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Text von: Romy Hausmann

Beim Spielen als Kind war ich immer die „Mutter“: Ich habe die „aufgeschlagenen“ Knie meiner Puppen verarztet, die Plüschbären-Familie bekocht und den alten Frottee-Hund, der nur noch ein Auge hatte, vor dem „Spott“ der anderen Spielzeuge beschützt. Ich habe meine eigene Mutter in den Wahnsinn getrieben, indem ich jahrelang (echte) notleidende Tierchen mit nach Hause gebracht habe: Flugunfähige Vögel, verlassene Baby-Igel, angefahrene Katzen – sogar Tiere, denen gar nicht mehr zu helfen war, die eigentlich nur noch Matsch waren.

Und ich tue es gerne, denn es ist schön, gebraucht zu werden.

Ich sammle Karma-Punkte und buche sie heimlich weiter aufs Ego-Konto: Wenn ich gebraucht werde, dann bin ich wichtig. Ha! Ich bin wichtig! Was wären die anderen nur ohne mich? Was wäre die Welt nur ohne mich…

Wie wir zu Helfer-Junkies werden

„Niemand ist eine Insel“, sagte schon der englische Schriftsteller John Donne – und nach diesem Zitat handeln wir seit Urzeiten instinktiv: Wir wissen, dass wir im Alleingang nicht funktionieren können. Nicht überleben können. Nur wenn es der Gruppe gutgeht, geht es auch dem Einzelnen gut. Und dabei hängt das Gruppen-Befinden (oft) vom Schwächsten ab. Wie sollten unsere Steinzeitvorfahren entspannt in ihrer Höhle sitzen, wenn einer von ihnen lebensbedrohliches Fieber hatte, mit dem er die anderen anstecken konnte? Also musste dem Kranken geholfen werden, das hatte höchste Priorität.

Daraufhin sind wir (oder zumindest viele von uns) bis heute programmiert: Zu helfen – selbst wenn das manchmal auf Kosten des eigenen Wohlbefindens geht. Der beste Freund ist pleite, weil er gerade seinen Job verloren hat, also stecken wir ihm ein paar Euro zu – selbst wenn es unsere letzten sind. Die Nachbarin hat sich das Bein gebrochen, also erledigen wir die Einkäufe und den Haushalt für sie – selbst wenn unser eigener Kühlschrank leer ist und unsere Wohnung aussieht wie Sau. Die Eltern sind schon alt, also verzichten wir auf den Traumjob in New York und begnügen uns mit Wuppertal. Weil wir in der Nähe sein wollen, falls sie uns brauchen.

Und bei all dem fühlen wir uns selbstlos und wie kleine Märtyrer, fühlen uns trotz eigener Entbehrungen gut. „Danke“ ist ein schönes Wort. Gebraucht zu werden, unersetzlich zu sein, ein schönes Gefühl.

Das ist der Kick, den wir Helfer-Junkies brauchen.

Aber auch einer, der irgendwann nachlässt…

Die Nebenwirkungen

Helfen ist gut, keine Frage. Helfen macht uns zu guten Töchtern, zu guten Söhnen, guten Müttern, Ehemännern, Nachbarn, Kollegen – kurzum: zu guten Menschen. Bloß: Wenn unser Engagement zu weit geht, helfen wir letzten Endes niemandem mehr. Weder anderen, noch uns selbst.

„Klar, helf‘ ich Dir, ist doch selbstverständlich!“

Ich, damals Fernsehredakteurin, saß also bis in die Puppen am Umschnitt eines Films, den eigentlich ein Kollege zu verantworten hatte. Einmal – kein Problem. Macht man ja so, unter Kollegen. Ein zweites Mal – auch noch okay. Nur beim dritten Mal wurde es kritisch, denn während ich unbezahlte Überstunden anhäufte, ging betreffender Kollege auf ein Feierabendbier. Und spätestens da fühlte es sich gar nicht mehr so okay an. Vielmehr fühlte ich mich ausgenutzt. Um mein eigenes, wohlverdientes Feierabendbier betrogen. Aber so richtig bewusst wurde mir die Falle, in der ich nun offenbar saß, erst, als auch andere Kollegen auf den Trichter kamen: „Duuuu-hu, ich hab da mal ein Problem…“

Klar haben sich meine Kollegen bei mir bedankt. Bloß ist „Danke“ ja letztlich auch nur ein Wort, das sich mit der Zeit abnutzt. Seinen schönen Klang und seine Bedeutung verliert. Mehr höflich ist als herzlich, wenn die Dinge selbstverständlich werden.

Wenn Helfen krank macht

Der Wunsch zu helfen entsteht durch Verantwortungsgefühl. Je näher uns jemand steht, desto ausgeprägter ist unser Verantwortungsgefühl dieser Person gegenüber – und entsprechend größer auch der Drang zu helfen, so lautet die These des englischen Evolutionsbiologen William Hamilton. Ebenfalls entsprechend größer: das Opfer, das wir bereit sind zu bringen.

In München lebte ich in einem Mehrfamilienhaus, unter anderem mit einem süßen alten Pärchen. Der Mann war demenzkrank, seine Frau pflegte ihn. Mit der Zeit brach sie immer mehr Kontakte ab und traute sich kaum noch, die Wohnung zu verlassen, weil sie Angst hatte, ihrem Mann könnte in der Zwischenzeit etwas passieren. Jede, auch die kleinste Entscheidung in ihrem Leben (wie zum Beispiel der Gang zum Supermarkt), überprüfte sie erst mal auf die Konsequenzen hin, die diese Entscheidung für ihren Mann haben könnte. Dann erst dachte sie an sich. Sie ging auch nicht mehr zum Arzt. Während ihr Mann noch lebt, ist sie inzwischen gestorben, an Krebs. Ich maße mir nicht an zu spekulieren, ob sie noch leben würde, wenn sie regelmäßig zu den Untersuchungen gegangen wäre. Fakt ist aber: Ihre letzten Jahre waren nicht besonders schön. Wahrscheinlich hätte sie selbst genauso dringend Hilfe gebraucht wie ihr Mann. Aber sie war wohl zu stolz (oder hat sich geschämt), darum zu bitten.

Vielleicht kommt Dir das im Kleineren ja bekannt vor: Du denkst zuerst an die anderen, bevor Du eine Entscheidung triffst – und dann an Dich. Vielleicht scheust Du Dich, eine unglückliche Beziehung zu beenden, weil Du Dir Sorgen machst, dass Dein Partner ohne Dich nicht zurechtkommt. Stellst Dich und Dein Glück – ganz selbstverständlich – zugunsten des anderen zurück.

Und hörst dabei ein kleines bisschen auf zu leben.

Wenn Helfen zur Ausrede wird

Es geht allerdings auch andersrum: „Ich hätte ja diesen tollen Job in New York haben können, bin aber in Wuppertal geblieben, um da zu sein, falls was mit meinen Eltern ist.“

Wie „wunderbar“ lässt sich Hilfsbereitschaft auch dazu nutzen, eigene Versäumnisse, nicht wahrgenommene Chancen, Ängste und fehlenden Mut zu entschuldigen. Wir verpassen das Leben und können es anderen in die Schuhe schieben.

So könnte ich übrigens auch prima meine Jahre als maschinenhafter Workaholic erklären: Ich hätte ja ein tolles Sozialleben mit jeder Menge Feierabendbier haben können, hätte ich nicht ständig anderer Leute Filme umschneiden müssen. Eine andere Wahrheit könnte sein: Ich hätte überhaupt niemanden gehabt, der mit mir nach Feierabend auf ein Bier gegangen wäre. Ich hatte keine Freunde. Ich habe nur für meine Arbeit gelebt. In Wirklichkeit war ich dankbar um jede Stunde, die ich länger in der Redaktion verbringen konnte, anstatt allein in meiner einsamen, kleinen Wohnung zu hocken.

Die richtige Dosis (und der richtige Grund)

Lass uns bewusst machen:

„Hilfe“ ist zuerst einmal ein Synonym für „Unterstützung“ – nicht für „Rettung“. Du kannst nicht jedem das Knie verarzten und jeden Kopf reparieren. Du bist in erster Linie für Dich selbst verantwortlich – und nur wenn Du Dich stark genug fühlst, kannst Du auch etwas von Deiner Stärke abgeben. Das ist nicht egoistisch, das ist vernünftig. Du bist kein schlechterer Mensch, nur weil Du heute Abend mal Dein Handy ausschaltest und stattdessen ein Bad mit irgendeinem verrückten Namen genießt („Rausch der Sinne“, hui!).

Lass uns Grenzen ziehen:

Wie Abraham Lincoln gesagt hat: „Man kann den Menschen nicht auf Dauer helfen, wenn man für sie tut, was sie selbst tun können und sollten.“ Oder auch: Was sie schlichtweg selbst tun müssen.

Bestimmt wird es ein Leben auf lange Sicht positiv verändern, wenn Du Deinem kranken Bruder eine Niere spendest. Im kleineren, alltäglichen Rahmen kann Hilfe aber oft nur eine kurzfristige Lösung sein. Der Kumpel, der seinen Job verloren hat und nun auf ein paar freundschaftliche „Almosen“ angewiesen ist. Das ist okay für diesen Monat und in einer akuten Situation. Auf lange Sicht jedoch wird er sich einen neuen Job suchen müssen, um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Und das liegt allein in seiner Verantwortung, nicht in Deiner.

Genauso muss ich einsehen, dass die Stunden, die ich mit angeklebtem Telefonhörer am Ohr dem Liebeskummer meiner Freundin lausche, ihre Probleme nicht lösen werden. Denn langfristig wird sie sich nicht mit mir, sondern mit ihrem Freund auseinandersetzen müssen. Das kann ich ihr nicht abnehmen.

Lass uns helfen, wenn wir können, und selbst um Hilfe (oder eine Pause) bitten, wenn es einmal nicht geht. Und lass uns aus den richtigen Gründen helfen. Nicht fürs Ego, fürs Protokoll oder weil es super als Ausrede taugt – sondern von Herzen.

Mehr unter Forschung zeigt: Es lohnt sich wirklich nicht, Dich zu verbiegen.

Photo: Carrying elephant / Shutterstock