Teile diesen Beitrag "„Irgendwie anders“: Was Du von Exzentrikern lernen kannst"
Text von: Lena Schulte
„Wir verbringen so viel Zeit damit das zu tun, was andere von uns wollen, dass wir irgendwann im Spiegel einen Fremden sehen.“ – Anthony T. Hincks
Ich habe viel Zeit damit verbracht, das zu tun, was andere von mir wollten. Habe vier Mal die Woche nach der Schule in dem Keller meines Nachhilfelehrers gehockt, weil meine Lehrer meinten, mein eklatantes Desinteresse an „Peter kauft sich 70 Melonen, mit welcher Geschwindigkeit fällt in China also ein Sack Reis von der Mauer?“-Aufgaben müsse bekämpft werden. Genau so, wie ich meinte, die ewigen Gerüchte um meine Figur bekämpfen zu müssen, indem ich vor den anderen extra viel Süßigkeiten und Fast Food in mich stopfte. Aber habt ihr gesehen, wie schnell sie danach auf dem Klo verschwunden ist…?
So in der Art lief es bei vielen Dingen in meinem Leben. Ich probierte auf Biegen und Brechen nicht weiter unangenehm aufzufallen, sobald ich merkte, dass andere mit meiner Art unzufrieden waren. Vieles machte ich dadurch aber einfach nur noch schlimmer. Irgendwann sah ich im Spiegel zwar keine gänzlich fremde Person, wohl aber in meine schizophrene Maske, die ich mir übergestülpt hatte. Ich wusste nicht mehr so recht, wer ich eigentlich wirklich war. Ich wusste nur, dass ich ziemlich schlecht darin war, als normal empfunden zu werden.
Ich will doch nur dazugehören
Anders zu sein kann sehr anstrengend werden. Egal, ob man das Etikett von anderen verpasst bekommt, oder man selbst immer wieder merkt, dass man irgendwie nicht so recht dazugehört. Für mich war immer die Angst vor einem potenziellen Entzug der Rudelwärme Grund für Entscheidungen, die nichts mit mir und meinen wahren Bedürfnissen zutun hatten.
Das ist nicht verwunderlich, immerhin ist der Wunsch, sich in seiner Gruppe wohlfühlen, eines der drei psychologischen Grundmotive, die uns antreiben. Die Meinung anderer kann uns nur schwer egal sein, hat sie doch wichtige Funktionen: Nur durch die Reaktionen unserer Mitmenschen bekommen wir gespiegelt, dass das, was wir denken und tun in Ordnung ist. Und wir selbst dementsprechend auch in Ordnung sind. Dadurch können wir mit Verbundenheit und Vertrautheit rechnen. So lange wir den gängigen Normen also nachgeben, drücken wir unsere Zugehörigkeit aus, bekommen Wärme und alle liegen sich in den Armen. Aaaww.
Aber wie können wir damit umgehen, wenn wir wissen, dass anscheinend ein kleiner „Herr Irgendwie Anders“ in uns schlummert?
Der Neuropsychologe David Weeks hat viele Jahre erforscht, was Exzentriker auszeichnet. Als Reinform des Andersseins haben sie nicht nur eine ordentliche Portion Selbstbewusstsein, sondern sind auch gesünder, weil sie ihre unangepasste Lebensweise weniger stresst und glücklicher macht.
Folgende mentale Haltungen fand ich besonders inspirierend:
Exzentriker schöpfen ihre Kraft aus ihrem Selbstverständnis
Man kann, so wie ich, Angst davor haben, dass man als irgendwie anders wahrgenommen wird und dann versuchen, seine Andersartigkeit zu verdrängen. Ich probierte das, ohne mich genauer anzusehen. Ich wusste nur, dass ich nicht passte. Warum genau ich nicht passte, auf diese Frage verwendete ich nie sonderlich viel Mühe. Der Exzentriker hingegen kennt sein „Warum“. Exzentrik heißt frei übersetzt nämlich:
„Fähig zu sein, seine einzigartige Individualität zum Ausdruck zu bringen.“
Die Künstlerin Elke Koska sagte in einem Interview einmal, dass Anderssein zwar bedeutet, alleine zu sein. Aber anstatt daran zu zerbrechen, dachte sie bereits früh darüber nach, wer genau sie ist, was genau sie vom Leben möchte und wie sie ihr Leben so gestalten kann, dass sie diese Andersartigkeit auf die bestmögliche Art und Weise ausleben kann.
Wer nicht weiß, welche Geschenke die eigene Andersartigkeit auch bereithält, findet nur schwer Orte, Leute oder Projekte, bei denen er sich wohl fühlt und das eigene „Warum“ am besten zum Ausdruck bringen kann. Ich musste erst ganz klassisch von der Provinz ins verrückte Berlin ziehen um zu merken: Es gibt auch Orte und Leute, die Andersartigkeit feiern.
Allein sein muss zudem auch nicht unbedingt einsam heißen. Man kann im überfülltesten Club tanzen und sich gleichzeitig todeinsam fühlen. Allein oder All-Ein sein, hingegen kann eine mentale Haltung sein, der eine emotionale Wärme zugrunde liegt, die aus uns selbst heraus strahlt.
Sie bleiben gelassen und nehmen die Dinge mit Humor
Dass Exzentriker so viel gesünder sind und bis zu sechzehn Mal weniger zum Arzt gehen müssen als Otto Normallebende, erklärt David Weeks damit, dass sie sich nicht an Konventionen stören. Das Gerede anderer oder auch die Frage „Was sollen die anderen denn denken?!“ kümmert sie schlicht und ergreifend nicht. So fällt nicht nur viel negativer Stress weg, sie haben auch deutlich mehr Lebensfreude. Ziemlich schöne Vorstellung: Gesund durch gut gelaunten Gleichmut.
Gut, diese Endgegnerstufe der Selbstbewusstseins-Challenge werde ich wohl nicht erreichen. Für mehr Gelassenheit im Alltag hilft mir jedoch die Frage: Wie wichtig wird diese Situation/ dieser Mensch in fünf Jahren noch sein? Und wenn es nicht wichtig sein wird: Kann ich es jetzt schon mit Humor nehmen?
Die Kommentare über meine Figur treffen mich jetzt schon, seitdem ich ein Kind bin. Meistens kommen sie jedoch von Leuten, die mir nichts bedeuten. Deswegen fällt es mir inzwischen auch nicht mehr schwer, den Spieß umzudrehen und mit einer ernsten, sowie leicht psychotisch angehauchter Mine zu verkünden, dass nur mein Geburtsgewicht ein akzeptables für mich ist. Das ist nicht nur witzig für mich, sondern sorgt auch ziemlich schnell für Ruhe.
Sie bewahren sich das kindliche Strahlen in den Augen
Exzentriker sind unglaublich neugierig. Egal, ob es darum geht, Bestehendes zu hinterfragen oder sich mit allen Fasern ihres Seins ins Unbekannte zu stürzen. Sie graben nach den Möglichkeiten, anstatt das Problem zu bewässern. Neues macht ihnen keine Angst, es ist sogar notwendig, um geistig fit zu bleiben. Die Welt sehen sie als ein Abenteuer, das es zu entdecken gilt. Dass es keine Fabelwesen gibt, ändert also weder was an der guten Laune, noch daran, nicht doch einmal mit einem Kescher durch den Wald zu stiefeln und sich überraschen zu lassen. Wie bei Kindern ist es der Prozess, der das Hier und Jetzt so aufregend für den Exzentriker macht.
Ob es nun am Flughafen oder die Stille des Morgens ist: Es gibt viele Dinge, die unser inneres Kind staunen lassen können. Wir vergessen im Alltag nur oft, dass es sich lohnt, kurz inne zu halten und unseren Geist wieder für die vielen kleinen Wunder zu schärfen, die tagtäglich direkt vor unserer Nase geschehen.
Sie sind frei
Am meisten fasziniert mich an Exzentrikern ihre innere Freiheit. Sie sind frei von Konventionen, frei von „Ich muss“ und voll mit „Ich kann/ Ich darf/ Ich möchte“. An ihnen sehen wir, dass Anderssein nicht unbedingt Einsamkeit bedeuten muss, sondern auch heißen kann, die eigene Fülle zu entdecken. Vor allem erinnern sie uns daran, wie viel Freiheit wir manchmal unnötig verschenken, wenn wir uns in den Erwartungskäfig der Gesellschaft sperren.
Letztlich ist es doch nämlich unser Leben und unser Anderssein. Und wer weiß. Vielleicht ist unser Anderssein auch eine Einladung zu einer ungeahnten Freiheit, die wir nur freundlich annehmen brauchen.
Und vielleicht schnappe ich irgendwann auch mal meinen Kescher und gehe auf Elfensuche. Einfach nur so. Weil ich es kann.
Mehr unter 5 Gründe, anders zu sein.
Photo: Exzentrisch / Shutterstock
Super Artikel. Ich bin also ein Exzentrikern, so schimpft sich das also. Mein Vater meinte früher oft zu mir: «Ist der Ruf erstmal ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert!» Da ist viel Wahres dran. Die Aussage «Ich muss…» würde ich komplett aus dem Wortschatz streichen. Wirklich müssen, tun wir nämlich nur sehr wenig. Spontan fällt mir nur das Sterben ein.
Guter Text und guter erster Kommentar von Minimalist! Exzentrisch schimpft sich das also. Ich dachte früher wohl auch zuerst an Eigenwilligkeit und Launen. Schade, dass dies so unserem Sprachgebrauch entspricht, der damit einen Mangel andeutet. Vielleicht ist es tatsächlich auf einen Mangel in uns zurückzuführen, wenn wir uns „daneben benehmen“, uns aber Freiheiten nehmen, die sich andere weniger nehmen? Bestimmt ein Ja, wenn ich extrem intolerant wäre.
Heute denke ich aber zuerst an das „Sich Anbiedern“ und damit an die Entfremdung und Begrenzung meines Freiheits-Gefühls, wenn es um Anpassung oder Nicht-Anpassung geht. Also auch an meine Gesundheit. Sich Anbiedern oder auch mit viel Energie „sich ins Zentrum rücken“ deutet für mich auch auf einen Mangel hin. Denn damit bin ich nicht in MEINER Mitte, wenn auch mehr in der Mitte von Menschen um mich. Eine Art des Sich-Verkaufens.
Insofern hilft das Sich Vergleichen und das Dagegen Kämpfen auch nicht immer, ob in die ein oder die andere Richtung. Eher eine Bewusstheit oder Einschätzung, dass es Ursachen gibt und damit Grosszügigkeit mir Selber gegenüber. Am ungesündesten ist aber wahrscheinlich tatsächlich ein unstimmiges Angepasstsein mit den entsprechenden Energieblockaden als Folge. So meine Einschätzung.
Die eigene Mitte besetze ich wohl zunehmend mit genug Authentizität, mit geeigneten Absichten und Meditation.
Um auf die Unterüberschriften des Artikels einzugehen und ihre Wirkung auf mich: Die Erste Überschrift beginnt mit „Ich will …“, womit zum Ausdruck kommt, dass ich mit meinem (scheinbaren) Anpassen etwas haben will, das ich als Nicht-Exzentriker glaube zu brauchen. Die anderen Überschriften bezeichnen Eigenschaften des Exzentrikers und bringen hingegen das lebendige Leben des Seins aus dem Innen heraus zum Ausdruck. Der Exzentriker lebt also mehr in seiner Mitte und der Mittelpunkt des Nicht-Exzentrikers ist mehr im Außen!
Zeichen des HABEN-Modus unserer Gesellschaft, die das Leben im Sein vergessen zu haben scheint. Zumindest am Sprachgebrauch abzulesen.
Liebe Lena,
ein wunderbarer Artikel. Genau damit haderte ich auch mein Leben lang. So richtig gelernt zu mir zu stehen, habe ich erst voriges Jahr, als ich mich mehr mit Yoga und Achtsamkeit und Selbstgefühl beschäftigt habe. Vielen Dank für diesen Beitrag 🙂 LG Angelika, http://www.umgekrempelt.at
Hallo liebe Lena,
es gibt so einen schönen Spruch „tu was du willst, die Leute reden doch.“ Du kannst es eh nicht recht machen. Was die einen lieben, finden die anderen blöd.
Und der Witz an der Geschichte: Was kannst du dafür, was die anderen über dich denken?
Der Mensch lernt von klein auf an, was sein Umfeld ihm sagt, wie sie sich verhalten, was gut und richtig, falsch und böse ist …nur mit dem Unterschied, dass es das alles gar nicht gibt. Es sind reine Interpretationen von Menschen in der Umgebung, die auch nur das nachsabbeln und interpretieren, was andere ihnen irgendwann mal eingetrichtert haben.
So guckt Fritz durch die Fritz´sche Brille nach außen und sieht dort etwas, interpretiert dieses und denkt sich eine lustige oder traurige Geschichte darüber aus, was er da sieht, was das bedeutet, blablabla..
Aber was hat das mit DIR zu tun?
NIx.
Du tust etwas, siehst eben so aus wie du aussiehst und die anderen legen da ihre Gedanken und Geschichten drauf.
So What?
Sie könnten ja anderes denken, wenn sie ihren „Glauben“ an das, was sie da sehen, ändern. Viele wollen nicht. Oder wissen nicht, wie das geht.
Guck an einem verregneten Tag nach draußen, wenn du frisch verliebt bist. Der Tag ist schön.
Guck an einem verregneten Tag nach draußen, wenn dein Freund sich gerade von dir getrennt hat. Der Tag ist mies.
Und jetzt die Frage: Was hat das Wetter damit zu tun, wie du den Tag findest?
NICHTS.
Also sei wie du bist und lass die Leute reden und lass ihnen ihre Meinung über dich.
Wenn sie halt gelernt haben, dass ein Apfel doof ist und du bist ein Apfel und sie möchten SICH über einen Apfel ärgern dann lass sie.
Sie denken, was sie denken und du denkst, was du denkst.
Liebe Grüße, Jessi
Ein sehr schöner Text. Auch ich bin immer irgendwie daneben und habe auf den Druck der Umwelt oft aggressiv reagiert. Heute bleibe ich entspannt und gehe meinen Weg. Das Ergebnis ist, dass ich freier bin als viele Menschen um mich herum. Lache mehr, nehme viele Dinge nicht ernst und beschäftige mich überwiegend mit Dingen, die mir wichtig sind. Gearbeitet wird nur das Notwendige, denn gerade am Arbeitsplatz ist die Dichte unglücklicher, gehetzter Leute sehr hoch.
Witzigerweise fällt mir beim Lesen des Artikels folgendes auf:
Lange versuchte ich mich angepasst zu verhalten damit andere mich mögen. Die Folge war, dass man mich seltsam, irritierend, arrogant fand.
Seitdem ich einfach ich selbst bin und meinen Weg gehe, schauen mich die Leute an wie einen bunten Paradiesvogel und suchen meine Nähe um das Geheimnis zu ergründen.
Klarer Fall von: weniger denken, mehr machen.