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Text von: Christina Fischer

Es ist schon mehr als ein Mal geschehen: Mein Mann betritt die Wohnung und findet mich hyperventilierend und in Tränen aufgelöst auf dem Fußboden vor. Ein Bild des Jammers: Das bin ich, wie ich seinen tragischen Unfalltod beweine.

Nur, dass mein Mann bisher jeden meiner „Trauerfälle“ überlebt hat.

Es geht ihm gut. Er ist weder krank, noch arbeitet er in einem Supersondereinsatzkommando, das in den gefährlichsten Gegenden der Welt operiert. Er kommt nur manchmal ein paar Minuten später vom Motorradfahren zurück als erwartet. Aber das reicht manchmal schon, damit meine Welt gefühlt zusammenbricht. Dann habe ich Bilder vor Augen, wie er im Straßengraben liegt und ein Krankenwagen heranrast. Wie ein Polizist an meiner Tür klingelt und mir mit gesenktem Kopf die Nachricht seines Todes überbringt. Wie ich zusammenbreche und seine Beerdigung organisieren muss. Wie ich aus der Wohnung ausziehe, weil ich mir die Miete nicht mehr leisten kann. Dann denke ich an seine leere Hälfte unseres Bettes und sehe mich bittere Tränen auf sein Kopfkissen weinen.

Es sind irre Gedanken, die durch meinen Geist, und echte Tränen, die über meine Wange laufen.

Seneca, der berühmte römische Philosoph und Stoiker, schrieb einmal:

„Es gibt mehr Dinge auf der Welt, die wir fürchten, als Dinge, die uns wirklich zerstören. Wir leiden viel öfter in unserer Vorstellung als in der Realität.“

Und ich weiß nur zu gut, was Seneca damit meint.

Warum wir so oft vom Schlimmsten ausgehen

Ich bin eigentlich keine Pessimistin. Trotzdem glaube ich manchmal, dass der schlimmste aller Fälle auch der wahrscheinlichste Fall ist. Auf persönlicher Erfahrung beruht das nicht.

Trotzdem begegne ich solchen schlimmen Ereignissen ständig im Alltag: in den Nachrichten, mit denen ich mich – in diesem Fall leider – als Journalistin schon von Berufswegen beschäftige. In den sozialen Netzwerken. Sogar beim Friseur neulich („Haben Sie schon das vom Bäcker Schmidt gehört?“ – „Nein, was denn?“ – „Der ist bei einem Autounfall gestorben. Und war doch noch so jung!“ – „Nein!“ – „Doch!“). Auch wenn ich mich mit meiner Friseurin über ihren Urlaub unterhalten habe, so ist mir doch der tragische Tod von Bäcker Schmidt viel länger in Erinnerung geblieben.

Da bin ich keine Ausnahme. Unser Gehirn ist schon seit frühester Zeit darauf programmiert, sich potenzielle Gefahren gut einzuprägen. Die Medien arbeiten mit diesem Mechanismus: Negative Nachrichten verkaufen sich viel besser als positive, weil die Menschen sie viel öfter lesen, sie länger diskutieren und sie mehr „Klicks“ bringen.

Die schlimmen Ereignisse sind uns also in der Regel sehr präsent – auch wenn sie uns persönlich gar nicht passiert sind. Was wir aber wissen, ist, dass schlimme Dinge tatsächlich passieren. Irgendjemandem zwar. Aber wer weiß … ob und wann es uns mal treffen wird? Daher sind wir ständig damit beschäftigt, uns für schlimme Ereignisse zu wappnen, die uns widerfahren könnten. Und das bereitet uns Angst und Sorgen.

Das Gegenmittel der Stoiker gegen grundlose Furcht

Schon im ersten Jahrhundert nach Christus kannte der Stoiker Seneca sowohl diesen Mechanismus als auch das Gegenmittel dafür. In seinen Briefen an seinen Freund Lucilius, gab er diesem Tipps gegen diese – Zitat – „grundlose Furcht“ mit auf den Weg, die heute noch genau so aktuell sind wie vor rund 2000 Jahren:

1. „Was ich Dir rate, ist, nicht unglücklich zu sein, bevor die Krise kommt. Denn es mag sein, dass die Gefahren niemals über Dich kommen. Mit Sicherheit sind sie jetzt gerade noch nicht da.“

Wie viel Lebenszeit haben wir damit verbracht, uns um Dinge zu sorgen, die dann doch nicht so passiert sind? Ich zumindest viel zu viel. Heißt nicht, sich überhaupt nicht mehr abzusichern und leichtsinnig zu werden. Sondern weniger so zu leben, als wären all unsere Ängste bereits Fakten. Das würde für mich beispielsweise bedeuten: weniger unnötige Traueranfälle auf unserem Fußboden.

Mantra: „Ich mache mir erst Sorgen, wenn die Krise da ist.“

2.Es ist wahrscheinlich, dass Probleme auf uns zu kommen. Aber es ist keine aktuelle Tatsache. Wie oft ist gerade das Unerwartete passiert! Wie oft ist das Erwartete doch niemals eingetreten!“

Uns in einen rosa Watte-Kokon zu packen und zu glauben, dass uns nichts Schlimmes widerfahren kann, ist nicht Senecas Rat. In unserem Leben werden uns Probleme über den Weg laufen – das ist Fakt. Aber wir können nicht wissen, welche Probleme das sein werden, genauso wenig wie wann sie unseren Weg kreuzen. Doch genauso unerwartet wie das Unglück kann auch das Glück an unsere Tür klopfen. Und was, wenn wir uns dann nicht trauen zu öffnen, weil wir bis an die Zähne bewaffnet auf die Katastrophe warten?

Mantra: „Ich kann nicht wissen, was Gutes und Schlechtes passiert.“

3. „Du wirst noch früh genug (unter dem Problem) leiden. Also halte in der Zwischenzeit nach besseren Dingen Ausschau. Was Du dadurch gewinnst? Zeit.“

Unser Leben wird weder länger noch kürzer, während wir uns um Dinge sorgen, die (noch) nicht da sind. Aber es kann vielleicht ein bisschen friedlicher, positiver und gelassener werden. Ich hätte statt unser Parkett mit meinen Tränen aufzuweichen genauso gut viele andere schönere und nützlichere Dinge tun können. Die Katzen streicheln. Einen Text schreiben. Wenigstens den Abwasch machen. Ganz pragmatisch gesehen hätte ich sogar dann, wenn das Schlimmste eingetreten wäre, ein paar Stunden weniger gelitten.

Mantra: „Ich genieße jede gute Zeit, so lange sie da ist.“

4. „Unser Leben ist nicht lebenswert und es gibt keine Grenze für das Ausmaß unserer Sorgen, wenn wir unserer Furcht im größtmöglichen Maße nachgeben. Mildere Deine Furcht mit Hoffnung ab.“

Wenn es um unsere Ängste und Befürchtungen geht, entwickeln wir oft große Phantasie – und die ist bekanntlich grenzenlos. So blasen wir kleine (eventuelle) Probleme zu großen Katastrophen auf und denken uns in immer schlimmere Schreckensszenarien hinein … bis wir sie für wahr und wahrscheinlich halten. Seneca sagt, dass Befürchtungen mit genauso großer Wahrscheinlichkeit Realität werden, wie dass sie sich einfach in Nichts auflösen. Wir können es nicht wissen und uns nicht schützen. Genau das gibt uns aber auch Grund zur Hoffnung: Uns könnte eben genauso gut etwas Positives geschehen.

Mantra: „Ich entscheide mich für hoffnungsvolle Gedanken.“

Das wohl Bedauernswerteste an der ganzen Sache ist gar nicht das Heulen auf dem Fußboden. Es ist die Tatsache, dass uns unsere permanenten Befürchtungen davon abhalten, das Leben voll auszukosten. Wir halten uns zurück, sind ständig in Lauerstellung in Erwartung des Schlimmsten und dabei verpassen wir vielleicht gerade das Beste. Die Chancen, das Ausprobieren, die Sprünge ins kalte Wasser, die nötig sind, um unseren großen Träumen näher zu kommen. Dabei würden wir, wenn wir uns nur mal aus der Deckung wagten, vielleicht feststellen, was auch Seneca schon wusste: „Kein Übel ist so groß als die Angst davor.“

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Photo: Paddle / Shutterstock