Teile diesen Beitrag "Nachahmung ist Selbstmord – Eine kurze Geschichte"
Da draußen gibt es Leute – ein paar von ihnen oder eine ganze Menge – die genau das haben, was wir uns am meisten wünschen. Dünne Bäuche, dicke Konten, große Liebe, kleine Sorgen.
Wenn wir einfach nur genau das tun, was sie tun, bekommen wir das auch – und sind dann glücklich.
Oder?
Dazu habe ich mal kleine Geschichte gehört, und die geht so:
Eines Tages erlangte eine Frau die Erleuchtung. Von da an entschied sie sich für ein einfaches Leben. Denn sie sehnte sich schon lange nach Ruhe und der Natur. So ließ sie ihr Dorf hinter sich und zog in eine kleine Hütte im Wald, mit Kerzen statt Strom, mit Vogelgezwitscher satt menschlichem und technischem Lärm, und bestimmt auch mit einer Campingtoilette.
Junge Mönche aus dem Dorf hörten von der Meisterin. Sie beobachteten sie. Befragten sie. Und eiferten ihr nach. Nach und nach bewohnten sie alle kleine Hütten im Wald.
Als wieder mal eine Gruppe von Mönchen an ihre Tür klopften, kam die Meisterin raus, lächelte und sagte: „Was nützt es euch, mein Verhalten nachzuahmen, ohne euch die Motivation und die Idee dahinter zueigen zu machen?“
Die Mönche schauten verwirrt.
Da fügte sie hinzu: „Glaubt ihr denn, dass eine Ziege ein Rabbi wird, nur weil sie wie er einen Bart trägt?“
Es bringt leider nichts, wenn wir andere nachahmen. Zu unterschiedlich sind unsere Voraussetzungen, Fähigkeiten und Bedürfnisse, unsere Ideen und Motive. Trotzdem erscheint mir das manchmal noch immer einfacher, als mühsam meinen eigenen Weg zu finden und zu gehen. Dann versuche ich’s mit Imitation, gegen besseres Wissen und immer mit demselben Ergebnis: Ich komme kein Stück weiter. Zeit vertan, Kräfte verschenkt, Frust und Tränen heraufbeschworen.
Schlimmer noch:
„Nachahmung ist Selbstmord“, hat Ralph Waldo Emerson gesagt.
Weil wir uns auf dem Weg eines Anderen nicht nur verlaufen, sondern selbst verlieren. Mit jedem Meter und jedem Tag ein bisschen mehr zu Geistern werden, zu Hüllen, in denen das Herz weniger und weniger schlägt.
Das Gute ist: Wir können jederzeit anhalten und umkehren, zurück auf unseren Pfad. Und den Kompass danach ausrichten, was sich für uns richtig und passend anfühlt.
P.S.: Wenn Du Dir gerade unsicher bist, ob Du nach links oder rechts abbiegen sollst, findest Du hier eine gute Übung: Was Dein Herz Dir sagen will.
P.P.S: Hier 20 Bilder von Hütten im Wald und anderen abgeschiedenen Gegenden, für alle, die wenigstens mal schauen wollen …
Photo: pedro alves
Oh ja, diese Erfahrung macht wohl jeder mal. Und es ist schön, dass wir immer wieder zurückkehren können, auf unseren Pfad. Es liegt in unserer Entscheidung.
Immer wieder schön zu wissen, dass Menschen wie du dazu beitragen, anderen Menschen beim Ausrichten Ihres Kompass behilflich zu sein… und auch als kleine Erinnerung fungieren, die zurück zum eigenen, individuellen Pfad führt.
Danke, Tim!
Herzlichen Dank Michel!
Hallo Tim.
Cooler Artikel. Warum? Weil du da so ziemlich jedem widersprichst. „Fake it till you make it.“ etc. ist ja in aller Munde. Wenn man genau das macht, was die erfolgreichen machen wird schon alles klappen. Aber das ist nur die halbe Wahrheit.
Denn: Auch wenn jeder die gleiche Richtung und Laufdistanz wählt, kommt jeder an einem anderen Punkt raus. Denn jeder hat auch an einem anderen Punkt angefangen.
Die Inspiration kann man sich von anderen holen und sollte das auch dringlichst tun, aber ein blindes übernehmen macht nicht viel Sinn.
Danke Tim, dass ich diesen Gedankengang in meinem Kopf schärfen konnte.
Gruß,
Ben
Hey Ben,
Dankeschön für Deinen Kommentar.
Ich glaube, wenn man immer faked, wird man zum Faker. Und wenn man sich nie inspirieren lässt, zum Mutlosen. 🙂
LG
Tim
Hey Tim,
Das ist mal wieder ein inspirierender Artikel, ABER (und das geht auch an die beiden Kommentatoren über mir) …
Man darf das alles nicht so absolut und schwarz-weiss sehen und man muss auch mal dem Drang widerstehen, alles in die Kategorien „gut“ und „schlecht“ einordnen zu wollen.
Nachahmung ist eine uralte bewährte und erfolgreiche Strategie. Weder kann jeder Mensch das Rad immer neu erfinden, noch kann man bis ins kleinste Detail erforschen, warum irgendwer irgendwas auf diese oder jene Weise macht.
Klar gibt es Ausnahmen und man sollte nicht alles nachmachen. So dumm ist aber auch kaum jemand. Die Evolution hat neben der Nachahmung nämlich noch andere Strategien erfunden, die parallel dazu laufen und verhindern, dass wir dem Idioten folgen, der von der Brücke springt.
Dass Menschen soziale vergleiche anstellen und „neidisch“ werden, wenn sie irgendwelche fake-Prolls auf Facebook sehen, ist nicht rational. Das macht niemand mit Absicht und Argumente können nichts dagegen ausrichten. Man verliebt sich ja auch nicht mit Absicht. Die einzige Strategie, die funktioniert: Sich nicht den Reizen aussetzen, die die falschen Reaktionen auslösen.
Das wollte ich nur mal gesagt haben 🙂
Viele Grüße,
Jan
Hi Jan,
vielen Dank mal wieder für Deine Gedanken!
Die Vermeidung von Reizen ist bestimmt wichtig. Ein trockener Alkoholiker sollte nicht den ganzen Tag in der Kneipe rumhängen. Auf der anderen Seite – wenn er davon abhängig ist, keinen Reizen ausgesetzt zu sein – wird es auch schwierig.
Ich meine, da braucht’s noch andere Strategien.
LG
Tim
Tust Du das Gleiche oder ähnliche wie ein anderer, stellt sich das Gleiche oder ähnliche Ergebnis ein, so wie bei dem anderen.
Dies ist Fakt und kein Selbstmord. Es bedarf dafür jedoch ein bestimmtest Verständnis bezüglich des Gleichen und TUN.
Hi Stephan,
wenn zwei auf einem Weg sind und der eine springen muss, um über die Hürde zu kommen, und der andere es nachmacht, und sich an dieser Stelle aber den Kopf anhaut, ist Nachmachen eben nicht das Richtige.
Die Wege müssten exakt bekannt und vergleichbar sein, ich denke, dass es eher daran scheitern kann. Also ja, es fehlt Verständnis, wie Du schreibst, aber ich denke, dass man dieses Verständnis in der Regel gar nicht haben kann – und dazu neben dem äußeren Verhalten auch noch das innere modellieren müsste.
LG
Tim
Der Essay von Ralph Waldo Emerson „Self-Reliance“ ist großartig, er gehört zu jenen Texten, die jeder einmal lesen sollte. Er stellt eines der exzellentesten und brillantesten Stücke dar, die je zum Thema „Selbsthilfe“ geschrieben wurden.
Ich glaube, dass das größte Problem mit Nachahmung heute bei Männern besteht. Dabei geht es vor allem darum den sanften lieben Kerl zu geben und dabei seine Männlichkeit, seine Natur zu verraten. Die Kultur ist heutzutage gegen das Männliche ausgerichtet und ist völlig zugunsten der Frau kreiert. In dieser Atmosphäre ist es für Männer sehr leicht, sofern sie sich ihrer selbst nicht bewusst sind, ein Leben zu leben, das im Wesentlichen von weiblichen Werten bestimmt wird. Nichts könnte perverser sein, als dieses – und doch treffen wir solche degenerierten Gestalten heute überall an.
Ja, das stimmt schon, allerdings finde ich es überhaupt nicht verwerflich – eher löbliche, sich gute/weise Vorbilder zu suchen. Nachahmen und sich dadurch auszuprobieren liegt ja in der menschlichen Natur.
Ich glaube nur blindlings zu folgen führt meist auch nicht zu einem erstrebenswerten Ergebniss, weil die eigene Motivation fehlt, jedoch geht auch die Psychologie (z.B. Bandura) davon aus, dass wir erfolgreiche Verhaltensweise ganz automatisch nachahmen, auch weil wir sie dadurch zu verstehen versuchen.
Natürlich sollte man diesen Vorbildern reflektiert und mit offenem Auge folgen, jedoch denke ich versperrt man sich eine ganze Menge an Erfahrung/Wissen, wenn man sich nicht mal hier – mal dort doch erlaubt, sich erfolgreiche Verhaltensweisen anzueignen. Wie siehst du das?
Und trotzdem ist diese Meinung, einfach sein „Role model“ zu finden und genau zu tun, was er tut, so verbreitet! Zu schade um so viele Menschenleben!
Best wishes,
Chris von chrisgsellmann.at
Danke für den tollen Artikel! Nachahmung scheint oft das Einfachste, wie du so schön schreibst. Ich selber entdecke mich auch oft, wie ich der Idealisierung verfalle und blind andere Menschen kopiere, ohne wirklich darüber nachzudenken, wo ich selbst am Ende noch drin stecke..
Liebe Grüße
Alex