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„Was führt Sie hierher?“, fragt ein Therapeut die junge Frau.

„Ich fühle mich oft depressiv. Und Ängste habe ich auch viele. Manchmal überkommt mich richtige Panik. Dann wieder sieht alles ganz trüb für mich aus, ich kann mich zu nichts aufraffen.“

„Okay, und was lässt sie diese Gefühle und Ängste haben?“

„Eigentlich nichts. Das kommt aus heiterem Himmel über mich. Ich bin eben krank, Depressionen, vermute ich. Aber ich will mich nicht mehr so fühlen!“

So oder so ähnlich laufen viele Gespräche, wie der Psychotherapeut Dr. Gregg Henriques berichtet.

Dabei, so schreibt er, verwechseln wir in unserer heutigen Gesellschaft sehr häufig Folge und Ursache, Symptom und Krankheit. Gerade dann, wenn es um die Psyche geht. Wir meinen, die schwierigen Gefühle, unsere Ängste und unsere Niedergeschlagenheit seien das Problem. Das, was es zu lösen, zu beseitigen, wegzumachen gelte. Stattdessen weist uns das Symptom – der Schmerz – auf etwas anderes hin.

Dr. Henriques:

„Wenn Du Dir den Arm gebrochen hast, gehst Du nicht in die Notaufnahme und sagst ‚Ich habe die Schmerz-im-Arm-Krankheit’. Der Schmerz ist nur Signal dafür, dass es ein Problem gibt. Er ist nicht das Problem selbst, nicht die ursächliche Krankheit.“

Wo das eigentliche Problem liegt

Das Problem, so der Therapeut, ist, dass bestimmte Bedürfnisse nicht erfüllt sind – etwa die körperliche Unversehrtheit im Falle des gebrochenen Arms. Bei Depressionen und Ängsten ist das genauso. Sie sind emotionale Signale, dass unsere psychosozialen Bedürfnisse unerfüllt sind. Weil wir Menschen so eine tief verwurzelte Sehnsucht nach Bindungen haben, liegen die Wurzeln von Ängten und Depressionen seiner Erfahrung nach meistens in unseren Beziehungen (oder derem Fehlen), daher befragt der Therapeut seine Patienten stets zuerst danach:

  • Wie läuft es in Deiner Familie? Mit Deinen Eltern, Deinen Kindern?
  • Wie sieht es mit Freundschaften aus?
  • Was ist mit einer romantischen Beziehung?
  • Wie geht es Dir in den Gruppen und den Gesellschaften, in denen Du Dich bewegst?
  • Welche Beziehung hast Du zu Dir selbst? Akzeptierst Du Dich, bist Du stolz auf Dich und mitfühlend Dir selbst gegenüber?

Bei den meisten Patienten zeigt sich schon in der ersten Stunde die wahren Ursachen: Kein Anschluss gefunden in der neuen Stadt. Der Stiefvater ein Arschloch. Die Partnerschaft ein Trauerspiel, oder die letzte fünfzehn Jahre her (stattdessen: nur 1,99€-pro-Minute-Interaktionen). Kollegen, die man so gut wie gar nicht kennt und mit denen man nichts anfangen kann. Sich selbst auch nicht gerade ein guter Freund.

Ein Mangel in einem oder mehreren dieser Bereiche kann jedenfalls sehr kritisch sein.

Das ist der gebrochene Arm, das ist die Krankheit.

Zwar verschärft eine Depression das Problem womöglich noch, weil wir uns zum Beispiel noch mehr zurückziehen und einsamer werden und dadurch wiederrum noch depressiver. Sie ist jedoch vor allem ein Symptom, ein Signal, dass uns etwas – nach Dr. Henriques meist Zwischenmenschliches – fehlt. Dass unser Leben gewissermaßen an etwas erkrankt ist, dass dort etwas nicht stimmt – und nicht, dass mit uns selbst etwas nicht stimmt.

Erich Fromm hat gesagt:

„Krankheits-Symptome sind etwas sehr Gesundes. Der Organismus, der Symptome aufweist, zeigt, dass etwas nicht stimmt – und verhält sich in dieser Hinsicht sehr gesund. Er funktioniert eigentlich genau so, wie er sollte.“

Klar ist es wichtig, dass es uns besser geht. Nur sollten wir dabei die Ursache der unangenehmen Gefühle nicht ignorieren, meint Dr. Henriques. Schmerzmittel allein machen den Arm nicht wieder heil. Und unser Leben und unsere Seele werden auch nicht allein dadurch gesund, dass wir die symptomatischen Gefühle loswerden.

Stattdessen sollten wir uns fragen:

Was fehlt mir, welche meiner Bedürfnisse sind nicht erfüllt, und was kann ich tun?

 

Siehe auch Dir geht’s schlecht? 5 Anzeichen, dass Du eine Therapie brauchst und Warum Du so traurig bist.

Disclaimer: Ich bin kein Arzt und werde auch keiner mehr, Du solltest auf nichts, was ich schreibe, viel geben und im Zweifelsfall immer einen Psychotherapeuten oder Psychiater aufsuchen.

 

Photo: Дмитрий Шахов