Teile diesen Beitrag "Mein Leben ist besser, seit ich unheilbar krank bin"
Text von: Lena Schulte
Ich putze ein bisschen und werde vom Laster überfahren. Ich gehe einkaufen, doch auf einmal sehe ich nichts mehr. Meine Augen ersticken und röcheln. Lehm strömt in einer zähen Lavamasse durch mein Gehirn und verklebt jeden klaren Gedanken. Währenddessen schleudere ich immer wieder um meine eigene Achse. Wie ein Spanferkel auf Ecstasy. Einzig das glühende Messer, das wie ein Rammbock einmal quer durch mich geschossen ist, hält mich noch.
Und es ist noch nicht einmal Mittag.
Es wird nicht weggehen. Niemals. Zumindest, wenn die Medizin Recht behält. Diese Seuche in mir, die mich regelmäßig überfährt, verklebt und mir Rammböcke durch den Leib jagt, bleibt. Sie hat mich aus meinem eigenen Körper rausgeworfen. Mich und meine Zukunft obdachlos gemacht. Und wenn mir jemand vor ein paar Jahren gesagt hätte, dass genau das mein Leben besser machen wird, dann wäre ich persönlich zum Rammbock geworden. Aber irgendwo zwischen Abkotzen, Hoffnungslosigkeit und schlaflos im Prenzlauer Berg erkannte ich irgendwann die andere Seite der Alternativlosigkeit.
Es gibt keine Alternative mehr zur Gegenwart
Ich kann mir den „wenn ich bereit dazu bin“-, „wenn ich es mir leisten kann“-, „ich würde ja schon gerne, aber…“-Luxus, mit dem ich viel zu viel gesunde Lebenszeit verplempert habe, nicht mehr leisten. Ich weiß nicht einmal, ob ich mich heute den ganzen Tag auf den Beinen halten kann, ich habe also definitiv keine Zeit mehr dafür, mir irgendeinen Scheiß zu erzählen, warum ich meine Träume zumindest nicht einmal versuchen sollte. Die Lebenszeit, in der ich mich ansatzweise wie ein Mensch fühle, muss verdichtet sein. Ich muss mir immer wieder Möglichkeiten suchen, meine Zeit maximal auszudehnen. Das geht am besten, wenn ich etwas Neues erlebe, fernab von dem, was ich bereits kenne.
Ich muss mir also in den Arsch treten. Immer wieder. Und schlussendlich muss ich mich einfach in meine kalte Angst reinwerfen und es ertragen, dass ich vielleicht auf einem Reisfeld in Indonesien halb verrecken werde, weil die medizinische Versorgung, die ich im Fall der Fälle schnell brauche, einfach nicht da ist. Aber dafür kann ich nun sagen, dass ich mich auf den Weg gemacht habe. Raus aus meinen flauschig romantischen Tagträumen (iiiirgendwann mal allein die Welt zu bereisen), über die Brücke der tausend Panikattacken, vorbei an der „Fuck, du bist noch nicht bereit dazu“-Beschilderung, unter den „Buh“-Rufen der „Sei doch realistisch, Kind“-Fraktion und mit so zitternden Beinen, dass ich immer wieder regelmäßig hinfalle. Aber immerhin. Bis ans andere Ende der Welt habe ich es geschafft. Auch wenn es bei weitem nicht immer flauschig war. Oder romantisch (Alejandro, du feuriger, spanischer Lügner, du hast gesagt, ich wäre die einzige Frau auf der Welt, mit der du so tanzt!).
Waschtag ohne Alejandro…
Wichtige Entscheidungen konsequent zu treffen, jetzt zu treffen, nicht morgen, nicht wenn ich bereit dazu bin, nicht wenn die Angst weg ist – das ist für mich die einzige Alternative zum seelischen Kompostieren. Zeit ist meine wichtigste Währung geworden, im großen Stil Larifari zu betreiben, würde mich in den finanziellen Ruin stürzen. Ich muss wissen, ob die Menschen, mit denen ich meine Zeit verbringe gut für mich sind. Und ich muss mich immer wieder fragen, ob ich selbst gut genug zu ihnen bin. Ich bin hochgradig auf innige, vertraute und gute Beziehungen angewiesen – immerhin will ich im Ernstfall gewaschen werden und ein bisschen Brot in mein Bettchen geworfen bekommen. Das ist, auch unabhängig von individuellen Seuchenplagen, eine der besten Fragen, die man sich, meiner Meinung nach, in Bezug auf Qualitätsbeziehungen stellen kann:
Würde dieser Mensch mich waschen, wenn er müsste? Mir von seinem Essen abgeben, mich füttern, an meinem Bett sitzen und meine Hand halten, wenn ich mich vor lauter Schmerzen nicht mehr bewegen kann? Oder wünsche ich mich das nur? Wie muss ich jeden Tag mit meinen Mitmenschen umgehen, damit sie auch in schlechten Zeiten (gerne und nicht nur aus Pflichtgefühl) für mich da sind? Mit welcher Ethik muss ich generell anderen gegenüberstehen, auch wenn ich gerade eine schlechte Zeit durchmache?
Und die Moral von der Geschichte?
Wenn ich Dir jetzt sage, nutze den Tag, dann nickst du vielleicht verständnisvoll. Weil Du weißt, dass ich im Prinzip Recht habe. Aber sein wir ehrlich, im Endeffekt sind wir Gewohnheitstiere und ändern uns nicht mal eben nach einem ganz okay-en Text. Dafür ist er auch nicht da. Im Prinzip weißt Du nämlich alles, was ich hier erzähle. Du weißt, dass kaum etwas über „Hauptsache gesund“ geht. Und ich kenne es von mir selbst: Sobald ich länger als ein paar Tage hintereinander gesund bin, benehme ich mich auch gleich wieder so, als könnte mir keine Krankheit der Welt etwas anhaben. Als hätte ich Zeit. Als würde es andere treffen – und nicht mich. Ich verfange mich in Kleinigkeiten, rege mich über die Gören in der Straßenbahn auf. Und ganz ehrlich: Das tut ziemlich gut. Solche Dinge tun gesunde Menschen nämlich.
Sei froh, wenn Du Dich bei dem Gedanken ertappst, dass Deine Probleme schlimmer sein könnten. Dann geht es Dir noch gut genug und Du hast noch mehr als ausreichend Perspektiven. Du brauchst kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn es Dich nicht tröstet, dass es schlimmer sein könnte. Deine Probleme und Gedanken haben auch Relevanz, wenn Du Dich nicht gerade mit Krebskranken, Kriegsopfern oder hungernden Kindern vergleichst. Du bist wichtig, ob mit oder ohne Krankheit. Und wenn Du nicht jeden Tag carpe diem bis zum Gehtnichtmehr machst, ist das auch völlig okay. Du musst nicht jeden Tag vor lauter Dankbarkeit auf die Knie fallen und Deine Gesundheit bejubeln.
Es reicht vielleicht schon, wenn Du bei wichtigen Entscheidungen daran denkst, dass Deine Gesundheit keine Garantie besitzt. Es reicht, wenn Du Dich ab und zu fragst, ob Du genau so leben würdest, wenn Du heute in einem Jahr ganz sicher selbst das Spanferkel auf Ecstasy wärst. Es reicht, wenn Du noch netter, aufmerksamer und freundlicher zu Dir selbst und zu anderen bist. Dann bist Du auf jeden Fall schon einmal gut gewappnet, falls Dein Körper irgendwann mal unfreundlich zu Dir wird. Aber ich wünsche Dir, dass Du gesund bleibst. Das wünsche ich Dir wirklich von ganzem Herzen.
Photo (oben): fiction of reality, Lizenz: CC BY 2.0
Liebe Lena,
Ich verstehe nicht, aus welcher Sicht dieser Text verfasst ist. Der Titel suggeriert, dass der Verfasser unheilbar krank ist. Der Text dagegen liest sich eher wie ein Stück, bei dem der Autor denkt, „so könne sich das anfühlen und ein Umgang damit aussehen“.
LG
Ich sehe es, wie „Maria“. Liest sich für mich, wie ein wirrer Versuch, eine merkwürdige Geschichte zu schreiben. So ein „Was wäre, wenn“ – Gespinnst. Was genau will uns Lena damit sagen ?! Ich finde keine Antwort.