Gib mir einen Hebel, der lang genug ist, und ich hebe die Erde aus den Angeln, hat Archimedes gesagt.
Bei mir ist’s so: Gib mir eine Aufgabe, die mir wichtig genug ist, und ich hebe mich selbst aus den Angeln.
Ich werde tausendmal drüber nachdenken, ob ich’s so machen soll oder so, ich werde aufschieben, ich werde hadern, an mir zweifeln, mir das Hirn zermartern, ich werde schreien. Am Ende schaff ich die Aufgabe vielleicht irgendwie, aber bis dahin werde ich so viel Blut und Wasser geschwitzt haben, dass ich aussehe wie ein abgehangenes Stück Trockenfleisch.
Der Grund: P-e-r-f-e-k-t-i-o-n-i-s-m-u-s.
[Ich hoffe, das ist richtig geschrieben so. Hab’s zwar den ganzen Vormittag lang überprüft, aber man weiß ja nie, und – oh mein Gott – vielleicht ist trotzdem noch ein Fehler drin.]
So geht es vielen von uns, und so ist es an der Zeit, dass wir diesem Phänomen nicht mehr blind auf den Leim gehen, sondern auf die Spur.
Perfektionismus ist ein Arschloch. Aber er meint es nicht persönlich.
Warum dieser Perfektionismus?
Weil uns eine Sache so wichtig ist, weil wir sie so lieben?
Weil wir uns einfach anstrengen und sie so gut wie möglich machen wollen?
Nein.
Brené Brown, Autorin von „Die Gaben der Unvollkommenheit“, schreibt:
Gesundes Streben ist selbst-fokussiert: „Wie kann ich wachsen?“ Perfektionismus ist auf andere fokussiert: „Was werden sie denken?
Perfektionismus ist ein selbstzerstörerisches und süchtig machendes Glaubenssystem, angetrieben von einem einzigen Gedanken: „Wenn ich perfekt aussehe und alles perfekt mache, dann kann ich die schmerzhaften Gefühle von Scham, Verurteilung und Tadel vermeiden.“
Nicht Liebe steht dahinter, sondern Angst.
Die Angst, einen Fehler zu machen. Kritisiert zu werden. Uns selbst zu enttäuschen. Andere zu enttäuschen.
Die Angst vorm Scheitern und die Angst vorm Erfolg.
Für Steven Pressfield, den Autor von „War of Art“ (Krieg der Kunst), ist Perfektionismus eine Ausdrucksform von Widerstand, einer universellen Kraft, die uns immer begegnet, wenn wir etwas Wichtiges vorhaben, ob es Abnehmen ist, eine neue Beziehung eingehen, ein Buch schreiben oder ein Unternehmen gründen:
Widerstand kann nicht gesehen werden, berührt, gehört, oder gerochen. Aber er kann gefühlt werden. Wir erfahren ihn als eine Energie, die von einer unerledigten Aufgabe ausgeht. Widerstand ist eine abstoßende, zurückweisende Macht. Er ist negativ. Sein Ziel: uns wegschieben, uns ablenken, uns von unserer Arbeit abhalten.
Widerstand redet Scheiße, er lügt – immer.
Und wir liegen falsch, wenn wir meinen, dass er nur uns betrifft. Jeder Mensch kennt ihn. Doch der Widerstand will nicht Dich persönlich drankriegen. Er kennt Dich nicht und ihm ist egal, wer Du bist. Er ist eine objektive Naturgewalt, ein Gesetz.
Ich bin mir nicht sicher, ob Pressfield recht hat, ob es diese Kraft wirklich gibt, die uns abhalten will, dieses dunkle, bremsende Yin zum hellen Yang, das das Wachstum liebt Aber mir hilft diese Vorstellung, dass nicht ich selbst mir im Weg stehe, mich nicht selbst sabotiere, sondern einfach einer Kraft gegenüberstehe, die zum Universum gehört wie Erde und Mond, Tiere, Menschen, Gartenzwerge und Taschentücher.
Zumindest aber gehört er zu uns Menschen. Er fällt früh in unser Leben ein, weil wir schon als kleine Kinder für Fehler bestraft werden, verletzende Worte, ausrutschende Hände, schlechte Noten, Hausarrest – und so verinnerlichen, dass Fehler böse sind und wir sie meiden müssen, um geliebt zu werden von den Eltern, Kindergärtnern, Lehrern, von der Gesellschaft.
Die Gefahren des Perfektionismus sind vielfältig:
- Er steht zwischen uns und unseren Träumen. Jeder von uns hat zwei Leben, schreibt Pressfield auch: Das Leben, das wir gerade Leben, und das ungelebte Leben in uns, unsere Träume. Der Widerstand ist es, der uns zurückhält, im Schattenleben gefangen hält. Zum Beispiel eben mit der Waffe des Perfektionismus.
- Angst ist ein schlechter Ratgeber, und ein noch schlechterer Motivator. Sie treibt uns nicht an, sondern lässt uns vor allem aufschieben.
- Perfektionismus begünstigt Studien zufolge Workaholismus, die Sucht zu arbeiten, über unsere Grenzen hinaus, in den Stress hinein, in die Krankheit, womöglich in den Tod. Wir glauben, dass wir immer noch mehr tun müssten, noch besser, noch länger, und auch, dass noch mehr dabei rauskommen müsste, dass wir noch mehr Geld und Anerkennung brauchen und haben müssen. Doch dieses „Mehr“ verschiebt sich wie der Horizont, wir kommen nie an. Wie frustrierend.
- Immer, wenn wir uns dem irren Streben nach dem Ideal unterwerfen, signalisieren wir etwas Ungutes: Wir dürfen keine Fehler machen, sonst passiert etwas Schlimmes; und wir sind scheinbar als Menschen weniger wert.
- Perfektionisten neigen dazu, härter mit anderen Menschen ins Gericht zu gehen, mehr an ihnen herumzunörgeln und die Beziehungen weniger genießen zu können. Dahinter kann ein Abwehrmechanismus stehen: „Ich finde Dich zuerst blöd, dann ist’s nicht mehr ganz so schlimm, wenn Du mich blöd findest!“ Besonders stark kritiseren wir dabei das, was wir an uns selbst nicht akzeptieren können, und bei ausgeprägten Perfektionisten gibt es eine Menge davon. Wie ein Bumerang mit messerscharfen Kanten kommt das am Ende zurück, weil wir davon ausgehen, dass andere Leute ähnlich denken wir wir, also uns auch ähnlich kritisch sehen.
- Wir erfahren das Leben als „Schwarz oder Weiß“. Wir sind entweder Sieger oder Verlierer. Die Wahrheit hingegen liegt jedoch oft dazwischen, und gegen die Wahrheit kommt man auf Dauer selbst mit massig Kraftaufwand kaum an.
- Wenn wir kritisiert werden, nehmen wir es umso persönlicher, je perfektionistischer wir sind. Schließlich triggert es das Gefühl von „Ich bin nicht gut genug.“
Voltaire bringt es auf den Punkt: „Perfekt ist der Feind von gut.“
Von guter Arbeit.
Von einem guten Leben.
Wie wir uns von Perfektionismus befreien können
Wir können uns von Perfektionismus befreien. Nicht ein für allemal. Aber immer wieder.
Zu erkennen, wie er uns schadet, ist der erste Schritt.
Im zweiten Schritt brauchen wir eine neue Sicht auf unser Tun, und ein paar Werkzeuge.
Hier zehn Dinge, die mir helfen (wenn auch nicht perfekt), und Dir vielleicht ebenfalls:
1. Achtsamkeit
Anhalten, wenn wir großen Druck spüren. Das Tempo rausnehmen.
Benennen: „Ah, da ist Perfektionismus“.
Wahrnehmen: Wie fühlt sich der Druck an? Wo im Körper sitzt er? Bewegt er sich? Kann ich auch eine Angst spüren? Wenn ja, Angst wovor?
Das Gefühl nicht bekämpfen. Sondern es zulassen, ihm Raum geben, bis es uns loslässt.
Tief durchatmen.
Tief durchatmen, nocheinmal.
Dann weitermachen, bewusst etwas langsamer.
2. Perfekt ist gar nicht möglich
Das Pareto-Prinzip, die „80-20-Regel“. 80 Prozent des Ergebnisses gehen auf nur 20 Prozent der Anstrengung zurück, jede Anstrengung darüber hinaus bringt kleinere Erträge, wird nutzloser. Für ein 100-Prozent-Ergebnis würden wir unendlich lange brauchen.
Filmemacher Guillermo del Toro sagte:
Am Ende ist Perfektion nur ein Konzept – eine Unmöglichkeit, die uns quält.
3. Es geht nicht um perfekt
Worum es geht, ist etwas zu erledigen, vielleicht sogar mit Freude dabei. Worum es geht, ist ein gutes Leben.
Marketing-Ikone Seth Godin dazu:
Woher weißt Du, dass es fertig ist?
Natürlich ist es nicht fertig. Es ist nie fertig. Das ist die falsche Frage. Die Frage ist: wann ist es gut genug?
Niemand liest ein Comic, weil es perfekt gezeichnet ist. Es muss gut genug gezeichnet sein, nicht perfekt.
Niemand geht auf ein Rock Konzert, weil die Band jeden Ton perfekt trifft. Sie müssen gut genug sein, damit wir uns auf die Musik einlassen können, nicht perfekt.
Und an anderer Stelle:
„Perfekt“ sollte nicht bedeueten: makellos. Es sollte bedeuten, dass es genau das tut, was es tun soll. Ein Urlaub kann perfekt sein, auch wenn die Erdnüsse im Flieger vorm Servieren nicht angewärmt wurden.
Ein Projekt zurückzuhalten, um es zu polieren, ist ein Verbrechen, weil Du damit Deine Arbeit jemandem vorenthältst, die davon profitieren würde – aus Angst vor der Meinung derer, die ohnehin nicht die Richtigen dafür sind. Hör auf zu polieren und liefere.
4. Alles ist besser als nichts
Du fährst mit Deinem Auto nachhause, auf einmal siehst Du neben der Straße ein Haus. Es brennt. Rauchwolken, Flammen, ein Rieseninferno.
Du fährst sofort rechts ran, mit quietschenden Reifen, springst aus dem Auto, schon in dreißig Meter Entfernung ist es heißer als in der Hölle.
Dann stehst Du vor dem Haus.
Du siehst gleich: Du wirst nicht allen helfen können. Zu viele Menschen, zu weit hat sich das Feuer schon ausgebreitet.
Würdest Du einfach vorm Haus stehen bleiben, weil Du diese Rettungsaufgabe nicht perfekt lösen kannst?
5. Das Haus brennt nicht
… wenn wir ehrlich sind.
Bei unseren Aufgaben geht’s doch selten um Leben und Tod.
Elizabeth Gilbert, Autorin von „Eat Pray Love“ im Interview, in diesem Zusammenhang an Künstler gerichtet, aber ebenso für die meisten anderen Tätigkeiten relevant:
Niemandes Kind wird sterben, nur weil Du eine schlechte Kritik bekommst. Du bist nicht verantwortlich für 20 Männer auf einer Bohrinsel. Du amputierst keine Beine am Straßenrand eines Kriegsgebiets. Du fährst noch nicht mal einen Schulbus.“
Nichts Dramatisches steht hier wirklich auf dem Spiel. Also mach einfach eine hübsche kleine Sache. Oder eine hässliche. Oder eine klobige, eine saubere oder eine wilde. Egal. Genieße den Prozess. Lass los. Es ist nur Kunst.
Diese Denkweise bringt mir großen Frieden.
6. Fehler sind nicht im Weg – Fehler sind der Weg
Aus David Foster Wallaces Buch „Ein unendlicher Spaß“:
„Stell Dir vor, ich würde Dir einen Schlüsselbund geben mit 100 Schlüsseln, und ich würde Dir sagen: einer dieser Schlüssel wird eine Tür öffnen, hinter dem alles ist, was Du Dir wünschst, was Du werden willst. Wie viele Schlüssel wärst Du bereit, auszuprobieren?“
„Nun, ich würde jeden einzelnen verdammten Schlüssel ausprobieren.“
„Dann bist Du also bereit, Fehler zu machen, siehst Du. Du sagst, Du würdest eine Fehlerquote von 99% riskieren. Aber der Perfektionist in Dir sagt, dass Du vor der Tür stehen bleiben solltest, Du klingelst mit dem Schlüssbund klingeld und hast Angst, den ersten Schlüssel auszuprobieren.“
Würdest Du auf den Perfektionisten hören?
Und können wir überhaupt von „Fehlern“ sprechen, sind es nicht einfach Lernschritte, die zum Weg gehören und ohne die wir nie weiterkommen?
Im Zweifel können wir uns auch die „Fehler“ aus der Vergangenheit ins Gedächtnis rufen, die uns viel Gutes beschert haben. Die Tochter, die nur entstand, weil wir das Kondom aus Gründen der Sparsamkeit mehrmals benutzten. Die Kündigung nach einem total in die Hose gegangenen Projekt, die uns letztlich zu einem Job geführt hat, der viel besser zu uns passt ..
7. Mantra
Wenn ich mich mit etwas abkämpfe, dann entspannen mich die folgenden Gedanken:
- „Ich bin gut genug. Und ich bin immer gleich viel wert, egal, wie viel ich leiste.“
- „Alles, was ich tun kann, ist mein Bestes zu geben.“
- „Ich brauche mich nicht mit anderen vergleichen, und schon gar nicht mit Leuten, die schon viel länger im Geschäft sind.“
- „Fehler zu machen heißt nicht, dass ich ein Versager bin. Alle Menschen machen Fehler.“
- „Es ist okay, nicht immer hundertprozentig zufrieden zu sein.“
- „80 Prozent sind gut genug.“ (Oder, falls das noch zu unbehaglich ist: 90 Prozent)
- „Erledigt ist besser als perfekt.“
- „Gut statt perfekt!“ (GSP-Prinzip, gelernt von meinem Coach)
- „Wenn Du nie ein Flugzeug verpasst, verbringst Du zu viel Zeit am Flughafen.“ (von George Stigler, Ökonom)
- „Gib ihnen das Drittbeste von Dir, denn das Zweitbeste kommt zu spät und das Beste kommt nie.“ (Robert Watson-Watt, General)
Wieder und wieder gedacht, als kleines persönliches Mantra, können sie die Wolken stressender Gedanken wegpusten und den blauen Himmel wieder zum Vorschein bringen.
8. Kleine Schritte
Ebenfalls eine Form von Perfektionismus: sich zu viel auf einmal vornehmen.
Nichts demotiviert mich mehr, als ein gigantischer Berg vor Augen, so hoch, dass ich mir beim Hochschauen fast das Genick breche. Mutlosigkeit. Paralyse. Erschöpfung.
Anne Lamott in ihrem Schreibratgeber „Bird by Bird“:
Vor dreißig Jahren versuchte mein älterer Bruder, er war damals zehn Jahre alt, einen Aufsatz über Vögel schreiben, für den er drei Monate Zeit hatte, und der am nächsten Tag fällig war.
Wir waren in unserer Familienhütte in Bolinas, er saß am Küchentisch, den Tränen nahe, umgeben von Papier, Stiften und einem Stapel ungeöffneter Bücher über Vögel, bewegungsunfähig wegen der gigantischen Aufgabe, die vor ihm lag.
Dann setze sich mein Vater neben ihn, legte seinen Arm um die Schultern meines Bruders und sagte: „Vogel für Vogel, mein Freund. Mach’s einfach Vogel für Vogel.“
Nimm Dir nur den ersten Schritt vor, einen winzigen, so klein, dass Du kaum nein sagen kannst.
Und dann mach eins nach dem anderen.
Vogel für Vogel beim Schreiben. Gabel für Gabel beim Abwasch. Mail für Mail beim … na ja, eben beim Mailen.
Siehe auch: Das Zen des Beginnens – Wie man endlich anpackt, was man schon ewig vor sich herschiebt.
9. Hilfreiche Gewohnheiten
Aller Anfang ist schwer. Neben dem Ende ist das Einfallstor für den Widerstand hier am weitesten geöffnet.
Deshalb sind Gewohnheiten wichtig: damit wir nicht mehr stets wieder neu anfangen müssen, sondern in Bewegung bleiben.
Der Schriftsteller Somerset Maugham wurde in einem Interview gefragt, ob er beim Schreiben einen festen Zeitplan hätte oder darauf wartete, dass die Inspiration käme. Er antwortete:
„Ich schreibe nur, wenn die Inspiration kommt. Zum Glück kommt sie jeden Morgen exakt um neun Uhr, wenn ich mich an meinen Schreibtisch setze.“
Kleine Schritte. Jeden Tag. So gibt man dem Perfektionismus viel weniger Raum für Verhandlungen, bremst seine Macht ein.
Wie am Anfang geschrieben, bin ich selbst ziemlich anfällig für die unendliche und frustrierende Suche nach Fehlerfreiheit. Und beim besten Willen kann ich mich nicht als fleißig bezeichnen – daran lag es also auch nicht, wenn ich im Leben mal dorthin kam, wo ich hinwollte. Nein, es sind meistens die Gewohnheiten gewesen, die mich dahin getragen haben, beim Studium etwa, oder auch jetzt, dabei, von meinen Websites leben zu können.
Siehe auch 12 Gewohnheiten, die Dein Leben verändern.
10. Die Einstellung eines Profis
Was unterscheidet die, die ihr Tun zur Gewohnheit machen, von denen, die immer aufschieben, wenn ihnen nicht danach ist, oder die die Arbeit am Ende aus Angst vor Kritik in der Schublade verotten lassen?
Hier spannt sich der Bogen zurück zur Liebe, die nicht der Grund dafür ist, warum wir uns durch den Drang zur Perfektion abhalten lassen.
Dazu ein letztes Mal für heute Steven Pressfield aus „War of Art“ (gilt auch hier wieder längst nicht nur für Künstler, sondern für jedes lohnenswerte Vorhaben).
Angehende Künstler, die von Widerstand besiegt werden, teilen eine Eigenschaft. Sie alle denken wie Amateure. Sie sind noch keine Profis.
Der Moment, in dem ein Künstler zum Profi wird, ist wie die Geburt seines ersten Kindes. Auf einen Schlag ändert sich alles. Ich kann mein eigenes Leben ganz klar in zwei Teile gliedern: bevor ich Profi wurde, und danach.
Der Amateur spielt zum Spaß. Der Profi spielt zum Ernst. Für den Amateur ist das Spiel eine Nebenbeschäftigung. Für den Profi eine Berufung. Der Amateur spielt Teilzeit, der Profi Vollzeit. Der Amateur ist ein Wochenendkrieger. Der Profi einer für sieben Tage in der Woche.
Das Wort „Amateur“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet: „etwas lieben“. Die herkömmliche Interpretation ist, dass der Amateur seinem Ruf aus Liebe folgt, während der Profi es für Geld tut. Aus meiner Sicht liebt der Amateur das Spiel nicht genug. Täte er es, würde er nicht an der Seitenlinie stehen, abseits seiner wahren Berufung. Der Profi liebt es so sehr, dass er ihm sein Leben widmet.
Der Widerstand hasst es, wenn wir Profis werden.
Sich dem Widerstand, dem Perfektionismus, nicht geschlagen geben – das ist eine Entscheidung, die kein Anderer für uns treffen kann.
Es geht dabei nicht darum, sofort Geld mit etwas zu verdienen, sondern um die Einstellung. Darum, dass man aus Liebe etwas wirklich so gut tun will, wie man kann. Darum, dass man sich trotz der Wellen aus Perfektionismus und Selbstzweifel, die einen manchmal (oder regelmäßig) überschwämmen, an die Arbeit macht. Und darum, diese – nie perfekte – Arbeit am Ende in die Welt zu hinauszulassen.
Das ist vielleicht die größte Freiheit: frei sein nicht vom Perfektionismus, sondern inmitten des Perfektionismus.
Photo: Ігор Устинський
Toller Beitrag! Sehr gut zu wissen, dass Perfektionismus aus Angst motiviert ist!
Vielen Dank Aljoscha!
Genialer Beitrag, ich halte das zwar auch so mit dem Pareto-Prinzip, allerdings war mir noch nie bewusst, dass Perfektionismus eine Form der Angst ist.
Dankeschön Dario! 🙂
Hey Tim,
hab mich sehr gefreut mal wieder was längeres von dir lesen zu dürfen (obwohl ich dir kurzen und knackigen Texte auch sehr mag!)
„Perfekt ist der Feind von gut“ fand ich wirklich gut (oder perfekt?)
Ich finde sogar, dass „perfekt“ der Feind des Lebens an sich ist.
In der Natur ist gar nichts perfekt. Hätte sie irgendetwas perfektes hervorbringen können, wäre die Evolution unnötig gewesen. Und wer die Natur und das Leben liebt, schätzt doch gerade das unperfekte. Ein symmetrischer Baum würde uns doch seltsam vorkommen, oder?
Auch was uns Menschen direkt betrifft, haben Forscher herausgefunden, dass wir Gesichter atraktiver finden, wenn sie eine kleine Unsymmetrie aufweisen, also unperfekt sind.
Und schließlich der wichtigste Punkt:
Wäre das Universum perfekt, würde es uns gar nicht geben. Denn dann wären im „Urgefüge“ alle Teilchen perfekt angeordnet gewesen, es hätte kein Ungleichgewicht gegeben und es wäre nie zum Urknall gekommen.
Im Endeffekt könnte man sich also fragen „Will ich perfekt sein oder lebendig?“
LG Norman
Hey Norman,
Danke Dir für Lob + sehr schönen Kommentar!
Das mit der Attraktivitätsforschung war mir neu, ich dachte, dass es gerade das Symmetrische ist, das uns anzieht bei Gesichtern. Interessant!
Nun bin ich mir nicht sicher, ob nicht trotz der Unperfektheit als Lebensvoraussetzung nicht jedes Lebewesen nach Perfektion strebt, sogar Pflanzen, die sich so gut wie möglich der Sonne gegenüber ausrichten wollen. Und was ist mit dem Universum, strebt es nach Chaos oder Harmonie?
LG
Tim
Ich meine, Perfektionismus entstammt dem EGO, dem Verstand, der eine Illusion aufbaut um deine Erscheinung. Die Illusion ist hier die Makellosigkeit und Fehlerlosigkeit. Damit schaust du dann herab auf die anderen. Ich möchte nicht sagen, dass das EGO unnütz sei. Wir brauchen es momentan für das, an was es uns im inneren mangelt, das wir dann überdecken. Und Mangel entstammt immer einer Art Angst, wenn wir weit genug die Ursachenkette zurückgehen. Doch die Ursache von Angst ist, dass irgendwann Liebe gefehlt hat. So ist Perfektionismus motiviert aus Situationen, wo Liebe gefehlt hat.
Schwieriger wird es, wenn wir an der Illusion kleben, wenn wir glauben, dass wir jeden Widerstand überwinden sollten, wenn wir Disziplin ohne wenn und aber üben.
Widerstand ist wie er ist, er kann nützlich sein oder hinderlich. Hast du dich verrannt in einer Illusion, bist im Begriff dir damit zu schaden. Dann sei froh um den inneren Widerstand. Nur Kopfmenschen sehen im inneren Widerstand nur einen Gegner. Sie hängen sich an ein Ziel ohne wenn und aber, komme was wolle, die innere Stimme wird abgestellt. Stimmige Veränderung fliesst leichter. Der Widerstand ist auch spürbar, doch macht er hier eher nur auf Hürden aufmerksam und auf mögliche Risiken. Widerstand aus einer Negativität heraus ist tatsächlich ein Gegner, er ist aus den Negativen Gedanken gebaut.
Hi Richard,
das ist ein sehr wichtiger Gedanke, finde ich – dass der Widerstand auch aus dem inneren ein wichtiges Signal sein kann – zum Beispiel auch als Widerstand gegen den Drang nach Perfektion, gegen den Teil, der sich aufarbeitet, um bloß nicht kritisiert werden zu können.
LG
Tim
Ein toller Beitrag!
Perfektionismus tötet wirklich jedes Beginnen im Keim oder führt doch wenigstens zu ewigem Aufschieben.
Ich glaube allerdings schon, dass er es ‚persönlich‘ meint…
Danke Matthias – was lässt Dich das denn glauben?
In dem Modell hier nutzt der Widerstand allerdings persönliche Sachen („Du schaffst das niemals, weil Du auch damals im Kindergarten das hässlichste Bild gemalt hast – weisst Du noch weisst Du noch weisst Du noch!“).
Hi Tim,
ich dachte daran, dass der Perfektionismus psychoanalytisch gesehen im Über-Ich als eine Form verinnerlichter Gewalt verankert ist, die auf das schwächenbehaftete Ich eindrischt. Insofern meint er es schon ‚persönlich‘.
Das sollte aber keine Kritik an deinem profunden Beitrag sein, sondern nur die Wiedergabe eines ergänzenden Gedankens, der mir bei der Lektüre kam.
Hi Matthias,
ich wiederrum hab’s gar nicht als Kritik an deiner Kritik gemeint, freu mich doch über Austausch und Diskussion!
Die Freud-Theorie finde ich sehr interessant an der Stelle, für mich wäre da die Frage: wenn es jeder oder fast jeder von uns erlebt (es also etwas universelles ist), kann es dann noch persönlich sein?
LG!
Tim
1. Ich glaube nicht, dass Perfektionismus universell ist. Es gibt doch auch den gegenteiligen Charakterzug.
2. Jeder von uns erlebt auch das Leben, den Tod, die Liebe, das Leid. Sind sie deswegen nicht mehr persönlich? 🙂
Nun kommt es ja immer auch auf den Zusammenhang an, in dem ein Begriff verwendet wird, um zu erkennen, was gemeint ist. Sowohl „gut“, als auch „perfekt“ sind relative Begriffe. Jedenfalls gibt es einen möglichen Kontext, in dem die Dinge der Natur perfekt sind, auch wenn wir mit unserem eingeschränkten Blick vielleicht nur Chaos sehen. Und ich kann mir vorstellen, dass etwas symmetrisches längst nicht perfekt ist im Sinne der Natur. Aber wir sprechen ja bei Perfektionismus über einen „-ismus“, aus meiner Sicht also einer Übersteigerung des Perfekt Sein Wollens. Und hierfür hat dann auch jeder selbst seinen Maßstab und seine Vorstellung.
Also: eine Frage der Demut – wir können nicht wirklich wissen, was richtig und perfekt ist und was nicht (https://mymonk.de/wirklich-wissen/).
Hängt davon ab, über was wir sprechen. Ich kann wissen, dass es perfekt ist – für mich, bzw. für meine Zwecke. Haben wir ähnliche Vorstellungen, dann können wir auch darüber übereinkommen. Gleichwohl kann es für jemand perfekt sein und für einen anderen noch lange nicht. Dann gibt es vielleicht verschiedene Aspekte die dem anderen wichtig sind, die dem einen aber gar nicht bewusst sind.
Sprechen wir über die Natur, dann sprechen wir über Dinge, die der Verstand gar nicht erfassen kann. Wir können nur einem Glauben folgen, dass die Natur das genau so gewollt hat, dass es nicht zufällig ist – oder auch nicht. Wir wissen wohl tatsächlich nichts über „den“ grösseren Plan und damit auch nicht was in diesem Sinne perfekt wäre.
Hallo,
Ausnahmsweise mal „perfektes“ Timing… 😉
Ich hatte heute meinen ersten Tag in einem neuen Aushilfsjob, den ich nicht gelernt habe und ich will von Anfang an 100 % geben und alles richtig machen. Auch wenn ein Teil meines Verstandes weiß, dass das nicht möglich ist.
Ich frage mich warum man Perfektionist ist oder wird… Anspruchsvolle Eltern?
Ein Beispiel wäre bei mir: Wenn meine Mutter etwas kocht und ich es nicht mag (Aber vorher probiert habe), dann fragt sie „WARUM (schmeckt es dir) NICHT?“ Ist zwar ein schwaches Beispiel,aber `muss` mir etwas schmecken, nur weil es ihr schmeckt? Nein. Es ist nicht immr einfach, das zu ertragen und so lange ich noch keinen Vollzeit Job habe, kann ich auch noch nicht ausziehen. Ich wollte lange zeit immer sofort den richtigen job, die richtige wohnung etc. Aber nun muss es step by step gehen. Danke für den Artikel. Werde in nächster zeit wohl etwas mehr auf mich Acht geben…
Hey Bea,
Danke für Deine offenheit!
Ich nehme an, das Beispiel mit dem Kochergebnis Deiner Mutter ist nur ein sehr kleiner Auszug und es gab und gibt noch viele große und kleine Botschaften, die wir manchmal erst spät und mit viel Abstand rückblickend verstehen können, weil wir als Kinder erstmal denken, dass mit uns etwas nicht stimmt, und das unsere Welt erschafft, die sich ja auch „wahr“ anfühlt.
Step by step ist, jedenfalls, eine gute Idee, finde ich.
LG!
Tim
Perfektionismus ist leider auch eine dieser Eigenschaften, die eine gute Teamarbeit verhindern. Hab ich leider oft bei mir selbst feststellen müssen. Die 80-20 Regel ist wirklich ein gutes System, um nicht übers Ziel hinauszuschießen.
Hi Melina,
bei Teamarbeit potenziert sich das Problem noch, weil man direktes (negatives) Feedback befürchten muss.
LG
Tim
Das finde ich Interessant. Das betrifft mich auch gerade. An Tagen an denen ich alleine arbeite, mache ich einfach meine Arbeit ohne zu viel darüber nachzudenken ob das jetzt gut genug ist. Ich mach es einfach.Mit manchen anderen Teamkollegen funktieroniert das auch. Nur bei gewissen Personen habe ich immer den Druck alles Perfekt machen zu müssen.
Hallo Joli,
das geht mir auch so. Oft mache ich einfach „mein Ding“, ohne groß darüber nachzudenken, dann wird es normalerweise auch gut. Aber dann gibt es wieder Leute – oft sind es Kursteilnehmer von mir (ich gebe Italienischkurse), die mir schon mit ihrem Gesichtsausdruck zu verstehen geben, dass sie mit meiner Unterrichtsmethodik nicht einverstanden sind. Dann habe ich den Druck, es perfekt machen zu müssen, was natürlich nicht funktioniert. Ab und zu komme ich aber doch schon auf die Idee, dass das missmutige Gesicht eventuell (!) gar nichts mit mir zu tun haben könnte. Vielleicht ist den Leuten auch sonst eine Laus über die Leber gelaufen. Vermutlich muss man bei so „gewissen Personen“, die Du ja offensichtlich auch kennst, lernen, nicht alles persönlich zu nehmen und von sich und seinen Fähigkeiten überzeugt zu sein. Eigentlich sind solche, Perfektion einfordernde Personen oft ganz schön arme Würstchen und haben häufig selbst nicht viel auf dem Kasten bzw. kein Selbstwertgefühl …
Ich weiß nicht, ob ich da mit meiner Annahme richtig liege, aber diese Betrachtungsweise rettet zumindest ab und zu meinen Tag und meine Laune …
Lebe Grüße
Christine
Hallo Christine,
du wirst wohl mit deiner Annahme richtig liegen. In manchen Situationen wird einfach zuviel hineininterpretiert. Mir hilft es in so welchen Situationen auch immer (wenn es gerade möglich ist) die betreffende Person selbst zu fragen. Ich habe das gefühl dass… liege ich damit richtig? In vielen Situationen kommt dann heraus dass man total unterschiedliche Vorstellungen oder Wahrnehmungen von einer Sache hatte. Diese „gewissen“ Leuten sind meißtes die bei denen nur Ihre Meinung die einzig richtige ist und diese keine Offenheit dafür haben, dass es auch noch andere Handlungsmöglichkeiten und Ansichten gibt.
Bei diesen Personen fällt es mir etwas schwerer meine Meinung zu äußern. Aber auch nur wenn ich selber nicht voll und ganz davon überzeugt bin :D….
Die Einleitung finde ich sehr gelungen; ich mag deinen Humor! 😀
Das was Elizabeth Gilbert gesagt hat finde ich sehr schön! Das steckt so voller Leichtigkeit und Freude. Sehr antreibend 🙂
Sehr tolle Tipps, Tim. Vielen lieben Dank! Ich liebe es, dass du immer so viele Zitate und generell motivierende Sätze einbaust. Das lockert und frischt alles so schön auf und gibt einen extra Kick Motivation. 🙂
Hugs,
Linda
Hab herzlichen Dank, liebe Linda! 🙂
Danke dir für diesen ausführlichen Beitrag! Perfektionismus als eine Form von Angst? Das wusste ich auch noch nicht so richtig, aber wie du es erklärst klingt es ziemlich einleuchtend.
Danke und LG
Merci Anja, freut mich, dass der Text Dir geholfen hat. Ich denke, das kann den Umgang mit der Perfektion schon stark ändern, wenn man sich der Ursachen bewusster ist. LG Tim
Ich glaube nicht, dass man das Thema hätte besser aufarbeiten und zusammenfassen können. Vielen Dank für diesen inspirierenden Artikel und die guten Strategien. Ich habe mich vollends wiedererkannt und hoffe, einige Mantras im Kopf zu haben, sobald sich der Perfektionismus wieder meldet.
Ich habe übrigens keinen Fehler in deinem Artikel entdecken können – ist das jetzt ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? 🙂
Vielen Dank an Dich, Jasmin!
Was die Fehler angeht: eventuell ging schon der erste Satz daneben … siehe Kommentare etwas weiter unten :))
LG, auch an Patrick, und ein schönes Wochenende
Tim
„Das Wort „Amateur“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet: „etwas lieben“. Die herkömmliche Interpretation ist, dass der Amateur seinem Ruf aus Liebe folgt, während der Profi es für Geld tut. Aus meiner Sicht liebt der Amateur das Spiel nicht genug. Täte er es, würde er nicht an der Seitenlinie stehen, abseits seiner wahren Berufung. Der Profi liebt es so sehr, dass er ihm sein Leben widmet.
Der Widerstand hasst es, wenn wir Profis werden.“
ich seh nicht warum der amateur das soiel nicht genug liebt???
Ich denke, weil er sich dem Spiel nicht verschreibt. Übertrieben gesagt: Er nutzt ein paar Fitzelchen der Zeit, die übrig bleiben, nachdem er sich 10 Stunden des Tages an einem Job verausgabt hat, den er nicht liebt.
Ehrlich gesagt, finde ich, dass Steven Pressfield selber scheisse redet, so wie er die Begriffe Krieg, (innerer) Widerstand, Amateur und Profi verbindet. Ich meine, dass diese Begriffe zunächst völlig unabhängig sind. Und Widerstand ist etwas natürliches, das uns nur zeigt, dass es etwas Unaufgeräumtes in mir oder etwas Unstimmiges gibt. Die Sichtweise ist hier jedenfalls sehr eingeschränkt und passt zu einem Menschen, der sich im Kampf sieht. Und das ist doch wohl Wahn und nicht nur allein Kopflastigkeit.
Pressfield schreibt auch zu einem großen Teil Bücher, die den Krieg thematisieren. Ich persönlich finde es schlüssig, wenn ich mir auch nicht ganz sicher bin, ob es der Wahrheit entspricht.
Tatsache scheint aber zumindest, dass viele große Künstler um die Schwierigkeiten der Kreativität wussten, und das Kreativsein auch für viele den „Kampf“ bedeutete zwischen der Lust aufs Kreieren und dem bösen leeren Blatt Papier / der leeren Leinwand.
Das ist aber dann schon eine spezifische Situation mit übersteigerten Begriffen, die nur in diesem Kontext gemeint sein kann – keinesfalls allgemeingültig, so wie sie mit dem Zitat hergenommen wurden.
„Naturgewalt, lügt immer, will dich persönlich drankriegen …“. Sorry aber das ist einfach nur Unsinn für mich. Der Widerstand erinnert dich einfach an etwas, das nicht dazu pass, was du vorhast. Vielleicht an Ängste, nicht genug zu sein, was dann zum Perfekt sein Wollen Passen würde. Als Konsequenz führ dich Pressfield in den inneren Kampf gegen die alten Dinge, die einfach nur aufgelöst werden wollen, was schließlich auch in die Krankheit führen kann.
Hmmm … und was ist mit der Komfortzone, ist das nicht immer ein Kampf, der nicht komplett aufgelöst werden kann im Vorfeld, sondern zu dem man sich gewissermaßen durchringen muss (sonst wäre es ja kein Verlassen der Komfortzone mehr)?
Ja es ist nicht so bequem, wenn ein Stein im Weg ist und du kannst momentan nicht gerade aus weiterlaufen. Manchmal hilft es kurzfristig, in die Wut zu gehen und den Stein zu zerbröseln, wenn es unbedingt nötig scheint. Doch so gibst du dem Widerstand eher Energie und du wirst deine Gesamtsituation wenig verbessern. Als allgemeiner Rat taugt aber das Wegräumen des Steins wohl mehr, was ja auch keine Komfortzone ist, aber jedenfalls kein Krieg, der langfristig nur schadet.
Vielen Dank für diesen Text. Er hat einiges noch mal in Erinnerung gerufen, was ich zu oft wieder vergesse. Aber eine kleine Bitte: Es heißt ErzieherIn und nicht KindergärtnerIn – wirklich schon ne ganze Weile 😉
Hi,
und Danke für den Hinweis. 🙂
Ich finde das Wort „Kindergärtner“ eigentlich ganz schön, „Erzieher“ klingt irgendwie militärischer.
LG
Tim
Perfektionismus ist ein großes Thema unserer Zeit. Ich unterscheide gerne zwischen Perfektion und Vollkommenheit. Perfektion ist die vollständige Entsprechung von Erwartungen. Vollkommen ist das, was ist. Voll da sein, voll ankommen in dem Moment, mit allem, was er mit sich bringt.
Wir leben in einer Zeit, in der der Erwartungsdruck tendenziell immer größer wird. Die soziale Situation wird komplexer. Nicht zuletzt durch die Digitalisierung wächst die Zahl der Interaktionen. Schnelleres Einstellen auf immer neue Situationen ist gefragt, bewährte Orientierung und Gewissenheiten funktionieren nicht mehr so gut. „Lebenslanges Lernen“ hat sich als Codewort für lebenslange Selbstoptimierung entwickelt. Der Zustand des Optimums ist schlicht unmöglich zu erreichen, weil das Leben dynamisch ist, sich ständig verändert. Perfektion oder Optimum ist gleichbedeutend mit Stillstand. Das ist der Tod. Trotz aller Einsicht auch mir fällt es regelmäßig schwer, davon loszulassen.
Hi Seinswandel,
eine sehr schöne Unterscheidung, danke dafür!
Das Loslassen ist vielleicht auch deshalb so schwierig, weil der Schmerz und die Angst so tief sitzen, die hinter dem Perfektionismus stehen. Das ist ja etwas sehr Elementares, vermutlich für die meisten von uns.
LG
Tim
bird by bird…
Manchmal wohnt in drei Worten die Kugheit eines halben Lebens. Poetisch, tief und gleichsam federleicht fliegen die Worte ins eigene Ich, nisten sich ein als Sand im Getriebe des unablässig fordernd brummenden Gedankenmotors … bird by bird.
So schön. Danke.
Hi Sylvia,
ja, das gefällt mir auch sehr gut, und auch das Buch soll super sein (gibt’s allerdings nur auf Englisch, soweit ich weiß).
LG
Tim
Schöner Artikel……gut zum Nachdenken.
Aber…..eben nicht perfekt: Archimedes forderte einen festen Punkt im Universum und forderte keinen langen Hebel.
Quelle und Zitat:
Hebelgesetz
Archimedes formulierte die Hebelgesetze (in seiner Schrift Über das Gleichgewicht ebener Flächen) und schuf dadurch die theoretische Grundlage für die spätere Entwicklung der Mechanik. Er selbst entwickelte aus dem Hebelgesetz bereits die wissenschaftlichen Grundlagen der Statik für statisch bestimmte Systeme. Die Beschreibung des Hebels selbst findet sich schon in älteren griechischen Schriften aus der Schule des Aristoteles.[13]
Er soll (wie Pappos und andere überlieferten) gesagt haben: „Gebt mir einen festen Punkt, und ich hebe die Welt aus den Angeln“. Darauf gründet sich der Begriff des archimedischen Punktes. Als er sich einmal gegenüber Hieron so äußerte, verlangte dieser nach Plutarch einen praktischen Beweis und Archimedes bewerkstelligte unter anderem mit Flaschenzügen (Plutarch) und Seilwinden die Bewegung eines großen voll beladenen Schiffs durch einen einzigen Mann.
Wikipedia zu „Archimedes“
Lieber Konfektionist,
Danke für Deinen Kommentar und den Hinweis, das hat mich nun wirklich schmunzeln lassen, dass ausgerechnet im ersten Satz ein inhaltlicher Fehler drin ist.
Ich möchte zu meiner Ehrenrettung allerdings sagen, dass bei Wikiquote steht, dass er womöglich doch von was Langem gesprochen haben könnte (zumindest laut Übersetzung): „Gib mir einen Punkt, wo ich sicher stehen kann, [einen Hebel, der lang genug ist,] und ich bewege die Erde mit einer Hand“;
LG Tim
Na ja, wie man`s nimmt. Auch ein Flaschenzug basiert auf dem Hebelgesetz Kraft_welt * Weg_welt = Kraft_archimedes * Weg_archimedes
Hallo!
Perfektionismus hemmt und lähmt, das ist meine Erfahrung. Natürlich sollte man eine gute Qualität abliefern, natürlich sollte man sein Bestes geben – zumindest nach der Abwägung Aufwand und Nutzen -, aber witzigerweise verzeihen sich Perfektionisten selbst Fehler nie, die sie bei anderen Leuten durchaus als entschuldbar ansehen: Andere sind ja nicht wie sie – nicht so gut. Blöd ist: Ich ertappe mich selbst ja auch immer wieder dabei. Ich gehe mit mir schlechter um als mit anderen Leuten – der innere Dialog ist manchmal echt grenzwertig. Aber ich arbeite dran.
Aber auch in meinem Beruf stelle ich das immer wieder fest. Ich bin im Sprachenbereich tätig und unterrichte Italienisch (und auch andere Sprachen, Italienisch ist aber die Hauptsprache).
Deutsche neigen dazu, Sprachen erst sprechen und anwenden zu wollen, wenn sie sie wirklich perfekt beherrschen. Und wann ist das? Vermutlich nie.
Wenn aber Ausländer im Deutschen Fehler machen, finden wir das charmant – und würden nie auf die Idee kommen, denjenigen wegen seines Fehlers zu beschimpfen oder zu bestrafen. Das machen wir nur mit uns selbst.
Vielleicht sollte da ein Umdenken stattfinden. Deine Tipps aus dem Artikel sind schon mal sehr gut! Eigentlich müsste ich den Artikel vielen anderen Leuten zum Lesen geben… Danke dafür.
Herzliche Grüße
Christine
Das ist tatsächlich ein deutsches Thema, wie ich das selber bei Entwicklungsprojekten in USA und UK erfahren habe. Die deutschen über setzen oft lange Wort für Wort im Kopf und versuchen Sätze im Kopf vorzubereiten, bevor sie sprechen. Und der harte deutsche Akzent bleibt oft für immer als Konsequenz dieser Kopfarbeit. Der Kopf muss zur Seite gehen, damit das Sprachgefühl verinnerlicht werden kann.
Ich meine es liegt an der Art von Belehrung, die wir als Kinder erfahren, natürlich gut gemeinte Belehrungen. Je nachdem, wie sie ausfallen, wird das Verlassen der Komfortzone unangenehm. So braucht es bewusste Absicht, dieses unangenehme Gefühl anzunehmen und einfach immer wieder mal spontane und fehlerhafte Halbsätze von sich zu geben.
Mit Kampf und Krieg schaffst du auch das nicht, Tim. Wenn das Leben nicht holpern soll. Dann fließt es irgendwo zwischen den Extremen.
Hey Richard,
es holpert heute mal wieder eher, als das es fließt, bei mir. Ich glaube, ich arbeite noch ein bisschen und gehe dann nach frühem Feierabend an die Isar spazieren, zum Fluss!
LG
Tim
Hi Christine,
Danke für Deinen Kommentar und Deine Offenheit.
Das ist ja eine interessante Erfahrung, die Du mit den deutschen Fremdsprachenlernern machst, ich denke, ich wäre auh einer von ihnen.
LG
Tim
Hallo Tim,
wieder ein genialer Beitrag von dir!
Ich habe auf meinem Blog das Thema auch schon mal kurz angerissen und bin auch auf die „Angst“ gestoßen. Man schiebt auch vieles vor sich her, wenn man perfekt sein möchte. Wie ich damals geschrieben habe:
„Perfektionismus ist verkleidete Aufschieberitis. Werde unperfekter!“
Gruß
Sascha
Merci Sascha!
Das ist ein guter Satz, den wir ja erweitern können zu:
„Perfektionismus ist verkleidete Aufschieberitis ist verkleidete Angst“
LG
Tim
Danke Tim für diesen wirklich hilfreichen Artikel!
Auch mir macht mein ausgeprägter Perfektionismus ständig Probleme. Das Aufschieben von To Dos, die vielen gleichzeitigen Projekte und immer alles perfekt machen zu wollen, auch wenn es gar nicht nötig wäre… all das kenne ich nur zu gut und kostet mir viel Zeit und Kraft.
Angenehm zu wissen, dass es anderen auch so geht. Und gut, ein paar Gegenstrategien aufgezeigt zu bekommen.
Dankeschön Steffi!
Ich wünsch Dir (und mir :)) eine Woche, in der uns das ein bisschen besser gelingt als in der letzten, dem Perfektionismus Einhalt zu gebieten.
LG Tim
Hallo Tim,
danke für diesen Artikel! Ich lese und profitiere von den anderen auch, nur bei diesem eben ganz speziell. Habe dadurch herausgefunden, dass ich ähnlich drunter leide wie du es beschrieben hast: „Bei mir ist’s so: Gib mir eine Aufgabe, die mir wichtig genug ist, und ich hebe mich selbst aus den Angeln.(…)“
Du hast mir mit diesem Artikel einen Weg aufgezeigt, wie ich daran arbeiten kann.
Herzlichen Dank dafür, du leistest hier Großes!
Hab vielen Dank, lieber Dario! Schön, dass Dir der Text ein bisschen geholfen hat. Die Perfektion werden wir schon noch in den Griff bekommen … wenn vielleicht auch nicht perfekt. LG Tim
Hallo lieber Tim:)
dieses Thema kommt gerade zur rechten Zeit für mich! Es ist sehr schön, dass es DICH gibt! Durch meine Tochter (34 Jahre), die versucht, zu verstehen, was gerade mit ihr passiert, bin ich auf deine Seite aufmerksam geworden. Es ist toll, die Artikel zu lesen und darüber zu philosophieren 🙂 Ich habe auch perfektionistische Züge und habe entdeckt, dass es auch an meinen Glaubenssätze liegt. Während ich darüber nachdenke und den Gefühlen Raum gebe, denke ich aha, deshalb oder so ist das gekommen usw.
Ich habe meinen Mann gefragt:“Was wünschst du dir von mir, dass ich ändern soll?“ er sagte spontan:“ Das du nicht mehr so viel mit mir meckerst, denn ich bin nicht perfekt!“ Darüber denke ich jetzt nach und bin sehr zuversichtlich, dass ich es, wenn ich gefühlt und verstanden habe, warum ich so viel mit ihm meckere, es ändern kann, denn ich möchte, dass wir glücklich sind und Glück kann ich lernen !!! 🙂
Ich freue mich sehr, dass wir Alten 🙂 sehr viel von euch Jungen 🙂 lernen dürfen !
DANKE
Ganz groß. Danke!
Früher, war ich auch immer bestrebt darin, dass meine Bilder perfekt werden. Inzwischen müssen sie das nicht mehr.
Entscheident ist, dass sie ihre Aufgabe erfüllen. Das geht auch ohne Puderzucker von Außen.
Hallo Tim,
toller Beitrag auf den ich da gerade gestoßen bin. Auch wenn er schon einige Monate auf dem Buckel hat, so ist er immer noch brandaktuell und ein Thema, dass uns alle immer wieder trifft.
Ich sehe es so oft an mir selbst aber auch an Kunden: Wie oft stehen wir uns selbst im Weg, könnten schon längst weiter sein und doch geht gar nichts, weil es ja eben noch nicht 100%ig. Ja, da kann man oft lange warten mit eben ekinem Ergebnis.
Gruß
Ulrike
Ich meine, es spricht nichts dagegen, ein Können zu perfektionieren, dh. auf dem Weg zu bleiben in Richtung eines Idealbildes. Und viele Idealbilder von Menschen werden dann auch oft erreicht und für diese Menschen ist es dann perfekt, für andere vielleicht nur gut genug.
Eine andere Frage ist es, wie zufrieden ich damit bin, oder auch betroffene Menschen es sind. Wie wertvoll fühle ich mich dabei, „nur“ auf dem Weg zu sein und so mancher Erwartung nicht gerecht zu werden? Und wie sehr habe ich mein Idealbild mit meinem Wert verknüpft und wie lebe ich nun entsprechende Glaubenssätze?
Perfektionismus ist ja eine Art Übersteigerung des perfekt sein wollens. Und auch hierzu gibt es Ursachen. Es gibt Emotionen und Gefühle, die letztlich auf Ängste hinaus laufen. Ob die Ängste nun zu längst vergangenen Situationen gehören oder nicht.
So haben wir doch ein schönes Beispiel, wie uns Gedanken krank machen können. Und wie wir heilen können, wenn wir uns den Ängsten zuwenden und weniger dem abgelieferten Bild von uns selber.
hey Tim,
zuerst einmal vielen Dank für genau diesen Beitrag!
Allerdings —
und da waren sie wieder meine beiden Probleme:
der eigene innere Konflikt zwischen
„ich muss nicht perfekt sein und gönne mir heute, weil es mir nicht gut geht, eine Pause“
und
„die Routine des Profis….“
So what?
Welcher Weg ist dann der Richtige?
Intuitiv sich für den richtigen entscheiden?
Es ist eben nicht immer alles perfekt zu entscheiden, oder? 🙂
Hallo Heike,
dafür gibt es wirklich kein Patentrezept – außer das erspüren der „Stimmigkeit“: Habe ich jetzt gerade nur einfach keinen Bock (obwohl es gut wäre, in Routine zu bleiben) oder ist es ein echtes Bedürfnis danach, mich zu erholen und Abstand zu gewinnen?
Meine Erfahrung ist, dass man mit einem Mittelweg oft ganz gut fährt. Ein kleines Bisschen was machen, und sei’s für 10 Minuten, und dann was anderes tun. Ab und zu braucht es – oder: brauche ich – darüber hinaus aber auch eine echte Pause über mehrere Tage, manchmal sogar zwei Wochen, zum Beispiel was das Schreiben angeht.
Liebe Grüße
Tim
Dein Artikel ist grossartig. Brilliant recherchiert und zusammengefasst. Und du hattest Recht, ich erkenne mich darin wieder. Darum werde ich versuchen einiges von deinen Tipps umzusetzen. Lieben Dank.
Userli (Mein Nächtebuch, auf twoday.net)
Hallo Tim, ein sehr schöner Text zum leidigen Thema Perfektionismus. Ich kann aus eigener Erfahrung hinzufügen: Perfektionismus macht krank.