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Selbstsucht bedeutet nicht, zu leben wie man es wünscht, sondern von anderen verlangen, dass sie leben, wie man es erwartet.
– Oscar Wilde

Ich war elf oder zwölf Jahre alt und stand am Fenster. Blick auf den Spielplatz mit einer großen Reifenschaukel, auf der man’s so richtig krachen lassen konnte. Ich stand also am Fenster, und sah meinen besten Freund auf dem Spielplatz. Mit seinem besten Freund. Er hatte mich nicht gefragt, ob ich mitkommen wolle, obwohl das ja echt kein Ding gewesen wäre, so nah wie ich wohnte.

An den Fenstern hingen Gardinen, an meinen Wangen Tränen aus Wut und Einsamkeit. Wie konnte er nur – wie konnte er da lachen und die Sau rauslassen, und mich so stehenlassen, hinterm Fenster, unter Tränen? Wie konnte er einen Anderen als mich als seinen besten Freund wählen? Wie konnte er meine Erwartungen so enttäuschen?

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Der Schmerz saß tief. Und das war lange nicht die letzte große Enttäuschung, die ich – wie die meisten von uns – einstecken musste. Ganz zu schweigen von den tausend kleinen und mittelgroßen, die die Tage pflastern.

Erwartest auch Du viel von Deinen Kollegen, Freunden, Familienmitgliedern, Kindern und von Deinem Partner und wirst Du wieder und wieder und wieder enttäuscht?

Dann ist vielleicht der Punkt gekommen, weniger mit Deinen Mitmenschen hart ins Gericht zu gehen und mehr mit Deinen eigenen Erwartungen an sie.

Wie Erwartungen zu Leid führen

In „erwarten“ steckt „warten“.

Warten, das tun wir auf Dinge, die hier und jetzt nicht da sind, nicht so sind, wie wir es wollen. Auf den Bus, der eigentlich schon längst gekommen sein sollte; auf ein Ende des Regens, den die Wolken gerade ausquetschen; oder eben darauf, dass unsere Mitmenschen das sagen und tun, das unseren Wünschen entspricht. Sagen oder tun sie das nicht (und das geschieht oft), entsteht eine Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit, die uns ins Leid stürzt.

Ist also im Prinzip genauso einfach wie schmerzhaft, die Sache mit den Erwartungen.

Lass uns ein paar wichtige Exemplare dieser Gattung anschauen, die uns regelmäßig frustrierten, den Magen zusammendrücken oder sich sogar ins Herz bohren wie mein mieser Moment hinterm Fenster hinterm Spielplatz.

#1 Die Erwartung, bestätigt zu werden

Dein Aussehen, Deine Meinung, Deine Leistung, Dein Weg.

Du
brauchst Dich nicht davon abhalten lassen, was andere denken oder sagen.

Du
musst tun, was Du für richtig hältst, auch wenn andere Dich lieber mit einer ordentlichen Frisur als mit Iro, lieber in einem Bürojob als in einem Ballett-Tütü sehen würden, lieber in einem Mercedes als einem 30 Jahre alten VW Bully, lieber in Deinem Heimatort als in Deinem Traum-Ausreise-Land Norwegen.

Es geht um Dich und darum, was Du für richtig hältst. Tu es, auch wenn Du dafür nicht mit Weißgottwas für Bestätigung und Anerkennung von allen Seiten zugeschüttet wirst.

Worüber werden wir am Ende unseres Lebens wohl am meisten enttäuscht sein? Den eigenen Weg nicht gegangen zu sein, denke ich (bitte bitte denk genauso, lieber Leser, ich brauch‘ das!).

#2 Die Erwartung, geliebt zu werden

Liebe lässt sich nicht erzwingen. Das wissen nicht nur die, die Stephen King’s „Misery“ gelesen haben. Dort entführt eine durchgeknallte Alte (eine ehemalige Krankenschwester), die mit einem Schwein zusammenlebt, den Schriftsteller und kettet ihn an einem Bett fest, auf dass er sie liebe und eine Geschichte für sie schreibt. Als dem Autor fast die Flucht gelingt, ertappt sie ihn und bricht ihm mit einem Vorschlaghammer die Füße, um weitere Fluchtversuche im Keim zu ersticken.

Letztlich hat die Irre sich selbst am meisten gefesselt. An eine Illusion, für deren Aufrechterhaltung sie bis aufs Blut kämpfen musste. Am Ende stirbt sie, als sie mit ihrem Opfer kämpft.

Wie Konfuzius sagte: „Was Du liebst, lass frei. Kommt es zurück, gehört es Dir – für immer“.

Wobei: auch an das „für immer“ sollten wir niemanden zu ketten versuchen.

Liebe lässt sich nicht erzwingen. Aber sie lässt sich finden, für jeden von uns.

#3 Die Erwartung, man müsse Deine Gedanken lesen können

Die Süße, der Du seit Monaten morgens im Bus begegnest, für die Du Dein letztes Hemd und Deinen alten Hund hergeben würdest, nur um sie kennen lernen zu dürfen … sie weiß es vermutlich nicht, sie kann’s nicht wissen, wie interessiert Du an ihr bist.

Die inzwischen nicht mehr ganz so Süße, die Du doch angesprochen hast, vor einigen Monaten, und mit der Du nun zusammen bist, im Alltag angekommen, die Dich ihren Freunden noch nicht vorgestellt hat, obwohl Dir viel daran liegt – die müsste doch wissen, was Dir wichtig ist! … sie weiß es vermutlich nicht, wenn Du’s ihr nicht gesagt hast.

Die doch wieder ganz Süße, mit der Du inzwischen eine recht offene, tiefe Beziehung führst, die den Müll nicht runterbringt, obwohl’s Dich extrem nervt, die Tüten immer als einziger entsorgen zu müssen … sie weiß es vielleicht nicht, wie wichtig Dir das Reinteilen in solche Aufgaben ist.

#4 Die Erwartung, Deine Mitmenschen sollten so sein wie Du willst (oder sich plötzlich ändern)

Manchmal störe ich mich daran, wenn mein Gegenüber nicht gut drauf ist und „mir die Stimmung vermiest“.  Ist nicht immer leicht, sowas auszuhalten. Aber wir haben kein Recht darauf, dass jemand gut gelaunt ist, nur weil wir uns das gerade wünschen.

Andere Male wünsche ich mir, mein Gegenüber wäre geduldiger, liebevoller, großzügiger, entspannter, angespannter, aktiver, selbstbewusster, weniger selbstbewusst, fairer, sexuell auf- oder zugeschlossener.

Aber nein – sie sind, wie sie sind, und meistens bleiben sie auch so. Da kann ich sie mir noch so anders wünschen.

Wie wohl es doch mir und dem Anderen tut, wenn ich ihn so nehme, wie er ist, wenn ich sie wirklich akzeptiere und respektiere, mit offenen Augen, offenen Ohren und offenem Herzen.

Wenn das nicht geht, habe ich doch immer noch die Wahl, fortzugehen.

#5 Die Erwartung, andere sollten Dich glücklich machen

Sagst auch Du Dir manchmal: „Wenn er/ sie endlich mal dieses oder jenes tut, dann bin ich glücklich“?

Die Nummer 5 ist der Schmelztiegel aller obigen Punkte und zugleich die wichtigste:

Erwarte nicht, dass Dich JEMAND glücklich macht. Außer Dir selbst. Das ist einfach Deine eigene Aufgabe, nicht die der anderen Leute.

Wenn uns etwas nicht passt, müssen wir’s selbst in die Hand nehmen.

Was bleibt?

Ich glaube, wir sollten weiterhin von uns selbst und unseren (liebsten) Mitmenschen erwarten:

  • Im Großen und Ganzen ehrlich zu sein
  • Versprechen zu halten, so gut es eben geht
  • Respektvoll zu sein, wenn auch längst nicht immer derselben Meinung

Wie man seine Erwartungen loslassen kann

Wie also könnte das Gegengift für übertriebene Erwartungen ausschauen?

Ein paar Ansätze:

  • Klarheit: Erkenne, woher Deine zu hohen Erwartungen kommen.Haben Deine Eltern zu viel von Dir verlangt, und Du infolge auch von Dir selbst … und glaubst deswegen, Dir sein die anderen etwas schuldig? Standst Du als Kind immer im Mittelpunkt, voll verwöhnt, und musst erst lernen, dass sich nicht die Sonne um die Erde, sondern die Erde um die Sonne dreht? Oder glaubst Du, nicht selbst für Dein Glück sorgen, Dir selbst auf die Schulter zu klopfen und eigene Entscheidungen treffen zu können?
  • Noch mehr Klarheit: Wissen, was Du Dir vom Anderen wünschst und ihn direkt danach fragen. Nachhaken, wenn er nicht klar antwortet. Ein Nein akzeptieren, wenn es seine Antwort ist.
  • Den Preis kennen: Wissenschaftler haben längst bestätigt, dass unrealistische Erwartungen das Risiko von Depressionen und Angsterkrankungen erhöhen. Was kosten Dich Deine übertriebenen Erwartungen?
  • Spieglein, Spieglein: Hast Du nicht selbst auch schon viele Erwartungen anderer enttäuscht, ohne es auch nur im Geringsten böse zu meinen? Wir alle tun, was wir können.
  • Einfluss-Check: Bei jeder Unzufriedenheit mit dem Jetzt-Zustand fragen: liegt es in meiner Macht oder nicht? Wenn ja: handeln. Wenn nein: „Ich akzeptiere es, denn ich kann nicht beeinflussen.“ Mit dieser Übung, wieder und wieder und wieder ausgeführt, können wir tiefe Wurzeln in den inneren Frieden schlagen.
  • Meditieren: Wenn Du meditierst, beziehst Du Dich auf Dich selbst. Du nimmst Dich wahr und findest Frieden in Dir, nicht in den unberechenbaren Handlungen anderer. Außerdem kannst Du Dein Mitgefühl und Verständnis schulen und andere leichter akzeptieren, wie sie sind.
  • Nicht zu viel erwarten – von Dir: Erwartungen loszulassen geht nicht von heute auf morgen, es braucht eine Menge Zeit, und das ist auch okay.

Von wem erwartest Du zu viel – welche Erwartungen könntest Du loslassen, damit’s Dir besser geht?

Was dabei auch sehr hilft: Wie Du belastende Erwartungen loslassen kannst (in 30 Sekunden) und 5 Mantras, um die Dinge nicht mehr so persönlich zu nehmen

 

Photo: Peter McConnochie