Teile diesen Beitrag "Diese kleine Formulierung kann einen großen Streit verhindern"
Ich erfinde, wie wohl die meisten von uns, ständig Geschichten darüber, was andere Menschen denken, was sie wirklich meinen, wie sie sich fühlen, warum sie tun, was sie tun, und was sie vorhaben. Wenn ich nicht aufpasse (was oft vorkommt), verheddere ich mich in diesen Gedanken, die eher skeptisch bis finster sind als wohlwollend. Ich spinne mich ein in ihnen, bis sie zu einem Kokon werden, aus dem ich nur schwer wieder herauskomme.
Warum wir uns oft unnötig streiten
Das menschliche Gehirn sucht aus dem Überlebenswillen heraus immer einen Sinn in den Dingen, Zusammenhänge, Muster. Wenn ihm dazu Informationen fehlen, erzeugt es sie einfach selbst und greift dabei gern auf frühere Erfahrungen zurück, die nichts mit der jetzigen zu tun haben.
Im Streit kann das besonders zum Verhängnis werden. Was vielleicht harmlos beginnt, eskaliert zunehmend, eine einfache Meinungsverschiedenheit nimmt Fahrt auf – und zwar in die falsche Richtung – durch unsere Vorwürfe, Anschuldigungen, Unterstellungen.
Das Kind wird hin und her geschaukelt, immer wilder, und fliegt im hohen Bogen in den Brunnen. Tiiiiieeeeeef nach unten geht die Stimmung, schief und unrund wird die Beziehung.
Dabei liegt das eigentliche Problem gar nicht mal in den verschiedenen Meinungen, sondern in etwas anderem:
Wir halten für DIE Realität, was in Wirklichkeit nur UNSERE Realität ist.
Wie man Streit vermeiden kann
Die Situation verläuft deutlich entspannter, wenn wir uns selbst und dem Gegenüber bewusst machen, dass wir von einer subjektiven Sicht sprechen, nicht von DER Wahrheit, die er „verdammt noch mal nicht checkt, aber jetzt endlich mal schlucken soll.“
Autorin Dr. Brené Brown empfiehlt eine Formulierung, die genau dieses Wissen um das Subjektive ausdrücken kann:
„Die Geschichte, die ich dazu erfinde, ist …“ … und dann das, was wir eigentlich sagen wollen.
Also zum Beispiel:
„Die Geschichte, die ich dazu erfinde, ist, dass Du mich nicht mehr liebst, weil Du abends immer so lange im Büro bist.“
Oder:
„Die Geschichte, die ich dazu erfinde, ist, dass es Dir egal ist, wie’s mir geht, wenn Du Deine Dicke-Titten-Porno-DVDs reinschiebst, während ich neben Dir auf dem Sofa liege.“
(Geht natürlich auch mit Freunden, Familie, Kollegen.)
So schaffen wir eine Distanz zu unseren verzerrten Gedanken. Raum entsteht für die Sicht und die Empfindungen des anderen. Statt sich in die Defensive oder zum Gegenangriff gezwungen zu fühlen, kann er sich öffnen.
Mag sein, dass diese Formulierung anfangs etwas seltsam anmutet. Aber vielleicht ist’s das ja mehr als wert. Denn häufig wollen beide eigentlich dasselbe, wissen es nur noch nicht. Oder sie wollen dasselbe nicht: einen sinnlosen, anstrengenden Streit.
Siehe auch: Wie man aufhören kann, Dinge zu persönlich zu nehmen und Diese Indianer-Weisheit zieht mir die Schuhe aus.
Photo: x1klima
Ich finde das Steit überhaupt nicht vermieden werden muss. Konstruktives und begleitetes Streiten tut gut !
Hi Elephanteum,
hmmm … entweder ich hab den Text ziemlich verkackt oder Du hast nur die Überschrift gelesen. 🙂
Es geht ja darum, eines zu vermeiden: dass sich die Dinge hochschaukeln im gegenseitigen Unverständnis und Beharren auf die eigene Sicht.
Liebe Grüße
Tim
Schöner Artikel. Ich kann mich an meinen letzten Streit gar nicht mehr erinnern. Wenn ich mit meinem Freund hin und wieder mal eine Auseinandersetzung habe, muss ich irgendwann lachen. Weil mir ab einem bestimmten Moment (oder die Erreichung von hochkommenden Emotionen) immer einfällt, wie lächerlich das doch ist. Wir schlüsseln die Situation immer auf und kommen auf einen Nenner.
Früher war ich emotional noch Tage nach einem Streit am Ende oder es ging erneuert los.
Wenn man erstmal versteht und man sich weiter entwickelt, ist es völlig unnötig sich emotional in negative Gefühl aufgehen zu lassen.
Liebe Grüße
Anja
Hey Anja,
das klingt nach einer sehr guten Beziehung – wenn man bei einem Streit oder kurz danach gar nicht so ernst und sauer bleiben kann, wie man sich’s vorgenomme hat, ist das doch ein super Zeichen.
Wie läuft denn dieses Aufschlüsseln ab?
Liebe Grüße zurück, Tim
Oh was eins schöner Beitrag.
Wahrscheinlich streiten wir uns mehr mit uns selbst, als mit dem anderen, weil wir Dinge zu schnell und zu gerne unterstellen. Weil wir kuscheln wollen und der andere mit der Zeit, die er mit uns hat, schon glücklich ist und lauter so Kleinigkeiten.
Ein ganz toller Gedanke.
Danke!
Merci Tanja!
Bei Deinem Kommentar musste ich gleich an die 5 Sprachen der Liebe denken: http://mypurplemonk.de/die-5-sprachen-der-liebe-welche-sprichst-du/
Liebe Grüße
Tim
Danke Tim, für diesen tollen Gedankengang. Das hilft auch sicherlich, wenn man sich selbst etwas einredet.
Dankeschön Dario – stimmt, da haben wir’s das Thema aus dem vorletzten Beitrag – das Hinterfragen!
Ich finde, das ist ein guter Aufhänger, oder besser Merksatz. Natürlich werde ich nicht sprechen: „die Geschichte die ich ..“. Das wäre doch meist recht kindisch anmutend und dashalb selten anwendbar.
Doch es geht aus meiner Sicht darum, zunächst selbst den Fokus auf die eigenen Gefühle und Belange zu setzen, und so gut es geht, den anderen erst einmal nicht zu kritisieren, sondern ihm immer wieder ein Stückchen davon näher zu bringen. Aber auch hierfür braucht es erst Zeit, damit die Kleinigkeiten wirken können und verarbeitet werden können. Die „Klartext-Phase“ hat bestimmt auch ihren Platz und kann auch als Chance und als Geschenk gesehen werden. Doch ist nach der eigenen Öffnung die Anstrengung und auch das Risiko eher geringer.
Hi Richard,
ein guter Hinweis, den Du da bringst – es reicht oft schon, wenn wir diesen Satz innerlich aussprechen, um Raum für andere Möglichkeiten zu eröffnen.
Liebe Grüße
Tim
[…] wie sie reagiert? Ist an den Aussagen vielleicht doch ein Fünkchen Wahrheit dran? Inspiriert von diesem Artikel will ich mir in solchen Situationen aktiv versuchen zurückzunehmen und auch mal die Gedankenmuster […]
Hm.
Wir denken und schließen aus Verhalten, ja. Das ist dann unsere Wahrnehmung/Empfindung. Das ist keine Geschichte, die man erfindet, weil man grade dolle auf Aufmerksamkeit/Streit aus ist oder dem anderen ein Gute- Nacht- Märchen erzählen möchte, damit er besser schläft.
Ich finde es wesentlich besser (und anerkennender, sehender, bewusster, wertschätzender), bei der Ich- Form von Schilderungen zu bleiben: „Ich fühle mich … , wenn ich dies oder das bei dir wahrnehme.“ bspw. „Ich fühle mich vernachlässigt/ungeliebt, wenn ich merke, dass du immer länger im Büro bleibst. Ich bin verunsichert und mir nicht mehr sicher, ob du mich liebst.“ Dazu kann der andere gut Stellung nehmen und ebenfalls aus der Ich- Form antworten. Von „Ich fühle mich zuhause nicht wohl, denn ich empfinde einen großen Druck auf mir.“ bis „Im Moment ist wirklich nur schrecklich viel zu tun. Heute war das und das und das. Da müssen im Moment leider alle durch. Ich werde aber versuchen, die verbliebene gemeinsame Zeit gut mit dir zu nutzen.“
Damit unterstelle ich meinen eigenen Gefühlen und Wahrnehmungen nicht gleich, erfunden zu sein und überhaupt nicht wahr. Sondern ich nehme sie wahr, ernst und kommuniziere sie, ohne dem anderen einen Vorwurf zu machen.
Neben meiner Lieblingsfrage „Warum machst du das?“ finde ich das sehr wichtig, immer bei sich und seinen Gefühlen zu bleiben, ohne diese aber zu werten. Was ich mit „Die Geschichte, die ich erfinde“ aber schon tue. Ich bewerte sie als „unecht“ „unwahr“ und nehme ihnen ihre Existenzberechtigung. Das ist so ziemlich grundfalsch, denn wie ein ungeliebtes Kind, das zu wenig Aufmerksamkeit bekommt, rebellieren Gefühle irgendwann dagegen an- und wenn man dann platzt, geht weitaus mehr zu Bruch, als wenn man sich rechtzeitig ernst nimmt. Aber eben bei sich selbst bleibt.
LG
Steffi