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Dauergrinser fand ich schon immer komisch. Heidi Klum. Tom Cruise. Und all die anderen, die ständig lächelnd und lachend, hahaha und hihihi und hohoho, über Büroflure und Partys laufen, als wäre immer alles bestens. Es ist aber nicht immer alles bestens und wenn Du mich fragst, wird es das auch nie sein.

Geht Dir vielleicht auch so, dass die Dauergrinser Dir suspekt sind. Geht vielen so, schätze ich.

Doch gleichzeitig verlangen so viele von sich selbst, immer positiv zu denken. Dauergrinser im Kopf zu sein, statt auf den Lippen.

Kein Wunder – schauen wir uns doch mal um. Überall fauchen uns Büchertitel und Werbung und Gurus an, wir sollen uns doch bitte mal n bisschen zusammenreißen und positiv denken, positiv positiv positiv, sonst sei doch kein Wunder, dass wir noch nicht Size Zero (Frauen) oder Sixpack (Männer) tragende Milliardäre und Erziehungsgötter sind mit Riesenfreundeskreisen und Abenteuern ohne Ende. Und wenn man doch mal krank wird, sagen wir krebskrank … dann hauen wir dem Krebs einfach unsere positiven Gedanken um die Ohren und weg ist er, wer das nicht schafft hat halt zu schlecht gedacht, mehr noch: er wird sich dafür schämen, dass er den Krebs per Gesetz der Anziehung in sein Leben geholt hat und ihm jetzt noch nicht mal etwas Positives abgewinnen kann.

Ich will nicht von heute an alles rabenschwarz sehen, was war, ist und werden kann und nur noch die Bettdecke über meinen Kopf ziehe und auf den Tod warten, weil eh alles mies ist.

Aber ich möchte mir erlauben, auch mal wieder negativ zu denken.

Dafür gibt’s nämlich eine Reihe guter Gründe.

#1 Leben ist Wandel und Fülle

Die Sonne geht auf und wieder unter, die Wolken ziehen auf und vorbei, Jahreszeiten kommen und gehen, wir werden geboren und sterben, sogar das Universum wächst und zieht sich zusammen.

Wie Laotse schrieb:

Alle Dinge haben Zeiten des Vorangehens und Zeiten des Folgens,
Zeiten des Flammens und Zeiten des Erkaltens,
Zeiten der Kraft und Zeiten der Schwäche,
Zeiten des Gewinnens und Zeiten des Verlierens.
Deshalb meidet der Weise Übertreibungen, Maßlosigkeit und Überheblichkeit.

Nichts bleibt.

Nichts kennt nur eine Richtung.

Warum dann davon ausgehen, dass immer alles gut ist oder gut ausgeht?

Klar können wir uns auch mitten im Winter einbilden, es sei wohlig warm draußen, und im T-Shirt raus gehen. Kalt wird es trotzdem sein, und das nicht zu erwarten und uns darauf einzustellen ist unklug und macht krank.

Gleiches gilt für Dinge, die eher in unseren Händen liegen als das Wetter. Auch sie werden mal schlecht ausgehen.

Das Leben besteht aus so viel mehr als nur Erfreulichem. Es spannt sich zwischen negativ und positiv, ist eher ein Clown, der gleichzeitig lacht und weint, als ein manischer Ballermann-Sänger auf einer endlosen Party.

Positives Denken widerspricht der Logik aller Dinge und kann nichts am Wandel ändern.

Verbieten wir uns negative Gedanken, dann ist dies nicht nur überheblich (weil wir nur begrenzt Einfluss haben und Unschönes passieren wird), wir betrügen uns so auch noch darum, die gesamte Fülle des Daseins zu sehen und auszukosten (weil dem Positivdenkenden alles einen bitteren Beigeschmack beifügt, was nicht so schön ist).

Und doch verbieten wir uns das Negative heute mehr denn je, in Zeiten, in denen die Smilies auf den Endsieg pochen und ihre Mundwinkel immer weiter nach oben zerren, je aussichtsloser die Lage ist.

#2 Stoische Ruhe und mehr Erfolg

Negative Gedanken können uns, wenn wir’s nicht damit übertreiben, zu unseren eigenen Felsen in der Brandung machen.

Wer zwanghaft positiv zu denken versucht, den kann schon die kleinste Abweichung ins Wanken bringen: „Das darf doch nicht wahr sein, ich hatte so angestrengt visualisiert, dass alles gut verläuft!“

Richten wir uns hingegen darauf ein, dass etwas auch schlecht ausgehen kann, können wir höchstens vom unerwartet Erfreulichem überrascht werden. Und dieses dann auch richtig genießen, schließlich war es uns ja nicht schon von Anfang an klar (wer freut sich schon innig über einen 5:0 Sieg der Bayern gegen eine Dorfmannschaft?). Die stoischen Philosophen um Seneca empfahlen daher, sich darin zu üben, im Vorfeld an den schlechtesten Fall zu denken.

Negative Gedanken können uns also – paradoxerweise – festigen und sogar mutiger machen. Wenn auch eine Niederlage denkbar und akzeptabel ist, haben wir weniger Erfolgsdruck und trauen uns mehr zu.

Dass wir uns mit positivem Denken im Weg stehen können, das zeigen auch Studien. Dr. Thomas Langens, Psychologe an der Uni Wuppertal, hat untersucht, ob es eher nützt oder schadet, wenn sich Studenten intensiv Erfolge vorstellen. Heraus kam, dass dies bei bestimmten Persönlichkeitstypen zu Demotivation oder sogar Depressionen führen kann, wenn sich die Vision als nicht realisierbar erweist. Grundsätzlich eher gering motivierte Studenten hielt das positive Denken außerdem davon ab, ordentlich zu lernen, was einen Misserfolg begünstigte. Eine andere Studie führte Prof. Dr. Gabriele Oettingen durch, die an den Unis in Hamburg und New York forscht. Untersucht wurden dabei Uni-Absolventen, die gerade ins Arbeitsleben übergehen wollten und sich um Jobs bewarben. Hier zeigte sich: die intensivsten Erfolgsvorstellungen führten zu weniger Einsatz bei der Bewerbung, zu weniger Angeboten und einem deutlich niedrigeren Gehalt.

#3 Intelligentere Fragen und bessere Planung

Negativ denken heiß auch: kritisch denken, zum Beispiel:

  • Was bedeutet überhaupt positiv? Warum? Für wen? Wie lange?
  • Gibt es etwas Negatives im Positiven?

Denn: wozu nachdenken, wenn wir stets vom Besten ausgehen?

Negativ denken heißt zudem: vorwegdenken, etwa:

  • Was, wenn nicht der beste, sondern der schlechteste Fall eintritt?
  • Was können wir dann tun … und was vielleicht noch vorher, um sein Eintreten etwas unwahrscheinlicher zu machen?

Positive Gedanken können uns von solchen Überlegungen abhalten. Denn wozu auch für Fälle jenseits des optimalen planen, wenn dieser uns ohnehin sicher scheint?

Prof. Julie K. Norem vom Wellesley College in Massachusetts wies in einer Studie nach, wie negative Gedanken die Erfolgsaussichten steigerten. Probanden, die im Vorfeld das Schlimmste befürchteten, überlegten und planten besonders gründlich, wodurch ihre Projekte besser ausgingen als die der Vergleichsgruppe. Wichtig dabei sei allerdings, so die Forscherin, nur vor der Angst auslösenden Situation pessimistisch zu sein, also präventiv, und sich während der Situation Mut zuzusprechen.

#4 Mehr Sensibilität und Mitgefühl

Wo alle grinsen, ist der Nichtgrinsende der Arsch.

Vor sich selbst – stößt er sich doch wieder und wieder den Kopf an, während er versucht, seine Gedanken zu kontrollieren und „in positive Bahnen zu lenken“. Das gibt’s dann noch on top zur Niederlage, die man gerade einstecken musste.

Vor den anderen – ist er doch der, der mit seinem Nichtgrinsen, vielleicht sogar mit seinen Tränen, im übertragenen Sinn laut auf einer Party furzt und so die ganze gute Stimmung bedroht.

Doch nur wo auch Negatives Platz hat, ist Raum für Verständnis, Mitgefühl und Trost und für mehr als nur ein schnelles Schulterklopfen und ein oberflächliches „Kopf hoch, das wird schon! (und jetzt mach n anderes Gesicht!)“.

Und nur wo auch Negatives Platz hat, können sich Tränen in echtes Lächeln verwandeln: Psychologen der University of Waterloo warnen vor allem Menschen mit niedrigem Selbstbewusstsein vor positiven Affirmationen – denn wiederholte Sätze wie „Ich bin ein liebenswerter Mensch“ oder „Mein Leben ist voller Freude“ treffen auf die fest verankerte Grundüberzeugung und provozieren ein lautes „Nein, bin ich nicht“ oder „Nein, mein Leben ist Mist“.

„Negatives verarbeiten, statt verdrängen – gut für die seelische Muskulatur“, sagte der Schriftsteller Paul Mommertz. Find ich gut.

Um es zu verarbeiten, müssen wir es anschauen.

Wer weiß – vielleicht will uns das Negative ja etwas Wichtiges sagen … uns sensibilisieren für unerfüllte Bedürfnisse, verletzte Werte oder echte Gefahren, auf die wir uns vorbereiten sollten, so gut es eben geht?

#5 Mehr Spiritualität

Laut Dalai Lama ist der erste Schritt zur spirituellen Praxis die Wachsamkeit gegenüber den eigenen negativen Gedanken.

Aus meiner Sicht sollte der zweite sein, auch seinen positiven Gedanken gegenüber wachsam zu sein.

Sobald wir uns auf eine Seite versteifen und die andere ignorieren, ziehen wir das Eine dem Anderen vor und werten damit automatisch. Und sobald wir werten, haften wir an, was ganz natürlich und auch okay ist, aber zumindest laut dem Buddhismus Quelle allen Leidens.

Der Ausweg:

Zulassen. Loslassen.

Zulassen. Loslassen.

Immer wieder. Und zwar das „Positive“ wie das „Negative“ gleichermaßen.

Jeglichem Drang widerstehen, etwas Bestimmtes haben oder nicht haben, erleben oder nicht erleben zu wollen.

Dass alles gut war oder IST werden ohnehin die Wenigsten behaupten. Dann bleibt aber nur noch, dass alles gut WIRD … und wenn wir ausschließlich daran denken, sind wir in der Zukunft gefangen und verpassen das Leben, wie es heute ist.

Du

Wie geschrieben: ich möchte nicht alles schlecht finden und damit denselben extremistischen Fehler wie die Dauergrinser nur in Rot begehen, sondern in Balance.

Ich möchte gesund denken.

Gesund heißt heil,
heißt „ein Ganzes sein“,
heißt, mich NICHT von allem Negativen abspalten wollen.

Das Schöne und das weniger Schöne annehmen.

Träumen, und gleichzeitig daran denken, wie lang und steinig der Weg sein kann.

So will ich’s machen.

Wie DENKST Du?

(Ein gutes Argument, warum man es mit dem „negativen“ Denken nicht übertreiben sollte, findest Du hier: Sprich achtsam – Wie Deine Worte nachhaltig Dein Gehirn verändern.)

 

Siehe auch: „Dein Unglücklich-Sein kotzt mich an!“ und Bist Du bereit für die große Enttäuschung? (Ein neues Zeitalter kommt)

 

Photo: David Robert Bliwas