Teile diesen Beitrag "Die Energie fließt, wohin die Aufmerksamkeit geht"
Text von: Lena Schulte
Man stelle sich einen leicht versnobten Gentleman mit einem leicht versnobten Schoßhund in einem leicht versnobten Etablissement vor. Der Mann ist ein ausgewiesener Weinkenner. Die geübten Drehungen seines Rotweinglases verraten ihn. Er soll den Wein beschreiben. Das tut er – und Herr im Himmel, er entpuppt sich als die Kalaschnikow der Rotweinbeschreibungen. Holzig, ein Hauch von Brombeere, ledern, ein Rotwein erster Klasse, feuert er, und trumpft mit den schillernsten Farben der Weintrauben-Enzyklopädie. Währenddessen lachen sich ein paar Forscher ins Fäustchen. Der Experte trinkt nämlich gar keinen Rotwein – er trinkt einen rotgefärbten Weißwein.
Das Spotlight der Erwartungen
Gut, möglicherweise lief das Experiment nicht ganz so wie in meiner Vorstellung ab – das Ergebnis bleibt trotzdem dasselbe. Die Wein-Experten in dem Experiment haben so sehr erwartet, Rotwein zu trinken, dass ihre geschulte Wahrnehmung systematisch übers Ohr gehauen wurde. Dieses Phänomen nennt sich Bestätigungsfehler. Hat man vielleicht schon einmal von Pipi Langstrumpf gehört, wenn sie sich die Welt macht, wie sie ihr gefällt. In der Wissenschaft hat es bereits einige Experimente dazu gegeben (falls Du eine Minute Zeit hast, kannst Du auch dieses berühmte Experiment selbst mal mitmachen) und die Ergebnisse zeigen:
Wir sind in der Lage, Informationen so zu verdrehen bzw. auszublenden, dass sie unseren Erwartungen besser entsprechen. Wenn die Realität eine Bühne wäre, dann sind unsere Erwartungen sozusagen das Spotlight, das unsere Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Punkt fixiert. Der weniger gut beleuchtete Teil der Bühne ist zwar auch noch vorhanden – der kann für unsere Wahrnehmung zuweilen jedoch ziemlich uninteressant werden.
Die Welt ist voller Lügner – und das stimmt wirklich
Das, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten, bestimmt unsere Erfahrungen, die wir mit der Welt machen. Und wenn unsere Erfahrungen unseren Erwartungen entsprechen, wird das Spotlight immer heller und heller. Es ist also kein Wunder, dass für manche Menschen die Welt voller inkompetenter Kollegen, Lügner und Betrüger ist. Für diejenigen ist sie das nämlich wirklich.
Wenn wir beispielsweise auf der Arbeit das Gefühl haben, ein Kollege ist ein absoluter Trottel, könnte es auch sein, dass wir die guten Dinge, die der Kollege tut, gar nicht mehr wahrnehmen können. Einfach, weil wir wie ein Scanner nach nervigen Verhaltensweisen suchen. Oder wenn wir schlecht drauf sind, könnten sich unsere zu erledigenden Arbeitsaufgaben als viel schwieriger und problematischer herausstellen, weil wir in einem Modus sind, in dem wir gar nicht mehr auf Lösungen achten. Unreflektiert durch den Alltag zu sprinten, erhöht also die Gefahr, dass unsere mentalen Filter auf Autopilot laufen.
Worauf wir unsere Aufmerksamkeit legen (egal, ob nun bewusst oder unbewusst), legt zu einem nicht unerheblichen Teil fest, wie unser Leben verläuft. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit kontrollieren können, kontrollieren wir also auch einen großen Teil unseres Lebens. Aufmerksamkeitskontrolle übt sich fürs Erste am besten an bewussten, kontrollierbaren Situationen, in denen man sich selbst ertappen und korrigieren kann.
Aufmerksamkeitskontrolle üben
Bleiben wir auf der Arbeit. Vielleicht würden wir uns dort mehr Produktivität für uns wünschen. Dann bedeutet Aufmerksamkeitskontrolle Ablenkungen wahrzunehmen und sich im Laufe des Tages immer wieder gegen diese Ablenkungen zu wehren. Wenn wir also gerne das Gefühl hätten, am Tag produktiv gearbeitet zu haben, müssen wir erkennen, in welchen Momenten wir nicht wirklich bei der Sache sind. Bei mir ist es viel zu oft die Technik, die mich ablenkt – obwohl die Technik eigentlich dafür da ist, uns zu unterstützen.
Denn selbst wenn wir die Push-Benachrichtigungen deaktivieren, dem Telefon einen Maulkorb verpassen und außer Sichtweite legen, besteht immer noch ein Problem: Wir sind inzwischen dran gewöhnt, alle paar Minuten abgelenkt zu werden. Wir erwarten es und diese Erwartung wirkt sich auf unsere Aufmerksamkeitsspanne und unser Verhalten aus.
Wir müssen uns also auf frischer Tat ertappen. In welchen Momenten halte ich plötzlich doch wieder das Handy in der Hand? Wie lange konnte ich mich ohne meinen Mailkasten konzentrieren? Wenn wir uns ertappen, erkennen wir unser Verhalten deutlich und können mit etwas Reflexion darüber auch die Erwartung, die hinter diesem Verhalten steht, auf die Schliche kommen. Es reicht jedoch nicht, sich einfach nur von technischen Störfaktoren abzulenken. Auch unsere Gedanken wollen gelenkt werden, damit wir sie fokussieren können.
Das ist natürlich erst einmal absolut paradox, da Gedanken kommen und gehen und alles dafür tun, sich eben jeglicher Kontrolle zu entziehen. Allerdings ziehen sie schnell weiter, wenn wir gedankliche Ablenkungen kurz würdigend wahrnehmen und unsere Aufmerksamkeit dann bewusst wieder zurückführen. Wenn es wichtige Einfälle sind, können wir sie in Stichpunkten auf einem Notizzettel festhalten. Dann können wir uns später um sie kümmern.
Jürgens Gehirn weiß Bescheid
Wenn Realität zu einem großen Teil subjektiv ist, dann ist natürlich die interessante Frage für unser Leben überhaupt: Was soll möglichst viel meine Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen? Das Positive? Das Negative? Wenn wir uns bewusst entscheiden, was wir in der Welt sehen wollen, dann können wir unser Gehirn dazu überreden, das Spotlight nach und nach danach auszurichten. Wenn jemand die Welt lange für einen bösen Ort hält, wird der auffällig hohe Potenzwert an miesen Menschen natürlich nicht von heute auf morgen verschwinden. Unsere Erwartungen sind dem Gehirn schließlich heilig. Doch durch neue Erwartungen können wir Erfahrungen schaffen, die sich wiederum auf unser Verhalten auswirken.
Und dann können wir souveräner reagieren, nicht nur das Schlechte, sondern auch das Gesamtbild sehen. Dann schreit das Gehirn irgendwann nicht nur: „AHA! Ich hab’s doch gewusst, ich habe es Dir immer gesagt, Jürgen, alle Menschen sind schlecht, alle, alle, alle!“ Stattdessen könnte es sagen: „Ach, halb so wild. Jeder Mensch macht mal Fehler, ansonsten wären wir keine Menschen.“
Ich finde die Vorstellung tröstlich, dass die Realität nicht in Blei gegossen sein muss. So habe ich zumindest die Wahl, mich manchmal auch für meine Perspektiven zu entscheiden. Und wenn ich mal keine Lust auf den ganzen negativen Mist habe, dann mache ich mir die Welt eben wirklich, wie sie mir gefällt.
Mehr unter: Wer sich auf das Problem konzentriert, macht es größer.
Photo: Man watching von Saviour Mifsud / Shutterstock
Hey Lena.
Für mich lässt sich die Aufmerksamkeit (und damit ja wie gesagt auch die Energie) sehr gut durch das Schreiben lenken. Ich schreibe inzwischen jeden Morgen und jeden Abend ein bisschen was, sei es in mein „Erfolgs-Journal“ (super Sache) oder Antworten auf Fragen zur Selbstreflektion (aus verschiedenen Quellen, z.B. Blogs, Kurse oder Bücher).
Hey Marco, danke für Deinen Kommentar 🙂 Ich finde auch, dass das Schreiben mitunter auch ziemlich meditativ sein kann.
Liebe Grüße
ein herzliches hallo,
ein gutes mittel – um die aufmerksamkeit zu stärken – ist – die meditation. mal 15 minuten auf dem hintern sitzen…….und NIX tun…….außer – die gedanken kommen und gehen zu sehen. sich nicht darin zu verlieren – kein drama – keine story stricken…….wie wolken……………sie kommen und gehen. so ist es auch mit allem. es kommt und geht. nothing last forever……weder das negative noch das positive. alles geht vorüber. in unangenehmen situationen tröstlich…….in glücklichen momenten………….na……das wollen wir doch jetzt festhalten und immer und immer erleben…….. 🙂
doch siehe……………..auch dies geht vorüber. das ist die polarität des lebens.
inspiriertes wochenende
Ein herzliches Hallo zurück 🙂 Jaa, Meditation ist wirklich ein gutes Mittel. Aber ich schaffe leider noch keine 15 Minuten, nach spätestens 12 bin ich raus 😀 Aber auch da macht Übung den Meister 🙂
Hallo Tim,
Realität – das ist eine interessante Konstruktion, die weniger objektiv ist, als es zuerst den Anschein hat. Da gebe ich dir völlig recht. Man fokussiert sich leider meist auf die Probleme als auf eine Lösung, wird darüber unglücklich und verliert den Blick auf die objektive Welt.
Ich musste bei deinem Beitrag an etwas denken, das beim Fahrsicherheitstraining haften geblieben ist: „Wenn du von der Straße abkommst, sieh niemals den Baum an – denn an dem wirst du sonst aufprallen. Fokussiere dich auf das freie Feld daneben und du wirst diese Richtung einschlagen.“ Klingt plump, aber meint genau das, was du thematisierst.
Was ich mir für meine eigene Stimmung zu Herzen genommen habe und gern vorkrame, wenn es mir schlecht geht: „when i get sad i stop being sad and be awesome instead“ – Barney Stinson
In diesem Sinne – ein awesome Wochenende dir
Hey Tanja, das mit dem Fahrsicherheitstraining ist ein guter Tipp! Und passt auch gut zum Thema 🙂 Dein Grüße leite ich an Tim weiter 🙂 LG
Hallo Lena,
hatte total übersehen, dass der Text von dir ist (shame on me… Speedleser mit Sieb-Gedächtnis ist eine miese Kombi) – die Grüße sind selbstredend auch an dich gerichtet :).
Viele Grüße,
Tanja
„when i get sad i stop being sad and be awesome instead“ – den Spruch merke ich mir!
Einer schöner Artikel mit viel „Wahrheit“, diese in Gänsefüßchen weil jeder eine andere hat. Meiner Erfahrung nach lohnt es sich, eine kleine mentale Schatztruhe anzulegen mit Dingen an die man denken kann, wenn man mal nicht gut drauf ist oder alles schief läuft. Das können sein der letzte Urlaub, ein schöner Film, die Begegnungen mit einem besonderen Menschen, eine schöne Kindheitserinnerung, eine Tasse Kaffee… Deckel auf, ein bisschen drin kramen und gleich besser fühlen. Das setzt natürlich voraus, dass man das auch kann und nicht in negativen Gedankenspiralen gefangen ist (Grübeln, Depression, etc.). Und was noch dazugehört ist unablässiges Training, wie beim Erlernen einer Sprache, damit negative Gedankenautobahnen abgerissen werden und neue Pfade entstehen können, Stichwort Neuroplastizität. Man muss ich dafür auch das passende äußere Umfeld schaffen, damit negative Einflüsse verringert und Positives gefördert wird. Einfach ist es also keineswegs und viele Faktoren fließen in die Rechnung ein.
Just my two cents.
Hi Thomas, danke für den Kommentar 🙂 Dem kann ich nichts hinzufügen! LG