Teile diesen Beitrag "Immer „busy“: Die Sucht nach Beschäftigung und wie man sich befreien kann"
Text von: Christina Fischer
„Nachrichten kennen keinen Feierabend“ ist ein Satz, den ich als Journalistin oft höre – und sage. Sogar mit einer Spur Stolz. Ich rechtfertige damit vor mir selbst mitunter freiwillige Nachtschichten, etliche Überstunden, frühes Kommen und spätes Gehen, kurzfristiges Einspringen und Sonderschichten. Und ich tue es freiwillig und meistens mit dem guten Gefühl, dass es wichtig ist, was ich mache. Dann schlafe ich abends nach „vollbrachtem Tagwerk“ zufrieden ein mit dem ruhigen Gewissen, etwas geleistet zu haben.
Doch in manchen Momenten meldet sich ein Gefühl in meinem Bauch, das mich etwas zweifeln lässt. Wenn ich nach langer Zeit Freunde treffe, und nach einer Nacht voller Arbeit kaum die Augen aufhalten kann. Wenn ich das Wochenende durchgearbeitet habe und die Taufe vom Kind einer Freundin verpasse. Oder wenn ich nach besonders arbeitsreichen Wochen Heimweh nach meinem Freund entwickle … obwohl wir in derselben Wohnung wohnen.
Nur viel arbeiten macht erfolgreich … oder?
„Ein bisschen gestresst“, antworte ich auf die Frage, wie’s mir geht. Mit einem Lächeln und einem Schulterzucken. „Na, was will man auch machen“ oder „Besser so als umgekehrt“ heißt es dann im Ton einer Gratulation. Meine Überstundenzahl trage ich manchmal tatsächlich wie einen fetten Orden auf der Brust.
Damit bin ich nicht alleine. Nicht in Deutschland und erst recht nicht in der Welt. 41,5 Stunden arbeiteten die Deutschen laut dem Statistik-Portal „Statista“ pro Woche. Und damit liegt Deutschland im weltweiten Vergleich immer noch unter dem Durchschnitt. In Japan arbeiten nach einer amtlichen Statistik rund 22 Prozent der Arbeitskräfte sogar (weit) mehr als 49 Stunden pro Woche. Was bleibt da noch übrig neben Schlafen, Einkaufen, Arzterminen und Haushalt?
Wie das Meinungsforschungsinstitut YouGov herausfand, ist die Bezahlung jedem zweiten Deutschen wichtiger als eine geringere Arbeitszeit. Kein Wunder eigentlich. Denn wer erfolgreich werden will, der muss eben viel arbeiten. Das predigen auch die Big-Bosse dieser Welt immer wieder. So sagte die Yahoo-Chefin Maryssa Mayer gegenüber der Nachrichtenseite „Bloomberg“, sie arbeite 130 Stunden die Woche. Auch Donald Trump brüstete sich schon im Wahlkampf gerne damit, wie wenig Schlaf er brauche. Wer also „bei den Großen“ mitspielen will, der muss auch ranklotzen. So scheint es zumindest.
Immer „busy“, nicht nur bei der Arbeit
Unser Drang zur pausenlosen Aktivität zeigt sich auch in den Lebensbereichen, die mit Arbeit (eigentlich) gar nichts zu tun haben. Im Urlaub reißen wir ein straffes Sightseeing-Programm herunter und sind erst zufrieden, wenn wir Fotos von allen relevanten Orten und alle To-Dos im Kasten haben. Nach dem langen Arbeitstag jagen wir uns in Fitness-Studios ans Limit, bis die Zunge über den Boden schleift. Für die richtige „Work-Life-Balance“ quetschen wir noch einen „Power-Yoga-Kurs“ dazwischen und machen Sonnengrüße fürs reine Gewissen.
Doch obwohl wir unseren Alltag mit lauter scheinbar nützlichen Dingen zupflastern und so stolz auf unsere ständige Beschäftigung sind, geht’s uns immer schlechter. Laut Techniker Krankenkasse haben in den letzten 15 Jahren die Krankmeldungen aufgrund psychischer Erkrankungen um fast 90 Prozent zugenommen.
Darum tappen wir so bereitwillig in die Beschäftigungsfalle
In unserer Gesellschaft werden Leistung und ständiges Beschäftigtsein als äußeres Zeichen von Leistung hochgehalten. Und klar: Wer nicht ständig beschäftigt ist, fällt auf. Als ich im Studium noch deutlich mehr Freizeit hatte, antwortete ich öfter auf die Frage, was ich gerade so treibe, mit „Nichts besonderes“. Dann gab’s statt Schulterklopfen eher ein vorwurfsvolles „Na SO schön möchte ich’s mal haben“. Wer setzt sich dem schon gerne aus?
So steigst Du aus dem „Busy-Train“ aus
Es wird Zeit, dass wir aus diesem Zug aussteigen. Egal, was die Gesellschaft davon hält. Denn dieser „Busy-Train“ rast so schnell, dass wir das Beste verpassen. Wir sind zu müde, um die Zeit mit unseren Lieben zu genießen, wenn wir überhaupt welche dafür haben. Wir verlieren den Blick für das Wesentliche. Und wir leisten durch die ständige Hetzerei noch nicht einmal bessere Arbeit.
Hier sind ein paar Anregungen, wie das Aussteigen gelingen kann.
1. Wie ein Zen-Mönch: Nur eine Sache, aber mit voller Aufmerksamkeit
„Schön, wenn man sich das erlauben kann“, höre ich mein altes Ich sagen, „in meinem Job geht das nicht.“ Inzwischen weiß ich: Es geht. Wenn es auch einigen Willen braucht zwischen Postfächern voller Mails mit roten Ausrufezeichen, Kollegen, die an den Tisch kommen, und neuen, dringenden Aufgaben des Chefs. Das Zauberwort ist: Prioritäten setzen. Wenn der Chef etwas Eiliges für mich zu tun hat, dann mache ich das und nur das. Den Kollegen an meinem Schreibtisch schicke ich (höflich) weg, das Postfach lasse ich fürs erste links liegen. Und erinnere mich daran: Wir können vieles gleichzeitig schlecht machen oder eine einzige Sache achtsam und gut.
2. Du hältst länger durch, wenn Du nicht bis zum Äußersten gehst
Wenn ich es mal ins Fitness-Studio schaffe, dann will ich alles rausholen. Also strample ich mich ab, bis ich fix und fertig bin … und muss mich das nächste Mal erst wieder besonders mühsam überwinden. Ähnlich verhalten wir uns auch im Arbeitsleben. Wir lassen uns vereinnanhmen, bis wir nur noch von Wochenende zu Wochenende leben. Wenn denn kein Burnout dazwischen kommt.
Im Sport ist die Lösung einfach: Halten wir uns einfach an feste Workouts in einem überschaubaren Rahmen, können wir uns leichter und öfter motivieren. Auf der Arbeit müssen wir dafür „Nein“ sagen und delegieren lernen. Aber je besser wir das schaffen, desto mehr Ausdauer und Freude gewinnen wir.
3. „To-Dos“ gehören in die Arbeit, nicht in die Freizeit
To-Do-Listen: praktisch im Job, fatal in der Freizeit. Passen wir nicht auf, beherrschen sie bald unseren ganzen Lebensentwurf. Dabei ist es doch viel schöner, uns bewusst nur auf weniges Auserwähltes zu konzentrieren oder die Dinge einfach auf uns zukommen zu lassen. Wer im Urlaub nicht alles „abarbeitet“, der kann immer noch Neues an einem Ort entdecken. Wer sich nicht ins überfüllte „In-Restaurant“ quetscht, der findet vielleicht die charmante Pizzeria in der Seitenstraße. Wer sich nicht mit „Heiraten, Haus bauen, Kinder kriegen“ unter Druck setzen lässt, der findet vielleicht eher heraus, was er wirklich mit seinem Leben machen will (und mit wem).
4. Lerne die Freiräume schätzen
Wir schenken den Lücken viel zu wenig Beachtung, den Zeiten zwischen den Terminen. Dabei sind sie es, die uns ankommen und erholen lassen. Die Tasse Tee am Morgen zwischen dem Aufstehen und dem Weg zur Arbeit. Musikhören in der Bahn, ohne die Mails zu lesen. Der Spaziergang in der Mittagspause. Üblicherweise hetzen wir durch diese Freiräume nur mit der nächsten Aktion im Kopf. Dabei könnten wir diese kleinen Zeiträume als das schätzen lernen, was sie sind: Kurze, wertvolle Pausen, die wir uns doch wohl mehr als verdient haben.
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Photo: Hamster wheel / Shutterstock
Da fällt mir als erstes ein Wort ein: Ausgleich. Und Lebensarbeitszeit, Jahresarbeitszeit. Wenn ich schon zeitweise starke Absicht habe, mir eine Basis zu schaffen, mich abzusichern, einer bereits vorhandenen und programmierten Absicht zu folgen. Aufmerksamkeit, ja, aber auch wieder das Nichts, damit Gefühle und Sehnsüchte von weiter innen leben können. Dann leben wir auch bewusster und das was uns an die Grenzen treiben will ist von geringerer Bedeutung als Gesundheit und Wohlfühlen. Wir sind authentischer und damit weniger getrieben. To-Dos sind das Werkzeug des Verstands. Wenn der dem Herzen folgt, dann vereinnahmt uns dieses Programmiertsein auch weniger. Es regiert wieder mehr das gesündere Gefühl. Und das ist idealerweise immer im Hintergrund dabei und nimmt sich auch die Pausen, zwischen Stunden, zwischen Tagen, Zwischen Monaten, Zwischen Jahren auch mal ein ehre Nichtstun-Jahr.
Bleibt gelassen und lasst euch auch mal …
Richard
Hallo Richard!
Vielen Dank für Deinen wertvollen und ausführlichen Kommentar. Ein Nichtstun-Jahr … das klingt verlockend :). Ich schließe mich Deinen guten Wünschen an.
Liebe Grüße,
Christina
So sieht es tatsächlich aus:
In Deutschland wächst jedes 4. Kind an oder unter der Armutsgrenze auf.
800.000 Bundesbürger sind auf Armenküchen / „Tafeln“ angewiesen.
Sogar die Tafeln (Zitat: „Der Arme hat Priorität vor dem Mülleimer“) sind durch den Geiz der Supermärkte zunehmend in ihrer Existenz bedroht.
Rd. 500.000 Bundesbürger haben nicht einmal ein Bankkonto.
Über 330.000 Menschen (wir vermuten, dass hier eher Haushalte gemeint sind) wurde 2015 der Strom gesperrt und über 6,2 Millionen Haushalten Stromsperrungen angedroht, weil sie nicht einmal Stromrechnungen von durchschnittlich 119 Euro zahlen konnten.
Das Statistische Bundesamt stellte in seiner aktuellsten Einkommensteuerstatistik (Fachserie 14, Reihe 7.1.1., Tabelle 3 vom 22.09.2015) fest, daß die Brutto-Einkommen pro Gesamthaushalt (!) (also ohne Rentner und Arbeitslose) bei 26.924.837 steuerpflichtigen Erwerbstätigen 2011 wie folgt verteilt waren:
30,5% aller erwerbstätigen Haushalte hatten ein Monats-Einkommen unter 1.167 € brutto. Rechnet man das in Nettoeinkommen um, lebt rd. ein Drittel aller Erwerbstätigen Haushalte auf Hartz IV-Niveau.
40% aller erwerbstätigen Haushalte hatten ein Monats-Einkommen unter 2.083 € brutto.
49% aller erwerbstätigen Haushalte hatten ein Monats-Einkommen unter 2.500 € brutto. Lt. SZ-Gehaltsrechner sind das sind bei einer 3-köpfigen Familie 1.882 € netto. Abzüglich Wohnkosten in einer Großstadt bleiben einer 3-köpfigen Familie aus der unteren Einkommenshälfte der Erwerbstätigen pro Person maximal 330 € pro Monat.
Dies zum Thema Freiräume… bla bla bla
Quelle / breitbandmodell
Hmmm, das BIP pro Kopf ist in Deutschland über die letzten 40+ Jahre ständig gestiegen. Ist das, was du da beschreibst, nicht mehr ein Verteilungsproblem…?
Ja natürlich – aber dieses „Problem“ ist von der Politik gewollt.
…und von der Wirtschaft, die längst nicht mehr – wie sie es sollte – dem Menschen dient. Ist es vielmehr nicht schon umgekehrt?
Klar, der Sack ist der Selbe. Das Geschäftsmodell der Ausbeutung am Bürger auch.
Soweit die Theorie, Frau Fischer.
Ein Plädoyer für Entschleunigung in typischer Coaching-Rhetorik. Sehr schön.
Jedoch wurde bereits in der Überschrift ein Wort vergessen.
Das ist dann die Praxis.
„Dabei ist es doch viel schöner, uns bewusst nur auf weniges Auserwähltes zu konzentrieren“
Ja, genau. Tun sie das, bitte.
.
Hallo Franky!
In der Tat, da ist – fast passend zum Thema – tatsächlich ein Wort unter den Tisch gefallen. Danke für den Hinweis ;).
Liebe Grüße,
Christina
Fuck, SORRY Leser und Christina – beim Veröffentlichen ist mir der Fehler passiert und ich hab’s den ganzen Tag über nicht gecheckt! 🙁
Schon als 14 jährige in meinem Schülerjob bei einer großen Bäckereikette merkte ich die hektik die einem abverlangt wird. Ich blieb mir treu und spülte das Geschirr ordentlich und davor langsamer, bis ich letztlich gekündigt wurde.
Mein Opa sagte zu mir „schnell und schee kann net geh“ (fränkisch) und bedeutet schnell und schön kann nicht gehen!
Das gab mir bis heute die Kraft mich nicht von der hektik anderer mitreißen zu lassen!
Gruß Eva
Das stimmt wohl! Immer nur huschhusch (schnellschnell) ist der Feind der Gründlichkeit.
Hey Christina,
ein schöner & anregender Artikel. Bin mit mir selbst noch am hadern was ich für mich in diesen Belangen wirklich will, oder was mir „gut“ tut. Es ist einerseits irgendwo auch so, dass es einem ein so extrem gutes Gefühl gibt beschäftigt zu sein und immer ein To-Do offen zu haben.
Glaube muss da auch ein wenig von Weg kommen, da mir alles Abseits der „Arbeit“ an meinen To-Dos immer direkt ein Gefühl gibt sinnlos meine Zeit zu verschwenden :/
Ein Mensch kann überhaupt keine Zeit verschwenden. Wie soll dies bitte gehen?!
Dies geht nur, wenn er davon ausgeht, morgen ebenfalls noch zu atmen. Oder sich Rückblickend auf seine erlebte Lebenszeit bezieht und sich dann ins morgen labert..
Niemand kann wissen – ob er morgen noch lebt.
Im Augenblick quatscht man hier noch seinen Text in die Box, im anderen Augenblick bist du Vergangenheit.
Also – dass du jetzt noch lebst – ist nicht selbstverständlich – denk da lieber mal drüber nach werter Leser, als sich ewig und drei Tage mit Depi Zeug Artikel die Birne vollzustopfen.
Hört sich gut an, aber da ich der eigene Sponsor für mein Leben bin, kann ich mir diesen Luxus nicht leisten.
Ich muss sagen, dass seid ich tatsächlich für meine Freizeit ein Terminkalender hab, ich einfach die Zeit bewusster wahrnehme. Ich wähle bewusst, wann und wie lange ich jemanden sehe. Das hört sich so an, als ob ich nach 1 Stunde sag, so jetzt ist die Zeit abgelaufen. Nein, so ist es nicht, sondern einige Freunde oder Familienmitglieder brauchen mehr Zeit und die will ich mir nehmen, da plane ich mal auch einen halben Tag mit ein. Bei anderen weis ich, dass es 1-2 Stunden ausreicht, weil die auch berufstätig sind. Wichtig ist, dass ich auch Zeit alleine für mich auch geplant habe.
Ja und auch die Zeit mit Freunden und Familien ist leider auch nicht kostenlos.
Da kann ich nur zustimmen! Auch ich habe mich immer wieder dabei ertappt, wie ich in meiner Freizeit etwas ‚abarbeiten‘ musste – dem Arbeitsethos unserer Kultur sei dank. Nichtstun ist immer noch verpoent, dabei brauchen wir gerade das, um mit unserem Leben weiterzukommen und immer bei uns selbst zu bleiben. Wer immer beschäftigt ist, der verliert den Kontakt zu sich selbst. Drum ist dieser Artikel ein Weckruf für all das, was wir immer wieder vergessen. Ich finde mich auch heute noch, wo mir das bewusst ist, ständig in diesen ‚To Do‘ Situationen. Es ist schwer, da rauszukommen. Aber wir sind auf einem guten Weg! Liebe Grüsse, Jacqui