Teile diesen Beitrag "Loslassen wie ein Zen-Mönch (4 kurze Geschichten)"
Loslassen ist wichtig. „Die größte Lektion des Lebens“ nannte Buddha es, „den Schlüssel zum Glück“.
Nicht, weil es irgendwer von uns verlangt („Schau doch endlich mal nach vorn, Mensch, Dein Mann ist doch schon seit über zwei Wochen tot!“).
Sondern weil wichtig für uns ist, wenn wir selbst dafür bereit sind, wenn die Zeiten dafür reif sind. Weil es die schweren, rostigen Ketten löst, mit denen uns die Vergangenheit gefangen hält. Weil es die Dinge wieder ins Fließen bringt, die sich in uns gesammelt haben wie in einem Staudamm voll mit zäher, brauner Suppe aus alten Gedanken und Gefühlen.
Hier vier Geschichten dazu aus dem Zen.
1. Loslassen, was geschehen ist
Ein junger und ein alter Mönch laufen einen Pfad entlang. Sie kommen zu einem Fluss mit starker Strömung. Als sie sich bereit machen, ihn zu überqueren, sehen sie eine hübsche junge Frau, die nicht ans andere Ufer gelangt. Sie bemerkt die Mönche und bittet sie um Hilfe. Der alte Mönch nimmt sie auf die Schulter und trägt sie über den Fluss. Sie bedankt sich und geht ihrer Wege. Der junge Mönch ist sauer. So richtig sauer.
Stunden später ist er noch immer sauer. Der alte Mönch fragt ihn, was los ist. „Als Mönche ist es uns nicht erlaubt, junge Frauen anzufassen! Wie konntest Du sie über den Fluss tragen?“. Der alte Mönch antwortet: „Ich hab die Frau vor Stunden am Ufer gelassen, aber wie’s aussieht, trägst Du sie noch immer mit Dir herum.“
Was geschehen ist, ist geschehen. Was nützt es uns, die Last allzu lang auf unseren Schultern zu lassen?
(So oft, wie ich Frauen über Flüsse trage, bin ich außerdem echt froh, kein Mönch zu sein.)
2. Loslassen, was man zu sehr will
Ein Schüler geht zu einem Meister. Er sagt, er wolle unbedingt dessen Kampfkünste lernen. Und fragt, wie lange das wohl dauern würde.
„Zehn Jahre“, antwortet der Meister.
Der ungeduldige Schüler ist nicht zufrieden mit dieser Antwort. Das muss doch schneller gehen, denkt er. Also betont er, er wolle es wirklich schneller schaffen und sei bereit, jeden Tag mindestens 15 Stunden hart daran zu arbeiten, ach was, Tag und Nacht, wenn’s sein muss, wirklich unbedingt wolle er das. Wie lange es denn in diesem Fall dauern würde?
„Zwanzig Jahre“, antwortet der Meister.
„Ich verstehe nicht, Meister“, sagt der enttäuschte Schüler, „warum es dann noch länger dauern soll?“
„Es ist Dein übermäßiges Wollen, das Dir Kraft entzieht. Wenn Du ein Auge auf dem Ziel hast, kannst Du nur noch mit einem Auge auf den Weg schauen.“
Ich kann den Schüler sehr gut verstehen. Hab’s selbst oft, zu oft mit der Brechstange versucht. Bin immer wieder ungeduldig gewesen, machte – und mache – mir Druck, Druck, Druck.
Inzwischen setze ich mir weniger Ziele. Das hat geholfen. Dann geht es mir manchmal wie der Wasserschildkröte, die sich von der Strömung tragen lässt, wenn sie in die gewünschte Richtung geht. Und die andernfalls mit kleinstmöglicher Anstrengung einfach abwartet, bis sich die Strömung wieder günstiger dreht.
(Siehe Leben ohne Ziele.)
3. Loslassen, was man zu wissen glaubt
Ein Professor besucht den Meister. Da spricht und spricht der Professor über alles, was er über Zen weiß, will diskutieren.
Der Meister steht auf und holt eine Kanne Tee. Er gießt Tee in die Tasse seines Besuchers, mehr und mehr, der Tee läuft links und rechts die Tasse herunter, füllt die Untertasse, überschwemmt auch diese.
Da kann der Professor nicht weiter an sich halten. „Was tust Du da, es ist längst mehr als voll, da passt doch nichts mehr rein!“
„Wie diese Tasse“, sagt der Meister, „bist Du überfüllt von Deinen Meinungen und Spekulationen. Wie soll ich Dir Zen zeigen, wenn Du nicht zuerst Deine Tasse leer machst?“
Ich denke nicht, dass wir alles Wissen loslassen müssen (das geht auch kaum). Vieles haben wir mühsam gelernt und ist nützlich für uns. Andere Dinge jedoch, die wir zu wissen glauben, werfen uns Knüppel zwischen die Beine statt uns zu helfen. Das betrifft zum Beispiel unsere Urteile über andere Menschen: „Der Arsch macht das nur, um mir zu schaden!“ Oder über uns selbst: „Ich kann dieses und jenes einfach nicht und werde es auch nie lernen!“
(Siehe Von Leid befreien mit einer einfachen Frage.)
4. Loslassen, womit man sich im Leid verstrickt
„Meine Frau hat mich verlassen“, klagt der Mann dem Meister. „Diese Schlampe, ich bin so wütend auf sie, jeden Tag schmiede ich Rachepläne, und es wird einfach nicht besser. Warum ist das Leben so schwer?“
Da antwortet der Meister: „Wenn wir verletzt werden, ist es, als würde uns ein Pfeil treffen. Das ist Schmerz. Es tut weh. Doch es gibt noch einen zweiten Pfeil, unsere Reaktion auf die Verletzung, unser Zorn, unsere Sehnsucht nach Rache. Dieser zweite Pfeil geht über den Schmerz hinaus. Das ist Leiden.“
Wie kann man das Leiden beenden? Indem wir vom Kopf in den Körper kommen, von den Geschichten zum Gefühl, von der Verdrängung zum Zulassen. Indem wir wahrnehmen, was da ist in uns. Der Traurigkeit, dem Ärger, der Verzweiflung den Raum geben, den sie brauchen.
Mehr dazu unter Wie man schwierige Gefühle überlebt und unter 4 Gründe, warum Du nicht loslassen kannst sowie Wie man Zorn loslassen kann (ein Trick aus dem Zen) und .
Photo: Hartwig HKD
🙂 Es ist schon witzig, was es mit Menschen macht wenn man ihnen sagt „Alles ist leer und bedeutungslos“. Sie sehen nicht die Freiheit und die öffnung in dieser Aussage sondern dir meisten gehen gleich in Rebellion und Angst. Nicht das ich nicht auch Rückschläge habe aber seitdem ich sein kann, mit mir, mir meiner Umwelt und dem was geschehen ist, ist mein Leben so viel besser, kraftvoller und offener. Der mit dem Kraftentzug kann ich komplett bestätigen. Verbissenheit nimmt einem so vieles genau so wie Nachtragen und Wut.
Was ich aber eigentlich sagen wollte 😀 Danke dir für die tolle Webseite und die guten Anregungen. Es ist eine Bereicherung.
Herzlicher Gruß, Jill
Loslassen ist für mich Befreiung. Das Abbauen von Belastungen, die wir in uns tragen. Belastungen auch in Form von Wollen und insbesondere ändern wollen, etwas nicht annehmen wollen. Auch Ausgleichen wollen. Also kämpfen. Es nimmt uns einen Teil unserer Bewusstheit. Die Bewusstheit kann sich dadurch auch ziemlich einengen. Vielleicht „sehen“ wir damit dann weniger von dem, was uns gut tut.
Akzeptanz ist schon ein angenehmerer Zustand. Klar brauchen wir auch die Einengung der Bewusstheit und den Tunnelblick – wenn es um das pure Überlenben geht zum Beispiel. Doch wie oft geht es darum?
Also einfach loslassen? Das ist wohl auch wieder so eine Vorstellung aus dem Kopf heraus. Und wie oft verdrängen wir dann die Belastung, weil wir es uns einreden lassen? Doch eine Belastung ist träge. Und es braucht Trauerarbeit. Egal, ob es um einen Menschen geht, den wir verloren haben, oder um etwas anderes, das wir glaubten zu haben und zu brauchen.
Sehr gute Geschichten über das wichtige Loslassen. Unser Ehrgeiz und unsere Verbissenheit machen uns gerade das so schwer. Weniger ist oft mehr – weniger Ungeduld, weniger Übermotivation, weniger Hintergrund und weniger nachtragend zu sein. Mit freier Offenheit und entspannt an die Aufgaben des Lebens, die man so oder so erhält. Weg von der persönlichen Planwirtschaft, hin zur Freiheit.
Ein toller Artikel.
Ja, es ist schon schwierig nicht nur das Ziel im Auge zu haben, sondern auch den Weg. Am Wegesrand finden wir die kleinen Dinge, die uns zufrieden machen und die übersehen wir, wenn wir nur dem Ziel nachjagen.
Somit war es auch für mich eine Herausforderung nur eine Richtung zu haben und mich vom Leben tragen zu lassen. Die Kontrolle abzugeben und darauf vertrauen, dass alles gut wird.
Ich danke dir für die tollen Geschichten.
Liebe Grüße
Melanie
1. Geschehen lassen was das Herz verlangt.
2. Der Körper ist es, der es lebendig lernen muss. Mit dem Kopf sammeln wir eher totes „Wissen“ ohne Geschick und Gespür.
3. Lebendiges Wissen lässt Raum für Erneuerung und neue Sichtweisen, will hören statt sprechen.
4. Alles für möglich halten. Auch dass dies für was gut war und dass es lange vorher Ursachen gab.
Regeln, Abläufe, verstanden Geglaubtes, Erfahrenes und Verurteiltes. All das HABEN wir fix im Kopf, obgleich die Bedeutung doch begrenzt ist. Das Herz, der Körper, Freiraum und Bereitschaft zu vergeben sind Merkmale des lebendigen Lebens im SEIN Modus.
Der letzte Absatz im Artikel trifft das sehr gut.
LG Richard
Es ist leer und bedeutungslos…und du kannst dir alles kreieren..