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Weise Menschen, da denkt man an alte Männer mit bodenlagen Bärten oder alte Frauen mit Haut, die sich wie Origami faltet, und Augen, die jeden wärmen, der in sie schaut. Von der „Weisheit des Alters“ spricht man ja auch. Aber das ist ein Irrglaube. Ein Rollator macht noch keinen Weisen.

Stephen S. Hall schreibt in Wisdom: From Philosophy to Neuroscience:

„Psychologen konnten bis heute keinen Beweis dafür finden, dass die Weisheit mit dem eigenen Alter steigt. Im Berlin Wisdom Project haben Paul Baltes und seine Forscherkollegen mehrere Studien dazu durchgeführt. Nie gab es Beweise für einen solchen Zusammenhang. Stattdessen veränderte sich die Weisheit, soweit sie eben gemessen werden kann, nicht zwangsläufig im Alter zwischen 20 und 90 Jahren. Länger zu leben allein reicht nicht aus, um mehr Wissen und Urteilsvermögen im Bereich Weisheit aufzubauen.“

Schwere Zeiten lassen uns wachsen

Schauen wir auf ein paar der großen Weisen der letzten Jahrtausende. Vielleicht zeigt sich dort ein Muster. Und ja, das tut es, wie Hall in seinem Buch zusammenträgt.

Aristoteles war sprachbehindert und in jungen Jahren Vollwaise.

Abraham Lincolns Mutter starb, als er neun war.

Konfuzius verlor seinen Vater, als er drei Jahre alt war.

Mutter Therasa ihren, als sie acht war.

Siddharta Gautamas Mutter starb, als er sieben war, der spätere Buddha wurde von seinem Vater als Jugendlicher praktisch eingesperrt, als eine Prophezeiung besagte, sein Sohn würde bei seiner Suche nach spirituellem Erwachen Familie und Wohlstand verlieren.

(Die Liste weiterer Halbwaisen, die in die Geschichte eingegangen sind, lässt sich übrigens beliebig erweitern: Washington. Jefferson. Lincoln. Kopernikus. Newton. Darwin. Dante. Michaelangelo. Bach. Dostojekswi. Keats. Melville. Nietzsche. Twain.)

Moses soll gestottert haben.

Sokrates soll so hässlich gewesen sein, dass manche sogar im Dunkeln würgen mussten.

Perikles, ein großer Staatsmann der griechischen Antike, hatte so einen schmalen und unförmigen Kopf, dass sich das ganze Land sein ganzes Leben lang über ihn lustig gemacht hat.

Gandhi klagte über seinen gebrechlichen Knabenkörper und war so scheu, dass ihn andere Kinder wegen seiner Schweigsamkeit gehenselt haben.

Der Dalai Lama musste mit 15 Jahren aus seiner Heimat Tibet vor den brutalen Chinesen fliehen, die ihn womöglich umgebracht hätten.

Sehr viele der weisesten Menschen hatten also eine ziemlich harte Kindheit. Wissenschaftler der Berlin Aging Study bestätigten das: Wer in den Tests als weise abschnitt, sah sich oft schon früh im Leben großen Widrigkeiten ausgesetzt. Die Wurzeln von Weisheit lagen auffällig oft in der Jugend oder dem frühen Erwachsenenalter.

Warum uns schlimme Erfahrungen weiser machen

Weil Weisheit nichts mit dem Alter zu tun hat. Und auch nichts mit Wissen, mit gesammelten Informationen (jeder, der Google bedienen, hat Zugriff auf sämtliches Wissen der Welt).

Sondern vor allem damit, wie gut man mit Gefühlen umgehen kann – Stichwort emotionale Intelligenz. Damit, wie wir uns an stressige Gegebenheiten anpassen kann. Das ist die eigentliche Superkraft hinter der Weisheit.

Hall weiterhin in seinem Buch:

„In seiner abschließenden Arbeit zur Weisheit bringt Baltes diese mit dem Erlangen verschiedener Faktoren in Verbindung: generelle Intelligenz und Bildung, früher Kontakt zu wichtigen Mentoren, kulturelle Einflüsse, das lebenslange Sammeln neuer Erfahrungen.

Am wichtigsten jedoch sei die emotionale Intelligenz: ‚Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass Menschen, die ihre emotionalen Zustände auch im Angesicht der Dilemmas des Lebens effektiv regulieren können, eine höhere Chance haben, in den Weisheitsaufgaben besonders gut abzuschneiden.’“

Aus der Grant Study, im Rahmen derer man an der Harvard-Universität eine größere Gruppe junger Männer seit den 1940er Jahren über ihr gesamtes Leben begleitet, wird deutlich, wie sich Weisheit lohnt.

Hall:

„Der vielleicht faszinierendste Aspekt der Grant Study ist, wie das Vorhandensein oder der Mangel dieser „weisen“, reifen Verteidigungsmechanismen der Psyche die Leben der Männer beeinflusst hatte, als sie ihre mittleren Jahre erreichten.

Wer besser mit seinen Emotionen umgehen konnte, war sehr viel besser für sowohl für die Arbeit als auch für die Liebe ausgerüstet. Er verdiente mehr, war mehr in der Gesellschaft engagiert, hatte mehr tiefe Freundschaften, weniger körperliche und Mentale Probleme und fühlte sich außerdem wohler dabei, seine Bedürfnisse auch anderen Menschen gegenüber klar zu machen.“

Was bedeutet das nun für uns?

Dass wir nun, da wir vom Leben in frühen Jahre tragischerweise vielleicht um Tragödien betrogen worden, leider leer ausgehen müssen, egal, wie alt wir werden?

Oder dass wir uns umbringen sollten, damit wenigstens unsere Kinder gute Karten haben, Weisheit zu erlangen?

Weder noch.

Was anderen das Schicksal auferzwungen hat, können wir uns selbst ganz bewusst dafür entscheiden, noch besser mit unseren Gefühlen umzugehen zu lernen. Dafür ist jedes Alter und jeder Tag bestens geeignet.

Mehr dazu unter Wie man schmerzhafte Gefühle überlebt und unter Wie man schmerzhafte Erfahrungen loslassen kann sowie Du kannst nie wissen, wofür es gut ist.

 

Photo: Maria Alvarez | Inspiriert von: Bakadesuyo