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Text von: Romy Hausmann

Als Praktikantin, später Redakteurin beim Fernsehen gehörten Überstunden zu meinem Standard-Programm wie für manchen Zuschauer die Tagesschau. Samstag und Sonntag unterschieden sich für mich von den restlichen Wochentagen höchstens in der Feststellung, dass die U-Bahn, mit der ich meinen Weg zur Firma bestritt, weniger überfüllt war. Ich war im Büro oder bei Dreharbeiten oder ich saß im Schnitt. Und das fühlte sich richtig an. Wer Karriere machen will, macht das so. Hat ja auch schon die Omma immer gesagt: Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Aber Überstunden-Jahre oft eben schon.

Und schließlich wollte ich Karriere machen. Die Beste sein, der personifizierte Quoten-Hit – das war mein großer Traum. Einige Jahre später hatte er sich erfüllt: Als Redaktionsleiterin verantwortete ich nun ein eigenes Fernsehformat und hatte an die zehn Redakteure unter mir. Und ich stellte fest, dass es eben nicht so war, wie ich einige Jahre zuvor noch gedacht hatte: Wenn Du nur erst mal fest im Sattel sitzt, kannst du es dann bestimmt auch ein bisschen gemächlicher angehen. Trab statt Schweinsgalopp sozusagen. Immerhin hatte ich ja nun zehn Redakteure, die mir zuarbeiteten, statt meiner auf Dreh gehen oder im Schnitt sitzen konnten. Ich wäre natürlich erreichbar, wenn es Probleme gäbe .– kein Ding. Der Empfang in meiner Hängematte auf der Sonnenterasse meines schicken, neuen Münchner Lofts wäre schließlich astrein. Und ich hätte selbstverständlich auch prima eine Hand frei, um mir das Handy ans Ohr zu drücken, während ich in der anderen Hand einen kühlen Schirmchen-Drink halten würde.

Wäre – hätte – könnte – würde. Du merkst schon, dass meine Vorstellungen sich weiterhin im Konjunktiv abspielten, nette Theorie blieben. In der weniger netten Praxis saß ich nämlich immer noch im Büro. Ohne Feierabend, ohne Wochenende, ohne Schirmchen-Drink in der Hand (höchstens mit dem zehnten Becher Kaffee, um mich wachzuhalten).

„Wenn Du doch so erfolgreich bist…

… warum arbeitest Du eigentlich immer noch 70 Stunden pro Woche?“ Diese Frage las ich kürzlich in einem Artikel von Laura Empson, die als Professorin an der London University lehrt und sich in einer Forschungsarbeit genau diesem Phänomen widmet. Menschen in Führungspositionen, Spitzenkräfte, die es doch bereits „geschafft“ haben – und trotzdem nicht kürzertreten (können? Wollen? Dürfen?). 500 Interviews führte Laura dazu – und die mehrheitliche Antwort, die sie von ihren Interviewpartnern erhielt, war – Achtung! – UNSICHERHEIT.

Ein erfolgreicher Anwalt zum Beispiel berichtete Laura: „Ich arbeite so hart ich kann. Ich denke schon, dass ich einen guten Job mache, aber das ist halt so schwer messbar. Alles oder nichts – darum geht es doch. Und wir haben ständig Angst, beim „Nichts“ zu landen.“ Daraus entstehe wohl eine grundsätzliche Unsicherheit, die nur allzu menschlich sei.

Und genau das bleiben wir ja schließlich weiterhin: Menschen. Selbst wenn wir statt lässigen T-Shirts nun weiße Hemden mit gestärkten Krägen oder auf Figur geschneiderte Kostümchen tragen. Selbst wenn das Konto aus allen Nähten platzt und in unseren Briefkästen neben dem Flyer für den Pizza-Lieferservice nun auch Briefe von der Bank mit lukrativen Anlageangeboten landen, die allesamt mit „Sehr verehrte/r gehuldigte/r Lieblings-Kunde/in“ beginnen. Wir bleiben Menschen mit all unseren menschlichen (Existenz-)Ängsten und Befürchtungen. Ja, momentan läuft der Hase ziemlich rund. Aber uns graust jetzt schon vor dem Moment, wo der Hase einmal unglücklich danebentritt und in ein tiefes Erdloch stürzt, aus dem er nicht mehr herausfindet. Wir wissen, dass nichts von Dauer ist – und diese Angst werden wir nicht so einfach los. Sie bleibt und lässt sich nicht einfach wegarbeiten, nicht mit 40 und nicht mit 70 Stunden in der Woche. Denn sie liegt nicht auf dem Schreibtisch, sondern in unserm Inneren.

Hätte Laura mich damals befragt, wäre meine Antwort vielleicht ähnlich ausgefallen. Auch ich war wohl einfach unsicher. Reichten acht Stunden pro Tag an fünf Tagen der Woche, um einen Job zu machen, der die Erwartungen meiner Vorgesetzten erfüllten? Oder hätten sie gedacht, dass ich nun, da ich eine bessere Position hatte, anfangen würde, die Dinge schleifen zu lassen? Konnte man diesen Job überhaupt mit Chill-Attitüde und Mindestmaß erledigen?

Was mich außerdem antrieb, war ein Verantwortungsgefühl. Vielleicht auch der Gedanke, dass ich von meinen Redakteuren nichts verlangen konnte, was ich selbst nicht zu leisten bereit wäre. Und ja, vielleicht auch die – wahrscheinlich ziemlich doofe – Überzeugung, dass der Laden ohne mich doch sowieso nicht laufen würde. Auf dem Höhepunkt dieses Denkens schlief ich übrigens im Weihnachtsgottesdienst ein, angeblich inklusive eines lautstarken Dreifach-Grunz-Schnarchers während der Pfarrer feierlich den Segen aussprach.

Die Wahrheit ist: Ich habe nicht einmal versucht, etwas zu verändern. Und vielleicht ist genau das die Krux.

Überstunden, selbst gemacht

Es gibt sicherlich viele Jobs, bei denen man über Überstunden gar nicht zu diskutieren braucht. In Pflegeberufen, bei der Polizei. In vielen anderen allerdings steht doch oft gar kein Chef im Türrahmen und sagt: „Frau Müller-Meyer-Schulze, Sie müssen heute länger bleiben. Der Vorstand erwartet Ihren Bericht morgen früh um acht.“ Da verweigert der Chef doch gar nicht den Urlaubsantrag, den wir ihm mit zitternden Händen über den Schreibtisch reichen wollen. Das sind doch ganz oft wir selbst, die Stunde um Stunde dranhängen, aus inzwischen purer Gewohnheit, gespeist durch unsere Unsicherheiten.

Aber vielleicht können wir da ansetzen. Uns zuerst einmal klarmachen, dass wir den Job bekommen haben, eben genau weil da vorgesetzte Menschen sind, die ihn uns zutrauen. Allein das sollte uns doch schon ein bisschen mehr Selbstvertrauen geben, findest Du nicht? Und vielleicht werfen wir auch noch mal einen Blick auf unser Zeitmanagement. Haben wir eine Prioritäten-Liste für den Tag oder arbeiten wir zu oft ins Blaue hinein? Lenken wir uns zwischendurch zu oft ab und schaffen daher unser Pensum nicht? Rutscht zwischen zwei Meetings dann eben vielleicht doch noch das ein oder andere süße Katzenvideo auf Facebook? Ist der Gang in die Kaffeeküche standardmäßig mit einem halbstündigen Pläuschchen mit der Lieblingskollegin verbunden? Sich die kleinen Fluchten und eigenen Brems-Mechanismen einzugestehen, kratzt manchmal ganz schön am Ego (ging zumindest mir so), ist aber nötig, wenn wir wirklich etwas verändern wollen.

Weniger arbeiten heißt nicht automatisch faul zu sein

Dass dasselbe Pensum oft auch mit weniger Zeitaufwand zu bewältigen ist, zeigt ein Beispiel aus den USA: Ein Paddleboard-Hersteller aus San Diego, Stephan Aarstol, wagte 2015 ein Experiment, das bei seiner Firma inzwischen zum Standard geworden ist. Aarstol hat erkannt, dass sich das Energielevel eines Arbeitsnehmers über acht Stunden oder mehr pro Tag einfach nicht aufrechterhalten lässt. Die Konsequenz: Der Arbeitstag wird voll von unproduktiven Phasen (alias „Katzenvideo-Phasen“). Also ließ er seine Angestellten nur noch fünf Stunden pro Tag arbeiten, bei vollem Lohnausgleich plus Gewinnbeteiligung. Eine klare Ansage vom Chef gab’s aber auch noch dazu: Wer glaube, sein Pensum in dieser Zeit nicht bewältigen zu können, solle kündigen.

Gekündigt hat letztlich keiner. Geweint über die krasse Ansage des Chefs aber auch nicht. Das Ergebnis vielmehr: Die Umsätze der Firma sind seit der Umstellung auf den fünf-Stunden-Tag um 40 Prozent gewachsen, und die Mitarbeiter sind durch die Bank weg happy.

Und wohin nun mit der Unsicherheit?

Laura Empson empfiehlt einen liebevollen Blick auf die eigenen Unsicherheiten. Sie sagt: „Deine Unsicherheiten haben Dir geholfen, heute da zu sein, wo Du bist. Aber funktioniert das System auch jetzt noch für Dich? Vielleicht ist es an der Zeit, Dir bewusst zu machen, dass Du etwas erreicht hast und die ganze Erfahrung ein bisschen mehr zu genießen. Lerne zu unterscheiden, wann Überstunden wirklich nötig sind, aber lasse sie nicht zur Gewohnheit werden, weil Du schlichtweg verlernt hast, dass man auch anders arbeiten und leben kann. Und bitte, verurteile keine Kollegen, die weniger arbeiten als Du – vielleicht haben sie längst etwas begriffen, dass Du noch lernen musst.“

Mehr unter Warum Du so erschöpft bist (der schmerzhafte wahre Grund).

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