Teile diesen Beitrag "Verbale Attacken: Die 11 Arten, wie Worte verletzen können"
Text von: Christina Fischer
Am Anfang war es nur ein Flüstern aus der letzten Reihe: „Streber!“
Dieses eine Wort trat eine Lawine weiterer Worte los, die mich verletzten, egal, ob sie hinter meinem Rücken geflüstert oder mir ins Gesicht gesagt wurden, ob sie bloße Anspielungen, wie Witze verkleidet oder offene Beleidigungen waren. Ich selbst versuchte zurückzuschlagen, wortwörtlich schlag-fertig zu sein. Machte verbale Verrenkungen, die ausweichen, abwiegeln, ablenken sollten. Machte Witze über mich, versuchte mitzulachen oder gar nichts zu sagen. Immer war es als stünde ich im Kugelhagel und hechtete von einem Schutzwall zum nächsten.
„Worte sind geladene Pistolen“ sagte Jean-Paul Sartre.
Oft sitzen diese geladenen Wort-Pistolen lockerer in unserem Pistolengürtel als im klischeehaftesten Western. Schneller als unser Schatten ziehen und zielen wir auf unser Gegenüber und oft ist jeder Schuss, der sitzen soll, auch ein Treffer. Worte können Waffen sein, die aus der Ferne treffen, ein Stich ins Herz oder ein Dolchstoß in den Rücken. Manchmal sind Worte aber auch wie Gift, das Tropfen für Tropfen verabreicht wird und erst mit der Zeit seine vernichtende Wirkung entfaltet. Wir haben es also sogar mit einem ganzen Wort-Waffen-Arsenal zu tun.
Eine Frage der Macht
Im Zentrum verbaler Gewalt steht oft der Wunsch nach Machtausübung über den anderen, schreibt Patricia Evans in ihrem Buch „Worte, die wie Schläge sind“. Ob ein Partner versucht den anderen zu dominieren, der eine Kollege den anderen klein machen will, um sich selbst größer zu fühlen oder ob es im Wortscharmützel einfach um die Hackordnung innerhalb der Clique geht – Wortgefechte sind in aller Regel Machtspielchen. Mit etwas Aufmerksamkeit können wir die verbalen Attacken jedoch erkennen und ihnen so vielleicht ihre Wucht nehmen. Neben den auffälligeren Versionen verbaler Gewalt wie Schreien, Drohen und Beleidigen, hat Evans noch folgende verbalen Angriffe identifiziert.
1. Vorenthaltung
Nicht jeder muss das Herz auf der Zunge tragen. Doch wer zu viele Gedanken, Gefühle und Informationen zurückhält, schafft Distanz statt Nähe, vor allem dann, wenn das absichtlich geschieht. Wenn jemand andauernd Dinge zurückhält und absichtlich verschweigt, signalisiert das: „Ich vertraue Dir nicht genug, um mich Dir mitzuteilen.“ Das verletzt und macht auf Dauer einsam.
2. Ständiges Kontern
„Der Film war echt gut oder?“
„Leidest Du an Geschmacksverirrung? Der war doch mies!“
Wenn Du solche oder ähnliche Gespräche (zu) oft mit jemandem führst, kann das bedeuten, dass Du es mit einem notorischen Konterer zu tun hast. Jede Aussage des anderen wird hier als falsch oder unsinnig abgeschmettert. Im schlimmsten Fall hast Du irgendwann Angst, überhaupt noch etwas zu sagen und stellst Deinen Geschmack, Humor oder Intellekt generell in Frage.
3. Herabsetzung
Die Herabsetzung ist der Entwaffnungs-Zauber unter den verbalen Attacken. Du sollst glauben, dass Du selbst schuld daran bist, wenn Dich die Äußerung von jemand anderem verletzt. Typische Herabsetzungs-Manöver: „Sei doch nicht so empfindlich“, „Das bildest Du Dir ein“ oder der Klassiker: „Du machst aus einer Mücke einen Elefanten.“
4. Verletzende Scherze
Dass ein Witz auch einmal auf die eigenen Kosten geht, kommt vor. Manchmal ist uns dabei jedoch so gar nicht zum Lachen. Möglicherweise wissen wir noch nicht einmal warum, weil: „War doch nur ein Scherz!“ und „Mach Dich doch mal locker!“ Doch wenn ein Witz verletzt, steckt dahinter meist etwas anderes: Eine Beleidigung im Scherz-Pelz.
5. Abblocken und Ablenken
Wer Abblocken und Ablenken praktiziert, der will die Fäden der Unterhaltung unbedingt in der Hand behalten. Unerwünschte Themen werden direkt mit einem Satz wie „Ich hab keine Lust, schon wieder darüber zu reden“ abgewatscht und das Gespräch wird auf ein bevorzugteres Themengebiet umgelenkt. Für den, der ständig abgeblockt wird, bedeutet das: „Mein Anliegen ist nicht wichtig genug“. Im schlimmsten Fall sogar: „Ich bin nicht wichtig.“
6. Beschuldigen
Es kann angenehm sein, die Schuld dezent jemand anderem in die Schuhe schieben zu können. Gern sogar für etwas, das außerhalb seiner Kontrolle liegt oder ganz einfach nichts mit ihm zu tun hat. Beispielsweise: „Ich bin nur so dick, weil Du ständig vor meinen Augen Süßigkeiten isst“ oder „Hättest Du mich nicht immer abgelenkt, wäre ich nicht durch die Prüfung gerasselt“.
7. Verurteilungen und destruktive Kritik
Auch angebrachte Kritik kann bisweilen schwer im Magen liegen, doch hier handelt es sich eher um einen Schlag in die Magengrube. Destruktive Kritik hilft niemandem dabei, etwas zu verbessern. Sie soll einfach nur weh tun und kommt meist als Pauschalurteil daher. „Nie hörst Du zu“ oder „Du bist immer gleich eingeschnappt“ heißt es dann beispielsweise. Was Du im schlimmsten Fall daraus schließen könntest, ist: „Ich bin nicht ok so, wie ich bin.“
8. Herunterspielen
Endlich hast Du den Abschluss in der Tasche, den Verlobungsring am Finger oder die heißersehnte Jobzusage in den Händen. Und von Deinem Gegenüber kommt lediglich augenrollend: „Das wurde ja auch mal Zeit.“ Solche Sätze wirken wie Gewichte an den Mundwinkeln und können Deine Freude im Nu pulverisieren. Wer diese Waffe einsetzt, mag sich vielleicht sagen, er habe Dich nur von Deinem hohen Ross runterholen wollen. Tatsächlich geht es aber nur um eines: Eer (oder sie) kann Dir etwas einfach nicht gönnen.
9. Entmutigen
Voller Motivation soll es an ein neues Projekt gehen, die Schaffenskraft brodelt am Siedepunkt. Und ausgerechnet dann hat jemand die kalte Dusche parat: „Das ist doch nichts Neues“, „Und was ist daran jetzt toll?“ oder „Das klappt doch eh nicht“ heißt es dann. Solche Sätze gehen direkt aufs Selbstzweifel-Konto und sollen absichtlich schwächen und ausbremsen. Vielleicht weil jemand nicht ertragen kann, wie Du durchstartest, während er selbst den Hintern nicht hochbekommt.
10. Befehlen
„Der laute Ton ist hier Gang und Gäbe“, sagte einmal ein Akteur einer zweifelhaften Reality-Sendung. Tatsächlich kann das schneller gehen, als einem lieb ist. Von „Hol mir mal ein Bier!“ kann es manchmal nur ein Katzensprung bis „Halt’ die Schnauze!“ sein. Wer jemand anderem Befehle erteilt, übt klar einen Machtanspruch aus.
11. Leugnen
„Nein, ich habe nie behauptet, dass Du dumm bist!“ – solche Sätze können pures Gift sein, vor allem dann, wenn Dir die vermeintliche Behauptung noch deutlich in den Ohren klingt. Zu behaupten, etwas, das Dich verletzt hat, sei nie vorgefallen, ist feige. Der „Täter“ weist nicht nur die Schuld von sich, sondern verleugnet, dass überhaupt etwas vorgefallen ist – und das ist verdammt frustrierend.
Wie du verbale Attacken erkennen kannst
Nicht immer sind Wort-Angriffe offensichtlich, denn die Attacken können als Anspielungen, Witze und Bemerkungen getarnt sein. Sie alle haben jedoch ein Erkennungszeichen: Du fühlst Dich sofort schlecht. Der verbale Kinnhaken trifft direkt Dein Selbstwertgefühl. Das kannst Du daran erkennen, dass Du Dich zurückziehst, weniger redest oder mehr grübelst. Vielleicht schlägst Du auch verbal zurück, weil Du Dich verteidigen willst oder einfach nur stinkwütend bist.
Deine ultimative Waffe gegen verbale Attacken ist allerdings: Achtsamkeit. Wenn Du Dich nach einem Gespräch schlecht fühlst, frage Dich, warum das so ist. Was wurde gesprochen, das Dich verletzt hat und was könnte dahinter stecken? Hast Du den Angriff erst einmal enttarnt, geht der Schuss nämlich meist nach hinten los.
Niemand von uns ist kugelsicher und Worte treffen manchmal schneller als eine Pistolenkugel.
Worte taugen jedoch zu mehr als nur zum Angriff. Sie „haben die Kraft zu zerstören oder zu heilen“, sagte Buddha. Wir haben also die Wahl: Wir können mit ihnen Machtkämpfe austragen und auf andere draufhauen. Oder wir nutzen sie, um ihnen Auftrieb zu geben und letztendlich selbst daran zu wachsen. Wofür entscheidest Du Dich?
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Photo: Sad woman von eldar nurkovic/ Shutterstock
Ohhhhh Vorsicht!
Das klingt erstmal alles sehr einleuchtend. Aber hier wird völlig außer acht gelassen, wie das eigene (in dem Falle angegriffene) Ich aufgewachsen ist und welche Erfahrungen es gemacht hat.
Gerade Nummer 4 und auch Nummer 3 – wenn ich mich hier sofort verletzt fühle, MUSS ich zuerst einmal in mir selbst schauen, warum dem so ist. Warum nehme ich etwas persönlich, selbst wenn jemand meint, es war nur ein Scherz. Klar kann das auch mal recht derbe sein, aber es ist meine persönliche Einstellung zu meinem Gegenüber. Wenn ich ihm vertraue, dann weiß ich, dass er mich nie verletzen will. Also warum ist das in diesem Fall dann so?
Die Frage, die wichtig ist, ist nämlich die nach „Warum sollte mein Gegenüber mich verletzen wollen?“ Und diese sollte man sich stellen – was leider die wenigsten machen und gleich lospoltern. Wenn mich mit einem Menschen eine tiefe Freundschaft verbindet und ich viel Zeit mit jemandem verbringe, dann zeigt das eine Verbundenheit, die mir sagt, für diesen Menschen bin ich wichtig und er wird mich nicht verletzen, selbst wenn er mal einen Scherz auf meine Kosten macht.
Vieles wird durch die aktuellen öffentlichen Debatten um Mobbing etc. so sehr aufgebauscht, dass die Menschen immer mehr vergessen, dass nicht nur man selbst Mensch ist, sondern auch sein Gegenüber. Vielleicht macht er den blöden Scherz auch nur, weil er/sie gerade unsicher ist? Wie wäre es mal damit?
Empathie ist nicht jemanden zu trösten, weil seine Katze gestorben ist. Empathie ist weit mehr als nur verstehen, warum ein Mensch handelt, wie er handelt. Empathie ist der Schlüssel zur Erkenntnis! Und dazu muss ich in der Lage sein, mein Gegenüber voll und ganz in meinen Geist aufzunehmen – ich muss mein Gegenüber werden. Dann fühle ich, was er/sie fühlt und weiß, warum er/sie so handelt.
Punkt 11 ist ein sehr gefährliches Pflaster, welches mir oft begegnet. Mein Gegenüber interpretiert mein Gesagtes – was anderes bleibt ihm auch nicht übrig. Somit passiert es häufig, dass solche oder ähnliche Aussagen zurück kommen. Und nein, es hat nichts mit leugnen zu tun, wenn man es nicht gesagt hat. Wenn der andere es hinein interpretiert, ist die Ursache des Gefühls, welches in ihm entsteht, nicht das Gegenüber oder sein Gesagtes, sondern man selbst. Warum interpretiere ich etwas hinein – z.B. „Du bist dumm“ – wenn es nie gesagt wurde? Weil ich unsicher bin. Weil ich verunsichert bin. Weil ich kein Selbstwertgefühl habe. Weil ich kein Selbstbewusstsein habe. Aber warum habe ich das nicht? So muss die Frage lauten.
Punkt 11 kann sehr schnell zu einer Unterstellung werden.
Man selbst entscheidet, wie man sich fühlt, denn nur man selbst ist in der Lage dazu. Niemand anderes!!! Wenn einem das bewusst geworden ist, sind alle Punkte oben völlig irrelevant. Das jemand einem selbst nicht das Glück gönnt, etwas erreicht zu haben (etc. – siehe oben im Artikel), liegt doch nicht an mir, sondern an demjenigen, der mich „attackiert“. Lächeln, rumdrehen, stehenlassen…
Ich kenne solche Situationen. Meistens sind sie sehr subtil und oft auch nicht böse gemeint, trotzdem fühle ich mich manchmal dann eine Weile lang schlecht. Der Artikel hilft mir über mich selbst nachzudenken. Ich finde es dabei hilfreich die Arten von Atacken zu wissen und identifizieren zu können.
Das heißt nicht, dass ich zum Gegenschlag ausholen will, oder gleich die Person als voll fieses Gegenüber abstemple und nur ich alleine recht habe. Der andere steckt eben auch in seiner Haut und man kann sehr wohl diplomatisch reagieren, oder eben lächeln, umdrehen und stehen lassen. Trotzdem kann es einem innerlich nachhängen. Dann kann man drüber nachdenken.
Die Frage „Warum sollte mein Gegenüber mich verletzen wollen?“ finde ich sehr gut.
Man ist nicht nur von lieben Freunden umgeben und lächeln, umdrehen und stehenlassen geht auch nicht immer (z.b. Arbeit, Verwandschaft). Da darf man bei offensiven, offensichtlichen verbalen Angriffen schon seinen Unmut kund tun oder zumindest äußern, dass das so nicht in Ordnung ist.
LG
JTea
Ich verstehe genau, was Du sagen willst. Was aber, wenn es vom Gegenüber eben gar keine „Attacke“ war, sondern nur Du selbst es so interpretierst? Solche Situationen führen immer wieder zu Missverständnissen und nicht immer ist beiden ganz genau klar, wie man mit dem jeweiligen Gegenüber kommunizieren muss, damit so etwas nicht vorkommt. Oftmals beschwören wir Konflikte herauf, wo gar keine sind. Die Erwartungshaltung darf nicht nur sein, dass das Gegenüber ja gefälligst „ordentlich“ (was bedeutet das in dem Fall?) kommunizieren könnte, sondern eben auch, dass man selbst nicht überreagiert. Es gehören eben beide Seiten zur Kommunikation, nicht nur einer.
Hallo Christina, hallo liebe Mitlesende,
ich lausche gerade voller Begeisterung dem Hörbuch „Gewaltfreie Kommunikation“ von Marshall B. Rosenberg, in dem es darum geht, Konflikte zu lösen und mehr Vertrauen und Freude ins Leben zu bringen.
Wir sind nicht für die Gefühle anderer Menschen verantwortlich, aber können empathisch auf sie reagieren. Rosenberg zeigt, wie es geht. Ich kann’s nur jedem empfehlen.
Liebe Grüße
Patrick
Wir können empathisch reagieren, natürlich. Allerdings stellt sich die Frage, ob jeder immer die notwendige Energie aus seinem Alltag noch aufbringen kann. Wir alle sind so eingebunden in unseren Alltag, da reicht oft schon ein kleiner Tropfen, um uns instabil werden zu lassen. Und meine Erfahrung ist, dass die meisten Menschen glauben, Empathie hört an der Stelle auf, wenn ich einen Freund tröste weil seine Katz gestorben ist. Kein Scherz!
Und ich glaube auch, dass zu „gewaltfreier Kommunikation“ (was ich als Titel schon recht furchtbar finde) eben auch beide gehören. Man muss dem Gegenüber doch gar keine gewaltvolle Absicht unterstellen, nur weil man sich selbst grad angegriffen fühlt. Die Verantwortung liegt nicht nur beim Gegenüber und das sollten wir endlich mal wieder verinnerlichen.
Das ist eine der Hauptaussagen der GfK: „Wir sind nicht für die Gefühle anderer verantwortlich.“ Und somit andere auch nicht für unsere.
Sehr schöner Artikel. 🙂
Ich frage mich gerade… wenn es 11 „Pistolenkugeln“ gibt… was sind dann die 11 „Wattebauschen“ die man verbal verteilen kann, um den anderen ein Lächeln ins Herz zu zaubern.
Danke, Bitte und ein Kompliment, das kennt ja jeder. Aber wenn es so viele verschiedene Arten gibt um jemanden verbal zu verletzen, könnte es ja auch viel mehr verschiedene Arten geben, um jemanden Wohlbefinden und Glückseeligkeit verbal zu verschaffen, von denen wir bislang nichts wußten oder die uns nicht so bewußt sind.
Liebe Christina, da da dieser Artikel so schön geworden ist, vielleicht magst du auch einen Artikel „Verbale Wattebauschen: Die 11 Arten, wie Worte Glückseeligkeit verbreiten können“ oder so ähnlich verfassen.
Ich würde mich sehr darüber freuen.
Alles liebe
JTea
Und dann lebst du Jahre mit einem Narzissten und liest dann die Kommentare und denkst:
Na klar 😉 ich sollte mich besser selbst hinterfragen und bin allein für den emotionalen Missbrauch verantwortlich. .
Er hat s bestimmt nicht so gemeint,)
Euer Artikel, hat mich mal wieder sehr inspiriert ! Danke für die ganzen tollen Beiträge 🙂 !