Leben schmeckt nach Leid.
Mal bitter, mal sauer, mal salzig, mal brennend; mal sitzen wir einsam am Tisch, brutal einsam, und mal teilen wir uns mit anderen diese Suppe, die wir uns mal selbst eingebrockt haben und mal nicht.
Bis zum letzten Gericht gibt‘s auch immer wieder Süßes, keine Frage, mal nur einen flüchtigen Duft davon, mal eine Badewanne voll.
Doch der nächste Gang könnte wieder schwer zu schlucken und zu verdauen sein … und vielleicht bleibt er uns sogar im Hals stecken und das Ganze ist gelaufen, schon mitten im Hauptgang.
Warum schmeckt das Leben nach Leid?
Buddha sagt:
… weil auch die leckerste Speise irgendwann abgelaufen ist; weil sich alles ständig verändert; weil nichts bleibt
… und weil wir uns trotzdem immer wieder an etwas festhalten wollen.
Unermüdlich sind wir bei diesem Versuch. Unermüdlich wollen wir den Fluss einfrieren, die Blätter am Welken und die Wolken am Aufziehen hindern. Unermüdlich kämpfen wir gegen den Wandel an, dem unsere Gefühle, Gedanken, Beziehungen, Körper, Karrieren, unsere Leben und unsere Lieben unterworfen sind.
Vor allem halten wir fest an unseren Erwartungen, wie etwas zu sein und zu bleiben hat.
Ich, und Du womöglich auch?
Wenn Du leidest, ist daher die erste und wichtigste Frage:
Woran halte ich gerade fest?
Je mehr wir lernen, loszulassen, umso mehr können wir auskosten, was uns das Leben bietet.
Teil 1 von „Warum Du so leidest“ findest Du hier.
Photo: Nelson L.
Hey Tim,
super Tipp – das Loslassen – danke 😉
Ich habe gerade auf meinem Blog in den Kommentaren so eine Theorie geäußert, die auch was mit Leid zu tun hat:
„Ich stelle immer mehr fest, dass bei vielen Menschen aus scheinbarem Elend die nützlichsten und glücklichsten Dinge entstehen.
[…]
Mir geht es ähnlich. Ich war ebenfalls unzufrieden mit einem 0-8-15-Leben und den 0-8-15-Problemen und habe mich nach dem Sinn des ganzen gefragt. So ist meine Seite entstanden, die mir heute sehr viel gibt.
Ich glaube das ist ein Naturgesetz oder sowas. Es wird dir irgendein “Mangel” eingepflanzt, der dich motiviert ihn zu beseitigen und dein Glück zu finden.“
Es gibt ja auch zahlreiche Motivationstheorien dazu, die im Mangel die Ursache für Motivation sehen (Maslow’s Bedürfnispyramide zum Beispiel).
Was hältst du davon?
Liebe Grüße
Norman
Hi Norman,
Danke für Deinen Kommentar – und für Deine Mail von vorhin!
Ich hadere immer wieder mal damit, ob man wirklich unzufrieden sein muss; um voranzukommen. Bei mir war’s in der Vergangenheit zwar meistens so, und ich finde es auch schlüssig, dass negative Gefühle in der Regel mehr motivieren als positive. Aber es wäre doch schön, wenn’s die nicht oder nur sehr selten bräuchte, um etwas zu ändern.
Naja, vielleicht ist an der Stelle der genaue Grund für einen Wandel gar nicht so entscheidend, sondern dass gewandelt wird, oder?
LG
Tim
Hi Tim,
mal wieder ein sehr guter Artikel von dir. Ich schaue jetzt immer regelmäßiger hier vorbei 🙂
Ich tue mir mit dem Wort „Loslassen“ allerdings eher schwer. Das liegt vor allem daran, dass das bei „meinem“ Thema Trauer für mich ziemlich negativ besetzt ist. In einigen Trauerverarbeitungs-Ansätzen wird das verlangt: Lass den Verstorbenen los, streich ihn aus deinem Leben und schau wieder nach vorne. Das funktioniert aber (für mich) so nicht und ich finde einen neueren Ansatz viel hilfreicher, bei dem es darum geht, den Verstorbenen auf neue, andere Art in sein Leben zu integrieren, ihm quasi einen Platz zu geben, die Liebe zu wandeln und zu bewahren. Man könnte hier sagen, dass man den dringenden Wunsch loslässt, ihn wiederzuhaben als Menschen an seiner Seite. Hier geht es ja eigentlich vor allem um das Annehmen von dem, was ist. Man lässt das alte Leben, was man zusammen hatte, los, und macht sich auf den Weg in ein neues. Und das wiederum ist ja eigentlich genau das, was du selbst geschrieben hast. Dass es darum geht, die Vorstellung loszulassen, alles müsse immer so bleiben wie es jetzt ist bzw werden wie es in unserer Vorstellung sein sollte. Das klingt immer alles so einfach in der Theorie ..
Aus buddhistischer Sicht geht es soweit ich das verstehe darum, in erster Linie gar nicht anzuhaften an solche Dinge. Dann muss man auch gar nix mehr loslassen. Und in der Theorie stimmt das natürlich, ich würde weniger leiden bzw weniger trauern, wenn ich an meinen Freund nicht angehaftet hätte. Ich frage mich aber immer, wie man wirklich lieben und eine Beziehung führen kann, gänzlich ohne anzuhaften? Ist das überhaupt menschlich möglich (vor der Erleuchtung)? Und dann frage ich mich auch: ist das wirklich erstrebenswert?
Hi Silke,
freut mich sehr, dass Du myMONK regelmäßig etwas von Deiner Zeit schenkst!
Loslassen in der Trauer, wie Du es anfangs beschreibst – als „aus dem Leben streichen“ – damit kann ich auch nichts anfangen. Ich kann mir auch beim besten Willen nicht vorstellen, dass das funktioniert (was nichts heißen muss, weil ich absoluter Laie bin, vor allem, was das angeht).
Dein Ansatz fühlt sich auch für mich sehr viel stimmiger an. Die Erwartung loslassen, dass das alte Leben zurückkommt, und dafür sorgen, dass man den Menschen in neuer Form ins neue Leben mitnimmt … das finde ich sehr schön.
Ich selbst bin kein Buddhist und eine Beziehung, wie wir sie üblicherweise verstehen, kann vermutlich auch nicht ohne Anhaften gelingen. Liebe hingegen schon, denke ich. Ich für mich stelle mir die Frage weniger extrem, ich versuche eher, manche Gefühle in einer Beziehung wieder loszulassen und vor allem manche Erwartungen.
Ob es wirklich erstrebenswert ist, alles loszulassen … die Frage stelle ich mir auch; aber an der Frage allein siehet man ja eine Anhaftung, würden die Buddhisten vielleicht sagen. 🙂
LG
Tim
Ja, das stimmt. Buddhisten würden sagen, dass allein die Frage schon Anhaftung ist. Trotzdem empfinde ich dieses Konzept manchmal als zu losgelöst, zu distanzierend. Also manchmal denke ich, dass das dann auf eine ziemlich einsame Existenz hinauslaufen könnte. Ist Leben nicht dazu da, in Beziehung zu treten mit anderen? Da spricht jetzt aber wahrscheinlich doch wieder nur diese fiese Anhaftung aus mir .. 🙂 Ich stimme dir zu, dass man sich die Frage wahrscheinlich weniger extrem stellen und eben Schritt für Schritt einige Dinge oder Erwartungen loslassen sollte, die einem immer wieder Leid bereiten. Und wenn man ein paar Schritte in diese Richtung gegangen ist, merkt man vielleicht, dass sich ein paar mehr auch lohnen bzw dass sie dann auch möglich sind. Auf jeden Fall finde ich den Ansatz sehr interessant, sich immer wieder bewusst die Frage zu stellen, woran man gerade festhält.
Das hast du übrigens sehr treffend und schön formuliert: „Die Erwartung loslassen, dass das alte Leben zurückkommt, und dafür sorgen, dass man den Menschen in neuer Form ins neue Leben mitnimmt“ – danke dafür.
Hi Tim,
schöne Worte. Ich denke es ist in der heutigen Zeit immer schwerer loszulassen. Es gibt einfach so viele Einflüsse in unserer Konsumgesellschaft, dass es mir sehr schwer fällt nicht daran festzuhalten.
Ich habe kürzlich noch ein schönes Zitat gefunden. Glück ist Realität minus Erwartungen. Das war für mich sehr wichtig zu lernen meine eigenen Erwartungen und die Erwartungen anderer loslassen zu können.
Gruß Björn
Hi Björn,
Danke für Deinen Kommentar.
Der Spruch ist hervorragend, danke dafür!
Ich glaube, dass es auch beim Loslassen die kleinen Schritte sind, die das meiste bringen. Was genau fällt Dir denn schwer loszulassen, den Wunsch nach Status, nach Geld, nach Karriere; das Gefühl oder die Angst, ohne all das weniger wert zu sein?
LG
Tim
Plädoyer für eine tiefere Auseinandersetzung mit Loslassen!
Mit Verlaub, das was meist über Loslassen im angeblich buddhistischen Sinn geschrieben wird ist in meinen Augen Pop-Buddhismus, leicht zu transportieren, aber es fehlt an Tiefe… und oft stimmt es einfach nicht.
Ich bin kein Experte, aber ich beschäftige mich denke ich schon lange genug mit Buddhismus, dass ich sagen kann, dass es nicht darum geht gänzlich Wüsche, Ziele und Erwartungen loszulassen! Vielmehr geht es um die Beziehung zu diesen Wünschen, Zielen und Erwartungen. Ist es tatsächlich ein Wunsch,… oder ist es eine Forderung. Kann ich nur glücklich werden wenn dies und jenes eintrifft, oder kann ich auch glücklich sein wenn es nicht eintrifft.
Loslassen ist vor allem dann angebracht, wenn die Realität nicht den Erwartungen,… entspricht und auch nicht entsprechen wird (und das zu Leiden führt). Und unsere Erwartungen, Wünsche, Ziele entsprechen dann nicht der Realität wenn…
– wir etwas dauerhaft/unveränderlich haben wollen
– wir zu hohe Maßstäbe ansetzen (mitunter Perfektion)
– wir etwas oder jemanden Eigenschaften oder Verhaltensweisen zusprechen, welche diese unter Umständen nicht haben (Dich selbst eingeschlossen)
Die Liste ist wahrscheinlich nicht vollständig, zeigt so denke ich, aber gängige Gründe auf.
Buddhisten selbst haben ebenso Wünsche, Ziele… die sie mit Nachdruck verfolgen. Der offensichtlichste ist das Leid zu überwinden, Erleuchtung zu erlangen. Im Mahayana Buddhismus geht es sogar soweit, dass alle Wesen Erleuchtung finden…
Vielleicht ist noch zu erwähnen, dass es eben „heilsame“ und „unheilsame“ Ziele, Wünsche,.. gibt. Die „unheilsamen“ loszulassen wäre insofern auch ein Ziel, allerdings die „heilsamen“ ebenso mit Nachdruck zu verfolgen.
Also bitte, verfallt nicht diesem oberflächlichen Pop-Buddhismus, das führt eher zur Verwirrung, falschen Annahmen und möglicherweise sogar zu mehr Leid.
lg
Wie wahr, Flex. Auch extremes Loslassen Wollen ist etwas, das wir loslassen sollten. Auch dies entstammt nicht der inneren Stimme und folgt nicht einem stimmigen Weg, der wenig Extreme in zum Ziel nimmt.
Hallo Richard,
da bin ich voll bei Dir! Und gerade der Buddhismus wird nicht ohne Grund der „Mittlere Weg“ genannt. Leider scheint es mir aber so, dass einfach Schlagwörter aufgegriffen und diese oft fehlinterpretiert werden. Neben Loslassen ist auch das im „Hier und Jetzt“ Leben so ein Geschichte, die im Augenblick gerne aufgegriffen wird, ohne ein tieferes Verständnis dafür zu haben und als Extrem dargestellt wird…
lg
Der Kopfmensch denkt eben hauptsächlich in Extremen. Das Abwägen und das komplizierte Sowohl als Auch kennt er nicht sehr, hält viel von seiner binären Logik, schaut zuweilen auch herab auf die unentschlossen anmutenden Menschen, die Stimmigkeit brauchen. Gleichwohl möchte er anwenden, was andere als Weg erkannt haben und macht sogleich einen Plan und erwartet Ergebnisse.