Teile diesen Beitrag "Warum Du immer so in Eile bist (und wie Du damit aufhören kannst)"
Morgens
mittags
abends: Drücken aufs Gas, hauen sofort auf die Hupe, wenn‘s mal stockt, Schweißränder unter den Armen, Zittern in den Händen, Druck im Herz, Tornado im Kopf.
Im Auto, im Büro, im Supermarkt, im Heim, im Gespräch, im Bett, im Urlaub, im ganzen Leben.
Wir wollen alles unterbekommen, heute noch, „also Tempo Tempo Tempo, Sportsfreund!“
Nur für eins nehmen wir uns keine Zeit – für die Frage:
Warum beeilen wir uns so?
Wofür wollen wir Zeit einsparen, warum machen wir uns so fertig damit, Dinge fertig zu machen?
Damit uns abends mehr Zeit zum Fernsehen bleibt … obwohl wir ja auch dort nie wirklich entspannen?
Damit wir schneller woanders sind, mehr Job mehr Geld mehr Auto und Haus und Muskeln und Anerkennung … obwohl wir ja doch nie wirklich ankommen?
Also warum?
(Sorry für die lange Einleitung, aber ich komm jetzt eilig zum Punkt, keine weitere Zeitverschwendung. Echt nicht. Kannst Du mir glauben, es geht jetzt los, jetzt kommt die Auflösung. Bist Du bereit. Na wunderbar. Also dann wollen wir mal.)
Die Antwort
Die Antwort ist so simpel, dass mir fast ein trockenes Lachen im Hals stecken bleibt:
Wir beeilen uns so, weil wir uns so beeilen.
Wenn wir viel zu tun haben, beeilen wir uns. Doch auch andersherum: Wenn wir uns beeilen, bekommen wir das Gefühl, viel zu tun zu haben.
Eile ist eine Stressreaktion. Sie kann jedoch genauso eine Stressursache sein. Mit ihr signalisieren wir uns, dass es einen triftigen Grund dafür gibt, schnell zu machen – ganz offensichtlich ist Eile nötig, wir müssen schwer beschäftigt sein, glaubt das Gehirn und schüttet Adrenalin aus, um der vermeintlich brenzligen Situation gerecht zu werden. So entsteht ein Kreislauf, der sich selbst nährt und zu einem immer fetteren Problem wird, sich breit macht in unserem Denken und Fühlen und unsere Lebensfreude und Gelassenheit unter seinem dicken Hintern begräbt.
Eine kleine Übung zur Demonstration:
Nimm die nächste Aufgabe, die bei Dir ansteht – abwaschen, mailen, einen Kaffee machen, was auch immer. Erledige sie in Deinem normalen Tempo. Wie fühlst Du Dich dabei?
Nun nimm Dir diese Aufgabe noch mal vor (oder eine ähnliche) und versuche, sie im doppelten Tempo zu erledigen. Wie fühlst Du Dich nun?
Etwas mehr Geschwindigkeit fühlt sich vielleicht noch belebend an, aber schon kurz darauf reagieren
Körper (beschleunigter Atem und Herzschlag, angespannte Muskeln, leicht schwitzige Hände) und
Kopf („Scheiße, ich schaff‘s nicht schnell genug und es gibt noch so viel zu tun!“).
So ist es sehr oft. Hausgemacht. Kein Wunder, in dieser hektischen Welt; aber auch kein Hindernis, es in Zukunft etwas anders zu machen. Klar gibt es Situationen, in denen Eile angebracht und wichtig ist. Aber wie oft müssen wir schon mit einem Verblutenden auf dem Rücksitz ins Krankenhaus rasen, oder Kinder aus einem brennenden Haus rette? (Bei mir kommt das höchstens zwei, drei Mal die Woche vor, und auch nur, wenn ich meinen Superman-Schlafanzug trage.)
Das beste Mittel, um Dich weniger abzuhetzen
Wenn Du merkst, dass Du in großer Eile handelst, dann kannst Du:
- Dreimal tief ein- und ausatmen. Du kannst auch diese Atemübung ausprobieren.
- Dich fragen, ob Du Dich wirklich beeilst, weil Du unter Druck stehst – oder ob Du nur unter Druck stehst, weil Du Dich beeilst.
- Dich auf eine einzige Aufgabe, auf‘s Hier und Jetzt konzentrieren.
- Bewusst langsamer machen, und sei es nur ein bisschen. Jeder kleine Schritt in die richtige Richtung zählt.
- Bewusst wahrnehmen, wie es Dir geht im langsameren Tempo.
Nun signalisierst Du Deinem Gehirn: „Ich habe meine Zeit und mein Leben im Griff, alles ist gut.“
Körper und Kopf beruhigen sich.
Du wirst klarer denken können, und sogar effektiver sein, mehr schaffen.
Vor allem aber wirst Du endlich rauskommen aus dem Hamsterrad, das sich über Jahre immer schneller und schneller gedreht hat, je mehr Du Dich beeilt hast.
P.S.: Dabei hilft uns auch, wenn wir uns vom Zwang befreien, ständig aufs Handy zu schauen
Photo: Zuerichs Strassen
Schöner Ansatz, das von beiden Seiten mal zubetrachten. Hat mich echt zum Nachdenken gebracht!
Was ich bei mir persönlich im Zusammenhang mit Stress und Eile feststelle, ist, dass wenn ich mal etwas früher mit einer Sache fertig bin, ich oft zu mir sage „Na dann kann ich ja schnell noch X machen“. Und schon ist der Stress wieder selbst geschaffen xD
Kennst du das auch, Tim?
LG Norman
Hey Norman,
ja, das kenn‘ ich sogar sehr gut.
Das ist auch eine Frage der eigenen Maßlosigkeit – beim Essen, Geldverdienen (oder -ausgeben) … und eben auch beim Arbeiten. Total bescheuert eigentlich. Aber wenn unser Hauptprogramm das „Erledigen“ ist, dann füllt dieses Lücken offenbar automatisch aus.
LG und einen echten Feierabend Dir 🙂
Tim
Hi!
In Eile zu sein und keine Zeit zu haben sind heutzutage ja auch zum Statussymbol geworden. Wer Zeit hat und alles in Ruhe erledigt – beim dem stimmt doch etwas nicht 😉
🙂
Hi Steffi,
jap, das ist wohl auch ein häufiger Grund. Die Scham vor der Untätigkeit.
LG
Tim
Dann gehen wir extra langsamer. Insbesondere in der Arbeit ;))
Danke Tim..!
Hi Adem,
hast Du’s mal ausprobiert? (Und wenn ja, was haben die schnellen Kollegen dazu gesagt?)
LG
Tim
Hi Tim,
ja genau – ein bisschen mehr Gemütlichkeit- das wollen wir alle. Um der Zeit zu zeigen wo der Hammer hängt, kann ich noch eine bewusste Portion Nichtstun empfehlen. Die Zeit Tod schlagen. Einfach in den Gulli rinnen lassen. Und man merkt erst, wie lange 15 Minuten sein können. Dies bringt mehr Klarheit und Langsamkeit ins Leben. Lg Karl
Hey Karl,
Danke für Deinen Kommentar, das ist dann schon für die Fortgeschrittenen – statt langsamer gar nichts mehr tun, für ein paar Minuten. Das gönne ich mir in meiner Mittagspause gleich mal.
LG
Tim
Hey Tim,
ich mag Anker für das durchatmen. Zum Beispiel habe ich mal eine Zeit lang damit gespielt achtsam zu sein, während ich durch Türen gehe.
War schwieriger als gedacht – war aber ein gutes Training überhaupt zu merken, wann ich gestresst bin.
Gruß,
Robert
Hi Robert,
das gefällt mir! Anker sind ja eines der wichtigsten Tools, um Gewohnheiten zu schaffen. Und in diesem Fall auch, um rückblickend zu sehen, wann sie stressbedingt nicht gegriffen haben. Thx!
LG
Tim
Wunderbar einleuchtend: „Wenn wir viel zu tun haben, beeilen wir uns. Doch auch andersherum: Wenn wir uns beeilen, bekommen wir das Gefühl, viel zu tun zu haben.“
Danke dafür. Ich versuche auch oft innezuhalten und einen Gang runterzuschalten. Manchmal frag ich mich echt, warum ich mich denn so beeile? Warum gehe ich so schnell? Ich hab doch eigentlich keinen Stress.. Und man will seine Zeit ja immer mit etwas „Sinnvollem“ füllen. Die eine Aufgabe ist erledigt, dann kann die nächste folgen. Dass man ja nicht zu lange „nichts“ tut, sonst fühlt man sich gleich total faul und nutzlos (natürlich sehr überspitzt formuliert, aber du kennst das bestimmt :)). Obwohl diese Zeit des „Nichtstuns“ doch auch genauso viel wert ist und vor allem WICHTIG ist!
Und hier musste ich einfach lachen: „Wofür wollen wir Zeit einsparen, warum machen wir uns so fertig damit, Dinge fertig zu machen?
Damit uns abends mehr Zeit zum Fernsehen bleibt … obwohl wir ja auch dort nie wirklich entspannen?“
Da denk ich sofort an meinen Stiefvater 😉 er kann leider so gut wie nie einen Gang runterschalten und sich entspannen. Immer nur Arbeit hier, Arbeit da. Egal ob beruflich oder privat. Ich hoffe so sehr, dass er es einmal schafft, sich mehr Zeit für seine Entspannung zu nehmen.
Hugs,
Linda
Hi Linda,
ich glaube, das liegt an der Historie und den Glaubenssätze, die uns über Generationen eingepflanzt wurden – dass (ständige) Arbeit etwas heiliges sei, und das Nichtstun sündig. Dass wir uns unseren Wert verdienen müssen und dass er mit dem Ende der Leistung komplett zusammenfällt.
LG!
Tim
Lustig, ich habe diesen Artikel gerade in ziemlicher Eile ziemlich schnell quergelesen. Jetzt fange ich nochmal an und lese ihn in Ruhe! 😀
Wunderbar, Anja! 🙂
Auch ein schönes Beispiel dafür, dass man, wenn man sich beeilt, oft hinterher noch mal ran muss, weils in der Eile nicht so geworden ist, wie’s sollte.
LG Tim
Interessante Gedankenspiele, Tim. „Wenn wir uns beeilen, bekommen wir das Gefühl, viel zu tun zu haben.“
Das stimmt wohl nur, wenn wir nicht ganz „da“ sind, gleichsam uns nichts anderes bewusst ist, als das, was wir noch schnell tun sollten. Da bin ich froh, dass ich Ecken und Kanten habe, die die Stromlinien meistens schnell brechen, mein Unwohlsein ins Bewusstsein rückt und ich Anstalten mache, die Komfortzone zu verlassen. Jedenfalls bin ich gerade nicht authentisch, wenn ich nichts als Aufgaben und Ziele sehe und mich so zeige, wie es anderen gefällt.
Mir persönlich hat es immer geholfen, dass ich mich gerade unter Druck etwas freischaufle und meine Routine-Aufgaben noch besser organisiere. Vielleicht kennt jemand REFA? Diese Leute, die in der Fabrik mit der Stoppuhr kommen und Teilschritte für dich planen? Sie sagen dir dann, wann du 100% vom Stundenlohn für Akkordarbeiten bekommst und wann 130% und wie du deine (automatsierten) Handgriffe gestalten solltest. Spüle doch einfach mal die 20 Teller vom Stapel ab mit einer Bürste, zuerst für alle die obere Seite, dann den Stapel drehen und dann die untere Seite. Und dann mach sowas mit den Messern. Kommst du da drauf, wenn du dir die Zeit zum Nachdenken nicht ertrotzen kannst?
Hi Richard,
Danke für diese Zeilen. Das kann ich sehr gut nachvollziehen, dieses – im Negativen – Selbstvergessene, oder Selbstverleugnende. Die Ecken und Kanten kamen bei Dir vermutlich auch mit dem Training. Was, meinst Du, ist da wichtiger / besser – in Ruhezeiten Achstamkeit trainieren oder direkt in den Situationen, in denen wir uns beeilen und stressen?
Die Stoppuhr-Sache erinnert mich an die Geschichte vom Holzfäller, der sich keine Zeit nimmt, die Axt zu schärfen (https://mymonk.de/der-holzfaeller-der-abstumpfte-kurze-geschichte-fuer-alle-die-meinen-zu-wenig-zeit-zu-haben/).
Oder, wie ein Buchtitel lautet: „Wenn Du es eilig hast, gehe langsam“.
LG Tim
Ich denke, in den Situationen ist meist längst weitgehend festgelegt, was passiert. Im jeweiligen Moment passiert was passieren muss, entsprechend der Konditionierung. Gut wenn du es akzeptieren kannst wie es ist und wie du agierst. In Ruhezeiten kannst kannst du frei beabsichtigen. Und das ist unsere eigentliche Wahl. Unsere Absicht.
Vor gut einem Jahr war ich in einer akut psychosomatischen Klinik. Dort hetzt man nahezu von einem Termin zum anderen und hat eine über 40 Stunden Therapiewoche . Um ein wenig Ruhe zu haben, ging ich immer auf den letzten Drücker zu den Terminen und war ständig in Hektik. Bis ich mich entschied, trotz Zeitmangel langsam zu gehen und regelmäßig das Moos auf der Mauer des Weges zu streicheln. Ich wurde viel ruhiger und war interessanterweise trotzdem immer pünktlich – und wenn nicht, war irgendetwas dazwischen gekommen, so dass der Termin später begann. Das Interessanteste daran war, dass ich künftig freiwillig immer ein wenig früher los ging, um diese acht Same Ruhe intensiv empfinden zu können. Leider habe ich davon im beruflichen Alltag nicht mehr sehr viel übrig. Es ist zwar besser als früher, aber nicht mehr so perfekt wie in der Klinik.
Hi Psycho-Man,
Danke für Deine Offenheit. Das ist schon ein bisschen erschreckend zu lesen.
Ist das Konzept hinter der Dauerbeschäftigung in der Klinik gewesen, dass man seinen Kopf so oft wie möglich ausschaltet?
Deine Schilderung erinnert mich an „Wue Wei“ – falls Du Dich damit noch nicht beschäftigt hast, könnte das was für Dich sein.
LG
Tim
Das ist tatsächlich schon eine echte Krankheit. Immer beschäftigt tun und alles so schnell wie möglich zu erledigen. (oder glauben zu müssen)
Bewußt im Moment zu erleben ist zwar von Anfang an nicht so einfach, lohnt sich aber !
Danke für den Artikel
lg aus Wien
Danke Sebastian – und Dir einen entschleunigten Tag! LG Tim
Hallo zusammen!
Der Artikel hat mir wirklich die Augen geöffnet. Ich neige auch gerne dazu, von hüh nach hott zu düsen, um alles schnell zu erledigen. Das wird ab sofort geändert, denn Tim hat Recht – wozu das Ganze?
Aber es ist gut zu sehen, dass ich nicht alleine bin, sondern anscheinend sehr viele dieses Problem haben. Die individuellen Lösungen, wie jeder damit unterschiedlich umgeht, sind besonders spannend, und bestimmt werde ich die eine oder andere Methode mal ausprobieren. Bisher habe ich es immer mit drei tiefen Atemzügen versucht, die dann im Stress eher ein Gehechel waren 😉
In diesem Sinne wünsche ich Euch allen ein schönes Wochenende und ein großes Dankeschön an Tim, mit Deinen Artikeln bringst Du mich immer wieder zum nachdenken über mich selber.
Viele Grüße
Mona
Hi Mona,
herzlichen Dank!
Das Problem haben wirklich viele, ich selbst ja auch.
Falls Du meine Antwort liest … vielleicht ist ja genau jetzt der richtige Zeitpunkt, 5 Minuten gar nichts zu tun, oder 10 Minuten alles deutlich langsamer?
LG
Tim
Lieber Tim,
tja, das kommt im rechten Augenblick – gerade habe ich mir die Frage gestellt, wie ich das alles schaffen soll. Und zwar ohne zu wissen, was ‚das alles‘ überhaupt ist… 😉
Da ich mich gerade in der Aufbauphase eines Unternehmens befinde, finde ich es schon schwierig, sich nicht zu beeilen – denn das Gefühl, dass Zeit und Geld knapp sind, ist doch sehr präsent.
Aber es stimmt, man schafft wirklich mehr, wenn man ruhig bleibt – da werde ich meinem Schwellentroll wohl mal in den Hintern treten müssen 😉
Liebe Grüße,
Marie
Hi liebe Marie,
“ gerade habe ich mir die Frage gestellt, wie ich das alles schaffen soll. Und zwar ohne zu wissen, was ‘das alles’ überhaupt ist… “
– darin finde ich mich sehr wieder, Danke dafür!
Bei allem Unternehmensaufbau ist auch wichtig (wie ich selbst feststellen musste und muss), dass man sich nicht dauerhaft über die eigenen Grenzen hinaus verausgabt, sonst war auch alle anfängliche Anstrengung für die Tonne. Das müssen wir als Selbstständige uns eben auch immer wieder klar machen: unsere Arbeitskraft ist die wichtigste, heiligste Ressource.
Liebe, laaaangsaaame Grüße
Tim
Was für ein wunderbarer Artikel!
Ich glaube, den meisten Menschen ist gar nicht klar, wieviel Kraft dabei verloren geht, wenn sie sich beeilen.
Man kann das leicht testen. Du brauchst für diesen Test eine zweite Person.
1. Zunächst checke, wie stark dein Deltamuskel am Anfang ist. Hebe dafür deinen gestreckten Arm seitwärts bis zur Waagerechten. Die zweite Person übt dabei Druck auf deinen Unterarm aus und versucht, den Arm herunterzudrücken.
2. Nimm dir vor, ans andere Ende des Zimmers zu gehen und tue es.
3. Wiederhole den Test. In der Regel wirst du feststellen, dass deine Kraft schon durch diese kurze Strecke erheblich nachgelassen hat.
4. Dreh dich um und gehe zurück. Diesmal spüre bei jedem Schritt, wie dein Fuß den Boden berührt, wie du ihn abrollst hebst und wieder aufsetzt.
5. Wenn du angekommen bist, wiederhole den Test. Wie stark bist du jetzt? Die meisten sind jetzt deutlich stärker.
Nur das Ziel im Auge zu haben und schnell, schnell etwas zu machen, raubt unglaublich Kraft.
Viel Spaß beim Ausprobieren!
Christiane