Es tut weh, wenn wir merken müssen: Wir wurden belogen. Wenn im Ehebett zwar eine Menge ging, aber nie, während wir darin lagen. Wenn der Freund nicht mit uns, sondern nur mit unserem Geld und unserer Unterstützung befreundet war. Wenn das Kind gegen sein Versprechen wieder heimlich zu den Drogen gegriffen hat (die doch uns gehören!).
Kleine oder große Welten brechen zusammen. Schutt und Asche und Schock und Tränen, wo vorher ein hübsches (Lügen-)Gebäude scheinbar auf festem Boden stand.
Der Schmerz, den wir dann erfahren, hat zwei Wurzeln:
- Wir verlieren etwas. Vertrauen, das nun angekratzt bis abgekratzt ist. „Nicht, dass Du mich belogen hast, tut mir weh, sondern dass ich Dir nun nicht mehr glauben kann“, sagte Nietzsche. Wir verlieren die Sicherheit, die wir in dieser Beziehung zu haben glaubten. Vielleicht auch die Pläne für eine Zukunft, die nun Vergangenheit ist.
- Wir nehmen es persönlich, dass der Andere gelogen hat. „Wie konnte er uns das antun?“, fragen wir uns, „womit habe ich das verdient?“
Den ersten Teil des Schmerzes, den Schmerz des Verlustes, können wir nur so gut wie möglich zulassen. Ihn wahrnehmen (siehe Wie man schmerzhafte Gefühle überlebt), ihm den Raum geben, den er braucht. Uns um uns kümmern. Für uns da sein. Bis der Schmerz uns loslässt – und das geschieht eben nur, wenn wir ihn nicht zu unterdrücken versuchen.
Den zweiten Teil des Schmerzes können wir direkter loslassen. Dazu führt eine Erkenntis:
Es hat nichts mit uns zu tun, sondern mit dem Anderen. Es ist seine Lüge. Sie gehört zu ihm, nicht zu uns.
Die Ursache der Lüge ist sein mangelndes Selbstbewusstsein.
Ein Mensch lügt immer dann, wenn er denkt, einem ehrlichen Umgang mit den Dingen nicht gewachsen zu sein. Wenn er Angst davor hat, was passiert, wenn er stattdessen die Wahrheit sagen würde. Dann manipuliert, täuscht, verheimlicht er:
- Damit er besser dastehen oder sein Ansehen aufrechterhalten kann,
- damit er eine Konfrontation und Konsequenzen vermeidet, etwa, dass Du ihn nicht mehr magst oder gibst, was er braucht; dass er bestraft wird,
- damit er an sein Ziel kommen und damit Löcher in seinem Selbstbewusstsein stopfen können.
Er lügt nicht, um Dir zu schaden. Er lügt, weil er ein Problem hat. Weil er zu schwach ist, um die Verantwortung zu übernehmen und sich seine Schwäche mit jeder Lüge mehr beweist, zum Sklaven seiner Lügen wird, nach deren Nasen er tanzen muss, immer in der Furcht, aufzufliegen, nackt und beschämt dazuliegen.
Und Du, Du hast die Lüge weder verdient, noch Schuld daran. Sie hat nichts mit Dir zu tun.
Ich finde diese Erkenntnis sehr befreiend. Mit ihr können wir die Lüge beim Anderen lassen. Sie nicht mehr so persönlich nehmen, und uns stattdessen um das kümmern, was wirklich mit uns zu tun hat: die eigenen Gefühle, die unsere Zuwendung brauchen.
Wenn Du mehr darüber lernen willst, könnte das myMONK-Buch was für Dich sein: Wie man die Dinge nicht mehr so persönlich nimmt.
Photo: Sjoerd Lammers
Immer wieder schön, wie du die Themen in wenigen Worten auf den Punkt bringst. Bei vielen Blogs lese ich Sätze über Sätze über Sätze… viel Schreiberei mit wenig Gehalt…
Bei dir passt es einfach. 😉
Kurz und Knapp „Ich stimme dir vollkommen zu“ – Es ist nicht einfach aber machbar. LG Romy
Danke, Tim!
Lieber Tim, mal wieder ein sehr schöner Artikel, den wir gerne auf unserem Blog beworben haben 😉
Liebe Grüße Marcus
Wow Danke! Das ist in kurzen Sätzen präzise erklärt und von mir direkt gefühlt 🙂 Lg Tanja
Lieber Tim, ich bin schon lange begeisterte Leserin deiner Seite und lasse mich sehr gerne davon inspirieren.
In diesem Fall hab ich dazu eine etwas andere Ansicht:
Da wir alle mit dem Resonanzgesetz leben, ist es zwar richtig, dass es „seine“ Lüge, mangelndes Selbstbewusstsein etc. ist, aber da zu allem immer zwei gehören, sollte ich mich vielleicht auch mal fragen, „Was habe ich dazu beigetragen, dass mein Gegenüber sich nicht in der Lage sieht, mir die Wahrheit zu sagen?“, wenn er es z.B. den Freuden, den Eltern, dem Nachbarn, oder sonst wem erzählt…
Hi liebe Kithara,
Dankeschön für Deine Zeilen!
Ich selbst bin kein hundertprozentiger Vertreter des Resonanzgesetzes. Auch, weil wir uns – denke ich – damit viel zu viel aufladen können und die Schuld schnell bei uns suchen (siehe auch: „Dein Unglücklichsein kotzt mich an!“ – https://mymonk.de/ungluecklich/).
Liebe Grüße
Tim
Lieber Tim,
ich bin ganz bei Dir, dass ich mir nicht JEDEN Schuh anziehen muss.
Ich halte es bei mir so: Wenn mir z. B. so eine Lüge ein oder zwei mal begegnet, dann lasse ich sie durchaus bei meinem Gegenüber.
Nur: Wenn mir das immer wieder passiert, quasi es ein wiederkehrendes Muster ist, auch von verschiedenen Personen, dann ist es für mich Zeit zu fragen: Wo belüge ich mich vielleicht selbst? Meine ich vielleicht, dass ich das verdient habe oder bin ich selbst unehrlich zu anderen und mir selbst?
Denn sonst gebe ich anderen Macht über meine Gefühle obwohl sie doch zu mir gehören.
Liebe Grüße und ein herzliches Danke für Deine inspirierende und erhellende Seite.
Julia
Na ja, Tim. Es hat auch etwas mit mir zu tun. Wenn wir nicht nur über eine einzelne kleine Lüge reden, die wir dann einer Schwäche des anderen zuordnen, vielleicht auch mit unseren eigenen kleinen Lügen verrechnen.
Mangelndes Selbstbewusstein beim „Lügner“ spielt wohl immer mit. Und das Wollen. Denn mit Wollen ist der Kopf oft schon in einer Illusion. Und er will nicht leicht sehen, was wirklich ist und er will nicht fühlen, wie bedürftig er sich fühlt.
Doch ist eine Lüge eine Art Trennung. Die tiefere Unstimmigkeit, die das bewirkt, wird oft mit enormem Aufwand übertönt, etwas zur Schau gestellt. Als Angelogener wird meine Bewusstheit weggeführt vom Unstimmigen, und immer wieder auf eine Illusion fokussiert. Auch dies wird nicht so leicht passieren, wenn ich kaum Mangel in mir trage und die innere Trennung aushalte, die nun einmal da ist, auch wenn ich gern anderes glauben möchte.
Wie schlimm das letztlich wird, hat auch mit mir zu tun. Der andere wird sich selten ändern für mich. Er kann es gar nicht, weil er ja bis jetzt nur mit seinen Illusionen leben konnte. Es ist eine Frage meiner inneren Balance zwischen meiner Authentizität (einem Mass an Egoismus) und Empathie für andere. Auch falsch anerzogene Schuldgefühle sind hier wenig hilfreich.
Ist meine innere Balance in Ordnung, nehme ich die Trennung auch an, so sie ja ständig geschieht. Stückchen für Stückchen kann mich dieses Annehmen unabhängig machen, bis ich mich frage, was ich hier eigentlich noch habe oder will. Die Trennungsarbeit und der Schmerz ist zu durchlaufen, so oder so.
Und es hat etwas mit mir zu tun, ob ich es gleich annehme oder mich mein eigener Kopf und mein eigenes Wollen dabei behindern.
Toller Text- Danke, Tim!
freue mich, dass du auch auf die Kind- Eltern Lüge eingehst , tut mir gut zu lesen und besser damit umzugehen.
Wünsche dir noch einen schönen Tag.
Kathrin
Ich kenne das was Du schreibst, Tim aus der Sicht der „Lügnerin“.
Ich Lüge, aus Selbstwertmangel – wie Du es beschreibst – um besser da zu stehen, um Anerkennung zu bekommen… ich tue das nicht bewusst sondern zu einem hohen Maße extrem unbewusst. Mein Freund macht mich dann häufig sehr deutlich darauf aufmerksam und es schmerzt, wenn ich es erkenne. Und es tut weh, zu erkennen wie ich vertrauen dadurch abbaue – und das allerschlimmste für mich – diese Sinnlosigkeit hinter der Lüge….
Wie kann ich dieser Sklaverei „bewusst“ werden und aus ihr heraus gehen?
Lieben Gruß
Ilka
Hallo Ilka, kann es sein, dass es die Schuldgefühle sind, unter denen Du leidest? Da hilft dieser Artikel leider auch wenig, denke ich. Ob es nun die Schuld- und Unwertgefühle sind, die uns unbewusst dazu bringen, dass wir uns eher verschliessen und wir uns Scheinwahrheiten aufbauen. Oder ob unsere geringe Offenheit und unser geringes Vertrauen zu Schuldgefühlen führt. Oder beides. Ich finde der Begriff „Lüge“ wird oft zu schnell missbraucht. Und die negativ beladene Diskussion ist destruktiv.
Wir sollten den Erscheinungen mit mehr Grosszügigkeit und mit mehr Vertrauen begegnen. Um so weniger ich hier beitrage, um so mehr hat das Problem tatsächlich mit mir als sog. „Angelogenem“ zu tun.
Es kann sogar sein, dass ich mit einem überzogenen Anspruch und Misstrauen die Lüge erst geradezu erzwinge. Nicht selten laben sich dann gewisse Moralapostel (und Autoren) an der Situation, wenn jemand anderes scheinbar „verantwortlich“ ist, dass ich so leide und aus Schmerz nun nicht mehr vertrauen kann. Für mich sind dies aber Zeichen, dass lange recht wenig Vertrauen gewesen sein könnte.
Natürlich gibt es tatsächlich auch notorische Lügner. Und ich meine, diese brauche ich mir auch nicht antun. Schon gar nicht muss ich ihnen über die Massen helfen.
Ändert aber nix daran, dass das Vertrauen in die andere Person weg ist oder schwer angekratzt ist (wenn es etwas massives ist)!
Und solange die andere Person nicht aufrichtig drum bemüht ist, dieses Vertrauen wieder herzustellen und anzuerkennen was passiert ist, wäre es eine erneute Verletzung mit Ansage, die Augen zu verschließen und sich der nächsten Lüge und Unaufrichtigkeit auszusetzen…
Er lügt nicht, um dir zu schaden – das stimmt leider nur bedingt, wenn der direkte Vorgesetzte feige ist und nach oben lügt und daher die versprochene Beförderung/Gehaltserhöhung flöten geht. Gerade alleine mit 2 Kids tut das nicht nur persönlich weh sondern auch im Geldbeutel. Ein hinterher kleinlautes sorry ist dann einfach komplett fürn A****…
5 Jahre (gedachtes) Vertrauen sind schon dahin. Das ist dann wohl eine hohe Kunst, das nicht persönlich zu nehmen, denn es (be)trifft mich ja sehr.
Es mag tausend Gründe und Rechtfertigungen geben, warum der Lügner lügt. Wenn ich der Angelogene bin, dann ist mein Vertrauen mit jeder Lüge mehr dahin und die Enttäuschung wächst. Ich kann und will mit Lügnern nicht umgehen und deshalb mag ich keinen Lügner um mich herum haben – soweit es sich vermeiden lässt. Für mich ist das auch eine Frage, was ich mir selbst wert bin.
Hallo Tim,
Dramatisch wird’s wenn das lügen in Mark&Bein übergegangen ist.
Der Lügner selbst in seiner Welt der Illusion lebt und noch gefallen daran findet.
Mit jeder unentdeckten Lüge baut sich das Konstrukt weiter auf und wird ein leichtes.
Lieben Gruss S.M