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Chronische Unterforderung kann uns ebenso krank machen wie eine dauerhafte Überforderung. Wie Ulrich Kern in einen Bore-out gelangt ist, wie er ihn erlebt hat und wie er wieder heraus kam – darüber spricht er im myMONK-Interview.


Hallo Herr Kern, herzlich willkommen bei myMONK und vielen Dank für Ihre Zeit! Was sehen Sie gerade um sich herum – und was fühlen Sie?

Ich sitze gerade in einem Cafe und um mich herum ist richtig Leben. Viele Menschen die sich miteinander unterhalten, die lachen und Spaß und Freude am Leben haben. Als geselliger Mensch fühle ich mich in dieser Umgebung natürlich sehr wohl. Ich mag einfach die Lebendigkeit um mich herum. Es ist ein wunderschönes Gefühl unter Menschen zu sein.

Was ist ein Bore-out? Und wie viele Menschen sind von dieser Erkrankung betroffen?

Das ist eine gute Frage. Aus meiner Sicht ist der Boreout keine Erkrankung im eigentlichen Sinn, sondern vielmehr das Ergebnis von dauerhafter Unterforderung in Beruf und teilweise auch in der Freizeit. In der Folge entsteht Langeweile und gerade im Zusammenhang mit qualitativer Unterforderung zunehmendes Desinteresse.

Fatal am Boreout ist, dass die Unterforderung oder Langweile in unserer Gesellschaft mit Faulheit gleichgesetzt wird. Dies verhindert, dass Boreout-Betroffene offen über sein Leiden sprechen kann, denn „Wer gibt schon gerne zu, dass er nicht zu tun hat?“

In der Folge entstehen natürlich Selbstzweifel und teilweise reagieren die Betroffenen sogar mit dem Rückzug aus dem sozialen Umfeld. So entsteht ein Teufelskreis der dann auch tatsächlich krank macht und im schlimmsten Fall in einer Depression endet.

Nachdem das Thema Boreout noch nicht so bekannt ist, gibt es auch kaum belastbare Erkenntnisse darüber, wie viele Menschen davon betroffen Sich. Ich kenne aktuell nur die Zahlen über die Unterforderung im Beruf. So geht beispielsweise die Universität Stuttgart-Hohenheim in einer Studie davon aus, dass nahezu jeder 5 Arbeitnehmer an Unterforderung leidet. Besonders betroffen sind nach dieser Studie die Beschäftigten in Unternehmen aus dem Dienstleistungssektor.

Grundsätzlich ist der Boreout eine Herausforderungen sowohl für die Betroffenen selbst, wie auch für die Arbeitgeber und das gesamte Umfeld.

Was führt zu einem beruflich bedingten, was zu einem privat bedingten Boreout?

Es gibt nach meiner Meinung keinen Unterschied zwischen beruflichem und privatem Boreout. Wir Menschen sind ganzheitliche Wesen, das heißt unser Verhalten ist in der Regel in allen Lebensbereichen gleich.  Aus meiner täglichen Arbeit kann ich sagen, dass es kaum Fälle gibt, die tatsächlich nur in einem Lebensbereich Probleme habe.

Der Boreout ist die Folge aus erlernten und trainierten Verhaltensweisen, die meist bereits in der Kindheit angelegt wurde. Aus Angst vor Ablehnung, Verurteilungen lebt der Betroffene diese Muster immer weiter, bis er nicht mehr kann.

Im Grunde genommen ist das identisch mit den Ursachen des Burnout. Beide rennen gedanklich wie ein Hamster im Rad, suchen einen Ausweg und verpassen „nur“ den Ausstieg.

Ich verwende gerne auch den Begriff der Illusion, denn der Boreout-Betroffene hat sich ein Selbstbild geschaffen, das er mit aller Macht erhalten will um bloß nicht aufzufallen.

Er hält sich damit unbewusst aber auch klein und kann so seine Potentiale und Talente nicht im Ansatz nutzen und leben.

Welche Ursachen in der Kindheit können einen Boreout begünstigen? Warum leben die betroffenen Menschen nicht einfach so, wie sie Bock darauf haben?

Grundsätzlich sind alle Menschen ein Produkt ihrer Erziehung.  Die Eltern geben immer das weiter, was ihnen selbst wichtig war und ist. So gesehen gibt es kein richtig oder falsch in der Kindererziehung.

Allerdings ist es auch so, dass unbewusst Muster, Prägungen und Glaubenssätze von den Eltern weitergegeben werden, die ebenfalls Auswirkungen auf die Entwicklung der Persönlichkeit haben. Die daraus entstandenen unbewussten Verhaltensweisen machen uns häufig auch im Erwachsenenalter das Leben noch schwer. Jeder kennt Situationen in denen man sich beispielsweise nicht wehrt und im Anschluss daran sich fragt: „Warum habe ich jetzt so reagiert?“

Das sind dann die so genannten alten (kindlichen) Muster, die anspringen und das Programm läuft dann mehr oder weniger von alleine bis zum Ende ab.  Diese Programme waren im Kindesalter sehr sinnvoll, denn damals wurde so das „Überleben“ gesichert. Mit Hilfe dieser Verhaltensweisen bekamen wir als Kinder Anerkennung, Lob, Wärme, Zuneigung.

Der kindliche Geist kann noch nicht bewusst bewerten oder beurteilen und somit auch keine Entscheidung treffen, sondern lernt lediglich, wenn ich mich vielleicht zurückhalte oder in der Schule gute Leistung dann bekomme ich das was ich „brauche“.

Im Erwachsenenalter führen diese Verhaltensweisen zwangsläufig dazu, dass man sich zurückhält und nicht sagt, dass man unterfordert ist – mit den bereits genannten fatalen Folgen.

Boreout-Betroffene versuchen häufig auch die Erwartungen anderer Menschen zu erfüllen und verlieren dabei ihre eigenen Ansprüche aus den Augen.  Auch das hat wiederum mit den kindlichen Verhaltensweisen zutun und führt dazu, dass diese Menschen das „Leben der Anderen“ leben.

In welcher beruflichen und privaten Situation steckten Sie selbst, als Sie am Bore-out erkrankten?

Im Endstadium war sowohl meine berufliches wie auch privates Leben ein einziges Trümmerfeld. Ich hatte mich aufgrund meiner Selbstzweifel vollkommen aus meinem sozialen Umfeld zurückgezogen. Selbst meinem besten Freund gegenüber konnte ich mich nicht öffnen und über meine Situation und vor allem auch über meine Gefühle reden. Ich hatte mich selbst isoliert.

Wie hat sich der Boreout bei Ihnen entwickelt – was hat er mit Ihnen gemacht?

Vielleicht sollte ich eines klarstellen. Es gibt keinen Menschen der permanent unterfordert ist oder dem ständig langweilig ist. Aus meiner Erfahrung ist es allerdings so, dass man sich selbst immer wieder die negativen Phasen in Erinnerung ruft und diese dann besonderes Gewicht bekommen. In einem schleichenden Prozess sieht man dann alles negativ.

Bei mir was der Boreout die Folge von jahrzehntelangem Zurückstellen meiner eigenen Interessen und meiner eigenen Person. Ich habe immer gut funktioniert und bin auch meist nach außen hin gut gelaunt gewesen. Innerlich wurde ich fast aufgefressen von den Selbstzweifeln. Besonders die negativen Glaubenssätze haben mir das Leben immer wieder schwer gemacht.

Wodurch kam die Wende? Und möchten Sie den Prozess auf dem Weg aus dem Bore-out schildern?

Die Wende kam, als ich mich das erste Mal in meinem Leben bewusst nur für mich entschieden habe. Mir war plötzlich alles egal, es ging nur noch um mich. Ich bin als allein erziehender Vater für meinen knapp 14-jährigen Sohn verantwortlich. Selbst ihn habe ich nicht in meine Entscheidung einbezogen. Erst als ich mich entschieden hatte auszusteigen und mich für eine unbestimmte Zeit zurückzuziehen, habe ich auch für ihn nach Lösungen gesucht. Erst dann habe ich mich damit beschäftigt, wie es gewährleistet ist, dass er in meiner Abwesenheit betreut und versorgt ist.

Bereits nach 24 Stunden auf einer Kriseninterventionsstation kamen die Lebensgeister zurück und die ersten Lösungen tauchten auf. Ich reflektierte, was mich emotional am meisten belastet. Aus den Ergebnissen  erarbeitete ich mir einen Plan, den ich kurzfristig umsetzen konnte. Wichtig war für mich die Gewissheit, dass ich körperlich gesund und belastbar bin. Der erste Schritt war dann auch tatsächlich körperliche Bewegung. Ich habe mich nach vier Tagen bei strömendem Regen zu Fuß auf den Nachhauseweg gemacht. Es war ein herrliches Gefühl, als ich nach nur 5 Stunden und ca. 30 km mein erstes Etappenziel bei einem Freund erreichte. Ich war körperlich an meine Grenzen gegangen und hatte meine mentale Freiheit dadurch zurück gewonnen.

In den folgenden Tagen setzte ich Schritt für Schritt meinen Plan weiter um. Ich fand einen Coach, der mich sofort in der Umsetzung unterstützte und fand so schnell einen Weg in ein Leben, welches mir Spaß und Freude bereitet.

Was ist der beste Schutz gegen den Bore-out?

Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich nur jedem empfehlen eine „echte“ Work-Life-Balance zu finden und sich dabei immer in den Mittelpunkt seines Lebens zu stellen.

Dies ist, auch wenn es vielleicht auf den ersten Blick unlogisch oder gar egoistisch erscheint, der wichtigste Aspekt überhaupt.

Wenn man selbst glücklich und zufrieden ist, mit allem was man macht und tut, dann wirkt sich das auch sehr positiv auf die Partnerschaft, die Kinder und den Beruf aus.

Wo können die Leser mehr über Sie erfahren?

Mein buntes Leben hat wenig Routine. Ich arbeite an Projekten, sei es als Executive Consultant in Unternehmen, als Business Coach für Unternehmer und Führungskräfte oder „on tour“ mit Managern in der Natur. Mein Leben ist sehr spontan und abwechslungsreich und das schätze ich sehr.

Informationen zu meinen Angeboten und selbstverständlich auch über mich und meine Arbeit finden Sie auf meiner Website www.ulrichkern.de.

Herzlichen Dank!

Photo: martinak15