Teile diesen Beitrag "Warum Du häufiger zu Fuß gehen solltest (es kann Dein Leben verändern)"
Als ich 18 war und mein eigenes Auto bekam, fuhr ich damit überall hin. Etwa zum Bolzplatz, obwohl die Autofahrt einen großen Umweg bedeutete, länger dauerte und Benzin kostete. Ich mochte es, Auto zu fahren und vor allem hasste ich es, zu Fuß gehen zu müssen. Kann doch nicht sein, dass ICH irgendwohin laufen muss, ICH, der so etwas nun wirklich nicht nötig hatte, ICH, dem bitteschön jegliches Mühsal erspart werden sollte.
Als ich 20 war
Als ich 20 war und in meine erste eigene Wohnung zog, fuhr ich tagsüber noch immer gern überall mit dem Auto hin. In den Supermarkt, in die Uni (deutlich seltener als in den Supermarkt), in … naja, eigentlich war’s das schon, andere Orte kamen mir nicht in den Sinn. An den Abenden jedoch und in den Nächten, da begann ich, mich mit dem Zufußgehen anzufreunden, als mich die Einsamkeit nach draußen trieb, als ich befürchtete mich aufzulösen zu einem Mensch gewordenen, pickeligen Tränensack, in diesen vier Wänden, die mein Zuhause sein sollten. Also ging ich nach draußen, meine Aknehaut sah im Mondlicht ohnehin besser aus als am Tag. Mantel zu. Kapuze auf. Kopfhörer rein. Oft lief ich Völkerschlachtdenkmal, damals lebte ich nur zwei oder drei Kilometer entfernt davon in Leipzig. Mit jedem Schritt ging es mir ein winzig kleines Bisschen besser, nach jedem nächtlichen Spaziergang immerhin wieder gut genug, um irgendwann einschlafen zu können. Und mit jeder Woche und jedem Monat lief ich meiner Heilung entgegen. So begann sie langsam, eher im Tempo eines Wanderers als eines Hochgeschwindigkeitszugs, meine Liebe zum Gehen zu Fuß.
Heute
Heute überfällt mich die Einsamkeit viel seltener, doch das hat der Liebe keinen Abbruch getan. Vielleicht war es am Anfang eine Zweckgemeinschaft, heute jedoch gehören Spaziergänge zu mir wie das Völkerschlachtdenkmal zu Leipzig. Ich hatte mir sogar meinen ehemaligen Arbeitgeber auch danach ausgesucht, ob ihn zu Fuß erreichen konnte und so jeden Morgen und Abend von mit Vollgestressten vollgequetschten öffentlichen Verkehrsmitteln verschont zu bleiben (ein Auto habe ich schon lange nicht mehr). Und ich bin sehr glücklich darüber, in nächster Nähe einen schönen Park zu haben, durch den ich in meinen Mittagspausen gehen kann.
Warum Du häufiger zu Fuß gehen solltest
Ich könnte Stapel voller Seiten füllen darüber, warum ich’s Dir ans Herz lege, häufiger zu Fuß zu gehen, sei es in Deiner Mittagspause, auf dem Weg zur Arbeit, zum Einkaufen, zum Friseur, oder ziellos an einem Sonntagmorgen, an denen die Stille singt. Ein paar Gründe, häufiger zu Fuß zu gehen:
- Du hast Zeit für Stille, Zeit nur für Dich
- Du kannst Zeit in der Natur verbringen (Wie selten tust Du das schon noch?)
- Du atmest frische Luft
- Frische Luft bringt Dich auf frische Gedanken
- Frische Gedanken können Dich befreien, von Stress und einer als aussichtlos geglaubten Lage
- Du tust etwas für Deine Gesundheit
- Du lebst minimalistischer, machst Dich unabhängiger von Fahrplänen, Staus, Tanksäulen und Tickets – alles was Du dafür brauchst hast Du immer bei Dir (Deine Füße)
- Du wirst produktiver – mir helfen Spaziergänge ungemein beim Schreiben, im Studium halfen sie mir sehr, den Stoff schneller zu lernen
Man muss nicht aus jeder Handlung eine Meditation machen, aber man kann. Aufs Gehen trifft das besonders zu. Vielleicht magst Du es mal ausprobieren:
Gehmeditation
Bei der Gehmeditation konzentrieren wir uns auf die Erfahrung des Gehens. Statt nur an das Ziel zu denken, auf das wir zugehen – und damit mit unseren Gedanken in der Zukunft zu sein mit all unseren Erwartungen und Sorgen und Ängsten – ist unser Geist dabei bei unserem Körper und in diesem Moment. Der buddhistische Mönch Thich Nhat Hanh schreibt:
Zweck der Gehmeditation ist die Gehmeditation selbst. Entscheidend ist das Gehen, nicht das Ankommen, denn Gehmeditation ist kein Mittel, es ist das Ziel selbst. Jeder Schritt ist Leben; jeder Schritt ist Frieden. Das ist der Grund, warum wir nicht zu eilen brauchen; darum verlangsamen wir unsere Schritte. Gehen wir so, dass wir nur Frieden in unserem Fußabdruck hinterlassen. Das ist das Geheimnis der Gehmeditation.
Gehmeditation macht uns ruhig und klar. Sie lässt uns ankommen, wo wir uns sonst hetzen. Frieden finden, wo sonst alles ein Kampf ist um Noten, Abschlüsse, Bewerbungsgespräche und Beförderungen, Beliebtheit, Geld, Körpermaße und Sex. All das Schöne sehen, riechen, hören und fühlen, die Vögel, die Blätter an den Bäumen, die verspielten Hunde im Park, den Wind, die Farben und Sonnenstrahlen und Schatten und Regentropfen oder Schneeflocken. Vielen Menschen fällt die Gehmeditation zudem leichter als die im Sitzen auf einem Kissen. Sie funktioniert so:
- Wenn möglich, suche Dir eine schöne Strecke aus, vielleicht im Park oder Wald oder entlang eines Flusses. Wenn nicht möglich, geht auch jede andere, sei es im Büro, im Supermarkt oder zuhause.
- Ein halbwegs ebener Untergrund ist besser geeignet als ein wurzeliger Waldpfad
- Bleib stehen
- Halten Deinen Körper aufrecht und gerade, ohne Dich zu verkrampfen
- Atme ruhig und tief ein und aus
- Setze nun einen Fuß vor den anderen, in Deinem Tempo, aber eher langsam. Du kannst die Schritte auch an Deine Atmung anpassen (zum Beispiel zwei Schritte beim Einatmen, zwei Schritte beim Ausatmen)
- Schaue dabei nach unten
- Konzentriere Dich darauf, wie Dein Fuß friedlich die Erde berührt, wie Dein Fuß und die Erde sich verbinden … und wie Du den Fuß dann wieder anhebst, Dein Gewicht verlagerst, den Fuß nach vorn schiebst und erneut den Boden berühren lässt
- Du kannst Dir bei Deinen Schritten vorstellen:
- wie eine Lotusblume aufblüht, wenn Dein Fuß die Erde berührt (geht barfuß noch besser)
- wie Du die Kraft der Erde in Dich aufnimmst, wie sie Dich nährt
- Oder Du zählst Deine Schritte oder wiederholst ein Wort oder ein Mantra
- Wenn Deine Gedanken von Deinen Schritten abschweifen, fang sie sanft wieder ein, konzentriere Dich einfach wieder auf das Gehen
Es reicht völlig aus, mit wenigen Schritten zu beginnen und die Gehmeditation langsam auszudehnen.
Wohin gehst Du zu Fuß?
Photo: Forrest Tanaka
Ich werde gleich zur Arbeit gehen, zu Fuß. Draußen ist es kalt und frostig und auch glatt. Mit Spikes zu radeln ist mir dann doch zu extrem. Klar dauert das dann entsprechend, aber das ist meine Zeit, in der auch meine Gedanken ihren Auslauf bekommen. Wenn die sich alle „ausgedacht“ haben, dann ist Platz im Kopf. Klappt natürlich noch besser in der Natur. Da können dann noch tolle Erlebnisse dazukommen, besondere oder gar magische Orte oder auch der eine oder andere Gipfel.
Man sieht es den Menschen an, wie ihre Haltung zum Gehen ist. Am Schuhwerk, das sie im Alltag tragen.
Hi Doc,
eine schöne Sache, der Gang zur oder von der Arbeit. Eines meiner Kriterien damals bei der Jobsuche nach dem Studium war: zu Fuß erreichbar (ohne unterwegs ein Nachtcamp aufschlagen zu müssen).
Darf ich fragen, was einer Deiner „magischen Orte“ ist?
Der letzte Satz gefällt mir besonders – ich werde mal drauf achten!
Liebe Grüße
Tim
Einer der magischen Orte ist der Einsiedel, das ist wenige Kilometer von Tübingen, meinem Wohnort. Es handelt sich um eine sehr große Lichtung, auf der Südzucker einige Versuchsfelder betreibt. In der Mitte steht ein Hof und ein zur Jugendherberge umgebautes Jagdschloss. Von den meisten Stellen dieser riesigen Fläche aus, sieht man am Horizont das Panorama der schwäbischen Alb. Es ist jedes Mal ein Erlebnis, aus dem Wald herauszutreten und in diese gigantische Weite hineinzuspazieren. Und wie so die äußeren Grenzen wegfallen, fallen manchmal eben auch innere.
2011 stand das Gelände als Kandidat für eine Teststrecke von Daimler zur Debatte, was aber innerhalb kurzer Zeit an lokalen Bürgerprotesten und dem zuständigen Gemeinderat scheiterte – trotz Aussicht auf gigantische Gewerbesteuererträge für die Kommune.
Damals bezeichnete der Pfarrer den Einsiedel als einen Ort, an dem man Gott näher sei.
(Ich bloggte: http://zwei.drni.de/archives/1168-Rennstrecke-Einsiedel.html )
Hi Doc,
Danke dass Du das mit uns teilst! Gut, dass dieser Ort keiner Teststrecke geopfert wurde, läuft ja leider oft ganz anders.
Liebe Grüße und auch im nächsten Jahr viel Freude an diesem Platz! 🙂
Tim
beim Laufen habe ich schon manche Idee entwickelt,auswendig gelernt, geführte Meditationen vorbereitet.Da kann ich auch vor mich hin reden….hört ja Keiner 🙂 Ich laufe viel, da ich einen Hund habe.Meistens macht es auch Freude und wenn ich nach der Arbeit müde bin und laufe, merke ich nach ein paar Schritten, wie die Lebensgeister wieder erwachen.Am Liebsten laufe ich auf der Heide und im Wald. Ist auch Jahreszeitenabhängig. Die Gehmeditation hat mir geholfen, im Hier und Jetzt zu sein.Ist schon über 1 Jahr her,daß ich sie gemacht habe. Am Anfang hab ich ganz schön mit dem Gleichgewicht zu tun gehabt. Mit Konzentration und Blick auf einen Punkt ging es dann ganz gut, was mir über meine Befindlichkeit Aufschluss gab.
Hi Sonja,
oh ja, ein Hund erleichtert die Eigenmotivation vermutlich schon erheblich! Mir geht’s auch so: je weniger Lust und Kraft ich (anscheinend) für einen Spaziergang habe, umso dringender brauche ich ihn eigentlich.
Was meinst Du mit „was Dir über Deine Befindlichkeit Aufschluss gab“?
LG!
Tim
Tja, da ich keinen Führerschein und Auto habe muss ich viel zu Fuß gehen. Ich fühle mich in meiner Mobilität schon eingeschränkt, weil man mit einem Auto schnell wohin fahren kann. Ich lebe in Schmallenberg und die Busverbindungen sind vor allem am Wochenende schlecht. Wer keinen Führerschein und Auto hat, scheint in der heutigen Zeit irgendwie schief angeschaut zu werden oder unterliege da einer falschen Einschätzung? Plane schon seit Jahren einen Führerschein aber es klappt irgendwie nicht, weil immer etwas dazwischen kommt.
Ich verzichte seit Jahren bewusst auf ein Auto –
um mich so viel wie möglich zu Fuß zu bewegen.
Leider habe ich die richtig langen Spaziergänge alleine
in letzter Zeit eher vernachlässigt. So erscheinen sie mir
wie eine große Hürde 🙂 Hast du da irgendwelche Tipps?
Außer natürlich nach und nach steigern…
LG
Sören
http://fuehrdeinleben.tumblr.com
Ich habe mir vor einigen Jahren angewöhnt rund 1-2 km morgens und auch abends nach dem Job bis zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel zu gehen. Morgens um die Zeit vor Jobbeginn bewusst noch mit mir alleine zu geniessen, um mich auf den Tag einzustimmen, abends um einen Teil der Hektik des Arbeitsalltages abzustreifen um alleine mit mir zu sein.
Das hat langsam dazu geführt, als das ich private wie berufliche Termine so versuche zu planen, damit ich immer ein Stück des Weges gehend erledigen kann.
Dies führte dann dazu, dass ich vor ungefähr 2-3 Jahren damit angefangen habe, täglich abends noch zwischen 20-60 min den Tag ausklingen zu lassen.
Für mich gehört GEHEN mittlerweile zum Tagesablauf, es ist Bewegung und gut für den Körper, ich bin draußen, ich bin allein mit mir und kann meine Gedanken laufen lassen.
Manchmal spüre ich das Gehen, manchmal löse ich dabei Probleme, manchmal lasse ich nur meine Gedanken laufen während ich gehe.
Es hat mich von so manchem inneren Druck befreit.
Hey Tim,
komme gerade von meinem 6 Kilometer Spaziergang und lese dann diesen Artikel. Als gelernter Autoverkäufer war mit mein Auto auch immer sehr wichtig. Ich bin viel und überall damit hingefahren. Jetzt bin ich begeisterter Fußgänger =). Es war heute wieder wunderschön. Die Sonne lacht, der Duft der Felder und des Waldes, Vögel zwitschern gehört, Pferde, Rehe und Bussarde gesehen. Viele nette lächelnde Leute gesehen. Alles da was man braucht!
Gruß
Matthias
Hi Matthias,
klingt sehr gut, wie schön, dass Dir die diesen Spaziergang gegönnt hast – es gibt echt kaum besseres Wetter dafür!
LG und ein schönes WE
Tim
Ein schöner Artikel.
Seit ich den Schritt gewagt habe, endlich den Paragliding-Schein zu machen, entdecke ich auch das zu-Fuß-unterwegs sein wieder. Nicht nur, wenns mit dem Rucksack nach oben oder unten geht, weil ichs mal wieder verpeilt habe, gescheit nach dem Wetter zu schauen und die besser Wahl auf der Erde zu bleiben ist.
Auch ich bin jeden Meter mit dem Auto gefahren. Als ich vor ein paar Wochen wieder mehr aufs Fahrrad gestiegen bin, haben schon viel ziemlich dumm geschaut. Und nun ziehts mich auch wieder mehr zu Fuß nach draußen. Im Riesengebirge bin ich im Oktober aus dem „Kalten“ raus fast 30 km gelaufen, allein, und es war genial… tolles Wetter mit einer super Fernsicht, einen Kammweg entlang. Kaum Leute unterwegs, und da hats bei mir den Schalter umgelegt.
Nun ist auch endlich das Wetter, um den Tag mit Gehmeditation oder GuoLi-QiGong zu beginnen oder zu beenden.
Ja, es ändert sich gerade soooo viel….Und irgendwie passen deine Beiträge gerade voll in meine Veränderungen
Lieben Gruß
Sylvia
Seit ich vor zwei Jahren mit dem Pilgern begonnen habe, und dabei jeweils 100 km an fünf Tagen quer durch Niedersachsen zurückgelegt habe, kann ich diese Zeilen sehr gut nachvollziehen. Dabei reden und lachen wir viel, laufen aber häufig auch einfach nur schweigend nebeneinander her. Und die zahlreichen Kirchen, die wir dabei besuchen, sind wahre Tankstellen für den Geist…
Eine sehr bereichernde und empfehlenswerte Erfahrung….
hi tim,
danke für die wunderbaren texte, die mich schon länger begleiten. der aktuelle text passt sehr gut zu meinem vorhaben: ich werde morgen aufbrechen, um einen teil des jakobsweges zu pilgern. bin schon sehr gespannt…
lg antje
Wenn man weder Führerschein noch Auto hat, auch kein Fahrrad
und sich mit/in öffentlichen Verkehrsmitteln einfach nur überfordert fühlt,
dann bleibt nur noch der Hackenporsche. (Schon mal für künftige Rollator-Rennen trainieren).
Damit hab ich ’nen sehr begrenzten Radius, Supermarkt, ein paar Läden
und hin und wieder auch die gut 3 km in die Stadtteilmitte, aber dann garantiert auch zum Secondhand-Laden.
Gerade so ein Ausflug in den Secondhand-Laden
(ich kann nicht fliegen, aber „Ausgang“ klingt so fremdbestimmt)
sorgt dann manchmal für fröhliche Gesichter um mich rum,
zumindest auf dem Rückweg.
Die Leute sehen das wohl nicht so oft, dass jemand mit ’ner Stehlampe über der Schulter stoisch vorwärtsschreitet oder mit ’nem Sitzsack Huckepack …
Fast schade, dass meine Wohnung inzwischen ausreichend eingerichtet ist. ^^
Ich gehe schon lange überall hin, wo es möglich ist zu Fuß hin oder fahre mit dem Rad. Es befreit und macht das Leben wieder ein Stück langsamer. Das mag ich sehr.
Es erinnert mich an die Geschichte vom Indianer, der sich mitnehmen ließ im Auto und nach wenigen Kilometern wieder ausgestiegen ist, um auf seine Seele zu warten.
Die Verkehrsmittel, die wir nützen sind zu schnell, damit unsere Seelen mitkommen würden und jedes Mal, wenn wir sie benützten, verlieren wir unsere Seele ein Stück weit. Und meist verweilen wir ja auch am neuen Ort nicht lange genug, damit die Seele uns wiederfinden könnte.
Hallo Antje. Und hast du es geschafft? Wie weit wollten dich deine Füße tragen?
Ich hasse es zu laufen. Ich denke imemr ich sterbe und keiner hilft mir. Ich fahre auch zum 5 meter Supermarkt mit dem Auto.
Und langsam nein egal wo ich bin ich fege ein Einkauf mit 20 Artikel dauert bei mir 3 minuten, immer wenn ich heim komme bin ich klatschnass geschwizt auch bei 20 Grad Minus.