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Text von: Christina Fischer

Ich sah es bereits in ihrem Blick, noch bevor sie es tatsächlich aussprach: „Du hörst doch nicht wirklich Rock, oder?“. Leise Verachtung schwang in ihrer rauchig-rockigen Stimme mit. „Du siehst nämlich aus wie so ne Disco-Maus.“

Entlarvt.

Ich überlegte hektisch, was mich nur verraten haben konnte. Hätte ich ein Bier bestellen sollen statt mich an einem Prosecco festzuklammern? Hatte ich zu viel die Hüften geschwungen und zu wenig den „Head gebangt“? Letztendlich musste ich mir jedoch eingestehen, dass es ja stimmte. Von Bier wird mir übel, vom Headbangen schwindlig und insgeheim bin ich ständig versucht, den Sängern ein „Sprich gefälligst deutlich!“ entgegen zu rufen. Der Grund, warum ich mich dennoch unter die Rock-Meute mischte, war der, dass ich trotzdem so gerne dazu gehört hätte. Einfach, um überhaupt irgendwo dazuzugehören. Daher arbeitete ich mich daran ab, mich möglichst gut anzupassen, so wie ein Kuckuck im Spatzennest. Doch meine Anpassungsversuche scheiterten so kläglich, als wäre ich vielmehr ein Flamingo in einer Krähen-Gang.

Ist dabei sein wirklich alles?

Es war nicht mein einziger Versuch, mich einer Gruppe anzuschließen. Im Laufe der Jahre durchwanderte ich beinahe jede Szene, die mir vor die Flinte kam – erfolglos. Ich begleitete eine Freundin in Reiterferien, wo ich hinter den ganzen kleinen Wendy-Abonnentinnen hilflos im Sattel schaukelnd zurückblieb. Ich ließ mir von einer Freundin ein neongelbes Stachelhalsband anziehen und mich mit auf ein Hardcore-Techno-Event schleppen. Ich tanzte sogar als Anime-Figur verkleidet über diverse Veranstaltungen. Aber ich konnte in keiner dieser Gruppen wirklich Fuß fassen. Irgendwann in der Mitte meiner 20er dämmerte mir ein möglicher Grund für mein ständiges Scheitern: Der gemeinsame Nenner all dieser Streifzüge war schließlich ich. Es musste folglich an mir liegen, dass ich mich nirgendwo integrieren konnte. Wahrscheinlich, ja ziemlich sicher sogar, stimmte etwas mit mir nicht, denn ich passte scheinbar nirgendwo rein. Wenn „dabei sein“ alles war, wie es das Motto der Olympischen Spiele postuliert, dann war ich nichts.

Das Ding mit der Authentizität

Was mir damals fehlte, war natürlich die sagenumwobene „Authentizität“, ohne die seit einiger Zeit gefühlt gar nichts mehr geht. „Authentizität“ ist die große Schwester vom stets gut gemeinten Rat vor jedem ersten Date: „Sei doch einfach Du selbst“. Wenn das so einfach wäre, denke ich mir aber oft, warum fällt es uns dann so schwer ‚einfach‘ authentisch zu sein? Das Problem kennt auch Schauspieler und Coach Severin von Hoensbroech. Die Regie-Anweisung „Spiel die Rolle doch einfach so, wie Du selbst bist“ stellte ihn regelmäßig vor Rätsel. „Es gibt nichts zu spielen, aber auch dieses ‚Nichts‘ will ja irgendwie gefüllt sein“, schreibt er in „Der authentische Auftritt“. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass Authentizität letztendlich gar nicht so sehr das beschreibt, was in uns drin passiert. Sondern vielmehr das, was im Außen davon ankommt und wahrgenommen wird. Authentizität sei daher vielmehr eine „kommunikative Wirkung“ als alles andere. Dennoch muss es ja drinnen etwas geben, das draußen wirken kann. „Die Hauptsache“ sei jedenfalls, „dass man in dem, was man tut, selbst vorkommt“, schreibt Hoensbroech weiter. Wo aber war ich selbst auf dem Rock- oder dem Technokonzert? Steckte tatsächlich ich in dem Anime-Kostüm? Wenn ich ehrlich zu mir war, hatte ich nichts weiter getan, als meinen Körper leidlich mit den Merkmalen der jeweiligen Gruppe dekoriert und ihn dort abgeladen, in der Hoffnung die Gruppenmitglieder würden mich als ihresgleichen anerkennen, wenn ich sie nur gut genug imitierte. Dabei war ich aber nichts anderes als eine Fassade, ein Pappaufsteller von mir selbst. Wie konnte ich annehmen, dass ich von anderen anerkannt wurde, wenn mich niemand wirklich kannte? Warum sollten sie mich überhaupt wahrnehmen, wenn ich mich gar nicht wirklich zeigte? Und außerdem: Wer war ich denn nun eigentlich überhaupt?

Der große Wunsch nach Verbundenheit

Immer, wenn ich mit aller Gewalt irgendwo dazu gehören wollte, passierte früher oder später dasselbe: Mir ging die Puste aus. Es kostete mich unglaublich viel Kraft, so zu tun als gehörte ich dazu. Oft verleugnete ich mich sogar selbst, weil meine eigenen Ansichten und Überzeugungen nicht mit denen der jeweiligen Gruppe übereinstimmten. Was, wenn die Rocker spitzgekriegt hätten, dass ich unter der Dusche am liebsten „Memory“ aus „Cats“ schmetterte statt „Highway to Hell“? Und das wäre ja nur die Spitze des Eisbergs voller unrockiger Eigenschaften gewesen. Also wertete ich all das ab, was mich zwar ausmachte, aber nicht zu „den anderen“ zu passen schien – ein Schlag mit dem Abrisshammer auf mein Selbstwertgefühl. Ich gehörte nicht wirklich dazu, verlor mich dafür aber immer mehr in der Scharade, die ich für die anderen aufführte. Echte Verbundenheit? Fehlanzeige.

Flagge zeigen

Es war als hätte ich all die Jahre eine Tarnkappe getragen: Ohne Selbst-Bewusstsein und Selbst-Wert machen wir uns nahezu unsichtbar – nicht nur für andere, sondern auch für uns selbst. Erst, wenn wir uns langsam bewusst werden wer wir überhaupt sind, uns allmählich wertschätzen können für das, was wir sind und letztendlich auch den Mut aufbringen, uns zu zeigen, werden wir sichtbarer. Als würden wir das Trikot einer fremden Mannschaft über dem tragen, für dessen Team wir eigentlich spielen. Erst wenn wir das falsche Trikot ausziehen und zeigen, zu welcher Mannschaft wir gehören, können die anderen erkennen, dass wir für das gleiche Team spielen wie sie. Die US-amerikanische Psychologie-Professorin und Autorin Bréné Brown hat einige Jahre zum Thema Verbundenheit und Scham geforscht und dabei herausgefunden, wie wichtig Selbstakzeptanz für das Gefühl der Zugehörigkeit ist:

„Weil wahre Zugehörigkeit nur dann stattfindet, wenn wir der Welt unser authentisches, unvollkommenes Selbst präsentieren, kann unser Zugehörigkeitsgefühl niemals größer sein als unser Niveau der Selbstakzeptanz.“ (Daring Greatly: How the Courage to Be Vulnerable Transforms the Way We Live, Love, Parent, and Lead)

Natürlich kostet das Überwindung. Bréné Brown schreibt aber:

„Mut beginnt damit, sich zu zeigen und sich sehen zu lassen.“

Je mehr wir uns also aus der Deckung wagen, desto mutiger werden wir und desto leichter fällt es uns nach und nach.

Für welches Team spielst Du?

Der Weg zu Verbundenheit ist selten gerade und gut gepflastert – das stelle ich auch heute immer noch fest. Wir haben kein Navigationsgerät, das uns sagt, wo es lang geht und wann wir “bitte wenden müssen”. Aber dafür besitzen wir einen Kompass, der uns zumindest eine grobe Richtung anzeigen kann: Unsere Intuition. Wir wissen oft ziemlich gut, wann es für uns passt und wann wir uns eigentlich zu etwas zwingen, das uns nicht entspricht. Dann fühlen wir uns unruhig, unkonzentriert, ausgelaugt und erschöpft oder antriebslos. Wir wissen, auch wenn wir dafür vielleicht erst tief graben müssen: Etwas stimmt nicht, hier läuft etwas falsch. Und vielleicht sind ja wir selbst gerade einfach in eine ganz falsche Richtung unterwegs.

Statt nach unserer Intuition richten wir uns viel zu oft danach aus, ob andere uns mögen oder was andere über uns denken (könnten). Dabei haben wir weder das eine noch das andere wirklich in der Hand. Der US-amerikanische Drehbuchautor und Regisseur Charlie Kaufmann sagt: “Du bist das, was Du liebst und nicht, was Dich liebt”. Meine Intuition sagt mir, dass da etwas dran ist. Was aber auch stimmt: Wenn das eine da ist, kommt das andere auch. Je mehr Selbstakzeptanz und Selbstliebe wir fühlen, desto eher nehmen wir Menschen wahr, denen wir uns von Herzen zugehörig fühlen und umgekehrt.

Ich für meinen Teil habe zumindest schon sehr lange kein neongelbes Stachelhalsband mehr getragen. Das verbuche ich als ein gutes Zeichen.

Photo: von blonde woman standing von Robsonphoto / Shutterstock