Teile diesen Beitrag "4-Jähriges Mädchen erzählt Polizei, ihr Name sei „Idiot“"
Getrocknetes Blut im Mundwinkel, dunkelblaue Flecken am ganzen Körper, ein rotes Auge. So fand die Polizei eine Vierjährige im August in Arkansas, USA.
„Wie heißt Du, Kleine?“
„Ich heiße Idiot“, sagte das Mädchen.
Die Polizei vernahm ihre Mutter und deren Freund. Der 47-jährige Mann hatte das Kind regelmäßig geschlagen und immer wieder „Idiot“ genannt. „Aber doch nur im Spaß“, wie er sagte.
So lange, bis das Mädchen glaubte, es hieße wirklich so.
Die Mutter, die bei den Misshandlungen immer nur zugeschaut hatte, und ihr Freund sind jetzt in U-Haft. Der Fall soll noch im September verhandelt werden.
Das Mädchen ist in staatlicher Obhut. Ihre körperlichen Wunden? Vielleicht schon halbwegs verheilt. Die seelischen? Wer weiß, ob die je heilen.
Einfach nur furchtbar. Und zweifach nachdenklich machend: Was gibt es da draußen bitte für kranke Schweine … und welche Abwertungen haben wir selbst, Du und ich, womöglich so verinnerlicht wie das Mädchen?
Welche Beschimpfungen, welches „Das kannst Du nicht!“ und „Nimm Dich nicht so wichtig!“ sind in uns eingesickert, Teil unserer Identität geworden?
Uns Erwachsene wird natürlich niemand von außen retten. Wir müssen selbst die Polizei sein in unserm Inneren. Aufspüren, wo wir falsch behandelt und verletzt wurden, bis wir zu Unrecht glaubten, wir hätten es nicht besser verdient. Seien minderwertig. Nicht gut genug. Zu unfähig, zu blöd, zu scheiße.
Vielleicht können wir, wenn wir uns das nächste Mal selbst hart kritisieren, daran denken:
„Es ist nicht die Wahrheit, die da aus mir spricht, sondern ein kleines, verletztes Kind, das meine Zuwendung braucht.“
Mehr dazu unter Wie man seelische Wunden heilt, unter Wie man schmerzhafte Gefühle überlebt und im myMONK-Buch für mehr echtes, tiefes Selbstwertgefühl.
Photo: David Dodge
Bisher kannte ich das nur als blöden Witz: „Wie heißt, Du denn, kleine?“ „Nein, Chantal.“ Aber die meisten blöden Witze haben einen ernsten Hintergrund.
Ich habe das oft erlebt, dass ich als Kind nicht ernst genommen wurde, weil ich ja nur ein Kind war. Nicht bei meinen Eltern zum Glück, aber im dörflichen Umfeld war das normal. Kinder sind keine vollwertigen Personen. Und so lernen dann die Dorfkinder, dass das eben so ist. Dass man seine Bedürfnisse nicht ernst nimmt. Dass das normal ist. Und dann haben sie Kinder und nehmen die Bedürfnisse der Kinder nicht ernst.
Manchmal scheint es auch extreme Fälle zu geben. Wie im Post beschrieben. Es ist nicht so selten, dass Eltern, die als Kinder Gewalt erlebt haben, selbst wieder zu Gewalttätern werden. Aber wie kann man denen helfen und verhindern, dass das passiert? Keine Ahnung. Die Erwachsenen, die niemand von außen rettet – wenn sie selbst in ihrem Film leben und sich nicht retten können, wer gibt dann den Impuls ins Kino?
Wenn sie Pech haben niemand. Gesunde Erwachsene können aber doch vielleicht irgendwann erkennen, dass ein film läuft, und wenn er schlecht ist, selbst aufstehen und gehen. Auch wenn es schwer ist.
Was mir an diesem wirklich aufrüttelndem wirklich gut gefällt ist der kleine aber feine Hinweis, dass wir als Erwachsene den Auftrag haben, an uns zu arbeiten.
Dieser Fall ist schrecklich. Sicher extrem aber ich denke, dass sehr viele Kinder mit scheinbar weniger harten Sätzen ähnlich stark verletzt- und für das Leben geprägt werden müssen.
Ich finde es dabei wichtig, dass wir dann wirklich unser Leben wieder in die Hand nehmen. Die Wunden heilen; schauen, was wir wirklich für tolle Talente in uns tragen; welch wunderbare Menschen wir sind.
Dafür ist es niemals zu spät und wir können wirklich alles aus unserem eigenen Antrieb schaffen!
Mein Vater hat mich zwar nicht geschlagen, aber ich war entweder blöd oder hab gelogen. Je nachdem, was gerade besser passte. Glückerlicherweise haben sich meine Eltern scheiden lassen als ich 10 war und ich konnte den Kontakt zu ihn auf ein Minimum beschränken und später ganz abbrechen. Aber der Schaden war schon angerichtet. Noch heute reagiere ich sehr heftig darauf, wenn jemand mein Wissen oder meine Ehrlichkeit in Frage stellt. Obwohl ich schon früh gelernt habe, dass mein Vater selbst mit seinem Leben nicht klar kommt (Hauptschule ohne Abschluss, ohne Ausbildung, keine Freunde und Familie vergrault) und eigentlich nur zu bemitleiden ist, fällt es mir ernorm schwer, aus meinem Verhaltensmuster auszubrechen. Mal gelingt es mir, oft aber auch nicht. Aber ich bleib am Ball und arbeite dran.
Ich hoffe, dass dieses Mädchen liebevolle Pflegeeltern findet, die sie dabei unterstützen, dieses Trauma gut zu überwinden.
„Kranke Schweine“. Ernsthaft? Auf der einen Seite erregt ein Wort wie ‚Idiot‘ die Gemüter und auf der anderen Seite wird ein friedfertiges Tier als Synonym für das Handeln von Menschen hergenommen? Warum diese Entkoppelung von dem was tatsächlich ist? Kranke Menschen, … jedoch kein Tier tut oder täte meines Wissens so mit seinem Nachwuchs umgehen. Unpräzise Sprache, nicht benennen was oder wer es tatsächlich ist der handelt … wozu dient das? Passiert ja allenthalben auch anderen Zusammenhängen, z. B. dreckiges Schwein, blöde Sau, etc.
Die Beiträge hier, lese ich in der Regel sehr gerne. Heute bin ich über etwas gestolpert.
Was das Kind erlebt hat ist tragisch und ja, weitreichend. Die Täter dann aber als „kranke Schweine“ zu beschimpfen führt auf einen Pfad, den ich zumindest heute nicht mehr gehen will. Ich finde es nicht hilfreich öffentlich solche Schubladen zu öffnen.
Mit freundlichen Grüßen
A.
Lieber Tim,
ich finde ebenfalls die Bezeichnung „kranke Schweine“ gerade im Zusammenhang mit einem spirituellen Blog nicht sehr passend. Ich versuche bei solchen zugegeben sehr dramatischen Geschichten – die immer so eine Art Volkszorn in uns auslösen – das große Ganze zu sehen und frage mich: Wie wurden der Lebensgefährte der Mutter und sie selbst als Kinder behandelt, dass sie ihren Schmerz an einer Vierjährigen ausagieren müssen?
Natürlich heißt es nicht, dass man seine eigenen Erfahrungen ungefiltert an seine Kinder weiter geben muss. Meine eigene Mutter wurde als Mädchen brutalst geprügelt und sie hat mich und meine Schwester kein einziges Mal geschlagen. Es heißt dann in solchen Fällen immer gerne: „Aber man hat doch eine Wahl, sein eigenes Kind zu schlagen oder nicht. Man ist dann doch so vernünftig und erspart seinem Schutzbefohlenem das eigene erfahrene Leid.“
Ich weiß nicht, ob das stimmt und ob man da eine Wahl hat, die man bewusst trifft, so wie die Entscheidung zwischen der roten und der blauen Pille.
Ich denke, Schmerz und Vorlage, Selbsthass sind so sehr verankert in vielen Menschen, dass sie oftmals wie fremdgesteuert agieren. Das heißt nicht, dass solche Eltern nicht schleunigst ins Gefängnis gehören (obwohl diese Institutionen wohl eher sinnfrei sind), aber ich versuche, auch einen Blick dafür zu haben, wo solche Verhaltensweisen herkommen. Verurteilen erscheint mir da eher unangebracht, weil das, wie gesagt, ohnehin schon die Justiz tut.
Mit herzlichen Grüßen
E.