Teile diesen Beitrag "Warum es uns so schwer fällt, unsere Eltern altern zu sehen"
Text von: Christina Fischer
Zu viert saßen wir auf der Couch an einem gemütlichen Sonntagnachmittag, mein Bruder und ich zu Besuch bei den Eltern. Es kam irgendein Film im Fernsehen. Mama hatte Kaffee gekocht. Unsere Katze schlich von einem Schoß zum anderen, der Bruder hatte die Füße auf der Tischkante abgelegt und wir sahen gemeinsam fern. „Wie früher!“, dachte ich, als er und ich noch hier wohnten.
Doch kaum hatte ich den Gedanken zu Ende gedacht, wurde mir mit einem bohrenden Gefühl in meiner Magengegend klar: Es ist nicht mehr wie früher. Ich sah es an den Fältchen in Papas Augenwinkeln, die ihn fast ein bisschen müde aussehen ließen. Ich erkannte es an Mamas Hals, wenn sie den Kopf neigte. Sie sah plötzlich auf erschreckende Weise meiner Oma ähnlich. Aber es war noch mehr als das. Es war auch das beklommene Gefühl, das ich hatte, wenn ich meiner Mutter mit ihrem Smartphone oder meinem Vater mit dem Computer helfen sollte. Die tiefsitzende, nagende Gewissheit, dass meine Eltern Hilfe von mir brauchten, weil sie alleine nicht weiter kamen – und sei die Hilfe noch so klein.
Ein paar Wochen später stand ich auf einem Hocker in einem Brautkleid und betrachtete mich vor einem grell ausgeleuchteten Spiegel im Brautmodenladen. Aus dem Augenwinkel nahm ich meine Mutter wahr, wie sie mich lange und tief ansah. „Wie bist du nur so schnell erwachsen geworden?“ fragte sie leise und lächelte ein bisschen traurig.
Kurze Zeit später saßen wir in einem Café bei Cappuccino und zwei Stück Apfelkuchen. Neulich habe sie ein Tief gehabt, sagte meine Mutter plötzlich. Nun, da mein Bruder ausgezogen sei, wisse sie plötzlich nicht mehr, was sie nur mit sich anfangen solle. In meinen Gedanken sah ich sie alleine auf unserer Couch sitzen. Es schnürte mir die Kehle zu. Ich wechselte das Thema.
„Emerging Adulthood“ – Zwischen Kindheit und Elternschaft
Dass auch Eltern älter werden, ist der Lauf der Dinge und – auch wenn es schmerzt – natürlich vollkommen logisch. Trotzdem fühle ich mich nur schlecht dafür gewappnet, das wirklich zu akzeptieren. Sollte man das mit fast 30 Jahren nicht können? Sollte man nicht „abgenabelter“ sein? Immerhin hatten meine Eltern in meinem Alter längst zwei Kinder.
Mit meinen Gefühlen bin ich jedoch zum Glück nicht allein. Die Psychologie nennt diese Phase, in der ich mich gerade befinde, „Emerging Adulthood“. Es bedeutet, dass der Zeitraum zwischen Kind-Sein und selbst Mutter- oder Vater-Werden heutzutage im Schnitt viel länger andauert als früher.
Das bin ich: nicht Kind, aber auch nicht Mutter.
Wobei ich irgendwie wohl noch eher zum Kind-Sein neige, wenn ich so mein Verhältnis zu meinen Eltern betrachte. Doch auch damit bin ich nicht allein. Die Ergebnisse der „SHARE-Studie“ (Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe) bestätigen: Eltern zwischen 50 und 75 Jahren unterstützen ihre Kinder in zeitlicher Hinsicht mehr als ihre Kinder sie.
Ich befinde mich in einer Art in die Länge gezogene Jugendzeit, obwohl ich faktisch gesehen längst erwachsen bin. Das ist ein möglicher Grund, weshalb mich das Altern meiner Eltern so sehr ins Mark trifft – ich brauche sie schließlich gefühlt noch deutlich stärker als sie mich. Aber da ist noch mehr.
Auge in Auge mit der Vergänglichkeit
„Das Älterwerden der Eltern verdeutlicht uns zudem die Vergänglichkeit des eigenen Lebens“, sagte die Soziologin Martina Beham-Rabanser, die sich in ihrer Arbeit eng mit der SHARE-Studie auseinandersetzt, gegenüber dem Magazin „ze.tt“. Nicht nur die Eltern erkennen also am Wachstum ihrer Sprösslinge, dass sie älter werden – auch wir „Kinder“ sehen unser eigenes Älterwerden am Altern unserer Eltern. Das tut weh und macht Angst.
Aus der Perspektive des Buddhismus ist dies auch der Grund, warum wir leiden: Wir klammern uns an etwas, das wir nicht festhalten können. Wie die Jugendlichkeit unserer Eltern oder unsere eigene. Und dann ist es auch nicht mehr weit bis zur Konfrontation mit unserer eigenen Vergänglichkeit und unserem unaufhaltsam nahenden Tod.
Wie wir aus der eigenen Endlichkeit Kraft ziehen können
Der Gedanke daran, dass wir alles und jeden früher oder später verlieren werden – sogar uns selbst, wenn wir sterben – ist erschreckend. Nicht umsonst gilt der Tod in unserer Gesellschaft nach wie vor als Tabuthema.
Dass wir sowieso irgendwann einmal gehen müssen, kann unser Leben sinnlos erscheinen lassen.
Oder aber das Gegenteil ist der Fall: So kann der Blick auf unser Ende auch unseren Blick für das Hier und Jetzt schärfen und uns klar machen, was wirklich wichtig ist. Steve Jobs sagte beispielsweise kurz vor seinem Tod:
„Die Tatsache, dass ich schon bald tot sein werde, ist die größte Hilfe, die ich jemals hatte, um wichtige Entscheidungen zu treffen. Denn beinahe alles ist unwichtig, wenn wir den Tod vor Augen haben – alle Erwartungen von anderen, aller Stolz, alle Angst vor Häme oder Versagen. Zurück bleibt nur, was tatsächlich von Gewicht ist. Sich zu erinnern, dass man sterben wird, lässt uns nicht auf den Irrglauben hereinfallen, man hätte etwas zu verlieren. Du bist bereits vollkommen nackt. Es gibt keinen Grund, nicht Deinen Herzen zu folgen.“
Schaffen wir es also, unser unabwendbares Ende anzunehmen, können wir unseren Blick für das schärfen, was wirklich wichtig ist. Vielleicht geht es also bei unserer Angst vor dem Tod vor allem um das Leben, das gelebt werden will – und auch muss – solange es eben währt. Das erfordert, dass wir uns fragen „Was will ich mit meinem Leben anfangen?“ und „Wie will ich mein Leben leben?“. Und dass wir mit dem Beantworten dieser Fragen nicht zu lange warten.
Was das Älterwerden unserer Eltern bedeutet
Neben „Emerging Adulthood“ oder die Erinnerung an unsere eigene Vergänglichkeit, ist es vielleicht noch etwas Drittes, das uns am Altern der Eltern so schwer fällt. Die Soziologin Beham-Rabanser:
„Wenn es uns schmerzt zu sehen, dass unsere Eltern ihr eigenes Leben zurückschrauben müssen, weil sie altern, ist das keineswegs ein Zeichen für mangelndes Erwachsensein, sondern vielmehr Ausdruck tiefster Verbundenheit.“
Unsere Eltern älter werden zu sehen, zeigt uns eben, dass sie nicht selbstverständlich für immer da sein werden. Und dadurch wiederum wird uns bewusst, wie wichtig sie für uns sind und wie sehr wir sie lieben.
Wir können die Zeit nicht anhalten, doch wir können die Zeit, die wir mit unseren Eltern haben, mehr wertschätzen und sie vielleicht bewusster erleben, als wir es jetzt gerade tun. Mit mehr Liebe und weniger Selbstverständlichkeit. Und das bedeutet auch: Da sein und da bleiben. Auch dann, wenn sie uns vielleicht einmal mehr brauchen als für ihre Probleme mit dem Smartphone.
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Mehr im Blog unter 5 Dinge, die ich von alten Menschen übers Leben lernte und unter Der letzte Brief eines Großvaters an seine Enkel.
Photo: Old couple / Shutterstock
Zu dem Artikel kann ich tatsächlich Parallelen ziehen. Mir ist aufgefallen dass ich vor Monaten meine Mutter noch intensiver angeschaut habe wenn ich sie regelmäßig besucht habe.
Ihr Gesicht ihre Hände und habe mir dabei vorgestellt wenn du in dieses Alter kommst sieht dein Gesicht oder deine Hände ähnlich aus. Der Ausdruck des Alters spiegelt sich wohl in jedem Hautfetzen wieder.
Nun, auf den Tag genau vor drei Monaten verstarb sie plötzlich und unerwartet wie immer eigentlich wenn man über den Tod spricht. Was bleibt ist die Erinnerung.
Im Grunde lebt der Mensch zweimal. Zusammen in der Wirklichkeit und jetzt in der Erinnerung.
Ob Eltern ihre Kinder ähnlich anschauen und dann über das jung sein nachdenken?
Ich weiß es nicht.
Hey Stephan,
auch von mir: herzliches Beileid.
Das ist furchtbar, vor allem, dass Deine Mutter so plötzlich gestorben ist. Da helfen Worte von außen wahrscheinlich auch nicht oder nur sehr bedingt.
Gut finde ich, dass Du offensichtlich viel Kontakt zu ihr hattest, auch in der letzten Zeit. Ich hoffe, das erleichtert diese schwere Zeit zumindest ein kleines bisschen für Dich; ich kenne einige Menschen, die nur noch sehr wenig bis gar keinen Kontakt zu ihren Eltern haben und den Tod dann verkraften zu müssen noch eine zusätzliche Komponente mit vielen schweren Fragen hat.
Alles Gute erstmal
Tim
Danke für Deine tröstenden Worte.
Es war allerdings nicht meine Absicht, den Tod meiner Mutter hier zum Thema zu machen. Der Artikel jedoch, sprach meine aktuelle Situation sehr an.
Danke für den Austausch an Gedanken.
Stephan
Hallo Stephan,
danke für Deinen Kommentar. Dass Deine Mutter gestorben ist, tut mir von Herzen leid. Und ich gebe Dir recht, wenn man einen geliebten Menschen verliert, ist es wirklich immer plötzlich und auch irgendwie unerwartet.
Ob die Eltern ihre Kinder ähnlich anschauen? Ich denke schon. Aber mit letzter Sicherheit werden wir es vielleicht auch selber erst wissen, wenn wir noch ein Stück älter geworden sind ;).
Liebe Grüße
Christina
Vielen lieben Dank für Deine Worte.
Herzliches Beileid, Stefan
Ich bin 65 und sehe am Alter meiner Kinder mein eigenes Alter…manchmal tut es weh zu wissen, dass man sie irgendwann verlassen muss. Aber es ist die Angst vor ihrer Trauer, nicht die Angst vor meinem Tod, die hab ich nämlich nicht.
Danke für die tollen Beiträge in mymonk, ich lese sie wahnsinnig gern und lerne immer etwas dazu.
Ganz liebe Grüße
Brigitte
Entschuldige Stephan….ich hab deinen Namen falsch geschrieben 🙁
Ich denke, die Perspektiven von Verbundenheit, der buddhistischen Sichtweise und auch der Kommentar von Brigitte oben kommen dem Kern des Themas recht nahe. Schmerzen entstehen eben soweit wir uns vom Fluss des Lebens entfernen, fokussiert sind auf weltliches Wollen, den Kontakt zu unseren tiefen Bedürfnissen und zu unserer Verbundenheit vernachlässigen..
Logik und persönliche Ziele widersprechen dann oft den tieferen Bedürfnissen. Schmerz entsteht, indem Verschobenes sich zu rühren beginnt und wir damit unbewusst auf eine Gefahr reagieren. Für die verschobenen Bedürfnisse könnte es bald zu spät sein! Der alternde Mensch hat sein Wollen meist weitgehend gedrosselt und ist in Kontakt mit seiner Verbundenheit. Doch er sieht oft, dass das bei den Jungen noch anders ist. Und dass umso schmerzhafter der Abschied sein wird.
So folgen wir oft Zielen, die wir gelegentlich Träume nennen. Oft genug auch Träumen und Erwartungen der alternden Eltern. Umso heftiger das Wollen, umso mehr schneiden wir tiefe Bedürfnisse erst einmal ab. Die eigene Familie, das Spüren der Liebe der Mutter im Hintergrund wo immer wir auch entfernt sind. Das ist Leben, mit dem Fragen nach Sinn und auch Ängste vor dem Ende deutlich weniger aufkommen.
Schmerzen sind nur Nachrichten, die uns erreichen, solange dieser Kontakt zum Leben schwach ist.
Lieber Tim, ich glaub es hat auch damit zu tun, dass die alten, gelernten Rollen aufgeweicht werden. Kinder sind immer Kinder, egal wie alt sie sind und Eltern bleiben immer Eltern. Aber mit dem schwächer werden der Eltern durch Alter und/ oder Krankheit verschieben sich die Rollen. Das ist manchmal schwer. Liebe Grüße Nini
Ihr Beitrag ist für mich so erschreckend real. Hab ich doch vor kurzem meine Mutter verloren. Ich wollte mit ihr noch eine kleine Reise machen, doch leider war ihr Reiseziel ein anderes.
Ich finde dieses Thema nochmal interessanter im Hinblick auf keine Kinder haben wollen und demnach Angst haben im Alter oder mit Krankheiten allein zu sein, wenn man nicht gerade einen Lebenspartner hat der einen überlebt. Ich glaube das bedrückt mich persönlich am meisten.