Teile diesen Beitrag "Wie man aufhört „Ja“ zu sagen, wenn man „Nein“ meint"
Text von: Christina Fischer
Da war er wieder, mein „Lieblingskollege“, damals im Studentenjob. Mit großen, wässrigen Augen kniete er vor meinem Schreibtisch und sah mich mitleidsheischend an. Zwischen uns auf dem Schreibtisch lag Arbeit – seine Arbeit – und die übliche Bitte:
„Ich weiß, Du hast schon sooo viel für mich gemacht. Aber ich bin heute einfach nicht richtig voran gekommen und mein Kumpel ist frisch getrennt. Ich hab ihm fest versprochen, mich mit ihm auf ein Bier zu treffen heute Abend. Könntest Du vielleicht noch eiiiinmal für mich übernehmen?“
Inzwischen waren derartige Fälle schon so oft vorgekommen, dass ich etwas misstrauisch geworden war. Trotzdem sagte ich: „Ja, ok“. „Du bist spitze“, säuselte daraufhin mein Kollege und hüpfte davon.
Im selben Moment hätte ich vor Ärger in die Tischplatte beißen können. Ich hatte nicht die geringste Lust auf die Überstunde. Warum zum Henker aber war kein „Nein“ über meine Lippen gekommen, obwohl ich es ihm am liebsten ins Gesicht geschrien hätte?
Warum uns ein „Nein“ so schwer fallen kann
Dass ich eigentlich „Nein“ sagen wollte, wurde mir nach einiger Zeit klar. Und ich begann zu experimentieren.
Bei der nächsten Bitte wiegelte ich ab. „Ich habe heute eigentlich auch schon etwas vor“, sagte ich. Daraufhin hätte ich schwören können, Tränen in den großen Augen meines Kollegen zu sehen, als er sagte: „Oh nein, was mache ich denn jetzt? Meine Oma verlässt sich darauf, dass ich heute noch komme. Sie hat Geburtstag und wer weiß, wie lang sie noch lebt …?“ Schon hörte ich mich sagen: „Na gut.“
Ein anderes Mal brachte mich der kranke Hund zu Fall, dann seine angebliche Migräne. Es war zum Verrücktwerden. Mir kam es so vor, als säße direkt unterhalb meiner Kehle ein kleines fieses Männlein, das meine Stimmbänder stets dazu brachte „Ja“ zu sagen, obwohl ich „Nein“ meinte.
Heute weiß ich: So falsch lag ich damit gar nicht. Dieses kleine Männlein, das ungebeten meine Stimmbänder tanzen ließ, war nichts anderes als mein „Kind-Ich“ (in Anlehnung an Eric Bernes drei Persönlichkeitsbestandteile in seiner Transaktionsanalyse oder John Bradshaws „Inneres Kind“).
Sobald jemand von mir einen Gefallen erbat, sagte ich „Ja“, aus Angst, Ablehnung zu erfahren. Denn als Kind lernen wir in der Regel, dass es ganz unartig ist, wenn wir „Nein“ sagen, besonders zu Erwachsenen. Unterm Strich tragen wir also häufig aus unserer Kindheit noch die Auffassung mit uns herum, dass andere uns wegen eines „Neins“ ablehnen. Und gemocht zu werden, ist für viele Menschen – mich eingeschlossen – ein ziemlich großes Bedürfnis. Was aber, wenn uns „ja“ sagen ebenfalls ein übles Gefühl verschafft, weil wir uns vielleicht ausgenutzt fühlen? Wie finden wir die Stärke, ein „Nein“ nicht nur auszusprechen, sondern auch durchzusetzen?
Kenne Deinen Wert: So wirst Du stark fürs Nein-Sagen
Du fühlst Dich gemein und egoistisch, wenn du nein sagst? Das sind leider wunderbare Voraussetzungen dafür, um von Dir ein Ja zu erhalten. Um Dir Arbeit aufzuladen, von Dir Geld zu leihen, Dich zu versetzen und so weiter.
Aber bevor Du Dich an die Arbeit machst oder den Geldbeutel zückst, gestatte mir eine Frage:
Selbst wenn andere Dich für einen schlechten Menschen halten sollten (und die Chancen stehen gut, dass sie das wegen einem „Nein“ nicht tun) – bist Du deswegen wirklich ein schlechter Mensch?
Mitnichten. Ein „Nein“ macht Dich nicht weniger liebenswert. Ebenso wenig hängt Dein Wert davon ab, was andere über Dich denken. Wenn Dir das „Nein“-Sagen also schwer fällt – wie mir gelegentlich auch – dann könnte das auch mit Deinem Selbstwertgefühl zu tun haben. Aber auch dieses kannst Du stärken, wann immer Du zu Dir stehst.
Hier sind ein paar praktische Tricks, die das Nein-Sagen leichter machen können.
1. Frage Dich, ob es das wirklich wert ist
Wenn Du „Ja“ sagst, obwohl Du „Nein“ meinst, umgehst Du zwar die unangenehme Reaktion Deines Gegenübers. Aber meistens ist das, was danach kommt, auch nicht viel besser. Vielleicht hast Du danach Überstunden am Hals, musst mal wieder monatelang auf Dein Geld warten oder sonst etwas Unangenehmes tun. Wenn Du Dir das vor Augen führst, könntest Du zu dem Entschluss kommen, dass ein „Nein“ vielleicht doch das kleinere Übel ist.
2. Sei direkt
Es sollte auch im Sinne Deines Gegenübers sein, wenn du demjenigen die „Höllenqualen“ Deiner Absage so kurz wie möglich gestaltest. Nämlich, indem du ganz klar und direkt „Nein“ sagst. Ohne Erklärungen. Damit gibst Du dem anderen gar nicht erst Raum für Umstimmungs-Versuche. Dabei musst Du auch nicht unfreundlich sein. Ein „Danke, aber ich möchte nicht“ oder auch „Sorry, aber das geht nicht“ kann schon reichen.
3. Nimm Dir Bedenkzeit, wenn nötig
Manche Menschen ergattern Jas vor allem durch Überrumpelung. Sie unterbrechen Dich beispielsweise bei irgendetwas und noch ehe Du Dich richtig gefangen hast, hast Du schon zugestimmt. Falls Dir das bekannt vorkommt, kannst Du diese Masche durch Entschleunigung aushebeln: Bitte um Bedenkzeit und verschaffe Dir einen klaren Moment, in dem Du Dich noch einmal sammeln kannst, bevor Dir ein vorschnelles „Ja“ entwischt.
4. Entlarve die Strategien
Mein Kollege damals hatte mich über die Mitleidsnummer im Griff. Durch die alte Omi und den kranken Hund appellierte er an mein Mitgefühl und dann wurde ich schwach. Sobald ich die Sache irgendwann durchschaut hatte, war der Bann jedoch gebrochen.
Ich sah nicht mehr die arme Oma auf ihren Geburtstagskuchen weinen, sondern vor allem meinen Kollegen, der mich mit einer miesen Masche zu einem „Ja“ kriegen wollte. Neben der Mitleidstour gibt es noch andere Nummern, die oft funktionieren. Manche machen Dir ein schlechtes Gewissen, andere üben gar Druck aus oder wollen Dich erpressen. Manch einer mag Dir Honig ums Maul schmieren, um Dich zu einem „Ja“ zu verführen. Halte die Augen offen für solche Strategien. Einmal durchschaut, ist das „Nein“ schon längst nicht mehr so schwer.
5. Benenne die Strategie
Wenn Du einer Strategie auf die Schliche gekommen bist, kannst Du diese bei Deinem Gegenüber ruhig auch auffliegen lassen. Wenn Du zum Beispiel besonders häufig überrumpelt wirst, könntest Du sagen: „Sorry, ich fühle mich gerade etwas überrumpelt von Dir.“ Beim Schmeichler könntest Du wiederum antworten: „Danke für das Lob, aber trotzdem geht es nicht.“ Einem, der Dir Schuldgefühle machen will, könntest Du ganz klar sagen: „Ich weiß, dass Dir das nicht gefällt, aber ich möchte mir deswegen keine Schuldgefühle machen lassen.“ Damit zeigst Du Deinem Gegenüber einerseits, dass Du es durchschaut hast und andererseits, dass der Trick bei Dir nun nicht mehr wirkt.
„Nein“ sagen ist wie eine Spritze kriegen …
… zumindest für mich. Und damit meine ich: gar nicht so schlimm. Ich hatte tierisch Angst vor meinem Impfmarathon vor meiner letzten Fernreise, vor den fürchterlichen Nebenwirkungen, von denen ich gelesen hatte und vor der Nadel. Am Ende war es nur ein kleiner Pieks und alles war im Nu vorbei.
So ist auch „Nein“ sagen. Wir malen uns im Vorhinein gerne Fürchterliches aus: „Der andere wird sauer sein und mich für einen Egoisten halten“ denken wir vielleicht. Aber am Ende ist es doch nur ein kleines Wort, im Nu vorbei. Die Nebenwirkungen halten sich in der Regel auch in Grenzen. Und wir haben uns Respekt verschafft. Aber das beste an der Sache ist: Jeder erfolgreiche „Nein“ macht uns mehr und mehr immun gegen künftige Ausnutz-Attacken.
Mehr unter: Wann es an der Zeit ist, nein zu sagen – und wie man das beste Nein aller Zeiten hinlegt und unter „Nein.“ ist ein ganzer Satz.
Photo: Couple talking / Shutterstock
Hey Christina,
danke für diesen sehr persönlichen Artikel.
Ich finde es immer sehr spannend, zu erfahren, wie es anderen in solchen Situationen geht.
Mir ging es auch oft so und teilweise immer noch.
Ich glaube aber nicht, dass die ganze Sache einzig auf das „Kind-Ich“ zurückzuführen ist, wie du es so schön beschreibst. Meiner Meinung nach geht es noch viel weiter zurück. Bis in die Steinzeit.
Als wir Menschen noch in Gruppen und Sippen lebten und das Überleben jedes Einzelnen von seiner Akzeptanz und Anerkennung in der Gruppe abhing. Deshalb ist es so tief in uns verankert und es fällt uns so schwer diesen „Urinstinkt“ bewusst zu unterdrücken.
Mir persönlich hat dabei sehr die Sichtweise geholfen, dass ich den Menschen in meinem Umfeld mehr und besser helfen kann, wenn es mir selbst erst mal gut geht. Damit weiß ich, dass meine Abfuhr im Endeffekt doch einem „höheren“ Zweck für die anderen dient =)
Liebe Grüße
Norman
Hey Norman!
Danke für Deinen lieben Kommentar. Diese „Steinzeit-Theorie“ ist mir bei der Recherche auch über den Weg gelaufen. Ich finde sie auch sehr schlüssig. 😉 Dein Tipp fürs „Nein“-Sagen klingt gut. Allerdings hab ich persönlich glaube ich oft eher das Problem, dass ich schon grundsätzlich finde, mir ginge es gut (genug). Und die armen anderen …. weißt schon ;).
Liebe Grüße,
Christina
Wieder ein schön beschriebenes Beispiel im Umgang mit Empathie, Christina. Meine Meinung im vorangegangenen Artikel bzgl. Authentizität kann ich auch hierzu gelten lassen. Interessant finde ich auch die Tricks und Selbstgespräche im Artikel. Jedenfalls erkennen wir so ein Problem.
Ich denke, das sind Probleme, in die wir alle im Verlauf unsererer Entwicklung laufen können. Wir sind anfällig, einfach von einem mehr Ich-betonten Menschen eingewickelt zu werden. In gewisser Weise haben wir uns die Probleme selber geschaffen. Andererseits auch wieder nicht.
Wir wachsen einfach hinein in ein grünes, empathisches Wir, heraus aus einem mehr erfolgsorientierten Ich. Nun, da wir vielleicht genug gelitten haben unter der Gruppen-getriebenen empathischen „ich rette alle und die Welt“ Haltung, suchen wir nach Lösungen. Gar nicht immer so leicht mit dem zuweilen enormen Gruppentrieb. Wissenschaftler haben für diesen Virus einen Namen: Meme.
Die Lösung? Allein unsere weitere Entwicklung kann uns erlösen von solchem übermächtigen Empathiezwang. Ist uns das einmal bewusst, können wir gut vorbereitet auch spontan sagen: „Tut mir leid, hab schon was vor“ und keine weiteren Begründungen, die mich nur weich erscheinen lassen. War einmal nix zu machen, werden wir von den Oma-Freund-Hund Weichmachern vielleicht eher verschont.
Mit neuer wieder mehr Ich-orientierter Haltung, etwas der Meme entkommen, ersparen wir uns vielleicht auch zunehmend wieder die Schuldgefühle und Zweifel danach. Laut Wissenschaftlern folgt so ganz natürlich dem Grün eine von ihnen genannte „gelbe“ Bewusstheit.
LG Richard
Hallo Richard,
danke für Deinen Kommentar und Deinen Input. Von dem „grünen Wir“ und der „gelben Bewusstheit“ hatte ich bislang noch nicht gehört. Klingt aber sehr sinnig.
Liebe Grüße,
Christina
„Wir malen uns im Vorhinein gerne Fürchterliches aus: „Der andere wird sauer sein und mich für einen Egoisten halten“ denken wir vielleicht. Aber am Ende ist es doch nur ein kleines Wort, im Nu vorbei.“
Es erscheint oft, was man nicht denkt.
Habe einen schönen Tag 🙂
Ich glaube nicht wirklich, dass wir da irgendwas in Sätzen denken. Ich denke es ist eher ein ungutes Gefühl, das den Ausschlag gibt, „ja“ zu sagen.
Der Denker, ist selbst nur ein Gedanke.
Mach mal denken – schier unmöglich.
Hallo Stephan!
Danke, das wünsche ich Dir auch ;).
Liebe Grüße,
Christina
Nein-Sagen ist für mich die Hölle. Jedenfalls in meiner Vorstellung.
Es ist, wie Du schreibst: „Wenn Du „Ja“ sagst, obwohl Du „Nein“ meinst, umgehst Du zwar die unangenehme Reaktion Deines Gegenübers. […]“ Es ist exakt der Moment dieser unangenehmen Reaktion, vor dem ich mich fürchte. Mehr nicht. Der Nadelpieks scheint in meiner Fantasie das Furchtbarste zu sein, das mir in der Situation geschehen kann, und alles was danach durch mein „Ja“ auf mich zukommt, blende ich vollkommen aus.
Dass Du diesen entscheidenden Moment hier mit diesem Nadelpieks vergleichst, hilft mir sehr. Denn dass ich vor Spritzen keine Angst haben muss, weiß ich längst. Beim Nein-Reaktions-Moment muss ich es dringend lernen. Dieser Artikel ist eine große Unterstützung dabei! Danke.
Hallo Pit!
Danke, das freut mich riesig, dass Dir mein Artikel als Unterstützung dienen kann. 🙂 Wenn Du vor Spritzen bereits keine Angst (mehr) hast, kriegst Du das mit dem „Nein“ bestimmt hin. Ich arbeite auch dran.
Liebe Grüße,
Christina
Mein Problem ist ja eher, dass ich zu oft nein sage, obwohl ich eigentlich ja sagen sollte.