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Text von: Christina Fischer

Es war der Tag meiner zweistündigen Präsentation in Soziologie. Ich stand vor 200 Studenten auf einer Bühne an einem Pult. Die Lampen über mir brannten auf meinen Schädel. Und an vorderster Front saß der unerbittlichste Dozent meiner gesamten Laufbahn, bewaffnet mit einem Stift und hatte die Augen angriffslustig auf mich gerichtet. Ich hatte noch nicht einmal das erste Wort gesagt, aber ich spürte schon, wie meine Bluse mir am Rücken klebte. Mir schoss kurz durch den Kopf, dass man die Schweißflecken auf dem blauen Stoff unter den Armen sicher bereits sehen würde.

Ich nahm das erste Blatt mit Stichworten in die Hand. Mit Schrecken bemerkte ich, dass diese unkontrolliert zitterte. Das raschelnde Papier war das einzige Geräusch im Saal und es war so laut, als hätte ich einen Meter Alu-Folie zerknüllt. Ich fing an zu reden und erschrak, weil ich mich plötzlich anhörte wie Schlumpfine mit Raucherhusten. Kurz darauf kam ich zu einem Zitat aus einer Arbeit meines Dozenten, Herrn Koch. Und ich sagte: „Wie auch Herr Kotz in seiner Arbeit erwähnte ….“

Im Rampenlicht mit Herrn Kotz

Schon hörte ich es in den hinteren Rängen kichern. Mein Kopf leuchtete in Sekundenschnelle tomatenrot und war sicher mindestens so heiß wie die Lampen über mir. Nach den zwei Stunden konnte ich mich an kein Wort aus meiner Präsentation mehr erinnern. In meinem Kopf rotierte nur „Herr Kotz“. Eilig sammelte ich meine schweißbefleckten Notizblätter und den kümmerlichen Rest meiner Würde auf und verließ mit gesenktem Haupt den Hörsaal. Keinem meiner Kommilitonen konnte ich in die Augen sehen und vor meinem Dozenten, den ich zum Herrn Kotz gemacht hatte, ergriff ich die Flucht.

Eine Woche später bekam ich die Note für meine Präsentation per Mail: Eine Zwei. Ich war erschüttert, als ich die Nachricht abrief, aber eine Mitstudentin neben mir beglückwünschte mich und fragte mich, ob ich ihr ein paar Unterlagen zu meinem zweiten Themenblock geben könnte, den Teil hätte sie gut gefunden. Völlig entgeistert musste ich selbst nochmal nachfragen, was denn mein zweiter Themenblock gewesen wäre. Ich konnte mich nicht mehr erinnern (War das vor oder nach „Herrn Kotz“ gewesen?).

Wie wir dem „Spotlight-Effekt” auf den Leim gehen

Als Soziologie-Studentin hätte er mir damals durchaus schon einmal über den Weg laufen können: Der Spotlight-Effekt. Immerhin kommt der Begriff aus der Sozialpsychologie. Die Psychologen Thomas Gilovich, Kenneth Savitsky und Victoria Husted Medvec prägten den Begriff. Sie hatten eine Studie durchgeführt, die belegte: Wir überschätzen in der Regel, wie viel Aufmerksamkeit uns andere Personen entgegen bringen. Und das sogar auf kolossale Weise.

Ähnlich wie unter einem Scheinwerferlicht fühlen wir uns oft im Mittelpunkt des Geschehens – alle Augen auf uns gerichtet – obwohl das gar nicht stimmt. Einfach nur deswegen, weil wir in unserer eigenen Wahrnehmung besonders auf uns selbst fixiert sind, glauben wir, dass es alle anderen auch sein müssten – ein Trugschluss, wie Gilovich und Co. in ihrer Studie herausfanden.

Sie starteten ein grausames Experiment: Insgesamt 109 Studenten wurden jeweils in ein kompromittierendes Gewand gekleidet – ein T-Shirt mit dem Konterfei des Popsängers Barry Manilow ( der „Mandy“ sang). Die Psychologen hatten zuvor ermittelt, dass ein Manilow-Aufdruck der Gipfel der Peinlichkeit ist. Die solcherart ausgestatteten Studenten mussten nun mit dem T-Shirt am Leib einen Raum voller Kommilitonen betreten. Einige Minuten später sollten sie wieder herauskommen und schätzen, wie viele sich über ihr T-Shirt amüsiert hatten.

Die „Manilow-Lockvögel“ vermuteten im Schnitt, dass etwa die Hälfte der Studenten im Raum das Manilow-Shirt bemerkt und sich abfällig darüber geäußert hätte. Doch weit gefehlt! Tatsächlich hatte nur rund ein Viertel der Anwesenden das T-Shirt auch nur bemerkt. Wenn wir uns die Ergebnisse der Studie ein bisschen auf der Zunge zergehen lassen, dann stoßen wir unweigerlich auf ein paar Trugschlüsse, denen wir regelmäßig aufsitzen.

Richten wir den Lichtkegel doch auf ein paar von ihnen.

Spotlight auf Trugschluss Nummer eins: Wir fallen anderen einfach weniger auf, wie wir glauben

Die Wahrscheinlichkeit, dass anderen etwas (wie das Barry-Manilow-Shirt) auffällt, ist viel geringer als die Wahrscheinlichkeit, dass sie es bemerken. Genau genommen ist die Wahrscheinlichkeit sogar 3:1, dass andere überhaupt Notiz davon nehmen. Egal ob es sich um den Schwitzfleck auf der Bluse oder neue Ohrringe handelt. Ich kenne das, ehrlich gesagt, sogar von mir selbst: Ein Mal habe ich einen ganzen Tag und einige Hinweise gebraucht, bis ich bemerkte, dass eine meiner Freundinnen neuerdings eine Brille trug – und die sitzt sogar mitten im Gesicht.

Spotlight auf Trugschluss Nummer zwei: Nur weil andere etwas bemerken, ist es für sie noch keine große Sache

In Gilovichs Studie vermuteten die Lockvögel, etwa der Hälfte der Studenten sei das peinliche Shirt negativ aufgefallen. Ein Viertel der Anwesenden hatte jedoch lediglich behauptet, dass sie das Shirt zur Kenntnis genommen hatten – von negativ war nie die Rede.

Bloß, weil andere also etwas an uns bemerken, muss das nicht bedeuten, dass sie sich näher mit der Sache befassen oder negativ darüber urteilen. Wir können uns also locker machen und müssen nicht bei jedem kleinen Missgeschick im Boden versinken.

Von meinen 200 Studenten hatte vielleicht nur ein Viertel meinen Patzer wahrgenommen. Und von diesem Viertel fanden das manche vielleicht lustig, aber würden diese wenigen sich die Mühe machen, mich wegen „Herrn Kotz“ mein Leben lang auszulachen? Wahrscheinlich nicht. Und immerhin hatte es ja auch kein Einziger getan. Warum also sollte ich mich deswegen ewig geißeln?

Spotlight auf Trugschluss Nummer drei: Auch unsere Glanzleistungen fallen weniger auf

Den Spotlight-Effekt gibt es auch umgekehrt: Selbst, wenn wir im Scheinwerferlicht stehen wollen, bekommen wir von den anderen nicht so viel Aufmerksamkeit wie wir glauben. Gilovich und seine Kollegen machten nämlich auch die Gegenprobe. Die Testpersonen durften sich nun T-Shirts aussuchen, die sie für cool hielten. Mit Bob Marley-Aufdruck zum Beispiel. Wieder wurden sie zu den anderen Studenten geschickt, wieder sollten sie die ihnen entgegengebrachte Aufmerksamkeit bewerten – und wieder lagen sie voll daneben. Etwa die Hälfte habe das coole Shirt bemerkt, schätzten die Probanden. Tatsächlich war diesmal sogar nur rund zehn Prozent der anderen Anwesenden das Shirt aufgefallen.

In einem weiteren Folgeexperiment ließ Gilovich die Probanden miteinander diskutieren. Letztendlich überschätzte nahezu jeder der Teilnehmer, wie beeindruckt die anderen von seinen Argumenten gewesen waren.

Auch hier können wir somit lernen: Locker bleiben! Dein neues Parfum wird Dich zwar wohl nicht so unwiderstehlich machen wie gedacht. Ebenso wenig wie die teuren Schuhe, das neueste Smartphone oder der fette Sportwagen. Dafür brauchst Du Dich im Umkehrschluss jedoch auch nicht zu verbiegen, um anderen zu imponieren. Es ist ihnen nämlich schlicht nicht so wichtig wie Dir, Dich cool zu finden.

Den Scheinwerfer, der uns gefühlt so sehr in den Mittelpunkt rückt … den haben wir selbst in der Hand. Während alle anderen mit ihrem beschäftigt sind. Und wenn jeder auf sich selbst leuchtet, dann leuchtet jeder. Oder keiner. Beides ist doch irgendwie tröstlich.

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Photo: Vic