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Es muss zu Grundschulzeiten gewesen sein, als ich begriff, dass die Gesellschaft mehr auf Gleichklang als auf schöne Töne achtet, mehr auf Durchschnitt als auf Leistung, mehr auf Richtlinien als auf Ergebnisse.

Schwimmunterricht, zweite oder dritte Klasse in meiner gelb angemalten Grundschule, die mir nie wirklich sympathisch wurde. Ob es überwiegend an den Lehrern lag, an den Mitschülern oder daran, das teilweise Putzbrocken von der Decke fielen, kann ich nicht mehr so genau sagen. Aber an den Schwimmunterricht erinnere ich mich noch gut.

Einmal wöchentlich ging es ins städtische Schwimmbad. In der ersten Stunde sollten wir uns selbst einschätzen und entscheiden, in welcher der drei Gruppen wir starten wollten: Profischwimmer, Mittelschwimmer oder Nichtschwimmer. Stolz auf meine Schwimmkünste und die Sprünge vom Turm, die ich bereits im Vorfeld bei Schwimmbadbesuchen mit meinen Eltern absolviert hatte, wählte ich die Gruppe der Profischwimmer.

Schon in der ersten Stunde kam der Schock.

Alle Kinder wurden beim Schwimmen beobachtet. Und so fiel dem Schwimmlehrer auf, dass ich die Technik des Kraulens anwendete. Er befahl mir das Brustschwimmen. Brustschwimmen empfand ich jedoch schon immer als zu langsam und zu versteift, mein dagegen Vater war beim Kraulen schnell wie ein Torpedo (so habe ich’s zumindest in Erinnerung) und da ich auch so schnell schwimmen wollte, lehrte er mich diese Technik. Zusätzlich noch das langsamere und unbequemere Brustschwimmen zu lernen erschien mir sinnlos, also überließ ich das anderen. Bis zum besagten Tag des ersten Schwimmunterrichts. Ich konnte zwar kraulen wie ein junger Gott (auch das habe ich zumindest so in Erinnerung …), nicht aber brustschwimmen. Als der Lehrer das sah, verbannte er mich in die Gruppe der Nichtschwimmer.

Von dieser Stunde an musste ich mit Kindern üben, die im Wasser stets untergingen wie Steine und sich peinliche Schwimmflügel und Schwimmschaumstoffwürste verabreichen lassen mussten. Als wäre das nicht schlimm genug gewesen, trainierte meine Grundschul-Angebetete bei den Profis mit, die natürlich alle viel cooler waren als die armen Schweine in meiner Gruppe, die nur von Hilfsgegenständen vorm Tod durch Ertrinken (in 1,80m Wassertiefe) bewahrt werden konnte. Scheiße, war mir das peinlich. In den Momenten, als ich zu ihr schaute und mich ihres erwiderten Blickes wähnte, war ich es, der am liebsten wie ein Stein untergegangen wäre.

In den nächsten Wochen lernte ich dann gezwungenermaßen das Brustschwimmen, das ich bis heute für überbewertet halte, solange man seine Haupthaarfrisur nicht unbedingt trocken halten muss. Aus der Gruppe der Nichtschwimmer kam ich dann trotzdem nicht mehr heraus, eine Neubewertung der Fähigkeiten der Schüler blieb aus. Immerhin gab’s am Ende auch für jeden in meiner Gruppe einen Schwimmpass. In diesem war netterweise auch die jeweilige Gruppe angegeben, sodass ich zum Besitzer eines „Schwimmpasses der Nichtschwimmer-Gruppe“ wurde. Na, neidisch?

Im nächsten Jahr oder dem darauf fand ein Schwimmwettbewerb statt, an dem alle Klassen unserer Schule teilnahmen. Eine Wettkampf-Disziplin: Schnellschwimmen über 100 Meter. Ich machte den dritten Platz. Und wie? Natürlich mit Kraulen. Mit breiter Brust stellte ich mich bei der Siegerehrung aufs Podest. Ich hatte es den Brustschwimmern und vor allem den Lehrern gezeigt.

Diese Erfahrung lehrte mich, wie stumpf „das System“ oft seine Vorgaben durchzudrücken versucht, ohne Rücksicht auf den Sinn oder Unsinn des Durchgesetzten und die Fähigkeiten des Einzelnen. Sie lehrte mich auch, dass mein eigener Weg nicht schlechter sein muss als der standardisierte, der vorgegebene, der empfohlene oder (scheinbar) erzwungene.

Wenn Du besser kraulen kannst als brustschwimmen, dann kraule.

Und wenn Du besser Kunst machst als Aktenberge zu bearbeiten, dann mache Kunst.

Am Ende landen oft die auf dem Podest, die sich nicht am Durchschnitt orientieren, sondern an sich selbst.

Photo: Jason Empey