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Schmerzen wären etwas Wunderbares, wenn sie nur nicht so weh tun würden.
– Ralf Brebeck

Du wirst kaum jemanden finden, der in seiner Vergangenheit mehr Schmerztabletten gefressen hat als ich. Meistens wegen Kopfschmerzen. Und nicht viele, die mehr Zeit allein in ihrer Wohnung verbracht haben, an Frühlingstagen, an Sommertagen, an Herbsttagen und im Winter, um sich vor Schmerzen zu schützen, um nicht durch Menschen verletzt zu werden. Wie eine Weinbergschnecke, die vor lauter Angst (Mögen mich die anderen Schnecken, lauern da draußen Gefahren?) einfach nicht aus ihrem Haus rausschaut und in ihrem eigenen Schleim erstickt.

Du wirst aber auch nicht viele finden, die sich mit den Schmerzen zu versöhnen suchen, sie lieben lernen wollen. Ist bei mir noch eine ziemlich zarte Liebe, doch stark genug, um sie nicht mehr zu leugnen.

Ja, ich liebe Schmerzen, irgendwie. Vielleicht so, wie manche Kinder ihre Stiefmutter lieben, wenn sie sehen: die tut, was sie kann und gehört ja doch dazu, ohne sie wär’s auch alles nichts. Zumindest will ich das versuchen.

Deswegen möchte ich hier und heute ein gutes Wort für sie einlegen, für Stiefmutter Schmerz.

Nötig ist das, weil wir heute in einer Welt leben, in der sämtliche Schmerzen genauso verdrängt werden sollen wie der Tod. Kopfschmerzen? Pille. Rückenschmerzen? Pille. Traurig? Pille. Angst? Pille. Tod? Nicht bei uns! Klagten doch vor einigen Monaten die Bewohner eines Städtchens gegen die Eröffnung eines Hospizzentrums in ihrer Nachbarschaft. Was nicht hübsch-glücklich auf Hochglanz poliert ist in unseren Körpern, Seelen, Leben, das soll vernichtet werden.

Absolut nachvollziehbar, und dennoch ungesund.

(Natürlich gibt es viele Ausnahmen: chronische oder sehr starke körperliche oder geistige Schmerzen, die mit Schmerzmitteln oder Antidepressiva etc. behandelt werden sollten.)

Hier die Gründe, aus denen ich Schmerz akzeptieren und vielleicht sogar lieben lernen möchte.

1. Schmerz ist Leben

Zuallererst gehört Schmerz zum Leben … welchen Sinn macht es dann, sich vor ihm zu verstecken wie ein Kind, das sich die Hand vor die Augen hält und glaubt, es könne von niemandem gesehen werden, solange es selbst nichts sieht?

Mehr noch:

Ziehen wir alle Zeiten des Schmerzes ab, wie viel Lebenszeit wäre dann noch übrig? Der Schriftsteller William Faulkner sagte: „wenn ich die Wahl habe zwischen dem Nichts und dem Schmerz, dann wähle ich den Schmerz“. Weil Zeiten des Schmerzes für uns langsamer vergehen als Zeiten des Glücks, verlängert sich das Leben gefühlt durch sie weiter.

Und noch eins:

Schmerz als Vorgeschmack des Todes macht uns klar, wie endlich und wertvoll unsere Lebenszeit ist.

2. Schmerzen sind gesund (oder: 14-Jährige, die von Dächern springen)

Körperliche Schmerzen warnen uns, seelische Schmerzen warnen uns ebenso.

Es gibt ein paar wenige Menschen, die aufgrund eines Gendefekts ohne funktionierende Schmerzrezeptoren auf die Welt kommen. Sie können sich Arme und Beine brechen, den Mund mit kochend heißem Essen verbrennen oder sich lebensbedrohlich schneiden, ohne die Bedrohung zu bemerken. Die Eltern dieser Kinder müssen wahnsinnig aufpassen, das Kind immer wieder von allen Seiten begutachten.

Neurowissenschaftlerin Prof. Mary Heinricher schilderte den Fall eines pakistanischen Jungen, der keine Schmerzen wahrnehmen konnte. Er schnitt sich zum Beispiel mit einem Messer in den Arm und schrie „schaut mal, was ich kann!“. Er starb mit 14 Jahren, als er vom Dach eines Hauses sprang.

Wie sehr uns Schmerzen doch eigentlich beschützen, vorsichtig werden und handeln lassen – ja Teil des Gesundbleibens sind – wenn es nötig ist. Und wenn wir sie nicht verdrängen oder sofort mit Tabletten niederbügeln.

Das Schmerzkontrollsystem in unseren Gehirnen sorgt im Notfall schon dafür, dass wir auch ohne sofortige blinde Schmerzbeseitigung handlungsfähig bleiben: ist etwas wichtiger als der Schmerz, zum Beispiel, weil wir mit verwundetem Bein vor einem tollwütigen flüchten müssen, nehmen wir den Schmerz nicht mehr oder weniger wahr, bis wir in Sicherheit sind.

3. Schmerz und Herz

Psychische Schmerzen – wie die der Zurückweisung – empfinden wir ganz ähnlich wie körperliche, wie die Hirnforschung zeigt. Beides löst Aktivität in denselben Hirnregionen aus, wie Aufnahmen im MRT zeigen können. An der Uni Michigan wurden dazu 40 Menschen untersucht, die im letzten halben Jahr unter Liebeskummer litten. Die Teilnehmer wurden sowohl zum Liebeskummer befragt und mussten Bilder der dafür verantwortlichen Personen anschauen. Später wurden ihnen körperliche Schmerzen zugefügt. Im MRT zeigten in beiden Fällen dieselben Teile des Gehirns ähnliche Reaktionen: der sekundäre somatosensorische Cortex sowie die dorsale posteriore Insula. Auch wenn wir trauern oder von einer Gruppe ausgeschlossen werden, erleiden wir Schmerzen, die den physischen nah kommen.

Wie könnten wir uns in sie hineinfühlen und achtsam mit ihnen sprechen, würden wir den Schmerz nicht kennen, den nicht nur Messer und Fallhöhen, sondern auch Worte und Taten anrichten können?

Wie könnten wir andere in ihren Schmerzen verstehen, wenn wir selbst nie welche hätten?

Kaum. Hätten wir nicht die Hirnregionen, in denen wir Schmerzen empfinden, so könnten wir auch nicht mitempfinden. Experimente von Neurowissenschaftlern des University College in London mit Liebespaaren zeigten, wie wir den Schmerz mitfühlen, wenn wir davon ausgehen, dass unser geliebter Partner Schmerz empfindet (ihnen wurde mitgeteilt, dass ein Monitor anzeigen würde, wann der räumlich getrennte Partner einen kurzen Elektroschock zugefügt bekam). Die vorm Monitor sitzenden Teilnehmer erlebten den Schmerz viel intensiver als ihren eigenen, während sie selbst am Stromgerät angeschlossen waren.

Wie könnten wir also ohne eigenen Schmerz echtes Mitgefühl aufbringen?

Welche Art Menschen wären wir?

Nicht nur aus einer Wir-haben-uns-alle-lieb-Perspektive, sondern bereits ganz egoistisch: wer sich dem eigenen Schmerz verschließt, kann auch den der anderen schwer verstehen und dulden. Seine sozialen Fähigkeiten sind begrenzt, infolge dessen auch seine Zugehörigkeit. Aus Studien ist bekannt, dass Menschen, die wenig sozial integriert sind, ein deutlich höheres Risiko haben, krank zu werden und früh zu sterben.

4. Goldgrube, oft

Dass der Schmerz auftritt ist so gut wie immer ein Zeichen, dass man genauer hinschauen und vielleicht etwas anders machen sollte. Doch der Schmerz selbst ist nichts Schlechtes: er zeigt uns nur auf, dass der Schuh drückt und wo er drückt.

Was dabei herauskommen kann, sind neben einer Orientierung und Motivation zu handeln auch persönliches Wachstum, eine Lebensaufgabe und sämtliche Arten der Kunst.

Persönliches Wachstum:

Der Schmerz ist der große Lehrer der Menschen. Unter seinem Hauche entfalten sich die Seelen.

– Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach

Bist Du nicht oft auch in schmerzhaften Zeiten besonders gewachsen?

Lebensaufgabe:

Deine Wunden werden durch die Heilung zu einem kostbaren Besitz, zu kostbaren Perlen.
– Hildegard von Bingen

Keine Ahnung, ob Schreiben, über die myMONK-Sachen schreiben, so etwas wie meine „Lebensaufgabe“ ist, aber zumindest fällt mir gerade nichts besseres ein. Und ohne die Jahre, in denen’s mir nicht gut ging, würde es myMONK sehr wahrscheinlich nicht geben.

Kunst:

Dichter: Sie fressen den Schmerz in sich hinein und kotzen ihn als Literatur wieder hinaus.
– Wolfgang J. Reus

Viele der größten Kunstwerke sind aus Schmerz geboren. Hatte da nicht sogar mal jemand sein Ohr abgeschnitten und ein Bild mit Blut gemalt (nicht zuhause nachmachen, Kinder)?

Eine ziemliche Goldgrube also, findest Du nicht?

Schmerz ist wichtig. Zur Domina würde ich trotzdem nicht gehen … und das ist kurz und schmerzlos erklärt, denn: Für meinen Geschmack gibt’s genug Schmerzen im Leben umsonst.

Wenn ich so weiter mache gibt’s aber sicher n paar Leute, die sich bereit erklären, mich gratis zu verhauen.

AuAuAu
und
Ciao.

 

Photo:  Daniel Lee