Teile diesen Beitrag "Produktivität – Eine neue Definition (fernab sinnlosen Strampelns)"
Woran denkst Du und was fühlst Du, wenn Du „Produktivität“ hörst?
Ich denke an Maschinen und an Menschen, die wie Maschinen sein wollen oder sollen, das letzte Quäntchen Leistung aus sich herausquetschen, als wären sie nur Orangen und das Leben nichts als eine riesige erbarmungslose Saftpresse.
Ich fühle mich wie die hohlen Reste der Orangen, wenn ich die Maschine auch nur aus der Ferne rattern höre.
Dabei könnte Produktivität etwas sein, das Freude macht, statt auslaugt. Erfüllung bringt statt Leere. Sanfte Wärme bedeutet, statt tote Kälte oder vernichtende Überhitzung.
Hängt ganz davon ab, wie wir Produktivität verstehen und wo wir ansetzen, wenn wir produktiv sein wollen.
Was bedeutet Produktivität?
Klassisch definiert wird sie so:
Produktivität = Output / Input
Je mehr bei unserem Tun herausspringt und je weniger wir dafür einsetzen müssen, umso produktiver sind wir. Wir können also entweder mehr leisten oder weniger reinstecken, um produktiver zu werden.
Die Chancen stehen in der Dienstleistungsgesellschaft sehr gut, dass Du, lieber Leser, eine Arbeit hast, bei der Du vor allem Deine Zeit einsetzt. Zeit ist also unser wichtigster Input (und nicht zum Beispiel Holz).
Den Output können wir festlegen als Wert, den wir mit unserem Tun schaffen.
So ergibt sich:
Produktivität = Wert / Zeit
Wer produktiver sein will oder soll, der wird meist bei der Zeit einsetzen. Schneller arbeiten, mehr Aufgaben abhaken, Pausen und Erholung „optimieren“, um die Orange so schnell wie möglich auszupressen.
Also tun wir, was wir immer getan haben, und wie wir es immer getan haben – nur eben gehetzter als vorher. Sozusagen die „Espresso-Methode“: sauf morgens 30 Espressi und dann ackere Dich mit einem Puls von 480 ab!
Und was passiert?
Wir werden nicht erfüllter, sondern nur noch leerer.
Ich glaube es waren die Chinesen, die sagten: „wenn Du in die falsche Richtung gehst, verlierst Du Dich umso mehr, je schneller Du gehst.“
Statt das Tempo zu erhöhen, können wir auch für einen Moment anhalten. Ruhig durchatmen. Ein und aus, ein und aus.
Und dann überlegen: wohin soll die Reise gehen? … was wollen wir mit unserem Leben und unserer Zeit anfangen?
Oder: wie wollen wir Wert schaffen?
Erst dann macht es Sinn, sich um die Geschwindigkeit zu kümmern.
Außerdem können wir an der Wert-Seite viel mehr schrauben, während die Zeitoptimierung doch bald schon ein Ende hat – kein Mensch in einer Minute 500 Bäume Fällen, Wörter schreiben oder Leute am Telefon bequatschen. Außerdem kostet es Zeit zu lernen, schneller zu werden.
Was bedeutet Wert?
Zeit lässt sich in Zahlen messen, bei Wert ist das nicht so einfach. Vielleicht leben wir deswegen in einer Welt, die Produktivität in der Geschwindigkeit sucht.
Wert musst Du selbst definieren.
Unabhängig von der Gesellschaft, die Wert – und damit auch Produktivität – oft mit Geld gleichsetzt, oder Besitz oder eben damit, beschäftigt zu sein, egal, womit.
Wie Du Wert definierst, bestimmt auch darüber, was es für Dich heißt, produktiv zu sein.
Und es entscheidet darüber, ob Du das Gefühl hast, den Tag genutzt zu haben, wenn Du ins Bett gehst.
Lass uns anschauen, aus welchem Bestandteilen sich Wert zusammensetzt: Das sollte uns dabei helfen, ihn für uns zu definieren.
Steve Pavlina schreibt von vier Dingen, die Wert einer Tätigkeit ausmachen:
Wert = Essenz x Einfluss x Dauerhaftigkeit x Anzahl
- Essenz: Worin genau liegt der Wert, den Du schaffst? Wird das Leben dadurch schöner, angenehmer, reicher, unterhältst Du Menschen damit, oder hilfst Du ihnen auf eine tiefere Weise? Bist Du dabei leicht austauschbar wie ein Fließbandarbeiter, oder tust Du etwas, das nur Du (oder wenige) so tun kannst, wie Du’s tust?
- Einfluss: Wen beeinflusst Dein Werk? Dich, Deine Lieben, Deinen Arbeitgeber, die Welt, alle zusammen? Für wie viele Menschen (oder Tiere) ist wertvoll, was Du tust? Für einen, zehn, 50, 1000, eine Fantastillion?
- Dauerhaftigkeit: Wie lange hält der Wert an, den Du schaffst? Für ein paar Stunden, weil Du zum Beispiel über aktuelle Nachrichten schreibst, die schon morgen von vorgestern sind? Oder über 100 Jahre, weil Du zum Beispiel ein Bild malst, das ewig über der Wohnzimmer-Couch von Familie Müller hängt und sogar vererbt wird? Ist es schnell vergessen, was Du erschaffst – oder von Dauer?
- Anzahl: Wie viele Stücke Wert schaffst Du? Wie viele Bilder malst Du, Videos produzierst Du, Texte schreibst Du, Reden hältst Du, Gerichte kochst Du, Programme programmierst Du?
Lassen wir die Anzahl zunächst mal außen vor, sie hängt ja mit dem klassischen Schneller-schneller-schneller-Mehr-mehr-mehr zusammen, auf das wir uns bei „Produktivität“ so oft konzentrieren. Der größeren Hebel liegen bei den anderen drei Bestandteilen – Essenz, Einfluss und Dauerhaftigkeit. This is where the magic happens. (Ohje dabei fällt mir ein: das sagen immer die Stars, wenn sie einem Kamerateam ihr Schlafzimmer zeigen mit dem kreisrunden Bett und dem Spiegel an der Decke.)
myMONK scheint viel mehr Wert zu schaffen, ich bin also deutlich produktiver, seit ich selbst hier texte und mein Herz in die Wörter schmeiße, und nicht mehr nur Interviews durchführe und Links zusammentrage wie im ersten halben Jahr (Wert-Essenz steigt). Zumindest bekomme ich seitdem viel mehr Kommentare und Mails von Menschen, denen die Seite nicht nur gefällt, sondern wirklich hilft. Seitdem wächst sie außerdem viel schneller, erreicht also immer mehr Leute (Einfluss steigt). Auch mir selbst macht myMONK seit dieser Entscheidung viel, viel mehr Freude. Dauerhafter ist der Wert auch geworden, weil manche meiner Aussagen bei manchen Lesern viel länger hängen bleiben, seit ich Hirnschmalz hineinstecke, um die Inhalte so gut ich kann auf den Punkt zu bringen (Dauerhaftigkeit steigt).
Statt einfach noch mehr Interviews zu machen und Links zu posten (Anzahl, nur begrenzt zu steigern), habe ich an der Essenz-Schraube gedreht, der Einfluss stieg als Folge davon.
Verstehen wir Produktivität so, dann können wir sie leicht auf alles in unserem Leben anwenden. Sie bezieht sich nicht nur auf den Beruf, und nicht nur auf Kollegen oder Kunden, sondern auch auf uns selbst, unseren Partner, unsere Kinder, Nachbarn im Haus oder im Geist, unsere Straße, unsere Stadt, das Land, das Universum und vielleicht sogar den, dessen Spielball das Universum ist.
Die Freizeit kann ebenfalls mehr oder weniger produktiv sein. Nehmen wir den Sonntagnachmittag: Ein Spaziergang ist meist wertvoller als fernsehen – die Entspannung geht tiefer und hält länger an, es ist deutlich gesünder und beeinflusst vielleicht sogar noch andere Menschen, die Du nett grüßt, oder Deinen Partner, der sich Dir anschließt. An anderen Tagen ist das wertvollste, was wir tun können, vielleicht wirklich, uns vor die Glotze zu hauen und alle Gliedmaßen und Synapsen durchhängen zu lassen, weil wir das gerade am meisten genießen und Genuss uns in diesem Moment am wichtigsten ist.
Wie gesagt: Produktivität hat nicht nur mit ERLEDIGEN zu tun, sondern von jedem selbst zu definieren.
Wie produktiv bist Du?
Wie produktiv bist Du – welchen Wert schaffst Du für wen und ist er von Dauer?
Wie schön machst Du Dir Dein Leben, welche Qualität hat es für Dich?
Gibst Du viel Geld für viel Scheiß aus, oder setzt Du es produktiv ein?
Wie viele Menschen berührst Du … und vor allem: wie tief?
Hockst Du wie ich über lange Zeit allein in einer dunklen Wohnung und siehst fern, oder gehst Du auf Menschen zu, öffnest Dich ihnen, hörst ihn zu, schaffst echte Beziehungen und hilfst ihnen, wenn sie Deine Hilfe brauchen?
Welchen Wert schafft Deine Arbeit für Dich, Deine Familie und die Welt?
Ödet die Arbeit Dich an, bringt sie Deiner Familie nur einen kaputten Daddy oder eine kaputte Mama, und bringt sie die Welt keine drei Millimeter weiter, oder tust Du etwas von Herzen gern und gut?
Wenn Du Dir ein Leben wünschst, das nicht mehr nur an Dir vorbeizieht, sondern bunter ist, erfüllter, reicher, abenteuerlicher, verbundener und sinnvoller, dann wird’s Zeit, Produktivität neu zu definieren.
Nicht schneller hetzen, sondern einen neuen Weg einschlagen.
Produktiver werden – auf Deine Weise.
Statt Dich wie eine Orange von der Maschine auspressen zu lassen, immer schneller, nimmst Du Samen und pflanzt Bäume damit, die Dir viel bedeuten und anderen Schatten spenden.
P.S. Mehr über „Wert“ findest Du hier: Wie Du echten Wert schaffen und von Deiner Leidenschaft leben kannst.
Photo: Hartwig HKD
Hi Tim,
bin gerade durch Zufall auf Deiner Seite gelandet und dann holst Du mich voll ab mit diesem Artikel.
Ich glaube ich habe noch nie so bewusst darüber nachgedacht, welchen Wert ich wirklich schaffe.
Wert = Essenz x Einfluss x Dauerhaftigkeit x Anzahl. Diese Definition kannte ich so noch nicht und sie macht so viel Sinn!
Danke auch für die sehr guten Fragen zum Schluss. Es rattert und rattert. 🙂
Danke für diesen Artikel und Denkanstoß,
Sebastian
Hi Sebastian,
na dann erstmal: WILLKOMMEN hier! Freu mich, dass Du gleich mal kommentiert hast.
Ist es beim Krafttraining nicht auch so, dass man oft mit weniger Tun mehr erreicht (ich denke da nur an die fürs Muskelwachstum wichtigen Pausentage, die sich viele nicht erlauben)?
LG
Tim
Genau so ist es. Und noch wichtiger ist, die richtigen Dinge zu tun statt einfach nur viel von irgendetwas.
Wie im Leben auch neigen wir auch im Training dazu vieles zu verkomplizieren. Was leider oft auch an den falschen Versprechen liegt, die im Marketingbereich der modernen Fitnessindustrie, so gegeben werden.
Es ist ein bisschen wie der Vergleich mit dem schnellen Geld in kurzer Zeit. Im Leben wie im Training ist es wichtig langfristig zu denken und nicht nur bis zum nächsten Sommer.
Ich versuche ein neues Verständnis fürs Training und den eigenen Körper zu schaffen und das Training nachhaltig sein sollte und nichts was man mal eben so macht, weil es der Arzt verschrieben hat.
Training sollte ein Teil vom Leben sein und durch Deinen Artikel ist mir noch bewusster geworden, dass ich diese Message nur verbreiten kann, wenn ich noch mehr gebe und hoffe darauf, dass beim Empfänger etwas von Wert ankommt.
Hey Sebastian,
„bis zum nächsten Sommer“ bringt das sehr sehr gut auf den Punkt, dieses Denken (ich kenn’s ja von mir selbst, wenn auch nicht hinsichtlich des Abnehmens).
Dein Ansatz ist möglicherweise nicht der, der JEDEN anspricht. Aber die, die zu Dir kommen, die bekommen sicher etwas mit, was echten Wert für ihr Leben schafft.
LG
Tim
Das Problem lieber Tim, besteht darin, das heute viele, jedenfalls in meinem Umfeld zwei Jobs haben, um über die Runden zu kommen, auch wenn wir keine großen Ansprüche stellen, ist es hart zu leben, mehr Zeit wäre für viele sicher wünschenswert, liegt aber nicht in aller Macht. Auch wenn man sich kleine Ruhe-Inseln schafft reicht das oft nur zum Teil um sich auch zu erholen.
Sicher wenn ich alleine wäre ohne Kinder und Verantwortung, wäre alles kein Problem, aber sogar meine Kinder sind heute schon in dieser Tretmühle des ewigen fleißig seins, ich versuche mein möglichstes um ihnen zu zeigen, dass man Achtsam mit sich umgehen muss, aber in Schule und Ausbildung ist das nicht so einfach, gerade in anspruchsvollen Berufen wie Pflege, Service, ist ein Maß an Kraft gefragt, was oft über die eigentlichen Grenzen eines Menschen hinaus geht.
Es gibt so viele unglückliche Menschen mit traurigen Augen, wie soll sich ein Mensch an seinen Kindern und der Familie freuen, wenn er nicht genug hat um Muse zu tun, das erlebe ich in meiner Täglichen Arbeit am meisten.
Manchmal, ist es schwer Produktivität in kleinen Dingen zu sehen, wenn die Großen von je her erwartet werden.
Ein Umdenken Vieler wäre wünschenswert.
Vielen Grüße
Anke
Hi liebe Anke,
danke für Deine Gedanken!
Ich kann gut nachvollziehen, was Du schreibst, denke ich. Das ist sicher auch ein gesellschaftliches Problem, aber der Ansatz liegt erst mal bei jedem Einzelnen.
Die Frage, die sich mir manchmal stellt, ist:
Brauche ich wirklich all die arbeitstechnisch und materiell aufwändigen Dinge, von denen ich glaube, sie zu brauchen?
Damit zusammenhängend:
Bin ich wirklich unausweichlich in dieser beruflichen Situation gefangen, als Opfer, das entweder leistet bis zum Umfallen oder sofort in Teufels Küche kommt?
Und auch insgesamt tue ich mich immer schwer mit Resignation. Klar kann es verdammt schwer sein, einen gangbaren Weg für sich selbst und die Familie zu finden … nur: ist es das nicht wert, diesen Weg zu suchen (auch wenn man müde ist)?
Was mich sehr interessieren würde:
Wie versuchst Du Deinen Kindern das Gefühl zu geben, nicht nur bei Leistung wertvoll zu sein?
LG
Tim