Text von: Romy Hausmann
Frühstück, so was kenne ich nur von irgendwelchen Beauty-Shots auf Instagram. Ist, glaube ich, irgendwas mit Müsli. Ich esse zum ersten – und meist auch zum letzten Mal am Tag – so gegen halb eins am Mittag. Im Auto, unterwegs zwischen zwei Terminen. Mein Handy klingelt manchmal nachts um zwei. Kein Problem, schließlich muss ich erreichbar sein. „Hab ich dich geweckt?“ fragt die Redakteurin am anderen Ende der Leitung, und ich sage: „Nein, nein, alles gut. Schieß los.“ Dass ich auf die Tastatur sabbernd über meinem Rechner eingeschlafen war, behalte ich für mich.
Ich bin gerne erreichbar, ich bin gerne wichtig.
Ich bin busy.
Ich habe keine Zeit für irgendeinen Quatsch. Abendessen mit meinem Freund (ist doch sowieso kitschig). Zumba-Kurs mit den Mädels (ist doch sowieso albern). Die Hochzeit einer Freundin (ich wette, die lassen sich sowieso bald wieder scheiden). Man muss eben Prioritäten setzen. Karriere geht vor. Die 40-Stunden-Woche ist was für Anfänger. Ich bin bei 60 Stunden angelangt. Wenn Du mir eine WhatsApp schreibst und nach einem Treffen fragst, dann lautet meine Antwort garantiert: „Kann nicht/ Geht nicht/ Klappt nicht. Bin diese Woche total busy.“
So in etwa sah es aus, mein früheres Leben als (gefühlt) super-wichtige Redaktionsleiterin.
Ich war zu busy für Freundschaften.
Zu busy, um auf die Alarmsignale meines Körpers zu hören.
Zu busy für die Dinge, die ein Leben schön und wertvoll machen.
Bis ich eines Tages wie ferngesteuert aus dem Büro in die nächste Arztpraxis marschiert bin. Ich muss schlecht ausgesehen haben, denn die Empfangsdame winkte mich gleich durch. Im Sprechzimmer fragte mich der Arzt, was er für mich tun könne. Ich antwortete nicht. Fing an zu heulen. Die Diagnose: Akutes Erschöpfungssyndrom. Der Lösungsvorschlag: Krankschreibung, ein Rezept für Schlaftabletten und die Empfehlung, mein Handy auszuschalten. Ich protestierte. Faltete ein Origami-Elefäntchen aus der Krankschreibung. Und einen Kranich aus dem Tabletten-Rezept.
Nicht, weil ich den Arzt für einen Schwachmaten gehalten hätte.
Im Gegenteil. Ich hatte in diesem Moment etwas verstanden: Mein Leben war beschissen. Zum ersten Mal fühlte sich busy nicht toll, wichtig und erfolgreich an – sondern einfach nur blöd und sinnlos. Und ich protestierte aus einem Grund: So wollte ich nicht sein. Eine, die man mit Tabletten ruhigstellen musste. Eine, laut Krankschreibung, ziemlich kaputte Frau, deren Leben irgendwie aus dem Ruder gelaufen war.
Die Busy-Blase
Frag mal jemanden aus Deinem Umfeld, wie es ihm geht. Selten hört man gut/ mäßig/ schlecht. Meist hört man „bin im Stress“. Als wäre es ein ungeschriebenes gesellschaftliches Gesetz, so zu antworten und vor allem: sich so zu fühlen. Wer im Stress ist, muss wichtig sein. Unabkömmlich. Unersetzbar. Und genau so wollen wir eben sein. Wer Zeit hat für einen Spaziergang, hat wohl keinen Job, der ihn ausfüllt. Wer Zeit hat für ein Mittagschläfchen, kann ja gar nichts auf die Reihe kriegen. Wer auf der Couch lümmelt, ist ein Loser. Busy-Sein verbinden wir mit Karriere, Kohle, einem bewegten Leben.
Ein Buch lesen? Höchstens im Urlaub, nur kann ich mir leider keinen Urlaub erlauben.
In Ruhe ein Bad nehmen? Ich bitte Dich.
Einen ganzen Tag lang einfach mal nichts tun? Alter, von welchem Planeten kommst Du eigentlich?
Ironischerweise wissen gerade die, die wir in unserer Gesellschaft als groß und erfolgreich ansehen, am besten, wie wichtig es ist, den Busy-Modus zwischendurch mal auszuschalten. Microsoft-Gründer Bill Gates zum Beispiel ist nicht zu busy, um Bücher zu lesen. Er hat sogar einen eigenen Bücher-Blog. Und auch Tesla-Chef Elon Musk ist ein Bücherwurm. Auf die Frage, wie er gelernt habe, Raketen zu bauen, antwortete er: „Ich lese Bücher“ – und gibt ebenfalls begeistert Lese-Tipps. Pop-Urmutter Madonna ist nicht zu busy, um täglich Yoga zu machen. „Beatle“ Paul McCartney ist nicht zu busy, um zu meditieren. Er sagt: „In turbulenten Zeiten hat Meditation mir geholfen, Momente der Stille zu finden – und ich glaube, das würde vielen jungen Leuten eine Oase der Ruhe in einer nicht gerade ruhigen Welt bieten.“
Was „Ich bin busy“ wirklich über uns aussagt
Natürlich sind unsere Tage meistens gut ausgefüllt. Wir gehen zur Arbeit, kümmern uns um unsere Kinder und den Haushalt, pflegen kranke Familienmitglieder oder bauen nach Feierabend ein Haus. Oft ist „„busy“ also gar kein Ausnahmezustand, sondern ganz normaler Alltag. Und natürlich ist es gar nicht so leicht (in manchen Phasen sogar unmöglich), einfach mal so auf „Pause“ zu drücken. Und manchmal wiederum wäre es so leicht. Dann geht es in Wirklichkeit gar nicht darum, dass wir über Gebühr beschäftigt wären – sondern vielmehr um unsere Prioritäten-Setzung. Busy-Sein wird zu einer bequemen und gesellschaftlich anerkannten Ausrede.
Ich weiß nicht, wie oft ich „Ich bin busy“ gesagt und in Wirklichkeit etwas anderes damit gemeint habe.
„Bitte bewundere mich dafür, wie wichtig ich bin.“
„Ich schaffe es einfach nicht, mich gut zu organisieren.“
„Du bist mir nicht wichtig genug, meine Zeit mit Dir zu verschwenden.“
Mir das einzugestehen, war schmerzhaft, denn die Menschen, die es zu hören bekamen, waren in den meisten Fällen die, die mir am nächsten stehen.
Wo ist der Sinn von „busy“, wenn wir dabei das Leben verpassen?
Ich hätte David Bowie live gesehen. Ich wäre mit den Mädels nach Thailand gefahren. Ich hätte den letzten Geburtstag meines Großvaters mitgefeiert. Ich hätte viel getan, viel gekonnt, viel erlebt, das sich nicht mehr wiederholen lässt. Stattdessen saß ich hinter meinem Schreibtisch und war busy. Eigentlich halte ich nicht viel davon, sich in der Vergangenheit, im Hätte-Würde-Könnte zu verwursteln – vielmehr betrachte ich das als meine persönliche Erkenntnis: Ich habe in meinen jungen Jahren (zu) viel Leben auf später verschoben. Daran geglaubt, dass es sich irgendwann einmal von allein ändert. Dass sich mein Busy-Sein irgendwann mal auszahlt. Dass ich dann, wenn es endlich soweit wäre, alles nachholen könnte. Ein Trugschluss.
Leben ist jetzt.
Balance, darum geht es mir heute.
An den meisten Tagen bin ich immer noch busy. Klar, ich muss Geld verdienen und ich möchte weiterhin Projekte auf den Weg bringen, für die mein Herz schlägt. Doch ich weiß auch, dass es Tage gibt, an denen andere Dinge wichtiger sind. Die Dinge, an die ich mich noch in vielen Jahren mit einem Lächeln erinnern werde. Oder ganz simple Dinge wie ein Spaziergang, der meine Akkus wieder auflädt. Inzwischen weiß ich, wie die Luft nach einem Sommerregen riecht. Inzwischen sitze ich ganz bewusst morgens auf meinem Balkon und lausche dem ersten Vogelgezwitscher.
Thomas D. rappt in seinem Song „Rennen“ über einen Menschen in der Busy-Falle. Die Schluss-Strophe lautet: „Du warst am Rennen, jetzt kommst Du an. Und da weißt Du, dass Du echt gut rennen kannst.“ Mir fallen diese Worte oft ein, wenn ich mich wieder mal mit Überschlag und 350 km/h im Hamsterrad drehe. Ich will nicht nur rennen, um Ende gerannt zu sein. Ich habe das Recht, mich zwischendurch mal ausruhen. Mein Tempo zu drosseln, wenn es sein muss bis zum Stillstand. Mich in Ruhe umzusehen. Zu leben.
Mehr unter Warum Du so erschöpft bist (der schmerzhafte wahre Grund) und unter Langsam lerne ich, die Dinge sein zu lassen.
Photo: Feet young girl / Shutterstock | Inspiriert von: Ed Baldwin
Unglaublich. Da gratuliere ich, dass du noch lebst, Romy, und einigermassen gesund. Dies ist wohl auch ein möglicher (Um-)Weg, wenn der Mensch seinen freien Willen wahrnimmt. Zuweilen gegen das Leben.
Was war passiert in deinem Leben, damit sich solche Besessenheit festsetzen konnte? Dass der Körper und die tiefe Sehnsucht in dir derart hartnäckig und lange beiseite geschoben werden konnte?
Oft denken wir, wir seien Herr über unsere Absichten und Ziele. Und wir würden das schnell wieder angleichen können, würden die Prioritäten schon jederzeit erkennen. So entsteht dieser Traum, dieser Mensch im Kopf, mit dem dann so richtig gut gelebt werden und am Ende zurückgeschaut werden kann. Mit den Absichten schaffen wir dann diese unglaubliche Fokussierung, Programmierung und diese Scheuklappen. Kaum was anderes erreicht das eingeengte Bewusstsein hinter den Mauern des (illusionören) Erfolges. Ständig die Gedanken (abwesend) in diesem Räderwerk.
Ich glaube, den genannten erfolgreichen Personen passierte dies weniger. Sie blieben nicht so leicht hängen in der Anspannung,. Sie konnten natürlich weiter schwingen zwischen An- und Entspannung. Gleichwohl wollten sie zielstrebig etwas. Und sie wollten es durchaus für sich. Geld, Anerkennung, Wohlstand, Bedeutung, noch über den Tod hinaus. Fokussiert in diesem Wollen erkennen wir gelegentlich Egoismus, zumindest während der Anspannung.
In den Entspannungsphasen sehen wir wohl die Authentizität. Sie waren es sich selbst wert und lieb genug dafür und konnten die Kotrolle auch mal loslassen. Phasen ohne die dominierende Besessenheit. Die Entspannung und das Gewahrsein der Stimme des Körpers hatte Priorität.
Ich denke es fehlt diese gesunde Authentizität, wenn wir in die Besessenheit laufen. Wir erkennen das oft am schwachen NEIN. Sie fehlt auch oft, wenn wir betont empatisch sein wollen oder sollen.
Authentizität verwechseln wir manchmal auch mit Egoismus. Doch ohne sie fühlen wir uns oft nur eher wenig wert, schuldig und wenig geliebt. Damit kommen wir Ursachen etwas näher, schätze ich.
Ich wünsche allen Lesern zwei besinnliche Feiertage mit genug Entspannung und Reflexion.
LG Richard
ich hoer(t)e auch oft von Freunden?/Bekannten etc. „sorry keine Zeit, ich bin sooo busy“. Fuer mich war es eine Verletzung,
denn fuer jemandem keine Zeit zu finden, bedeutet, „dieser Mensch ist mir nicht wichtig genug um meine verbliebene Zeit
an ihn zu verschwenden ….eine harte Aussage und Oberflaechlichkeit, Egoismus etc. so sehe ich es . Am besten man
verabschiedet sich von diesen Leuten. Ihnen Romy wuensche ich , dass Sie wieder innere Ruhe
und ihr Gleichgewicht finden oder bereits gefunden haben. Viele rennen und wissen nicht wohin….endlos koennte man dieses Thema diskutieren. Die Ozis sagen „you are the No.1“ und das bedeuted keineswegs Egoismus sondern Erkennen, dass man nur fuer andere da sein kann, wenn man selbst funktioniert und seine Freuden u. Leiden mit anderen teilt.
Ihnen Danke fuer Ihre Offenheit.
Das könnte ich gerade auch geschrieben haben. Sitze gerade in Thailand und frage mich wie es zu dieser Erschöpfung kommen konnte und vor allem wofür?! Es ist verrückt – so viel zu viel busy zu sein und dieses Leben nicht mehr zu (er) leben.
Danke für den tollen Beitrag 🙏
Man ist so lange „busy“ bis man auf einmal tot umfällt. Nö. Da hab ich echt keine Lust drauf…
Ich mach im Moment alles Mögliche um mein Leben zu entschleunigen und den Stress zu verbannen.
Die eigene Einstellung zum Job zu überdenken ist auch ziemlich wichtig. Ich arbeite um zu leben und nicht anders herum 😉
hey,
dieses „busy“ finde ich ziemlich s****** weil es dich das vernachlässigen lässt, was im Leben wirklich wichtig ist: Menschen, Freundschaften, intensive Momente, SEIN. Man kann schon busy sein. Aber nicht ZU busy. Sonst stellt man irgendwann im Alter fest, dass man sein Leben verlebt hat und das, was wichtig war ständig verschoben hat. Überlege dir, was für dich im Leben Priorität hat. Und setze das an die oberste Stelle. Sonst kann es irgendwann zu spät sein…;)
LG Nicole
Liebe Romy,
so vor einem Jahr hatte ich auch meine 70-Stunden Wochen und war ABER SOWAS VON BUSY! 😀
Inszwischen bin ich zwar selbst & ständig, aber dafür auch selbst & bestimmt und damit im kompletten Bewusstsein über mein Leben und wie ich es führen möchte.
ich sage mir nun oft „Willkommen im Leben!“ und dieses eine, das ich habe, das möchte ich nicht einzig und allein „busy“ verbringen.
Ich mag den Schreibstil sehr! 🙂
Alles Liebe
Tatjana
Hallo und vielen Dank für den schönen Beitrag. Werte verändern sich in einer Gesellschaft leider stetig und es ist schade wenn es dann auf eine Scheidungen hinausläuft. Letztlich haben wir Menschen nie wirklich gelernt unsere Konditionierung zu sehen, geschweige denn diese zu ändern.
Eine gesellschaftlich anerkannte Ausrede – Genau so ist es! Das hast Du total treffend formuliert. Es ist so schade, dass das so ist, Ich frage mich: Was passiert mit einer Gesellschaft, wenn ihre Mitglieder vorrangig damit beschäftigt sind, vor lauter BUSY sein vor sich selbst davonzurennen!? Interessanter Beitrag, danke!
Dieses dämliche Busy, regt mich auf – versteht mich bitte nicht falsch, es ist nichts schlechtes dran, beschäftigt zu sein und eine Aufgabe zu haben, die einen erfüllt.
Aaaaaber : Selbstaufgabe um möglichst gut dazustehen, kann es ja wohl nicht sein.
Oft habe ich das Gefühl, die Menschen versuchen irgendwas mit ihrem Busysein zu übertünchen , und am Ende Laufens wie Zombies durch die Gegend.
Welchen Sinn macht es denn , sich erst kaputt zu machen um sich dann mit dem hart erarbeiteten Geld die Gesundheit zu erkaufen ????
Ich möchte die Menschen nicht beschimpfen , im Gegenteil, sie leisten Alle tolle Beiträge und sind fleißig und kreativ, was ich sehr schätze.
Etwas weniger PseydoBeschäftigt sein und Wichtigtuerei würde vielen viel besser zu Gesicht stehen.
In diesem Sinne : mit Gelassenheit kann man es weit(er)bringen 😊
Liebe Grüße, Nicole