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Text von: Christina Fischer

Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie er aussah: Das Gesicht rot, die Haare stachelig, der Blick hart. Ich saß an meinem Schreibtisch und sortierte Lieferscheine. Die Zulassung fürs Germanistik-Studium war gerade erst im Briefkasten gewesen.

„Der Zauberberg!“ rief er von seinem Schreibtisch zu mir herüber.

„Hab’ ich noch nicht gelesen“, sagte ich. Kleinlaut.

„Die Blechtrommel!“

„Naja, im Studium werde ich ja sicherlich viel lesen …“

„Nein!“

Ich verstummte. Eigentlich wollte ich mir nur als Ferienjobberin ein bisschen Geld verdienen. Trotzdem fühlte ich mich bei meinem Vorgesetzten ständig wie in einer Prüfung. Und seine Beurteilung war hart und tat weh:

„Wie willst du Germanistik studieren, wenn du all diese Bücher nicht kennst! Du wirst untergehen!“

Ich schaffte es noch die Tränen zurückzuhalten, bis idas Damenklo erreichte. Dann heulte ich mir dort in einer Kabine die Seele aus dem Leib. Tat mir selber leid und war wütend auf den Typen und den Job, der mich mit diesem fiesen Arschloch konfrontierte. Wegen dem ich mich wiederum selbst so klein und unfähig fühlte.

Wenn die Wahrnehmung Scheuklappen trägt

Über zwei Dinge war ich mir damals absolut sicher:

  1. Mein Vorgesetzter war ein Arschloch, das dafür lebte, mich zu quälen.
  2. Ich würde im Studium kläglich scheitern, weil ich zu schlecht dafür war.

Heute, mit mehr zeitlichem Abstand und Lebenserfahrung dazwischen, weiß ich, dass die Dinge selten so schwarz oder weiß sind, wie wir glauben. Die Art, wie wir Dinge und Sachverhalte wahrnehmen, ist nur eine Möglichkeit unter vielen. Und nur, weil wir von etwas überzeugt sind, muss es nicht zwangsläufig auch wahr sein. In der Regel neigen wir dazu, viel zu schnell zu urteilen. Unser Gehirn ist dafür gemacht und als wir uns damals in der Steinzeit schnell entscheiden mussten, ob der freundliche Säbelzahntiger von nebenan nun Freund oder Feind ist, war das auch noch eine zutiefst lebensnotwendige Funktion. Doch nur, weil wir jemandem in Sekundenschnelle den „Arschloch-Stempel“ auf die Stirn drücken können, heißt das nicht, dass das auch grundsätzlich stimmt. Genau so schnell wie über andere, urteilen wir allerdings auch über uns selbst. Oft reicht schon eine Kleinigkeit – wie der abschätzige Kommentar eines Kollegen – und wir hängen uns selbst bereitwillig ein „Versager-Schild“ oder ähnliches um den Hals.

Raus aus der Opferrolle!

Als ich damals schluchzend auf der Kloschüssel mein hartes Los beweinte, dachte ich, das Leben hätte mir übel mitgespielt. Ich fühlte mich wie ein wehrloses Opfer. Hätte ich jedoch genauer hingesehen, anstatt mein geschundenes Ego zu betrauern, wäre mir wahrscheinlich aufgefallen, dass ich selbst auch einiges zu diesem „Leid“ beigetragen hatte. Sicher, mein Vorgesetzter hatte sich mir gegenüber nicht sehr freundlich verhalten. Aber das alles hatte vielleicht gar nichts mit mir zu tun. Vielleicht war er frustriert, sauer, gestresst oder hatte einfach nur schlecht geschlafen und sein ganzes „Leid“ eben an mir ausgelassen? Und wenn ich ganz ehrlich auf mich selber schaute, dann hatte mich doch auch schon oft ähnlich verhalten und andere mit meinem „Leid“ belastet. Zum Beispiel meine Mutter nach Feierabend, wenn sie mich fragte, wie mein Tag war („Beschissen wie immer!“). Vielleicht kommt Dir das auch ein bisschen bekannt vor. Dass die Welt ach so schlecht ist oder „früher alles besser“ war, hört man oft. Aber was, wenn wir etwas daran ändern könnten? Wenn wir aufhören würden mit unseren verschiedenen Leiden Ping-Pong zu spielen und uns trauen würden, genauer hinzuschauen?

Ein bisschen Güte kann die Welt verändern

Es gibt vieles, worauf wir keinen Einfluss haben. Auf Menschen, die ihre Probleme an uns auslassen, beispielsweise. Doch wir können beeinflussen, wie wir damit umgehen – und wo wir hinschauen. Wenn uns ein (verbaler) Angriff trifft, können wir uns bemitleiden und uns über die Ungerechtigkeit beschweren. Oder aber wir schauen auf unseren vermeintlichen Angreifer. Schauen ganz genau hin, hinter die Fassade, vielleicht sogar bis hinein ins Herz. Dort würden wir vielleicht etwas sehen, das unser Mitgefühl weckt statt unseren Zorn, unsere Liebe statt unseren Hass.

Die Metta-Meditation

Im Buddhismus kennt man den Begriff der „Liebenden Güte“ oder „Metta“. Eine Methode, die uns helfen kann, Mitgefühl zu erlangen und das Leid-Pingpong zu beenden. Und zwar so:

  1. Setz dich bequem hin und konzentriere Dich eine Weile lang auf Deinen Atem. Nun richte Deine Wahrnehmung auf Dich selbst. Versuche, Dich so liebevoll anzusehen, wie möglich. Und sage Dir: „Möge ich glücklich und geborgen sein. Möge ich unbeschwert leben.“ Bleib’ eine Weile bei diesem Gedanken.
  2. Nun denke an jemanden, der gut zu Dir war und dem Du dankbar bist. Sage laut oder in Gedanken dessen Namen und wünsche demjenigen ebenfalls: „Mögest Du glücklich und geborgen sein. Mögest Du unbeschwert leben.“
  3. Im nächsten Schritt denke an jemanden, dem es gerade nicht so gut geht, der Kraft benötigt. Richte die Wünsche nun an diesen Menschen.
  4. Jetzt wird es knifflig: Denke an jemanden, mit dem Du gerade Schwierigkeiten hast und schicke ihm nun die selben Wünsche.
  5. Zum Schluss schließe alle Lebewesen mit ein und wünsche Ihnen, dass sie ebenfalls glücklich und geborgen sein und unbeschwert leben sollen.

Was „Liebende Güte“ kann

Forscher haben herausgefunden, wozu Metta-Meditation führt:

  • mehr positive und weniger negative Emotionen
  • weniger Migräne und chronische Schmerzen,
  • wir werden empathischer und fühlen uns verbundener
  • wir sind weniger gestresst
  • wir kritisieren uns selbst weniger
  • unser Gehirn bildet mehr graue Zellen

Bei der Metta-Meditation geht es darum, Leid nicht an andere weiterzugeben oder gegen uns selbst zu richten, sondern es in etwas zu verwandeln, das hilft. Uns selbst, aber auch denen, die ebenso leiden oder gelitten haben wie wir. In Mitgefühl. In Güte. In Liebe. Dazu müssen wir genau hinsehen. Hinter die Fassade. Ins Herz. Und uns daran erinnern, dass die, die uns (angeblich) schaden wollen, selbst leiden und vielleicht gerade sogar nötiger Hilfe brauchen als wir. Wenn uns das gelingt, entsteht vielleicht eine Verbindung dort, wo vorher Trennung war. Zumindest werden uns die Pfeile, die andere auf uns schießen, nicht mehr treffen. Denn wir würden sehen, dass unser Gegenüber in Wahrheit nur auf sich selber zielt.

Mehr unter Wie schon 8 Wochen Meditation Dein Gehirn verändern und unter Wie man aufhören kann, die Dinge zu persönlich zu nehmen (in 30 Sekunden).

Photo: Pray Monk / Shutterstock