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Das Leben ist zur Hetzjagd geworden.

Die Beute, die wir jagen, ist das Perfekte. Das Perfekte hat tausend Gesichter: den perfekten Körper, das perfekte Haus, den perfekte Job und perfekten Partner, Anerkennung, Geld, Einfluss, eine boomendes Business,  Charisma, einen gigantischer Freundeskreis, Weltreisen, Mondreisen, Siege, Medaillen.

Wir rennen diesen Zielen hinterher und hoffen, dass sie irgendwann ermüdet aufgeben und wir sie erlegen können. So läuft die klassische Hetzjagd ab, das Gegenteil der Lauerjagd, bei der die Jäger geduldig auf die Beute warten.

Warum Ziele fast nie funktionieren

Mit den meisten Zielen hetzen wir uns nur selbst ab. Wir brechen zusammen, weit bevor wir sie erreicht haben. Aus den Zielen wuchern Pläne und To-Do-Listen. Lang genug, um ganze Klopapierrollen damit bedrucken zu können. Viel zu lang für die 16 Stunden, die uns nach dem Schlafen bleiben: wir wollen in der Arbeit Bäume ausreißen, uns vor den Kollegen behaupten, gesund ernähren, ins Fitnessstudio gehen, Yoga machen, dem Partner viel Zeit schenken und den Kindern. Am Ende des Tages müssen wir oft die Hälfte aller Vorsätze unerledigt im Klo runter spülen. Und fühlen uns beschissen. Frustration. Schlechtes Gewissen.

Doch das ist noch nicht alles.

Mit jedem Ziel haften wir dem Wollen an, einer nimmersatten Kluft zwischen dem, was gerade ist, und dem, was wir uns gerade anders wünschen, wie es unserer Meinung nach sein sollte. Wir stehen auf der einen Seite dieser Kluft, dem Jetzt, wollen aber auf der anderen sein und verpesten damit den Moment mit einer Wolke aus Unzufriedenheit: „Wenn ich den nächste Stufe der Karriereleiter erklommen habe, erlaube ich mir, glücklich zu sein“. Mal ehrlich: wie viele Deiner Ziele haben Dich dauerhaft zufriedener und erfüllter gemacht, nachdem Du sie erreicht hast? Waren sie die Anstrengung wert? Und hast Du den Weg genossen?

Viele Ziele setzen wir außerdem, ohne nach dem Warum zu fragen. Manches nehmen wir uns nur vor, weil so viele um uns herum auch danach streben. Andere Ziele erscheinen uns wie unsere eigenen, wurden uns aber von jenen vermittelt, die uns für ihre Pläne einspannen wollen, wie der Arbeitgeber, der uns die Karriere schmackhaft macht, damit wir uns totschuften. Mit wieder anderen Zielen versuchen wir, Symptome zu bekämpfen, statt die Ursachen anzugehen, und so hungern wir uns in Skinny Jeans, obwohl nicht unser Hintern zu groß, sondern unser Selbstbewusstsein zu klein ist.

Zu den Prüfungszeiten im Studium lernte ich wie ein Irrer. Schließlich wollte ich unbedingt zu den besten zehn Prozent der Absolventen gehören. Zwar habe ich das geschafft, dafür zog das Studentenleben völlig an mir vorbei. Mir ging’s einerseits darum, mit guten Noten Türen öffnen zu können. Da gab es allerdings noch einen weiteren Grund, einen, der krank macht. Ich wollte unantastbar sein. Über den anderen Studenten stehen, die sich eine gute Zeit gemacht haben und mit denen ich kaum zu tun hatte. Kein Wunder, mit meiner feindseligen Einstellung damals. Mein Ziel hat mich so viel mehr gekostet, als es mir eingebracht hat. Nach dem Studium habe ich einen Job angenommen und ihn nach sieben Monaten gekündigt. Ich habe nicht vor, mich jemals wieder irgendwo zu bewerben. Und dafür die jahrelangen Qualen? Für das Ego, für das Gefühl, „besser“ und unangreifbar zu sein?

Ein weiteres Problem: der Tunnelblick. Einmal gesetzt, halten wir an den Zielen fest und sehen nicht, dass links und rechts neben uns vielleicht Chancen pulsieren, die uns viel mehr begeistern und viel glücklicher machen würden.

Außerdem: können wir nicht sowieso nur begrenzt beeinflussen, was bei unseren (Über-)Anstrengungen heraus kommt? Ich weiß zum Beispiel nicht einmal, wie gut dieser Artikel bei Dir und den anderen Lesern ankommen wird. Wird er hilfreich sein, oft kommentiert und geteilt werden? Oder floppt er? Keine Ahnung. Ganz zu schweigen vom größeren Rahmen: ich kann in Excel-Tabellen ausrechnen wollen, wie die Besucherzahlen von myMONK in den nächsten Monaten wachsen. Aber den Besucherzahlen ist es völlig egal, was ich plane.

Bis vor drei Wochen schrieb ich mir die Finger wund, um möglichst viele neue Texte zu veröffentlichen, damit myMONK maximal schnell wächst. Darunter litten sowohl die Qualität der Texte als auch mein Wohlbefinden. Ich wollte den Erfolg erzwingen, zwang aber mich selbst dabei in die Knie. Wir haben es eben nur bedingt in der Hand, ob wir ein Ziel erreichen oder nicht. Vielleicht wächst myMONK nun langsamer, vielleicht auch nicht. Dafür gehe ich nicht vor die Hunde.

Was, wenn die ganze Sache mit den Zielen eine Gehirnwäsche ist? Ein Gefängnis, in dem wir alle Zufriedenheit und alles echte Leben Zukunftsillusionen opfern? Was, wenn wir unsere Ziele loslassen und uns erlauben, schon hier und jetzt glücklich und zufrieden zu sein?

Wenn wir den Tunnel sprengen, durch den uns die Ziele blicken lassen, uns befreien und ein Leben ohne Ziele leben?

Leben ohne Ziele

Wenn du etwas loslässt, bist du etwas glücklicher.
Wenn du viel loslässt, bist du viel glücklicher.
Wenn du ganz loslässt, bist du frei.

– Ajahn Chah

Leo Babauta, der zenhabits.net-Blogger, schlägt vor: lass alle Ziele los und öffne Dich für das Leben. Für das, was es gerade wirklich ist und was es uns bietet. Nicht Zielen folgen, sondern dem Leben, sagt er. Indem tun, worauf wir gerade wirklich Lust haben. Das, was uns begeistert, nicht das, was uns laut unserer Pläne begeistern sollte. Denn worauf wir keine Lust haben, das erledigen wir sowieso nicht – ob mit oder ohne Ziele. Wir wissen auch ohne sie, was zu tun ist. Dafür brauchen wir keine detaillierte Landkarte, sondern nur den Kompass unserer Intuition und Leidenschaft.

Leben ohne Ziele heißt für ihn also nicht, ohne eigenen Willen das zu tun, was andere Leute und Organisationen mit einem vorhaben: der Chef, die Kollegen, die Werbetreibenden, die Fastfood-Restaurants, Fitnessstudios und Verwandten. Sondern das, was das Leben mit einem vorhat.

Leo Babauta berichtet: seine Tage bieten ihm seitdem nicht nur mehr Freiheit, Freude, Erfüllung, Überraschungen und Abenteuer, er ist auch viel produktiver, weil er mit mehr Begeisterung handelt.

Ohne Ziele hängen wir demnach nicht den ganzen Tag gleichgültig im Unterhemd mit einer Tüte Chips auf dem Bauch auf der Couch rum und lassen uns vom Assi-Fernsehen berieseln und verfetten und verblöden. Ganz im Gegenteil: wir sind doch immer dann am weitesten gekommen, wenn wir etwas aus purer Leidenschaft getan haben, sagt er.

Jenen, die das Leben ohne Ziele ausprobieren wollen, rät er zu kleinen Schritten. Erst einmal nur ein paar Stunden alle Ziele loslassen (was mehr eine Richtungsvorgabe als ein Ziel ist), so gut es eben geht. Oder sich nur von einem Ziel verabschieden, das einem eigentlich gar nichts bedeutet. Später vielleicht alle Ziele in einem Lebensbereich loslassen, etwa sozialen oder gesundheitlichen. Und sich immer fragen: warum will ich dieses Ziel überhaupt erreichen, verbinde ich nur eine Illusion damit – ewige Zufriedenheit, dass mich plötzlich alle attraktiv finden und lieben und ich das Leben eines Hollywood-Stars führe, wenn ich zehn Kilo abnehme?

Wenn wir ohne Ziele leben, so Leo Babauta, verbinden wir uns mit dem Leben, anstatt uns von ihm zu trennen. Wo immer wir ankommen: es ist besser, als nie anzukommen. Warum also nicht schon jetzt glücklich sein.

Ich teile Leos Meinung. Teilweise.

Derzeit lassen mich meine früheren Ziele kalt, die mit einem höheren Lebensstandard zu tun haben. Ich führe außerdem seit Jahren keine To-Do-Listen, weil sie für mich nicht funktionieren. Ich trage auch keine Uhr, weil ich fast keine Termine habe und sie daher nicht brauche.

Trotzdem ecke ich an einigen Stellen an bei Leos Idee vom Leben ohne Ziele.

Zum Einen fehlt es vielen Menschen an Klarheit. Statt zu tun, worauf sie Lust haben, lassen sie sich in den Sog der Masse ziehen. Da helfen Ziele zumindest, sich klarer zu werden, was man will und was nicht.

Zum Anderen laufen wir so Gefahr, manche Lebensbereiche dauerhaft zu vernachlässigen. Wenn ich zum Beispiel nur tue, worauf ich gerade Lust habe, werde ich weiterhin kaum Sport machen und regelmäßig ungesundes Zeug essen. Es gibt einfach komplette Bereiche, mit denen ich mich nur wenig auseinandersetze. Dir geht es da vielleicht ähnlich. Langfristig kann das nicht gut sein.

Darüber hinaus müssen wir für die wichtigen Dinge im Leben, für die großen Siege, durchhalten und diszipliniert durch Täler schreiten, in denen die Unlust regiert. Der Autor Po Bronson hat für sein Buch „What should I do with my life?“ hunderte von Leuten interviewt, die nach vielen Jahren auf dem falschen Gleis ihren Platz im Leben gefunden haben und einer Arbeit nachgehen, die sie erfüllt. Doch selbst sie sagen, dass sie dabei nicht ständig begeistert sind und Spaß haben. Auch in solchen Phasen ist es aber wichtig für sie, am Ball zu bleiben.

Leos Idee mag für Menschen geeignet sein, die bereits wissen, wie sie leben möchten, die Weichen gestellt und ihre Selbstdisziplin trainiert haben. Andere können sich darin eher noch weiter verlieren. Zudem vernachlässigt er, dass das Leben in Zyklen abläuft, wie wir gleich noch sehen werden.

Was wir aus meiner Sicht brauchen ist ein Mittelweg.

Leben ohne Ziele à la myMONK

Die eins mit dem Tao sind, können gefahrlos gehen, wohin sie wollen.
Selbst mitten in großem Leid nehmen sie den allumfassenden Einklang wahr,
weil sie Frieden in ihrem Herzen gefunden haben.

-Laotse

Die myMONK-Version vom Leben ohne Ziele steht stärker „im Einklang mit dem Tao“.

Zuerst machen wir reinen Tisch. Wir verstehen, warum wir die Ziele gesetzt haben und lassen sie allesamt los. Wie man loslässt, darüber schreibt Matthias, der zwölf Jahre als buddhistischer Mönch in Thailand gelebt hat, hier. Dabei werden wir sehen: die meisten Ziele, die wir haben, sind entweder nicht unsere eigenen, schränken uns ein, sind unerreichbar oder mit Versprechen verbunden, die sie niemals einlösen können. Sie halten uns mehr auf als uns zu nützen.

Nachdem wir die Gegenwart schon lange abgewiesen haben, weil es sie nie so war, wie wir sie gern hätten, sind wir nach diesem ersten Schritt nackt und direkt mit ihr verbunden.

Im nächsten Schritt schauen wir, in welcher Phase im Zyklus wir uns gerade befinden. Verlangt unser Leben gerade nach Einkehr oder nach Ausdruck? Danach, still zuzuhören, oder Taten sprechen zu lassen?

Wie das Universum selbst, alle Pflanzen und Tiere, das Meer, die gesamte Natur, ziehen auch wir Menschen uns abwechselnd zusammen und breiten uns wieder aus. Wissen wir nicht, welche Phase gerade vorherrscht, handeln wir womöglich gegen den Lauf der Dinge. Scheitern ist garantiert.

Befinden wir uns in einer Phase der Einkehr, dann ist es sinnlos, neue Ziele zu setzen oder alten blind weiter hinterher zu rennen. Jedes Ziel schadet nur. Dann ist es besser, uns mit uns selbst auseinander zu setzen. So viel wie möglich zu lesen. Zu ruhen und in den Himmel zu schauen, zu meditieren. Zeit mit Freunden zu verbringen und unseren Hobbies. Oder zu reisen. Wenn wir reisen, können wir zwar ein Ziel auf der Karte auswählen, aber wir reisen nicht, um dort anzukommen, sondern um des Reisens selbst wegen. Wir entdecken neue Seiten an uns und der Welt und finden uns, ohne suchen zu müssen.

Steht die Zeit dagegen auf äußeres Wachstums, können wir ungebremst unsere „PS auf die Straße bringen“. Auch dann geht es allerdings viel mehr darum, zu reisen und den Weg zu genießen, als ums Ankommen. Nur: in welche Richtung laufen wir?

Wir haben in der vorhergegangen Zeit der Einkehr herausgefunden, was uns wichtig ist und wie wir leben wollen. Leo Babauta schlägt vor, einfach in die Richtung zu gehen, in die es uns zieht – ohne Ziel und ohne ausgefeilten, durchgetakteten Plan.

Ich halte das auch für einen guten Ausgangspunkt, glaube aber, dass wir mehr brauchen. Unsere Kompassnadel sollte nicht nur dahin ausschlagen, was uns im Moment als angenehm erscheint oder begeistert. Es fehlt noch etwas Übergeordnetes, das uns dauerhaft Kraft verleiht. Wenn Du myMONK schon länger liest, ahnst Du vielleicht, was kommt: die Lebensaufgabe oder Bestimmung. Sie weist uns den Weg, über Ebbe und Flut hinweg. Mit ihr brauchen wir keine Ziele mehr.

Ein letztes Bauteil fügen wir unserem Kompass noch hinzu: die Achtsamkeit. Wir fragen uns nicht nur: „Worauf habe ich jetzt Lust“. Sondern zusätzlich: „Was sind die Konsequenzen? Schadet es mir oder anderen, das jetzt zu tun oder nicht zu tun, oder stärkt es mich und die Welt?“

Die folgende Übung (ich weiß nicht mehr, ob sie von Leo stammt oder jemand anderem) kann uns ebenfalls helfen, unseren Kurs auch ohne Ziel gut anzupassen: einen Abreißkalender kaufen, jeden Abend den Tag zurückliegenden Tag abreißen, uns bewusst machen: „So, Tag, Du bist unwiederbringlich vorbei“ und in uns hineinzuhorchen, ob wir damit im Reinen sind. Wenn ja, haben wir den Tag gut verbracht und können so weitermachen, wenn nein, machen wir morgen etwas anders.

Für die, die es nicht lassen wollen

Wenn Dich das alles nicht überzeugt hat und Du weiterhin Ziele setzen willst, wie wäre es dann wenigstens damit, Dir immer nur ein einziges Ziel zu setzen und nicht fünf oder fünfzig auf einmal? Dir ein ganz langfristiges Ziel zu setzen und alle Vorhaben von Beginn an zu verwerfen, denen Du nicht mindestens fünf Jahre lang treu sein willst? Eine Überschrift für die nächsten Monate oder Jahre zu wählen (z.B. „Gesundheit“ oder „Abenteuer“) anstelle von fixierten Zielen? Auf Gewohnheiten setzen statt auf tägliche To-Dos, zu denen Du Dich immer wieder aufraffen musst? Wie wäre es, außerdem schon von vornherein davon auszugehen, dass Du nicht jedes Ziel erreichen wirst, ja vermutlich sogar bei den meisten nicht weit kommst?

Was immer wir tun, wir können uns anstrengen, wenn wir wollen … ohne am Ergebnis zu haften. So lassen wir geschehen, was wir nicht beeinflussen können. So können wir unsere Schritte, uns selbst und die Welt wahrnehmen und.

Wir verwandeln uns von Leistungs-Robotern zurück zu Menschen und gewinnen damit das einzige zurück, was wir haben können: unser Leben.

Siehe auch Warum die meisten Ziele sinnlos sind (auch wenn Du sie erreichst).

 

Photo: Roberto Tim