auf diesen Tag X, an dem ein Großteil der banalen, aber auch der dringlichen Dinge meiner To-do-Liste abgearbeitet und gestrichen sein würde. Ich hakte Punkt für Punkt ab, immer von der Hoffnung auf die Belohnung getragen, die die baldige Massage versprach, das Lesen in meinem Lieblingscafé oder der lange Spaziergang ohne Blick auf die Uhr.
Letzten Dienstag hatte ich zum „Tag X“ ernannt: Ich wollte mich gleich morgens mit einer Tasse Tee aufs Sofa setzen, in den Tag hineinleben und mal nicht vom To-do gelebt werden. Ich wollte meine durchgestrichenen Erledigungen zelebrieren und hatte dazu sogar alle Punkte der vielen kleinen Zettel auf einen großen übertragen, um aus den vielen erklommenen Hügeln einen Berg zu formen. Wer hart arbeitet, dürfe schließlich auch maßstabsgetreu genießen, dachte ich…
Doch dann war mal wieder schneller Dienstag, als ich es wollte, und der Dienstag sah ganz anders aus, als ich es wünschte: Keine neue Welt hatte sich eröffnet, mit weitem Horizont und einem Weg ohne Aufgaben; da war auch kein weißes Papier, ohne Punkte „to do“. Nein! Meinen Kalender hatte ich bereits mit neuen Ereignissen und Terminen gefüllt und die kleinen Notizzettel auf dem Küchentisch mit frischem Gekrakel bespickt, auf die ich alles „nur mal schnell notiere“, was noch zu tun ist. So habe ich die Massage durch einen Haushaltstag ersetzt (schließlich macht sich das bisschen Haushalt ja nicht von selbst) und die Zeit für mich auf später verschoben… So einfach ist das. Und so einfach mache ich mich ganz schleichend kaputt.
Die unscharfe Axt; der unscharfe Alltag
Kennst Du die Geschichte von dem erschöpften Holzfäller, der seine Zeit und Kraft verschwendete, weil er mit einer stumpfen Axt arbeitete? Als ihm jemand vorschlug, zunächst seine Axt zu schärfen, antwortete der Holzfäller: „Dafür habe ich keine Zeit, ich muss doch Bäume fällen.“
Ich hatte auch keine Zeit für die Tasse Tee, das verlockende Nichts, geschweige denn für einen Spaziergang ohne Blick auf die Uhr. Ich hetzte weiter durch den Dschungel der Aufgaben. Konnte längst nicht mehr klar sehen. Mich nicht, meine Bedürfnisse nicht und alles andere auch nicht. Alles erschien unscharf, weil ich meine „Axt“ mal wieder nicht gewetzt hatte.
Selbstfürsorge – der ewig unerledigte Punkt meiner To-do-Liste
Meist leidet unsere Selbstfürsorge unter den stressigen Phasen als erstes und am stärksten. Und mal ganz ehrlich: Kennst Du heute noch stressfreie Zeiten? Eine Kalenderwoche ohne Termine? Einen Tag nur für Dich? Eigentlich sägen wir doch die ganze Zeit an irgendwelchen Bäumen herum und merken nicht, dass sie einfach nicht fallen wollen. Weil wir uns nicht fallen lassen; uns viel zu viel gefallen lassen; uns die Zeit für uns nicht nehmen und uns damit das Wichtigste nehmen: Die Möglichkeit zum
Vielleicht ist unsere Welt zu vollgestopft von unerschöpflichen Aufgaben und verlockenden Chancen!? Vielleicht schenken wir uns aber auch einfach zu wenig Raum für uns selbst. Bei mir jedenfalls stehen alle möglichen Erledigungen auf jener Liste, nur die folgenden nicht: Die Tasse Tee, das süße Nichtstun, die Massage… Richtig: Das sind ja auch keine Erledigungen… Aber indem ich diese nie erledige, erledige ich allmählich mich selbst.
„Wie man Sorgen, Stress und Selbstzweifel loslässt“
Warum Selbstfürsorge nicht nur wichtig, sondern unverzichtbar ist
1. Du hast mehr von Deiner freien Zeit
Du hältst so lange durch, bis Dein Körper Dich in die Schranken weist: Die Migräne am Wochenende, die Erkältung nach Projektende, die ermattende Müdigkeit nach einer Prüfung. Dein Körper ruft „Stopp“, weil Du es nicht getan hast. Für Dich selbst zu sorgen hilft Dir, diese Flauten zu umgehen und die Freizeit selbstbestimmt zu gestalten.
2. Du arbeitest effizienter
Eine schwierige Aufgabe scheint immer unlösbarer, je länger Du Dich mit ihr beschäftigst. Deine Gedanken drehen sich im Kreis, während die Zeit verstreicht und sich Unruhe ausbreitet. Eine Pause gönnst Du Dir nicht, schließlich läuft Dir die Zeit davon.
Nimm sie Dir. Geh weg, komm wieder und schau Dir die Sache von neuem an. Pausen sind der Inbegriff von Selbstfürsorge. Pausen sind keine Zeitverschwendung – sie schenken Dir Zeit, weil Du im Anschluss effizienter arbeitest – das ist sogar wissenschaftlich bewiesen. Daher sollten sie viel öfter schon die Belohnung mittendrin und nicht erst am Ende des Weges oder an irgendeinem Dienstag sein.
3. Du lebst gesünder
Ein gewisses Stresslevel ist förderlich. Langanhaltender Stress hingegen schadet Körper und Geist. Wenn Du für Dich selbst sorgst, haben die negativen Effekte von Stress keine Angriffsfläche. Sie perlen an Dir ab wie der Wassertropfen an der Lotospflanze.
…und ein paar Ideen, wie sie gelingt
1. Plane die Bewegung fest in den Tagesablauf ein
Du kannst dem Stress des Tages nicht davonlaufen, aber Du kannst ihn durch Laufen von dir abwerfen. In nur 30 Minuten. Also: Verabrede Dich, trage die Bewegung als festes Vorhaben in Deinen Kalender ein, suche ein Fitnessstudio in Deiner Nähe, wenn das zu Dir passt, und denke daran: Meist fällt nur der erste Schritt schwer – am Ende wirst Du Dich viel besser fühlen.
2. Begrenze Deine Vorhaben
Schleicht schon lange dieses Vorhaben durch Deinen Kopf, die Ernährung umzustellen? Weniger Süßes und low carb soll es sein, vielleicht eine Zeitlang mal ganz ohne Fleisch, oder wenn schon denn schon, gleich vegan!? Eine gesunde Ernährung ist wichtig. Sie schenkt Dir Kraft und Vitalität, um Deinen Alltag zu meistern. Doch nimm Dir nicht zu viel auf einmal vor. Setze kleine Ziele in nur einem Bereich, dafür ganz konkret: Was genau willst Du verändern? Wann und womit fängst Du an? Wie lange willst Du es versuchen? Und dann erfreue Dich an den positiven Effekten.
3. Putze nicht nur die Zähne, reinige auch Deinen Geist
An jedem Morgen und an jedem Abend putzen wir unsere Zähne. Von „Kindeszähnen“ an. Das haben wir gelernt und es gehört zum täglichen Ritual (mal länger, mal kürzer) dazu. Doch Selbstfürsorge bedeutet nicht nur, die körperlichen Bedürfnisse zu nähren: Auch unsere Seele und unser Geist haben Hunger. Stress, Ärger, Wut, Traurigkeit, Sehnsüchte – unzählige Emotionen ziehen Tag für Tag durch unsere Köpfe und Herzen und zehren an uns. Eine Ansage vom Chef und zack, wir fühlen uns angegriffen oder nicht wertgeschätzt. Die unnötige Frustration und das destruktive Versager-Gefühl begleiten und vermiesen uns manchmal einen ganzen wertvollen Tag.
Was hilft? Das Ganze mit etwas Abstand zu betrachten. Schaue hin: Was genau fühlst Du? Und warum? Benenne es. Denn das rationale Benennen bewirkt, dass Deine Gefühle Dich nicht übermannen. Wenn Du also bemerkst, wie das Versager-Gefühl sich in Dir breitmacht, sage Dir: „Ich bin kein Versager! Aber ich fühle mich nicht wertgeschätzt, weil mein Chef mir trotz guter Arbeit eine Ansage gemacht hat“. Die Gefühle anzuerkennen und sie zu verstehen schenkt Dir die Kontrolle über sie. Außerdem: So simpel es klingen mag und so simpel es ist: Tagebuchschreiben wirkt klärend und reinigend. Studien aus der Fachzeitschrift Advances in Psychiatric Treatment konnten zeigen, dass nur 15 bis 20 Minuten Schreiben helfen, traumatische, stressige oder emotionale Dinge zu verarbeiten.
(Siehe auch: Wie man schmerzhafte Gefühle überlebt.)
Abraham Lincoln, mein neues Vorbild
Inzwischen ist schon wieder Dienstag gewesen. Und mit meiner Liste bin ich immer noch nicht so weit, wie ich es wollte. Es kommt halt immer etwas dazwischen. Doch in dieser Woche habe ich nicht nur die Verpflichtungen, sondern auch die Belohnungen aufgeschrieben. Die Massage war herrlich! Aber ehrlich gesagt war das Gefühl, für mich selbst zu sorgen, noch viel schöner.
Ein Herr namens Abraham Lincoln sagte einmal: „Wenn ich fünf Stunden Zeit hätte, einen Baum zu fällen, würde ich vier Stunden meine Säge schärfen.“ Muss ein intelligenter Mann gewesen sein, dieser Holzfäller …
Mehr dazu unter Achtsam sein ist nicht viel schwerer als achtlos sein und unter Wie man sich selbst akzeptieren kann. Siehe auch das myMONK-Buch für mehr tiefes, echtes Selbstwertgefühl.
Photo: Alagich Katya
Schöner Beitrag, Johanna!
Den Spruch mit dem Schärfen der Säge habe ich auch schon gehört und ich nehme ihn mittlerweile recht ernst. Ich glaube, der Tipp, den du am Ende geschrieben hast, ist für die meisten der praktibelste: Integriere deine Zeiten zum Sägeschärfen in deine To-do-Liste.
Ich habe es mittlerweile sogar geschafft, Zeiten der Meditation in mein Morgenritual (auch wenn es momentan nur 10 Minuten täglich sind) zu integrieren. Erstens sehe ich es als schärfen der Säge an und zweitens dient es meiner persönlichen Entwicklung, also habe ich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Und heute steht auch einmal gar nichts auf meiner To-do-Liste… und es ist herrlich.
Hallo Marco,
das Sägeschärfen zu einem täglichen Ritual zu machen, ist mit Sicherheit ein guter Weg, um regelmäßig und allen täglichen Anforderungen zum Trotz für sich zu sorgen. Super!
Das ist eindrucksvoll geschrieben, Johanna, finde ich. Ich nenne das auch Selbstorganisation. Bei meiner Arbeit in der Software Entwicklung fliesst auch ein wesentlicher Anteil meiner Zeit in gewisse Listen. Es sind gelistete Probleme, gelistete Anforderungen, gelistete Änderungsaufgaben. Und die Punkte haben auch eine Überschrift, eine „Kritikalität“ und einen Termin. Mit den „Tools“ kann man das dann nach Merkmalen sortieren und filtern. Den aktuellen Stand zu pflegen, hilft dann auch allen und reduziert Diskussionen und Erklärungen. Und es hilft mir selber, mich zu erinnern und ähnliches zu finden zu einem Problem. Und es macht Sinn, beim Anfragen von Informationen und Wissen nicht zu sparen.
Was direkt an mich herangetragen wird, steht meist im Email Eingang. Was möglich ist, erledige ich sofort und ordne dann die Email ein nach Thema oder Sendernamen. Dann muss ich das nur einmal anschauen. Genauso wie bei vielen kleinen Aufgaben. Klar braucht das schon eine gewisse Routine und auch zuweilen Durchhaltevermögen, wenn ach so wichtiges alles zu dominieren scheint.
Bei grössenen Themen hängt tatsächlich fast alles davon ab ob die Axt geschärft ist und ob die Wekzeuge genug Pflege erfahren. Nur wenn ich genug investiere in Mitschreiben, Lernen und Ordnen, bringe ich hier Effizienz und Routine in die Arbeit. Allerdings braucht dann manches länger als andere das vielleicht einschätzen, besonders bei Phasen der Einarbeitung. Später gleicht sich das dann aber zumindest aus.
Das alles gelingt mir nicht immer. Besonders dann nicht, wenn ich nicht innerlich ausgeglichen bin oder meine Erwartungen recht wenig Zeit für mich gelassen haben. Die ToDos einfach mal zu streichen, zu sagen, dass ich es nicht schaffe, oder sie mal beiseite lassen, kann schon auch mal etwas Übersicht bringen in den Plan. Und Reseven schaffen für de Werkzeugpflege. Letztlich gestalten sich die ToDos auch entsprechend unserer Ansprüche, auch an uns selber.
Da wünsche ich uns wieder Gelassenheit und die Fähigkeit, zuweilen die Messlatte weiter nach unten zu legen.
LG Richard
Hallo Richard,
ein schöner Gedanke! Ja, vielleicht sollte man wirklich zunächst hinterfragen, ob das, was auf der Liste steht, überhaupt dort stehen muss. Vielleicht kann man auf diese Weise ganz ohne Arbeit schon einige Dinge streichen und sich das Leben etwas einfacher machen.
Danke für diese minimalistische Herangehensweise!
Hallo Richard! Ich wusste dass Du ein Kluger bist…Software Entwicklung.Wow.Ich kann gerade googeln und 2 Sachen vlt.noch…Passt nicht zu Thema.Aber ich musste es Dir sagen;).LG Tatjana:)
Und was Thema betrifft…bin mir gar nicht so sicher ob man immer alles perfekt vorbereiten kann…Leben ist voller Zwischenfälle…Ich dachte vieles gut vorbereitet zu haben und mit Einsatzt und Hingabe mich gewidmet…ob Arbeit oder Familie oder Ausbildung war…Aber sehr oft konnte ich nichts dafür trotz aller Vorbereitung und Pläne was tolles zu tun…kamen Zwischenfälle durch oft „schräge“Menschen aus Familie oder Arbeitskollegen oder wo anders…Situationen …Wobei vlt nich kleibe Kinder im Haus sind…wo man die beste Pläne und Vorbereitung dieser Welt machen kannst…Jmd macht es aber kaputt…durcheinander…Da nützt kein Plan und keine Liste und nichts…Ich weiß jetzt nicht ob das zum Thema passt…aber mir kam das gedanklich spontan…Sorry falls unpassend…LG
Sorry…der satz sollte lauten:“wobei noch kleine kinder im haus sind“.lg
Liebe Johanna,ich finde deinen Beitrag genau auf den Punkt getroffen!
Das tiefgründige worum es geht bei der Selbstfürsorge hast du sehr gut beschrieben!
Ich habe mich in deinem Text wiedererkannt.Leider waren mir Selbstfürsorge und ein gesunder Egoismus früher völlig fremd und so habe ich fast 57 Jahre damit verbracht mich ständig nur für andere zu verausgaben.Immer war ich mit meinem Gefühl bei anderen,habe mich selbst fast nie für wichtig gehalten und wenn mal der Gedanke kam,daß ich ja auch Bedürfnisse habe,so hatte ich ein schlechtes Gewissen.Wenn man keine Grenzen für sich selbst zieht,kommt noch erschwerend hinzu,daß man ausgenutzt wird.
Heute fühle ich mich verbraucht und müde,mein Leben fühlt sich an wie ein Scherbenhaufen.
Es ist nun höchste Zeit für mich mein Leben zu ändern und das wichtigste ist für mich endlich Selbstfürsorge zu lernen.Ich sage lernen,weil es nicht so einfach ist alte Verhaltensmuster zu ändern.Aber ich weiß,wie wichtig es ist!Und ich will!
Dein Beitrag ist für mich sehr hilfreich!!! Danke und liebe Grüße Petra
[…] Auf Mymonk erklärt Johanna Wagner anhand der Metapher der geschärften Axt, warum diese Gabe so wichtig ist. Sie arbeitet ganz klar die Vorteile dieser Beschäftigung mit sich selbst heraus. Dieser Artikel wird dir vor allem dann weiterhelfen, wenn du ein schlechtes Gewissen hast, wenn du Zeit in dich selbst investierst. Denn du erkennst ganz klar: Nur wer für sich selbst sorgt, kann auch für andere da sein. […]