Ständig begleitet von Gedanken wie diesen – das Leben, wie es ist, von ihnen zertrampelt wie von einem grausamen Riesen:
Ich sollte Jazz hören oder Klassik, so richtig kultiviert, und endlich meine Justin-Bieber-Poster abmachen.
Ich sollte fünfzehn Kilo weniger wiegen, und endlich wieder in mein Abi-Ballkleid passen (darin würde ich bestimmt auch Justin Bieber gefallen!).
Ich sollte doppelt so viel Geld verdienen, mindestens, und endlich einen SUV fahren, die Malediven oder gleich die ganze Welt bereisen, ein großes Haus bewohnen.
Ich sollte mich doppelt so glücklich fühlen, mindestens, und endlich ganz unabhängig davon sein, was im Außen passiert und was die Leute sagen oder denken.
Ich sollte meine große Lebensaufgabe finden, und endlich von morgens bis abends pausenlos in Flammen stehen vor Begeisterung und Tatendrang
Ich sollte viel mehr Gutes tun, viel mehr leisten, viel weniger sündigen, und endlich beweisen, dass ich ein wertvoller Mensch bin, der Wärme und Liebe verdient hat.
DANN werde ich im Reinen sein mit mir und meinem Leben.
Endlich
endlich
endlich
unendlich lang die Liste in unseren Köpfen, in Gesprächen, im Beruf, in der Werbung, was wir angeblich ganz anders, besser, schneller, mehr machen sollten – und was wir jetzt gerade falsch machen – und dass wir jetzt falsch sind, dass mit uns etwas nicht stimmt.
Nichts gegen Träume und Ziele, die sind wichtig. Aber am meisten träumen wir doch, wenn wir glauben, dass uns nur noch dieses oder jenes zum großen Dauerglück fehlt, dass wir es unbedingt brauchen und bis dahin nur die Zeit totschlagen sollten. Spätestens im Rückblick wird diese Lüge zum Alptraum. Sie hat uns das Leben gekostet, das wir hatten, das wir voll und ganz hätten leben können. Genau so, wie es war und auch sein durfte. Genau so, wie wir waren und auch sein durften.
Lange hing ich fest in diesem Alptraum. Hab mich versteckt wie ein Schwerverbrecher auf der Flucht, nur weil ich Akne hatte. Hab mich geduckt, weil ich vermeintlich zu wenig Leistung brachte, sozial, beruflich, spirituell, als Mensch. Hab mich geschämt vor mir selbst. Und auch jetzt noch lauert der Alptraum unterm Bett, und wenn ich nicht aufpasse, greift er nach mir, will mich wieder holen mit seinen verbogenen und verfaulten Klauen. „Tim, ein paar Texte in der Woche und Bücher im Jahr sollten‘s schon sein; deutlich mehr Kohle; mehr Abenteuer; Herrgott, nicht schon wieder Pause machen; und warum grinst Du gerade nicht, sei doch mal fröhlich, na los!“
Dann versuche ich mich, daran zu erinnern:
Wir müssen nichts „verbessern“ oder „optimieren“.
Nichts an uns und nichts in unserem Leben.
Nicht in diesem Moment, und nicht in all den Momenten, in denen wir tagsüber anhalten können, tief einatmen und ausatmen, bewusst wahrnehmen, was gerade um uns herum geschieht und wie es uns im Innersten gerade geht, möglichst wenig davon bewerten (so gut das eben geht), und dann denken:
Ja, dieser Moment ist genug.
Ja, ich bin genug.
P.S.: Wer Justin Bieber-Poster braucht oder ein Abi-Ballkleid (ist zum Teil leider etwas ausgebeult), möge mir bitte einfach schreiben.
P.P.S.: Siehe auch Ein fast vergessenes Wort, das Dein Leben so viel leichter machen kann.
Inspiriert von: zenhabits, Photo: Magdalena Roeseler
Achhh wie wahr…
Hey Tesa,
darf ich fragen, ob es für Dich einen Punkt gibt, bei dem Du oft in die „Ich-bin-/lebe-falsch-Falle“ trittst?
LG
Tim
Hi Tim,
ja allerdings, da gab und gibt es diesen Punkt sehr oft in meinem Leben, ja sogar mein ganzes Leben lang.
Erstmals kam dieser Punkt in meiner Gymnasiumszeit. Da dachte ich mir „Wenn ich erst mal meine Matura (Abitur) erfolgreich bestehe, dann hab ich so viel in meinem Leben erreicht. Dann bin ich endlich stolz auf mich! Das Leben an der Uni, das werde ich genießen und locker angehen.“ Falsch gedacht, die Euphorie war schon wenige Wochen nach meiner, mit Auszeichnung bestandenen Matura auch schon vorüber.
Heute ertappe ich mich immer wieder dabei, wie ich meine Zufriedenheit und mein Glück ständig von einer in Zukunft liegenden Situation abhängig mache. Ich kann es aber nicht ändern, er ist nun mal da, der Gedanke, dass wenn ich erst mal meinen Uni-Abschluss habe (hoffentlich Ende dieses Jahres) und ich mit beiden Beinen fest in der Berufswelt stehe…dass ich erst dann mein Leben „genießen“ kann.
Irgendetwas tief in mir sagt mir, dass es vermutlich wieder nicht so sein wird 😉 …und wieder entkomme ich dem sich ewig drehenden Hamsterrad nicht. Oder vielleicht eines Tages doch?
LG,
Tesa
Hey Tesa,
Danke für Deine Offenheit.
Ich glaube ehrlich gesagt, dass die Berufswelt kein zuverlässiger Quell von Zufriedenheit ist, zumindest für sehr viele Menschen. Insofern ist es schon möglich, dass Du auch dort – im Außen – nichts Dauerhaftes findest, das Dich endlich ankommen lässt.
Was, glaubst Du, müsste denn passieren, damit Du sagst: Ja, das ist es, genau das ist, was ich gerade brauche?
LG
Tim
… und „Ja, auch das darf sein wie es ist ..“, Das Ja führt zu Vertrauen, Geborgenheit, die Frage des Genug Seins stellt sich gar nicht. Ich brauche keinen Traum und keine Lebensaufgabe. Ich folge einfach der Freude.
… etwas, das ich auch immer mehr lernen möchte, der Freude folgen, spontan, statt den großen Plänen, die dem Verstand zwar in den Kram passen, aber oft nur im Außen zu Veränderungen führten, die innen nie wirklich ankommen.
verlasse einfach mal die Komfortzone
Hallo Tim,
wahre Worte, aber eine Frage habe ich doch:
Hast du mit der Wahl des Fotos bewusst einen Zusammenhang zwischen miesen Lügen und Religion herstellen wollen? 🙂
Alles Liebe,
Philipp
Hi Philipp,
ui, darüber hatte ich gar nicht nachgedacht (ich mag Photos, wo Leute von hinten drauf sind, und Fotos vom Meer, und hier kam beides zusammen). Das könnte ein ziemliches Fettnäpfchen sein, wenn ich’s mir recht überlege. Vielleicht tausche ich das Bild sogar noch aus – mit den Religionen kann diese Ich-bin-falsch-Wahrnehmung sicher auch zu tun haben.
Letztlich steht das Lebensprinzip Arbeit dahinter, zum Beispiel als Ergebnis der protestantischen Arbeitsethik (http://de.wikipedia.org/wiki/Arbeitsethik#Protestantische_Arbeitsethik), Arbeit im Job, Arbeit an der Beziehung, Arbeit an uns selbst, ohne Ende und ohne das zu hinterfragen.
LG und Danke für Deine Aufmerksamkeit!
Tim
hallo tim … ich glaube der schlüssel raus aus zwang und drang und druck, aus selbstzweifeln (bin ich genug? was muss ich noch machen, schaffen, erreichen,tun, werden) ist immer die selbstliebe … denn wenn du dir selber genug bist dann musst du nichts machen und nichts tun, DICH NICHT ÄNDERN um besser zu werden … du nimmst dich so an wie du bist und du bist genug und genau richtig wie du bist … du musst niemandem etwas beweisen … musst nicht positiver denken … mehr freude haben … mehr dies umd mehr das machen: um ? was eigentlich? … MÜSSEN ist immer druck … der verstand sieht immer den mangel … das herz das potenzial … die basis ist immer die selbstliebe und daraus kannst du dann wachsen … ohne druck … einfach aus dir selbst heraus ☺ alles liebe für dich
Hey Vera,
Danke für Deine Zeilen.
Was ist denn aus Deiner Sicht ein guter Weg zu mehr Selbstliebe? Was ist da besonders wichtig?
LG
Tim
Danke Tim,
genau das hab ich gebraucht!
unglaublich,wie mich deine Worte finden,immer im richtigen Moment.
LG
Michaela
Vielen Dank Michaela, das freut mich!
Hallo Tim,
so geht es mir auch immer wieder. Dieses „Mensch sein“ werden wir wohl nicht los, solange wir atmen. Werden werden werden wollen!
Wir können es aber annehmen, das es nun mal so ist. Und weg kommen von „Zielen“ hin zu SEIN und TUN. Einfach machen und mit dem zufrieden sein was jetzt gerade ist.
Und dann denkt man, jetzt ist man ja 45, hat sein Leben mit spiritueller Praxis und Erkenntnissuche verbracht und es müsste längst vorbei sein mit dem WERDEN wollen. Scheisse – nein – es hört niemals auf. Auch alle spirituellen Lehrer vergleichen sich mit anderen und wollen so sein wie DER DA nebenan, der 200 Fans mehr hat. Wir kommen da nicht raus. Just accept and smile.
So mache ich es zumindest. Ich versuche das Leben nicht mehr so ernst zu nehmen, sondern tue die Dinge spielerischer, die ich eben tue. Kindlicher, frischer, unberührter. Aber der „Kritiker“, der „Verstand“ ist eben auch anwesend, da kann man nichts machen.
Anhalten, wie du erwähnt hast, ist eine ausgezeichnete Methode, die mir auch immer wieder hilft, das was HIER ist zu lieben, zu staunen, und dankbar zu sein, das ich atme.
So einfach …
In diesem Sinne
herzliche Grüsse
Dirk
Sagen wir es mal so. Es hört nicht auf, dass es solche Momente gibt. Wie lange sie anhalten, wie häufig sie sind, ob du diesem Denken zuschaust und es wahrnimmst? Es geht um Bewusstsein in diesem Sinne, denke ich.
Hi Dirk,
vielen Dank für Deinen sehr schönen Kommentar. Es tut auf eine schräge Art gut zu lesen, dass ich womöglich … nein, wahrscheinlich .. auch mit 45 noch diesen Anteil erleben werde, denn dann kann man auch gleich damit anfangen, ihn zu akzeptieren – und nicht allzu sehr auf ihn zu hören.
LG aus dem Hier
Tim
Hallo Tim,
danke. Genau so ist es! Daran kann ich gar nicht genug erinnert werden 🙂
Glück ist da, sobald man aufhört danach zu suchen. Mit dem Kopf ist das nicht zu greifen.
Am besten begreift man das, wenn man mal auf ein spielendes Kind schaut, einem Vogel beim Singen zuhört, an einem See sitzt oder über der „stressigen“ Stadt einen tollen Sonnenuntergang sieht. Dann hat das Glück einen (jedenfalls wenn man zuhört) gefunden.
Das tolle daran ist, dass dann oft auch all die anderen Dinge kommen, die man sich im Leben wünscht.
Wünsche uns allen, das das Glück uns oft findet 😉
Hey Robert,
das sind schöne Dinge, die Du nennst, gerade am See sitzend fühle ich mich auch besonders oft „angekommen“.
LG und ein schönes WE mit vielen solcher Momente
Tim
Hallo Tim,
Geht mir genauso. Gerade dein Beispiel hat mich sehr angesprochen. Auch ich denke mir oft, was mache ich da eigentlich? Was höre ich da für Musik? Pop, Rap? Nee ganz falsch. Sei doch endlich mal kultivierter. Du solltest Jazz und Klassik hören. Manchmal macht es mich echt fertig dass ich nicht die Bücher lese, von denen ich meine, dass sie gut für mich sind. Aber ich bekomme diese Bücher einfach nicht gelesen. „Der weibliche Narizssmuss“. Ja sehr interessant, aber dennoch lese ich viiel lieber „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ oder „Maya und Domenico“. Hast du noch ein paar Tipps für mich, wie ich dass Ganze einfacher gestalten kann?
Hi Michelle,
was das Lesen angeht, denke ich, tust Du gut daran, vor allem auf Dinge zu setzen, auf die Du wirklich Lust hast … sonst macht man sich schnell die gesamte Lust am Lesen kaputt, wie „Faust“ in der Schule.
Das Einfachste ist vielleicht, gar nicht viel „gestalten“ zu wollen, sondern regelmäßig innezuhalten – so wie Du es ja schon tust, wenn Du Dich fragst: was mache ich hier eigentlich? – nur eben dann, wenn Du tust, woran Du keine Freude hast, nicht andersherum. 🙂
LG
Tim
Ja, kann ich so unterschreiben. Aber leider leben wir in einer „nie genug“-Gesellschaft. Und wer dann auch noch sich selbst oft nicht genügen kann, weil ihm das in Kindheit und Jugend nicht mitgegeben wurde, der ist halt einfach der Arsch. Ja, und was dann?
Atmen und sich weiter beruhigend. Aber weg gehen wird es nie ganz, das falsch und unzureichend sein.
Übrigens, das werden wollen, das hier auch in Kommentaren kritisiert wird, finde ich gar nicht verkehrt. Schließlich halten Träume und Sehnsüchte uns lebendig. Schwierig ist das Gefühl, so und so werden zu SOLLEN, und es eigentlich im Inneren bewusst oder unbewusst gar nicht zu wollen.
Hi Toc,
eine gute Unterscheidung, zwischen werden wollen und werden sollen!
Ob es je weggeht? Vermutlich wirklich nicht. Aber darauf abzuzielen würde ohnehin wieder nur heißen: „ich sollte anders sein, ich sollte nicht werden wollen/sollen!“
LG
Tim
Ein sehr schöner Post, den man immer mal wieder rausholen sollte, wenn man gerade mal wieder zu viel will. Ich glaube auch, dass Ziel wichtig sind, aber definitiv nicht unter der Bedingung, dass man erst DANN richtig glücklich ist. Glück kommt schließlich aus uns selbst heraus.
Dankeschön Anja!
Danke für diese schöne Erinnerung, dass wir genug SIND und sich nicht dauernd verbessern müssen. Einfach den Moment genießen und darin verweilen. Dankbar dafür zu sein, dass wir gerade so sind, wie wir sind.
Hugs,
Linda
Mehr noch, Linda. Bist du zufrieden und dankbar, dann kommen Dinge hinzu, für die du zufrieden und dankbar bist.
Hi Linda und Richard,
das geht vielleicht auch damit Hand in Hand, dass wir uns in Dankbarkeit üben, dass andere Menschen so sind, wie sie sind.
Jedenfalls: ein schönes Wochenende zusammen!
LG
Tim
Aber soll man denn mit allem zufrieden sein wie es ist? Auch wenn man sich wünscht, dass es besser sei? Oder man einfach unzufrieden mit sich selbst ist?
Ich könnte das im Moment nicht, zu mir zu sagen „Mit dir ist so alles Okay!“
… Irgendwie stell ich mir, während ich das schreibe die Frage „warum könnte ich das egtl. nicht?“ Die Antwort ist wohl, dass ich nicht so viel erreicht habe wie meine Umfeld. Aber wäre es dann besser? Womöglich wäre ich zufriedener mit meinem Beruf, hätte etwas mehr Geld in der Rückhand (ja Geld macht nicht alleine glücklich, aber etwas mehr ist ja auch nicht verkehrt…)
Ich bin gefangen zwischen „Ich will mein Leben akzeptieren wie es ist“ und „Ich würde gerne mehr erreichen, mir fehlt die Zukunftssicherheit“…
Hmm…
Micha
Hey Micha,
vielleicht hilft Dir das hier etwas:
https://mymonk.de/liebst-du-dich-wie-du-bist-oder-hast-du-ziele-selbstakzeptanz-vs-wachstum/
LG
Tim
Hallo, seit 2 1/2 Jahren zweifle ich an mir. Das weiß ich so genau..weil mein Mann sich da selbständig machte. Er ist Koch und hat nun eine Gaststätte und keine Zeit mehr für mich und unserem Sohn. Wir zogen auch vor ca. 2 Jahren in seinen Heimatort in dem ich mich total unwohl fühle. Wir wohnen in einem kleinen Dorf und ich kämpfe seit 10 Jahren mit meinen Ängsten und Panikattacken..die ich dank Therapie gut in den Griff bekommen habe. Dennoch..mein Mann ist also sehr viel am arbeiten und ich immer allein zu Hause. Mir fehlen meine Bekannten..mein Vater..mein gewohntes Umfeld und mein Mann versteht es nicht. Er sagt immer..ich sei selber schuld..dass ich mich hier nicht wohl fühle. Ich sollte dem Ort hier doch mal eine Chance geben. Unser Sohn wolle hier gar nicht mehr weg. Er ist 7 und wir leben 2 Jahre hier. Ich hin fast 43 und lebt nun 2 Jahre hier. Immer denke ich…ich bin falsch. Ich bin nicht fähig mich anzupassen..ich bin keine gute Ehefrau..wenn ich es nicht gut finde..dass ihm sein Laden wichtiger ist als wir. Ich bin gefangen hier. Ab und zu fahren wir in meine Heimatstadt und ich habe jedesmal den Drang dort zu bleiben. Jedesmal weine ich..wenn wir aus meiner Stadt raus fahren. Das bilde ich mir doch nicht ein..weil ich ihm schaden will!! Ich habe angefangen mich in extremen Streitsituationen mit ihm..mich zu verletzen. Das bin nicht ich! Ich bin eigentlich immer ein fröhlicher..offener ..humorvoller und ehrlicher Mensch. Mein Mann unterstellt mir..dass ich nur mit ihm zusammen bin ..weil er mein Hobby (Pferd) finanziert. Das war nie so. Mittlerweile..denke ich..dass es nun sonst und wegen unserem Sohn
Aber wo bleibe ich??? Mein Leben ist nicht unendlich! Doch ich traue mich nicht..mich aus dieser Situation heraus zu holen. LG