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Text von: Romy Hausmann

Gestresste Menschen sind gefährlich. Sie haben scharfe Zähne und spitz gefeilte Krallen. Sie zögern nicht, sich auf uns zu werfen und uns in Konfetti-kleine Stücke zu zerreißen beim ersten falschen Wort.

„Jeder hat doch mal Stress“, „Entspann Dich einfach“ oder „Vielleicht solltest Du mal Urlaub machen“. Nach solchen Sätzen ist Rennen oft eine gute Idee, sehr schnell und sehr weit weg. Dabei haben wir es doch eigentlich nur gut gemeint.

Was macht man also mit gestressten Mitmenschen? Betrachten wir sie vorübergehend lieber aus der Ferne? Ziehen wir einen gut gesicherten Zaun um sie herum und nageln ein Schild an für all die anderen, die es nur gut meinen, sich aber unnötig in Gefahr bringen?„Vorsicht, Stress! Ansprechen und füttern verboten!“

Entweder das, oder wir lernen, mit ihnen umzugehen. Wirkungsvoller zu kommunizieren. „Besser“ da zu sein. Schließlich mutieren wir ja selbst manchmal zu den gefährlichsten Stress-Kreaturen – lasst uns also die sein, die wir in solchen Momenten selbst gerne um uns hätten oder bräuchten.

Erst einmal zuhören

Versetzen wir uns in die Lage unseres gestressten Gegenübers: Der Chef ist ein Arsch. Aus hundert, ach was, Trilliarden Gründen: Angefangen damit, dass er uns Überstunden schieben lässt, über die Art, wie er uns vor anderen zur Sau (bzw. gendergerecht zum Eber) macht, weiter über seine hässlichen kleinen Knopfaugen, die uns sogar im Schlaf verfolgen, bis hin zu seiner geschmacklosen Krawatte mit dem unsäglichen Tauben-Motiv. Was wir im Moment wahrscheinlich am meisten brauchen, ist ein guter Zuhörer, bei dem wir einfach mal so richtig Dampf ablassen können.

In der Rolle des (ungestressten) Gegenübers haben wir oft das Gefühl, wir müssten augenblicklich mit Ratschlägen um uns werfen. Sofort eine Lösung aus dem Hut zaubern. Wir lechzen förmlich danach, unsere eigenen Erfahrungen einzubringen. Wir hören nicht mehr zu, weil wir die Perlen unserer Weisheit schon mal im Kopf vorsortieren und grätschen in die nächste Atempause hinein.

Dabei geht es oft gar nicht darum, Lösungen zu finden. Manchmal gibt es auch gar keine, zumindest keine, die straffrei wären. Auch unsere Erfahrungen können für einen anderen Menschen keine Schablone sein.

Wie wir wirklich helfen können: Den anderen erst einmal ungestört reden lassen. Sogar neurowissenschaftliche Studien der Universität Harvard belegen: Unser Gehirn reagiert auf die Möglichkeit, frei und ungestört sprechen zu dürfen, ähnlich befriedigt, wie wenn wir essen oder Sex haben. (Wer hätte gedacht, dass der widerliche Chef einen doch nochmal zum Höhepunkt bringt, zumindest im Kopf.)

Wenn wir vom reinen Zuhörer zum Gesprächspartner werden oder werden wollen, können uns die folgenden drei Dinge helfen.

1. Offene Fragen stellen

„Fühlst Du Dich jetzt besser?“ – „Nein.“

Das ist ein typisches Beispiel für eine geschlossene Frage – und eine Sackgasse. Gespräch beendet, danke für nichts. Hilfreicher: „Wie geht es Dir dabei?“ Eine offene Frage, die eben nicht mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden kann. Sobald wir solche Fragen stellen, bringen wir unser gestresstes Gegenüber dazu, Bedrückendes zu benennen. Zum Beispiel: „Wenn der Chef mich immer so runterputzt vor den Anderen, hab ich das Gefühl, ich kann gar nichts. Und die Scheiß Tauben auf seiner Krawatte starren mich an und lachen mich aus!“

Der Psychologe Matthew Lieberman von der University of California hat dazu geforscht und sagt: „Wenn wir den Stress benennen und uns darüber mit anderen austauschen, wird das Gehirn auf gute Weise stärker aktiviert, als wenn man über den Kummer alleine grübeln muss. Das hat zur Folge, dass die negativen Emotionen schneller nachlassen, sie werden zügiger und besser verarbeitet.“

2. Vorsicht vor „Warum?“

Spätestens die Sesamstraße hat uns beigebracht, dass es wichtig ist, nach dem „Wieso/ Weshalb/Warum“ zu fragen. „Wer nicht fragt, bleibt dumm.“ Dabei hatten es Ernie und Konsorten wahrscheinlich nie mit einem gestressten Menschen zu tun.

„Warum regst Du Dich denn so auf?“ fragen wir, vermutlich sogar aus echtem Interesse. Nur: Ich weiß nicht, wie es Dir geht, aber wenn ich im Stress-Modus bin, habe ich immer Recht … und Gründe brauche ich schon mal gar nicht. Da kann es passieren, dass ein „Warum?“ bei mir herablassend oder wertend ankommt. Auf dem Grabstein des Fragestellers würde dann übrigens stehen: „Darum.“

3. Das Todesurteil in 2 Worten: „Du solltest“

Diese zwei Worte sollten wir vermeiden, denn:

„Du solltest…“ heißt: Wir sollen etwas anders machen. Anders denken. Anders empfinden.

„Du solltest…“ heißt: Bisher handeln, denken und empfinden wir falsch. Zumindest interpretieren wir das in Stresssituationen gerne so. Kein Wunder: Unser Körper wird gerade innerlich geflutet von den Hormonen Adrenalin und Kortisol. Vor allem Kortisol verändert unsere Wahrnehmung und beeinflusst die Informationsverarbeitung massiv. In diesem hormonellen Ausnahmezustand gleicht selbst der bestgemeinte Ratschlag einer Kriegserklärung. „Du solltest Dir einfach einen neuen Job suchen, mit einem Chef ohne Tauben-Krawatte.“ ‚Äh, ja, und Du solltest Dich mal lieber ganz schnell vom Acker machen!

Warum wir uns den Stress mit gestressten Menschen trotzdem antun sollten

„Ach, weißt Du was, meld‘ Dich einfach, wenn es Dir wieder besser geht…“

Vergessen wir nicht, dass hinter der Stress-verzerrten Fratze das Gesicht eines guten Freundes oder Familienmitglieds steckt. Jemand, den wir mögen oder lieben. Jemand, der sich im Moment selbst nicht wohlfühlt in seiner Situation. Jemand, der unsere Hilfe braucht. Lass uns da sein, meinetwegen mit Ganzkörper-Schutz-Anzug gegen die Kratzspuren scharfer Krallen. Und weil wir selbst wissen, wie beschissen es ist, in Stress-Situationen alleine klarkommen zu müssen. Da-Sein schafft Verbundenheit. In guten, schlechten und in stressigen Zeiten.

Mehr unter Wie man aufhören kann, genervt und verletzt zu sein und unter 5 Wege, Dich besser abzugrenzen von den Gefühlen anderer.

Photo: Depressed Student / Shutterstock