Teile diesen Beitrag "Forschung: Denk nicht zu viel nach, Du kennst die richtige Antwort schon"
Zu viel nachdenken … das betrifft mich selbst, denn ich neige zum Zerdenken. Kann für kleinste Entscheidungen größte Runden im Kopf drehen – was soll ich von der Speisekarte wählen, ist der Satz in meiner Mail wirklich schon perfekt? Stürze mich wie ein Adler auf unwichtige Details, das ganze Bild aus den Augen verlierend. Verheddere mich in sinnlosen Sorgen. Google nach meinen Symptomen (es ist immer Krebs im unheilbaren Endstadium, mindestens).
Wenn Du Dich darin wiederfindest, Dir häufig den Kopf zerbrichst, bist auch Du wohl ein Grübler, ein Overthinker, wie’s im Englischen heißt.
Aber warum denken wir zu viel nach? Und was macht das mit uns und unseren Entscheidungen?
Warum wir zu viel nachdenken (voller Kopf, voller Zweifel)
Ein kleines Mädchen, sechs Jahre alt, sitzt in einem Zeichenunterricht und malt. Der Lehrer ist fasziniert davon, wie vertieft sie das tut. In den anderen Schulfächern passt sie nämlich überhaupt nicht auf. Der Lehrer geht zu ihr und fragt sie: „Was malst Du da?“ Sie: „Ich male ein Bild von Gott!“ Er: „Aber niemand weiß, wie Gott aussieht.“ Sie: „Sie werden es wissen in einer Minute.“
Von dieser Szene berichtet Sir Kenneth Robinson, Autor und international tätiger Berater im Schulwesen, in seinem TED Talk.
Ein Jahr später oder zwei, mit sieben oder acht Jahren, hätte das Mädchen sich wohl kaum noch an so ein Vorhaben herangewagt. Das Schulsystem wird sie innerhalb dieser Zeit um ihre frei ausgelebte Kreativität und Neugier und Furchtlosigkeit vor „Fehlern“ gebracht haben.
Die kindlichen, freien Gedanken wie ihre Vorstellung von Gott werden ersetzt durch Unmengen konkreten Wissens über Gott und die Welt (das ebenfalls nicht mal wahr sein muss). Aus Angst, daneben zu liegen und dafür bestraft zu werden (Noten, rot angestrichene Korrekturen), verlernt sie, einfach etwas auszuprobieren und auf ihre spontanen, kreativen Ideen zu vertrauen.
Stattdessen macht es sich Gedanken. Wird rational. Wägt ab. Sammelt Informationen und Faktenwissen. Das ist grundsätzlich – anders als vielleicht die Schulnoten – auch wichtig. Wir Menschen brauchen das Gefühl, eine Wahl zu haben, uns zwischen diesem und jenem entscheiden zu können, wie Dr. Barry Schwartz in seinem Buch „The Paradox of Choice“ schreibt – und dafür sind Informationen und das Ansammeln von Wissen nötig. Wie sonst sollten wir auch nur eine Idee von den verschiedenen, uns offen stehenden Optionen haben?
Auf der einen Seite hilft es uns also, über möglichst viele Informationen zu verfügen.
Doch wenn wir nicht nur zu viele Informationen und Wahlmöglichkeiten zur Hand haben, sondern auch noch zu viel Angst vor einer „falschen Entscheidung“ wegen des Schulsystems (und sicher oft auch durch die Eltern), sind wir überfordert, drehen uns im Kreis, grübeln, sind wie gelähmt.
Wie uns zu viel Nachdenken schwächt
Zu viel über eine Situation nachzudenken beeinträchtigt unser Urteilsvermögen und unsere Leistung, wie eine Studie der UC Santa Barbara gezeigt hat.
Forscher maßen die Funktionen im präfrontalen Cortex der Gehirne der Testpersonen. Dieses Hirnareal hängt sowohl mit dem expliziten Gedächtnis – mit dem wir uns bewusst und aktiv an etwas erinnern – als auch mit dem impliziten Gedächtnis zusammen – das unbewusst für uns arbeitet und u.a. auf alte Erfahrungen zurückgreift. Die Testpersonen sahen eine Minute lang zwei Kaleidoskop-Bilder. Hinterher zeigte man ihnen andere solche Bilder und sie sollten die Unterschiede zu den zuvor gesehenen beschreiben.
Das Ergebnis im Hirn-Scan: Die Personen, die nicht ihr bewusstes explizites bemühten, konnten sich besser erinnern – und akkurater entscheiden.
Bedeutet auch für uns: Wer aktiv nachdenkt, schneidet deutlich schlechter ab. Umso mehr, je länger er nachdenkt.
Die Lösung
Der (un)denkbar einfachen Lösung für das Problem des Overthinkings kamen Wissenschaftler auf die Spur, als sie eine ganz andere Frage untersuchten.
Prof. Sian Beilock von der University of Chicago wollte wissen, warum Spitzensportler in wichtigen Spielen plötzlich komplett versagen in etwas, das sie seit Jahren oder Jahrzehnten trainieren und perfektionieren. Wie kann so etwas passieren?
Beilock berichtete der New York Times sinngemäß:
„Der Sportler muss, zum Beispiel fürs Einlochen beim Golf oder den Schlag beim Tennis, Entscheidungen treffen. Auf sein ganzes Wissen und Potenzial kann er aber nur ohne Nachdenken zugreifen. Es ist, wie wenn man schnell die Treppen herunterrennen will – an sich kein Problem, aber sobald Du darüber nachdenkst, wie Du welchen Fuß bewegen musst oder was alles passieren kann, fällst Du hin. Genau das passiert den Sportlern, die im entscheidenden Moment versagen. Sie fangen zu denken an, sie glauben, sie würden durch Nachdenken zum Ziel kommen, dabei ist das Gegenteil der Fall.“
Wenn wir alles nutzen wollen, was wir wissen und können, müssen wir unser Intuition, unserem Bauchgefühl vertrauen. Stück für Stück, erst bei kleinen, dann mit zunehmendem Vertrauen bei größeren Entscheidungen.
In einem Satz:
Denk nicht so viel nach, Du kennst die richtige Antwort längst.
P.S.: Mehr unter Soll ich oder soll ich nicht? Wie man sein Herz entscheiden lässt in 20 Sekunden und im myMONK-Buch Wie man die richtigen Entscheidungen trifft.
Photo: Thomas Leuthard
Overthinking ist sicherlich ein Problem doch ich denke in unserer Zeit hapert es daran, dass die Menschen, vor allem jene, die durch unser staatliches Schulsystem gegangen sind überhaupt nicht mehr denken können. Viele der Fehlleistungen kommen von mangelhaften denken, ein Zu-viel-Denken auf einem primitiven Niveau. Das kann freilich nicht zu guten Ergebnissen führen und oft ist eine reine Impulsentscheidung sogar besser. Wir sollten für alle Studenten, egal welcher Fachrichtung, einen Grundkurs „Logik 101“ als Voraussetzung für jedes Studium verlangen, dann würde sich vieles zum Besseren verändern.
Apropos Korrekturen: Das Buch heißt „The Paradox of Choice“, mit Parodien hat das nichts zu tun 😉
Danke Jens, haste Recht – dann ist „Parody of Choice“ also noch unbesetzt … gut zu wissen. 🙂
Offenbar geht es hier ja um den Denkprozess unmittelbar vor einer Reaktion oder einer Entscheidung. Ich meine, dass diese Prozesse vorher angelernt, je nach Situation vorbereitet und verinnerlicht sind. Mit Glauben an mich selbst und abstrakter Absicht reagiert dann das Unterbewusstsein. Das bewusste Entscheiden dauert ansonsten oft viel zu lange und kann die unbewussten Abläufe blockieren.
Aber auch generell fehlt uns oft das Innehalten vom Denken. So verlieren wir dann den Kontakt zur Intuition und die Energie vom Kosmos kann kaum noch durchdringen zu uns, so dass wir krank werden. Energie, die auch Information enthält für Dinge, die wir nicht überschauen. Mit Glauben daran, dass sich Dinge gut entwickeln und Absicht, wirken wir auch hier und finden leichter zu Urvertrauen.
Passt ja grade wie A… auf Eimer.
Genau das beschäftigt mich im Moment auch.
Montag wird mir ein Lymphknoten rausgenommen … um Krebs auszuschließen.
Hätte ich mich in das ganze Thema nicht so reingesteigert und Stunden um Stunden mit Symptome googeln verbracht, hätte ich vermutlich auf meinen ersten Arzt gehört und mir einfach keine Sorgen gemacht. Auch dann wäre ich vielleicht(!) nach den letzten drei Monaten irgendwann nochmal nach schauen lassen … falls ich dann immer noch Symptome gespürt hätte. So habe ich die letzten Monate in Sorge verbracht, zwei HNO-Ärzte, meinen Hausarzt, einen Radiologen und drei Klinikärzte aufgesucht und bin jetzt ein Nervenbündel. Dabei hätte ich die letzten Monate einfach genießen können. So habe ich Lebenszeit verschwendet, die ich, sollte ich tatsächlich todkrank sein (was vielleicht nicht besonders wahrscheinlich aber letztlich möglich ist), besser hätte nutzen können.
Mein Therapeut hat das gerade heute nachmittag nochmal auf den Punkt gebracht: Ich drehe mich im Kreis, finde keine Ende, weil mir Dr. Google ja keine Diagnose geben kann. Was ich brauche, ist ein Weg, den ich jeden Tag neu definiere. Ich muss das Vorgenommene am Abend mit dem erreichten vergleichen und mich gedanklich schon wieder auf den Weg machen. So gebe ich dauerhaft meinem Leben Sinn … und komme am Ende meiner Tage, wann immer das sein mag, zu der Erkenntnis, dass es ok ist zu gehen … ich hatte ein gutes Leben. Jeden Tag.
Frei nach Martin Luther (auch wenn ich leider Agnostiker bin): „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“
Ich hoffe ich habe noch genug Zeit, mich auf den Weg zu machen und mich dieser Erkenntnis anzunähern.
Drückt mir mal die Daumen …
Was mich immer wieder wundert (und als damit nicht angesprochenen und also nicht existenten Leser auch immer mehr vom Lesen abhält) ist, dass Beiträge in Blogs wie Ihrem zu Themen wie Hochsensibilität, Intuition, Nachdenklichkeit, Depressionen (aber auch Psychologie-Zeitschriften) uvm quasi fast ausnahmslos Frauen abbilden und ansprechen. Warum ist das so? Sind Männer für Sie nicht von Interesse? Haben Männer keine Gefühle bzw sich trotz aller maßlosen Forderungen bitte doch nur in ihrem engen Rahmen zugebilligter Gefühle zu bewegen? Sorry, aber: ein Leser weniger.
Hi Tristan, sicherlich treten bei den gennannten Themen Frauen in der Mehrheit in Erscheinung. Deshalb sollten Männer hier auch besonders ermutigt werden, den einen oder anderen Beitrag zu bringen. Warum das so ist, liegt aus meiner Sicht hauptsächlich an der femininen Energie Essenz der Frauen, die eben auch das Sich-Öffnen erleichtert. Gleichwohl finde ich, dass z.B. das Verharren in Denkmustern und das Versuchen, Probleme mit dem Kopf zu lösen, sowie harte Schalen, durchaus männlich gesehen werden können, obgleich dies auch sehr wohl bei Frauen anzutreffen ist.
Hallo Tim,
ich kenne das zuviel nachdenken, sich gedanklich im Kreis drehen, immer wieder hin- und her abwiegen, von allen Seiten beleuchten bis zum Erbrechen, sehr gut. Das führt meist zu nichts und raubt Energie ohne Ende. Andererseits hat es mich dennoch zu der gemacht, die ich bin und es führt manchmal dann doch zu erhellenden Erkentnissen. Man muss halt aufpassen, dass einem die Leichtlebigkeit dabei nicht gänzlich abhanden kommt. Mir hilft oft die Frage, ob ich den Gegenstand meiner Grübelei jetzt und heute ändern oder lösen kann oder ob es überhaupt in meiner Hand liegt. Falls nicht, sage ich laut Stop und mache irgendwas ganz banales wie Bad putzen oder Socken sortieren 🙂 Klingt merkwürdig, hilft aber.
Viele Grüße
Claudia
[…] Wer inspiriert ist, der braucht nicht einmal mehr groß nachzudenken. Er liegt schon richtig, er kennt die Antwort schon. (Brillant Tim!) […]
Super interessant!!! Ich lese die Artikel immer mit sehr viel Interesse. Weiter so…
Intuition = Wissen aus dem Unterbewusstsein nutzen. Auch Erfahrungen lagern dort, sowie gute Gefühle. Alles schnell abrufbar und meistens gut und nützlich. HPV
Die Lösung? Wo steht die Lösung? Da steht, das man weniger Nachdenken soll. Aber wie? Bei mir geht das nichtauf Knopfdruck. Ich denke 24 Stunden am Tag nach und kann es nicht abschalten. Medikamente werde ich aber nicht nehmen.