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Es ist das Jahr 2000. Claire Dorotik ist 24 Jahre alt. Ihr Leben liegt vor ihr. Dann wird ihr Vater brutal ermordet. Im Haus der Familie, Blut überall. Und ihre Mutter Jane festgenommen. Sie soll die Tat begangen haben. Viele Hinweise sprechen dafür. Die Ehe war schon lange nicht mehr gut und Jane hätte ihrem Mann im Falle einer Trennung eine Menge Alimente zahlen müssen. Claire ist plötzlich auf sich allein gestellt. Muss rund um die Ohr für die Pferde-Ranch der Familie sorgen.

Dann, auf einmal, beschuldigt Jane – vermutlich, um ihren eigenen Arsch zu retten – ihre eigene Tochter, die Mörderin zu sein. Das Gericht glaubt ihr nicht, die Mutter muss für 25 Jahre in den Knast. Die Verwandten, fast alle mütterlicherseits, wenden sich von Claire ab. Ihre Freunde gehen nicht mehr ans Telefon. Sie ist allein. Trost spenden ihr vor allem ihre Pferde. Langsam kommt sie wieder auf die Füße. Studiert Psychologie, schafft den Abschluss … und arbeitet inzwischen seit vielen Jahren als Familien-Therapeutin.

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Ihre eigene Geschichte und die Gespräche mit ihren Patienten haben sie eines gelehrt: Viele Menschen glauben, mentale Stärke sei angeboren. Ein Geschenk, eine Superkraft, die man hat oder eben leider nicht, Pech gehabt. Stattdessen, so die Therapeutin, ist es eine Fähigkeit wie alle anderen auch. Sie kann vor allem dann wachsen, wenn wir schwer herausgefordert werden.

Bei PsychCentral schreibt sie, wir auch in ihrem Buch Leverage: The Science of Turning Setbacks into Springboard von den sechs Stufen, auf denen zunächst Teile von uns auseinanderfallen, um sich später neu zusammenzusetzen, stärker.

1. Zerrüttung

Ein Riss, ein Bruch, ein Ende, ein Schluss. Wenn uns das Leben nicht nur miese Karten zuspielt, sondern vielleicht auch noch die paar wenigen letzten Trümpfe aus der Hand reißt. Wenn wir die Fetzen nicht mehr einfach wieder flicken können. Wenn vieles, oder alles, was wir geglaubt haben über die Welt oder uns oder andere Menschen, nicht länger wahr ist … und wir dastehen, schutzlos, wie nackt in einem Wald aus Schmerz und Angst. Dann ist das Stufe 1.

2. Unsicherheit

Wir stehen in dem Chaos, dass das Ereignis hinterlassen hat. Wohin sollen wir gehen? Und warum überhaupt noch? Auf dieser Stufe sind wir planlos. Doch diese Planlosigkeit ist wichtig. Mit ihr entsteht Raum für neue Fragen und neue Antworten. Für ein neues Verstehen. Wir lernen auch, uns den Dämonen zu stellen. Unseren Unsicherheiten, Zweifeln, Befürchtungen. Und dass wir sie aushalten und überleben können, nicht von ihnen allein definiert werden.

3. Neubesinnung

Auf der dritten Stufe treten wir einen Schritt zurück. Unser Blick weitet sich. Wir sehen die ganze Landschaft. Denken über alles nach, das wir lange für gegeben gehalten haben. Die Entscheidungen, die wir getroffen und die Prioritäten, nach denen wir unsere Zeit ausgerichtet haben. Wie sehen auch, dass wir Dinge anders machen können, dass uns manches nicht (mehr) entspricht. Wir lernen aus der Vergangenheit, beginnen, uns neu zu entscheiden. Die Hoffnung kehrt langsam wieder zurück.

4. Suche nach dem Sinn

Fragt man Menschen nach ihrem Leben, bevor und nachdem sie sich stark fühlten, so die Therapeutin, bekommt man immer zwei Antworten. Erstens seien sie umso stärker geworden, je mehr sie herausgefordert waren. Zweitens habe ihr Leben jetzt viel mehr Sinn. Weil sie nach furchtbaren Erfahrungen einen Grund brauchen, weiterzumachen, suchen sie nach dem Sinn. Eine neue Sicht auf das Leben entsteht. Was wirklich zählt, wird klarer, und was nur Schein war, ebenfalls.

(Mehr unter Warum guten Menschen böse Dinge passieren.)

5. Die Geschichte neu zusammensetzen

Jeder von uns erzählt sich Geschichten über sich, sein Glück und Unglück, seine Fähigkeiten, seinen Selbstwert und seine Stärke. Das Gute an Geschichten ist: Sie sind nicht festgeschrieben. Sie lassen sich auch anders erzählen. Sie können neue Wendungen nehmen, Handlungsstränge lassen sich neu bewerten und interpretieren. Genau das passiert, wenn wir wachsen – unsere Geschichten wandeln sich mitunter sehr drastisch. Die alten, hundertfach erzählten werden herausgefordert, und neu definiert, wer wir sind, wie wir uns selbst sehen und was wir uns sagen. Uns ist nun klar: Wir sind nicht mehr dieselben, die wir waren. Wir sind stärker.

6. Die neue Stärke einsetzen

„Mentale Stärke existiert nie in einem Vakuum“, schreibt Claire Dorotik. Sie will eingesetzt werden. Sogar die Stärksten von uns brauchen einerseits andere Menschen an ihrer Seite – und andererseits Menschen, denen sie mit ihren Erfahrungen helfen können. Von denen sie wertgeschätzt werden und die sie in Kontakt mit etwas bringen, das größer ist als sie selbst.

Nichts verschafft uns so viel Gefühl von Sinn, wie unsere einzigartigen Fähigkeiten einsetzen und andere unterstützen zu können. Der trockene Alkoholiker, der anderen Suchtkranken hilft. Die Mutter, die ihre schlimmen Kindheitserfahrungen nutzt, um ihren Kindern besonders viel Liebe und Verständnis zu geben. Die Therapeutin, die Traumatisierten hilft, während ihre eigene Familie zur einen Hälfte tot ist und zur anderen im Gefängnis.

Mentale Stärke bedeutet nicht, dass wir auf alles eine Antwort haben oder uns nie schwach fühlen. Im Gegenteil. Wahre Stärke ist, wenn wir das Schwere und die Unsicherheit kennen und trotzdem immer wieder unseren Weg weitergehen, um auf ihm zu wachsen.

Mehr dazu unter 13 Dinge, die mental starke Menschen nicht tun und im myMONK-Kurs STÄRKER – Mehr Selbstvertrauen in 7 Tagen.

Photo: Christian Hornick