Teile diesen Beitrag "Müssen wir jeden Tag „motiviert“ und „produktiv“ sein?"
Wir wollen so viel erledigen und schaffen,
dass am Ende eines jeden Tages
vor allem wir selbst erledigt und geschafft sind.
Wir sollen produktive Mitglieder der Gesellschaft werden. Eine Zeit lang reden uns das noch Schulen Unis Eltern Kollegen Chefs Politiker Ratgeber Blogs und all die Unternehmen ein, die uns ihren Mist verkaufen wollen, den wir uns ja nur leisten können, wenn wir Geld scheffeln.
Doch dann übernehmen wir diese Rolle selbst. Sind unsere eigenen Sklavenhalter und Sklaven zugleich. Schreiben To-do-Listen und haken sie ab, als wäre unser ganzes Leben nur ein Fließband. Pauken wie die Blöden. Arbeiten rund um die Uhr. Stopfen das bisschen Freizeit voll mit Aktivitäten, um auch unser Privatleben produktiv zu machen.
Krank krank krank
Pervers ist auch, dass wir uns oft umso unproduktiver fühlen, je mehr wir uns auf Produktivität konzentrieren.
Was machen wir also:
Motivieren uns noch stärker.
Penetrieren jeden kleinsten Winkel der Zeit, um nichts davon zu „verschwenden“, und schaffen doch nie „genug“.
Geben damit an, wie beschäftigt wir sind – als wäre Unfreiheit das höchste Gut.
Fühlen uns schlecht, weil wir auf dem Zahnfleisch kriechen (kein Wunder, schließlich ist nun mal nicht die bequemste Art, durchs Leben zu reisen).
Und fühlen uns noch schlechter, wenn wir eine Weile mal einfach gar nichts machen möchten oder können. Denn: nichts tun, nichts wert sein. Oder?
Hand hoch, wenn Du das letzte Mal irgendwie froh darüber warst, dass Du krank im Bett lagst und damit endlich die Erlaubnis zum Nichtstun hattest.
Oder wenn Du Dir vor allem Zeit zum Erholen gibst, nur um danach noch leistungsfähiger zu sein.
Das kann’s doch nicht sein.
Ein Ausweg
Aber welchen Ausweg gibt’s, und wohin führt er uns? Ganz auf Produktivität pfeifen? Uns nur noch treiben lassen? Oder gar liegenbleiben?
Nein. Ich glaube, wir brauchen beides: produktive und unproduktive Phasen. Das Ausatmen (produktiv sein) wie das Einatmen (unproduktiv sein).
Der Schlüssel für die Tür, hinter der wir sowohl beruflich vorankommen als auch privat das Leben genießen: wir konzentrieren uns nicht mehr auf Zahlen, wie das bei Produktivität normalerweise der Fall ist. Sondern auf Wert.
- Privat meint Wert: Deine gesamte Lebenszufriedenheit, die Erfüllung. Es ist egal, wie viele Aktivitäten Du unternimmst, Yogakurse Du besuchst, Reisen Du machst, Vereinen Du angehörst, Menschen Du kennst und auch egal, wie viele Dinge kaufst. Viel wichtiger ist die Frage: „wie kann ich meine freie Zeit heute erfüllend gestalten?“ … und hier darf die Antwort auch lauten: „heute werde ich NULL aktiv sein“, denn auch das gehört zur Fülle Deines Lebens.
- Beruflich meint Wert: Eben nicht die Anzahl von Arbeitsstunden oder abgehakter To-dos. Lasst uns stattdessen auf harte Arbeit konzentrieren – für mich ist das Arbeit, die uns wirklich herausfordert, unsere Handschrift trägt und anderen Menschen hilft. Die Frage lautet hier also nicht, wie viele Handlungen wir in den Tag pressen können, sondern welche davon einen echten Unterschied machen, für uns und die Welt (mehr zum Wertschaffen).
Wenn wir uns auf Wert konzentrieren, haben wieder alle Lebensbereiche Platz.
Weil Wert sich nicht so leicht an Zahlen, Kontoständen, Uhren und Exceltabellen ablesen lässt, brauchen wir einen anderen Gradmesser.
Statt nach außen zu schauen, müssen wir hierfür nach innen schauen. Auf das, was unser Kopf denkt und unser Herz fühlt. Auf UNSER LEBEN, und wie zufrieden wir damit sind.
Photo: José Manuel Ríos Valiente
Vielen Dank für diesen Blogeintrag. Du sprichst mir aus der Seele. Es fällt mir manchmal schwer, mir genau diese Gedanken präsent zu machen, wenn ich gerade mal “nichts leiste“. Die Gesellschaft und der mit ihr gekommene Leistungsdruck hat uns da ein ganz fieses “Leistungsgewissen“ eingepflanzt. 😉
Habe Mut, den unsynchronen Weg in dieser „gleichgeschalteten“ Gesellschaft zu gehen. Freiheit und Unabhängigkeit sind heute wichtiger als je zuvor. Vorausgesetzt man befindet sich nicht schon im Käfig, von Neid und Missgunst. Nach dem Motto: Mein Haus, mein Auto, meine Yacht. Es kann nicht sein, dass die Gesellschaft von Dir erwartet, dass Du einen Herzinfarkt bekommen musst um für diese Gesellschaft „wertvoll“ zu sein. Befreie Dich von vom Konsumdenken. Wer dich dann noch liebt, meint es tatsächlich ernst mit Dir.
Deine Beiträge gefallen mir. Sie sprechen mich (fast) alle an und haben Hand und Fuß. Zum heutigen Thema habe ich gerade mit einer Freundin diskutiert: Warum wohl gibt es immer mehr Fälle von Depressionen und Burnout, auch schon bei jungen Menschen? Das Immer-etwas-leisten-müssen ist sicher einer der Gründe dafür. Wer nicht ständig allen verkündet, was für einen schlimmen Stress er hat, fällt ja schon fast unangenehm auf….. Das ständige Keine-Zeit- und Hab-wahnsinnigen-Stress-Gejammere ist zu so etwas wie einem Statussymbol geworden. Nach dem Motto: „Wer keinen Stress hat kann ja nicht so wichtig sein“. Denkt mal drüber nach, wie hirnrissig das ist!
Ich schlafe gern sehr lange, habe heute zuerst mal ein paar Folgen „Gilmore Girls“ im Bett geschaut, 1,5 Tafeln Schokolade verdrückt, sitze immer noch im Bett, und gleich gehe ich zum DVD-Abend mit meiner Schwester. Soviel zum „unsynchronen Weg“, wie Marcel es so schön nannte. Das an einem MONTAG! Inzwischen kann ich es ehrlich genießen, so zu leben. Aber es auszusprechen, zuzugeben oder darüber zu bloggen, ohne dass ich gleichzeitig erwähne, was ich trotzdem heute alles erledigt habe, das fällt mir immer noch schwer.
Danke, lieber Tim, und danke liebe Kommentatoren.
Müssen wir jeden Tag „motiviert“ und „produktiv“ sein?
Nein. 🙂
Diese Antwort wollte ich soeben selbst schreiben. Daher unterschreibe ich das mal so (virtuell). 😉
🙂
Hi Tim,
„Hand hoch, wenn Du das letzte Mal irgendwie froh darüber warst, dass Du krank im Bett lagst und damit endlich die Erlaubnis zum Nichtstun hattest.“
Der Satz gefällt mir besonders! Früher habe ich bisweilen Krankheit vorgetäuscht, um mich vor bestimmten Aktionen zu „drücken“ – heute weiß ich es besser! Wenn ich keine Lust habe etwas zu unternehmen; dann lass‘ ich es (wenn möglich). Ich gebe mir die Erlaubnis zum Nichtstun jetzt selber 😉
LG Birgit
Es ist eine ruhelose Zeit mit so vielen Moeglichkeiten und Reizen, was ein Mensch gar nicht mehr verarbeiten kann. Alle natürliche Pausen, weil etwas zu lange dauert an Informationen zu kommen gibt es nicht mehr heufig. Wir haben den Wohlstand und die technische Möglichkeit jederzeit überall zu sein als zu Hause. Wir sind Sklaven der heutigen Moeglichkeiten ….
Daher muss man sich bewusst mal fuer die Unproduktivität Entscheiden .
Tim – Du machst eine tolle Arbeit! Frohes Fest mit Deinen Liebsten. Es ist gut, dass es Dich gibt! Herzlichen Gruß
Hi Tim,
cooler Artikel. Ich stimme dir zu: „produktiv sein müssen“ kann einen auch fertig machen… Der Mensch ist schließlich keine Maschine. Ohne Muße bzw. Müßiggang können bunte Gedanken weder entstehen noch reifen. Aber „produktiv sein können“ ist eben auch ein schönes Gefühl – … das im Idealfall auf müßige Momente folgt und einen flow-mäßig auch mega-glücklich machen kann!
Liebe Grüße aus Leipzig –
Katirn von startup-erfolg