Etwas droht zu entgleiten.
Ein Gefühl, das in uns brodelt; ein Drang, der sich nach draußen mogelt.
Vielleicht seit drei Minuten, als Du heim kamst und Dein Mann nicht so früh mit Dir rechnete … und der Schock sofort einer Wut wich, die noch größer war als die Silikonbrüste der fremden Tussi in Deinem Ehebett.
Vielleicht seit drei Monaten, als ihr da saßt, der Arzt und Du und der Krebs in einem Raum, und alles verschwamm zu einem finsteren Brei.
Vielleicht seit drei Jahren oder dreißig, als Du an diesem einsamen Abend zum ersten Mal vorm Spiegel standest, Dein Männerkörper gekleidet in Damenwäsche und Erregung und Scham.
Da ist etwas in uns, das sich jeden Moment aus unserem Griff reißen und wer weiß was Übles veranstalten könnte.
Und wir, wir tun, was naheliegt: Wir greifen noch fester zu, und noch fester. Wollen die Wut, die Angst, die Enttäuschung, die Einsamkeit, die geheime Phantasie … diese bedrohlichen Feinde … am Hals packen, abwürgen und einsperren.
Leider funktioniert das nicht. Wir können es versuchen, aber dann kommen sie nur mit doppelter Wucht zurück und machen uns das Leben umso mehr zur Hölle – Gefühle lassen sich nicht unterdrücken und einsperren, nicht dauerhaft und ohne Folgen.
Es gibt aber einen Weg, wie nicht wir von den Gefühlen unterdrückt und eingesperrt und beherrscht werden. Wie wir die Kontrolle behalten können, ohne zu kontrollieren.
Der große Zen-Meister Suzuki Shunryū sagte:
Wenn ihr eure Kuh unter Kontrolle halten wollt, gebt ihr eine große, weite Wiese.
Heißt: ruhig einatmen und ausatmen. Den Griff lockern. Den sinnlosen Widerstand aufgeben, zumindest ein bisschen, so gut es eben geht. Den Gefühlen Raum geben. Sie betrachten, wie ein Bauer die Kühe auf der Weide. Wo genau steckt das Gefühl? Drückt es, zieht es, sticht es, ist es warm oder kalt, eher wie ein Knoten oder ein schweres Gewicht, eher konzentriert oder großflächig, bewegt es sich oder bleibt es an einer Stelle? Welchen Namen würdest Du ihm geben? Es ist wichtig, dass Du es beim Betrachten – Hineinspüren – so wenig wie möglich bewertest, denn so, wie es ist, ist es ja nun mal da, ob Du willst oder nicht. Die Kuh steht nun da, so, wie sie ist, und sie freut sich, wenn sie so sein darf, wie sie ist.
Dann hören die Gefühle auf, am Zaun zu randalieren. Sie toben sich aus, fressen sich satt auf der großen, grünen Wiese und schlafen friedlich ein.
Das ist der Weg.
Wenn Du das nächste Mal Gefühle laut in Dir muuuuhen hörst und Du die Kontrolle behalten willst, dann:
Gib der Kuh eine weite Wiese.
P.S.: Siehe auch Wie man schwierige Gefühle überlebt und Wie man schmerzhafte Gefühle überlebt.
Photo: UweRichterPhotography
Sehr gut! Danke!
Bilder in meinem Kopf! 🙂 Schön und klar ausgedrückt; danke!
Hugs,
Linda
Super Version des Hier und Jetzt, Tim (und so ganz ohne Liste für den Kopf)!
herzig <3 🙂
Also so etwas wie tief durchatmen und bis 10 zählen… leider kopft mein Kopf dann immer noch weiter, anstelle mal still zu sein. 🙁
Bis 10 zu zählen ist eher ein Versuch, das Gefühl „wegzumachen“. Bevor wir’s loslassen können (bzw. es uns loslässt), müssen wir’s aber zulassen. Nicht die Atmung wahrnehmen, sondern das Gefühl.
Jetzt steh ich auf dem Schlauch. Dann hab ich das mit der Wiese nicht wirklich verstanden…
Wenn Du bis 10 zählst … dann erwartest Du ja, dass die Gefühle bis 10 gefälligst wieder in ihrem Käfig zu sein haben.
Der Kuh eine weite Wiese zu geben bedeutet hingegen, sie da sein zu lassen, ihr den Raum zu geben, den sie braucht … bis sie sich ausgetobt hat und wieder von allein einschläft.
Ich denke, das ist ein sehr großer Unterschied. Weißt Du, wie ich’s meine?
Jain. Wenn mich aber etwas wütend macht, dann sollte das auch mal raus kommen (ich bin eine, die die Wut meistens schluckt – inzwischen auch schon körperlich spürbar). Was soll ich dann in der Zwischenzeit machen, während die Kuh das Weite in der Wiese sucht?
Am besten ist es, denke ich, die Kuh zu beobachten, in das Gefühl hineinzuspüren.
Wären die Gefühle immer in der selben Tier-Metapher Gestalt wäre es wohl ein leichtes.
So lass uns die Metapher weiterspinnen und die Kühe als überwiegend positive Gefühle betrachten – wenn man Ihnen genug Raum und Zeit zugesteht.
Manchesmal wird nämlich Exkrement auf deinem Kopf geleert und du begreifst erst nach dem du dich gesäubert hast, dass diese Entleerung aus dem Darm einer Taube stammte, die du nicht kommen hast sehen, weil du zusehr damit beschäftigt warst, deine Kühe zu observieren.
Ja, da darf man sich auch wirklich beschissen fühlen
– mit dem Vorsatz sich wieder reinzuwaschen.
Zum Glück, gibt es dann am Abend ein Glas Milch von den positiven „Kuh“gefühlen, auf die du trotzdem weiterhin achtgegeben hast, anstelle aus Angst vor weiteren Attacken alles vernachlässigt zu haben 😉
Manchmal in beschissenen Situationen, darf man sich wirklich beschissen fühlen, selbst wenn man den Ursprung noch nicht ganz kennt.
Nur unsere anderen Gefühle, die positiven, sollten darüber hinaus immer noch zur Kenntniss genommen werden.
Dieser Text zeigt sehr schön, dass es im allgemeinen wichtig ist, sich und sein Leben anzunehmen, wie es ist.
Wenn wir in die Annahme kommen und akzeptieren was ist, können wir uns mehr darauf fokussieren, evtl. etwas zu ändern. Wenn wir aber entgegen unsere Energie mit Hass und Missverständnis verschwenden, vergiften uns diese negativen Gedanken.
Beispiel Krebs:
Haben wir diese unschöne Diagnose bekommen, haben wir nun 2 Möglichkeiten:
1.) Wir können den ganzen Tag heulen, uns hassen und Unmissverständnis zeigen. Diese negativen Gedanken schwächsen zusätzlich unser Immumsystem, da Gedanken auf den Körper übergeben und wir verschwenden unsere wichtige Zeit mit diesem Gedankengift.
2.) Wir nehmen diesen Zustand an, versuchen den Krebs zu verstehen und uns anzupassen. Es gibt oftmals noch gute Methoden, wie auf eine artgerechte Ernährung zu achten oder auf Aprikosenkerne und alternative Vitamin B 17 Methoden zu greifen. Allein die Akzeptanz dessen was ist und positive Gedanken werden sich positiv auf den Körper auswirken.
Und so ist das in allen Bereichen in unserem Leben. Geht unser Partner fremd, sollten wir vielleicht ersteinmal verstehen, wieso dies passiert ist. Vielleicht fehlte ihm etwas o.ä.
Wenn dem nicht so war, müssen wir annehmen, dass es der falsche Partner war und können froh darüber gewesen sein, dass wir es noch gemerkt haben, bevor wir jahrelang hintergangen werden.
Wenn wir uns gegen ein negatives Gefühl lehnen, dann machen wir uns damit richtig krank. Alles was wir nicht haben oder erreichen können, löst in uns Stress aus, daher ist die Annahme so wichtig. Schöner Artikel, den du hier geschrieben hast. Danke dafür!
Beim ersten Satz stimme ich zu, Daniel. Dann gehst du sofort in die Polarität zurück. Es wird zu einem Annehmen, um zu … Kannst du dich nicht einfach weiden an dem was da ist, so wie die Kuh?
Immer wieder in bewusst in die Gegenwart zurückkommen und den Geist nicht einfach sich selbst überlassen. Das ist ein großartiges „Rezept“. Die Schwierigkeit ist meist, dass man gerade dann nicht daran denkt, wenn man es am meisten bräuchte. Aber auch das ist eine Sache der Übung.
Hey Tim,
hervorragend geschrieben, mit einem tollen Querverweis zum Zen-Meister. Man kann hieraus sehr gut ableiten, dass es im Grunde keinen Wert hat was un zustösst. Sondern viel mehr, wie wir mit dem was uns geschieht umgehen und was Wwir DARAUS machen.
Schönen Abend,
Marco