Teile diesen Beitrag "Die 3-Sekunden-Pause, die Dich vor Schmerz und Reue bewahrt"
Text von: Romy Hausmann
Streit mit dem Freund. Lautstärke: irgendwo zwischen Metal-Konzert und startendem Düsenjet. Die Teekanne greifbar, die Teekanne gegriffen. Die Teekanne fliegt und setzt einen krachenden Schlussakkord auf dem Fliesenboden. Das war ein Erbstück von Oma – eben noch. Jetzt sind es nur noch Scherben.
Was hab ich bloß getan?
Ein Kollege bittet mich, ihn bei einem Projekt unterstützen. Wie automatisch sage ich: „Klar, kein Problem“. Dabei habe ich weder die Zeit noch annähernd den Sachverstand, ihm zu helfen.
Was bitte hab ich mir denn dabei gedacht?
Damals, mit 18: Ein Samstagabend auf dem Volksfest, eine Maß Bier. „Bist Du sicher, dass Du noch fahren kannst?“ Ich, weil ich „cool“ sein wollte: „Logo, was soll schon passieren?“ und immerhin: ich schaffte es direkt beim ersten Versuch, den Schlüssel ins Zündschloss zu stecken. Das Ende: Ein Eichhörnchen, das über die Landstraße hechtete, musste meine „Coolness“ mit seinem Leben bezahlen.
Was hab ich getan?
Was hab ich mir bloß dabei gedacht?
Die Antwort ist jedes Mal dieselbe gewesen: Gar nichts habe ich mir gedacht. Ich habe meiner Impulsivität das Zepter überlassen. Und der Preis dafür ist meistens hoch.
Reue ist klebrig
Wie viele Türen haben wir aus Wut schon zugeknallt (echte und sprichwörtliche), ohne daran zu denken, dass sich manche Tür anschließend nicht mehr öffnen lässt? Wie oft haben wir im Zorn, aus Enttäuschung oder Überforderung die schlimmsten Sachen gesagt: „Ich hasse dich.“ „Dein Scheiß interessiert mich nicht.“ „Ja, ja, mimimi, wir haben alle unsere Probleme.“ Dinge, bei denen man vielleicht erst sehr viel später merkt, wie viel sie kaputtgemacht haben. Und die sich trotz tausendfacher Entschuldigung einfach nicht mehr zurücknehmen lassen.
Wie sehr habe ich da immer die Menschen bewundert, die keine Situation aus der Ruhe zu bringen schien. Die stets besonnen und bei sich blieben, während ich mich bei jedem Mist aufgeführt habe wie eine fremdgesteuerte Inkarnation von Klaus Kinski. Ich wollte auch so sein: besonnen, ruhig und reflektiert. Jemand, der weiterdenkt und weiß, dass auch eine Kleinigkeit Konsequenzen mit sich bringt. Jedes unachtsam ausgesprochene Wort. Jede Bewegung (egal, ob es der Griff nach Omas Teekanne ist, das Drehen des Zündschlüssels, ein ausgestreckter Mittelfinger oder die Hand, die zur Ohrfeige ausholt). Jemand, der weiß, dass manch spontane Kleinigkeit zu einer großen, vielleicht sogar schlimmen Sache wachsen kann. Und dass am Ende dann oft nur eines steht: Reue. Die klebrige, chronische Reue, die man nie mehr so richtig loswird. (Ich kann auch heute, fast zwanzig Jahre später, kein Eichhörnchen sehen, ohne an dieses eine zu denken – und mich sofort wieder schlecht zu fühlen.)
Der 3-Sekunden-Trick
Nachdem ich angefangen hatte, mich mit dem Thema „Achtsamkeit“ zu beschäftigen, habe ich mir einen ziemlich simplen Trick angewöhnt. Einer, der vielleicht auch Dir helfen kann:
Wenn ich merke, dass mich eine Situation (über-)fordert, mich ein Gespräch provoziert oder mich die Dinge sonst irgendwie überrumpeln – und ich daran denke – tue ich das Einfachste überhaupt: Ich atme einmal durch. Gebe mir diese drei kleinen Sekunden, die mein Gehirn braucht, um mögliche Konsequenzen zu bedenken. Nur drei Sekunden. Die Impulsivität wegatmen. Mir die Kontrolle zurückholen.
Drei Sekunden, in denen mir klar wird, dass es sich bei meinem „Wurf-Gerät“ um ein Erbstück handelt, das ich für den Rest meines Lebens vermissen würde.
Drei Sekunden, in denen mir bewusst wird, dass ich dem Kollegen mit meinen übermütigen, falschen Versprechungen mit Sicherheit keine Hilfe wäre.
Drei Sekunden, in denen ich mich daran erinnere, was passieren kann, wenn man sich im falschen Moment hinters Steuer setzt.
Drei Sekunden, bevor ich spreche oder handle.
Wie unsere Reaktionen uns definieren
Vielleicht kennst Du das auch: „Im Eifer des Gefechts habe ich…“, „In der Hitze des Augenblicks konnte ich gar nicht anders als…“ – so was sagt man gerne, um vor anderen (oder sich selbst) zu rechtfertigen, dass man wieder mal unüberlegt reagiert hat. So versuchen wir oft das eklige Reue-Gefühl loszuwerden, suhlen uns dabei förmlich in der Opfer-Rolle.
Aber wir sind keine Opfer. Wir tragen Verantwortung für alle unsere (Über-)Reaktionen. Unsere Reaktionen machen uns doch wie unsere Aktionen erst zu den Menschen, die wir sind, bzw.: die wir sein wollen oder auch eben nicht.
Drei Sekunden können uns von dem Choleriker unterscheiden, der dem anderen Autofahrer beim Überholvorgang den Stinkefinger zeigt, weil dieser anscheinend das Gaspedal nicht findet. Drei Sekunden können uns nachsichtiger machen.
Drei Sekunden können uns vom personifizierten HB-Männchen unterscheiden, das sein Kind wegen einer schlechten Note anschreit. Drei Sekunden können uns daran erinnern, ruhig zu bleiben und lieber nach den Gründen zu forschen.
Drei Sekunden können uns von einem stumpfen Ignoranten unterscheiden, der die heulende Freundin mit den Worten „Sorry, ich kann mich nicht auch noch um Deine Probleme kümmern“ abwatscht. Drei Sekunden können uns empathischer machen. Verlässlicher. Ehrlicher. Entspannter… Wenn wir uns angewöhnen, öfter einmal erst eins zu tun, bevor wir handeln:
Durch — At — Men.
Mehr unter 5 Mantras, um die Dinge nicht mehr so persönlich zu nehmen und unter Wie man aufhören kann, genervt und verletzt zu sein (in 60 Sekunden).
Photo: Alexis Gravel
Hey Romy,
deinen Ansatz finde ich super.
Erst mal Durchatmen ist das einfachste und hilfreichste, was man in solchen Situationen tun kann.
Aber das Nachdenken, welche Folgen eine Handlung haben könnte, bringt meiner Meinung nach nicht wirklich viel. In solchen Situationen sind wir nämlich hauptsächlich emotional gesteuert und Fakten bzw. Folgen kümmern uns dann herzlich wenig.
Ich versuche es daher in meinen 3 Sekunden lieber mit Empathie. Ich versuche mich in die Lage des anderen zu versetzen. Oder mich zu mindest aus meiner eigenen hinaus zu versetzen (Vogelperspektive), falss mir ersteres nicht gelingt. Das hilft mir meist, die Handlung des anderen zu verstehen bzw. mich nicht von meinen Emotionen mitreißen zu lassen.
Liebe Grüße
Norman
Ich finde das ist ein schön beschriebenes Beispiel im Umgang mit Emotionen, Romy. Momente, in denen das Abwägen zwischen Authentizität und Empathie nicht mehr stattzufinden scheint. Die Absicht, sich gerade bei einem Emotionsschub Zeit zu nehmen, hilft natürlich. Zeit für die eigene Emotion an sich.
Habe ich öfter so eine Schwäche und reagiere zu schnell, ist das wohl ein Thema für sich. Auch so ein Verhalten fällt nicht allein vom Himmel. Es lohnt sich wohl, sich zu beobachten und „Dinge“ in der gewonnenen Bewusstheit zunehmend aufzulösen.
Ein normaler Prozess, bei dem wir uns auch Zeit lassen dürfen und gelassen mit uns selber sein dürfen, finde ich. Schliesslich sollten wir belohnt werden mit mehr Authentizität, die den Emotionsstaus entgegen wirken kann.
LG Richard
„„In der Hitze des Augenblicks konnte ich gar nicht anders als…“
Und trotz alledem ist es geschehen, ohne Dein zutun im übrigen, Du konntest gar nicht anders, und genau dies ist der Hinweis auf das was einfach IST, erscheint, passiert.
Wünsche einen sonnigen Tag 🙂
Wow! Cooler Artikel, wirklich.
Ich selbst bin eher ein ruhiger Typ, einer, der oft viel zu lange überlegt, bis er handelt. Die von dir geschilderten Beispiel-Szenarien könnten mir so kaum passieren. Bei mir dauern die drei Sekunden dagegen oft deutlich über drei Minuten. Oder Stunden. Jahre? Das ist manchmal schon eine kleine Behinderung 🙂
Ich bin halt das andere Extrem, für den das impulsive Verhalten anderer nur allzu unverständlich ist. Ich blicke oft neidisch auf Menschen, die schnell entscheiden und impulsiv Dinge durchziehen. Ich würde die Ziele, die sie erreichen, nicht erreichen, weil ich vorher zu viel zerdenke.
Ja, ich habe weniger zu bereuen, als manch andere impulsive Menschen in meiner Bekanntschaft. Aber ich erreiche auch weniger. Ich möchte hier eine kleine Lanze brechen für die Impulsivität. Sie hat nicht nur Nachteile 🙂
Dies schmälert aber in keiner Weise die im Artikel gemachten Aussagen!
Guter Punkt, Pit. Es sieht vielleicht so aus, als sei das was du beschreibst gänzlich das Gegenteil von impulsivem Handeln. In der äußeren Erscheinung ist es das wohl.
Betrachten wir einmal die Emotionen, die uns zuweilen zu einer überschnellen Zusage bringen, dann erkennen wir vielleicht Ängste oder Unwertgefühle, denen wir damit momentan schnell wieder entgehen können. Die Abwägung des eigenen Wollens mit den Erwartungen ist zu anstrengend. Authentizität, die es nur mit genug Selbstwertgefühl gibt, ist zu schwach.
Bin ich sehr zögerlich, bin ich innerlich weniger geordnet, ausgerichtet und im voraus abgewogen. Weiss weniger, was ich mir zutraue, was ich geben will und was ich haben will und wo ich mich fernhalten und abgrenzen will mit einem Nein. Ich glaube, auch das ist ein Zeichen, dass Authentizität fehlt. Zuweilen überlasse ich mich dann einer Opferhaltung, die dann aber doch nicht stimmig ist. Allein der Mut, auch das Ich wieder stärker zu leben fehlt wahrscheinlich etwas. Authentisch lässt es sich leichter spontan sein.
Guter Artikel, aaaaber:
Ich nutze immer 3 Minuten. 3 Minuten reine Ruhepause, in dem ich einen Punkt in der Natur fokussiere und zur Ruhe komme. Jeden Tag. Das hilft dabei sehr gut, die Gedanken neu zu strukturieren. Kann man aber in Addition zur drei Sekunden Regel am Besten noch mit hinzufügen zum Tagesritual ;D
Hi,
dieser Artikel ist super. Ich hatte oft Probleme in solchen Situationen mein Inneres wahrzunehmen. Durch die Achtsamkeitspraxis und durch tägliche Meditation gelingt das sehr gut.
Und dein 3 Sekunden Trick super. Einfach und sehr wirkungsvoll.
Danke für diesen wunderbaren Beitrag.
Moin Romy!
Ein sehr guter Trick. Es ist lustig, dass ich letztes Wochenende genau diese Erkenntnis hatte: Es ist besser, in Situationen, in denen ich eine Antwort oder Handlung bereuen könnte, einmal kurz durchzuatmen und dann erst aktiv zu werden.
Das Schwierige ist nur, dass man sich dieses „Vorhaben“ auch genau in diesen Momenten ins Bewusstsein rufen muss. Aber mit etwas Übung klappt es schon. 🙂
Liebe Grüße aus Flensburg
Marten
Danke Romy für diese spannenden Gedanken! Ich nutze diesen 3-Sekunden-Trick immer vor dem Beginn einer Shiatsu Behandlung (ich bin Shiatsu Praktiker).
Bevor ich das erste Mal in einer Behandlung den Klienten berühre, sammle ich für paar Sekunden meine Aufmerksamkeit in meinem Hara, oder Tandien wie man in China sagt. Durch dieses konzentrieren des Bewusstseins auf die Mitte, spürt man in diesem Moment dann plötzlich: welche Gedanken beeinflussen mich gerade? Welche Emotionen wirken da gerade in mir? Was flüstert mir mein Ego ins Ohr?
Dafür reichen schon ein paar Sekunden. Und sobald ich mir all dessen in dem Moment bewusst bin, atme ich tief und bewusst aus und in mein Hara. Damit lasse ich alle diese Ablenkungen einfach gehen, und bin im nächsten Moment völlig im Hier und Jetzt der Shiatsu Massage.
Liebe Grüsse aus Wien,
Peter
Hi Romy,
danke für deinen wunderbaren Beitrag.
Hättest du diesen geschrieben wenn die Teekanne noch heile wäre? Oder das Eichhörnchen noch leben würde?
Ich glaube Dummheiten zu machen gehört zum Leben und Lernen einfach dazu. Vielleicht mit der 3 Sekundenregel ein paar weniger.
Und vielleicht dann weniger so wertvoller Beiträge wie deiner.
Wäre doch schade, oder?
Einfach sehr gut dieser Artikel!!!!