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Text von: Romy Hausmann

„Allein“ ist wohl ein ekliges Wort. Es muss komisch schmecken, sehr sauer oder extrem bitter. Zumindest verziehen viele Menschen das Gesicht, wenn sie es aussprechen. „Allein“ schmeckt nicht gut. Von „allein“ möchte man keinen Nachschlag. Von „allein“ möchte man im besten Fall nicht einmal probieren.

„Du willst allein in den Urlaub fliegen? Nach Neuseeland?“

„Ja.“

„Alleine? Echt jetzt? Ernsthaft?“

Das scheint nicht nur eklig zu sein, sondern schier unfassbar. Ja, ich möchte alleine nach Neuseeland fliegen. Echt jetzt. Ernsthaft.

Lieber zu zweit in Bottrop als alleine nach Neuseeland?

Gesellschaftlich ist es völlig okay zu sagen: „Ich verbringe den Abend allein Zuhause. Auf der Couch. Mit Mikrowellen-Lasagne und Netflix.“ Doch sobald „allein“ außerhalb der eigenen vier Wände stattfindet, provoziert es diese seltsamen Blicke. Und vor allem: Unverständnis.

Als Menschen sind wir schließlich von Natur aus Rudeltiere. Die Herde braucht einander, nur so läuft der Laden. Schon rein evolutionstechnisch wäre ziemlich schnell Schluss gewesen, hätte die Amöbe aufs Alleinsein bestanden und sich nicht rechtzeitig ein Adäquat zum Paaren gesucht.

„Allein“ ist nicht normal – und „allein“ und öffentlich, das geht schon mal gar nicht. Der Mann, der im Restaurant allein am Tisch sitzt. Die Frau, die sonntagnachmittags allein ins Museum geht. Und ich, die alleine nach Neuseeland fliegen will – wahrscheinlich alles arme, einsame Säue, ohne Freunde, aber dafür bestimmt mit ner fetten Depression. Alleinsein kann doch gar nicht glücklich machen. Oder?

Hier sind ein paar gute Gründe, dem Alleinsein doch (ab und zu) eine Chance zu geben.

Alleinsein macht Dich gesund

Kaum aus dem Bett, schon das Handy gecheckt und ein paar Likes auf Facebook verteilt. Frühstück im Stehen (ach, was soll‘s, ne Kippe reicht), dann los, zackzack, es ist schon spät, puh, grade noch so die U-Bahn erwischt. Dort: Gedrängel, Geschubse und Stimmgewirr. In der Arbeit wird’s nicht besser. Der erste Kollege steht schon parat. Der Chef will Lösungen. Zur Mittagspause fühlen wir uns wie Rocky, der bis zur Erschöpfung gegen Schweinehälften geboxt hat.

So geht das weiter, den ganzen Tag lang. Reizüberflutung, Geräusche, Menschen, Erwartungen, Druck. Dazu kommen die sozialen Verpflichtungen (wenn wir denn welche haben): der Geburtstag des besten Freundes, der Ausflug mit dem Kegelklub, Karaoke-Abend mit der Gang. Klar macht uns das Spaß – so richtig zur Ruhe kommen wir dabei aber nicht.

Die TU Dresden hat in diesem Zusammenhang bei einer psychologischen Studie festgestellt, dass die hochgelobte Work-Life-Balance allein gar nicht ausreicht. Was es neben Arbeit und sozialer Freizeit ebenso brauche, sei „Selbstzeit“. Und die Befragten, die damit aufwarten konnten, litten nachweislich am seltensten unter körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen. Diese ganz eigene Zeit sei übrigens auch nicht durch die gemeinsame Zeit mit anderen ersetzbar. (Selbst dann nicht, wenn Deine Freunde Deiner überaus überzeugenden Karaoke-Version von „All by myself“ heftig applaudieren und Deine Seele streicheln. „Sagenhaft, Manni, wie Du da auf der Bühne standst! Als hättest Du es richtig gefühlt!“)

Ob wir unsere „Selbstzeit“ mit einem entspannenden Bad daheim verbringen oder alleine ins Museum gehen, macht dabei keinen Unterschied. Wichtig ist, Zeit und Raum für uns selbst zu schaffen, um runterzukommen. Um Kraft zu tanken. Zu reflektieren. Gedanken nachzuhängen. Persönliche Entscheidungen zu treffen. Und warum sollte eine Frau, die sich für Kunst interessiert, dies nicht sonntagnachmittags im Museum tun? Und warum muss der Mann, der allein im Restaurant sitzt, ein einsamer Sonderling sein? Er könnte genauso gut ein ziemlich selbstbewusster Typ sein, der sich einfach nur ein gutes Essen gönnt. Alles das ist Selbstfürsorge – und ziemlich gesund.

Alleinsein kann Träume erfüllen

Ich träume also von Neuseeland. Seit Jahren schon. Und jetzt hätte ich die Möglichkeit, mir diesen Traum zu erfüllen. Meine beste Freundin sagt, sie würde zwar gerne mitkommen, nur habe sie momentan nicht das Geld dafür und ihr Jahresurlaub sei auch schon aufgebraucht. Okay, und nun? Ich könnte noch ein Jahr warten und hoffen, dass es dann klappt. Ich könnte mich ja so lange weiter durch die Google-Bildersuche klicken, hach, Neuseeland, was wär‘ das schön! Ich könnte auch noch zwei Jahre warten, falls nächstes Jahr doch wieder etwas dazwischenkommt (vielleicht nicht mal bei meiner Freundin, sondern bei mir selbst). Ich könnte sehr, seeeehr lange warten – bis zu diesem einen Tag, an dem ich mir eingestehen müsste, dass aus dem Traum eine ungenutzte Möglichkeit geworden ist, weil ich inzwischen zu alt für so eine weite Reise bin. Und das alles nur, weil ich bei anderen Leuten keinen komischen Eindruck erwecken wollte. Wenn ich das so durchspiele, verpasst mir Mark Twain in meiner Vorstellung eine zünftige Nackenschelle:

„In 20 Jahren wirst du eher die Dinge bereuen, die du nicht getan hast, als die Dinge, die du getan hast. Also mach die Leinen los. Verlass den sicheren Hafen. Fang den Passatwind mit deinen Segeln ein. Erforsche. Träume. Entdecke.“

Notfalls auch mal alleine.

Alleinsein kann Dich stärker machen

Es wird Zeiten geben, in denen wir allein sein werden – ob wir wollen oder nicht: Familien sind heutzutage oft klein und leben weit verstreut („Mensch, Klausi, jetzt komm doch endlich mal wieder die Mutti besuchen!“). Beziehungen werden gewechselt wie Socken. Wir müssen aus beruflichen Gründen in eine andere Stadt ziehen. Wir werden, im besten Fall, sehr alt – nur altern wir eben nicht zwangsläufig zu zweit. Der Partner stirbt uns weg. Sämtliche Freunde liegen auch schon drei Meter unter den Stiefmütterchen. Jetzt wird aus dem Alleinsein sehr schnell etwas anderes wirklich Schlimmes – nämlich Einsamkeit. Und die zu ertragen, wenn man vorher nie gelernt hat, es wenigstens mal für eine Weile nur mit sich selbst auszuhalten, ist sicherlich noch um einiges schwerer.

Also packe ich meinen Koffer für Neuseeland.

„Aber wirst Du da nicht einsam sein, so ganz allein?“

Nicht unbedingt. Denn zwischen „allein“ und „einsam“ gibt es glücklicherweise noch einen Unterschied: Ich bin allein, wenn kein anderer um mich herum ist – das kann eine Bereicherung sein. Einsam dagegen bin ich, wenn ich andere um mich herum vermisse. Und das ist keine Bereicherung, sondern ein Mangel.

„Allein“ mag für viele von uns ein ekelhaftes Wort sein, um einen Dauerzustand zu beschreiben. Für eine kurze Auszeit taugt es aber vielleicht ganz gut.

Mehr unter 5 Gründe, die Kunst des Alleinseins zu üben.

Photo: Carmela Nava