Teile diesen Beitrag "Warum Du andere Menschen nie wirklich kennen kannst"
Wir alle spielen Rollen. Verhalten uns verschiedenen Menschen gegenüber unterschiedlich. Sind als Tochter oder Sohn anders als im Freundeskreis, im Bett anders als auf dem Chefsessel (Dominas vielleicht ausgenommen).
Diese Rollen, die wir präsentieren, sind recht einfach gestrickt und zu verstehen. Der Sohnemann im Pullunder, der seinem reichen Daddy gefallen will. Die Kollegin, die zweimal in der Woche einen Kuchen für alle mitbringt, weil sie so hungrig ist nach Liebe. Der Nazi-Opa am Fenster, der über alles und jeden schimpft.
Verborgener Kern, verengter Blick
Weil die einzelnen Rollen oft so einfach sind, so ein plumpes Set aus Eigenschaften und Verhaltensweisen, nimmt man schnell an, man würde uns kennen. Und wir nehmen an, wir würden die anderen kennen.
Aber der Kern, das, was wir tief in uns über uns denken, was wir empfinden und woran wir wirklich glauben, dieser Kern ist für die Umwelt in der Regel verborgen. Er ist verinnerlicht, es bleibt innerlich, fließt höchstens unsichtbar ein in die Versionen von uns, die wir der Welt präsentieren.
Das spüren wir auch – allerdings nur in Bezug auf uns selbst, nicht auf die Mitmenschen.
So glauben wir alle, wir seien nicht zu durchschauen (was in der Tiefe stimmt) … und meinen aufgrund der einfachen Rollen der anderen trotzdem, wir könnten sie komplett durchschauen. Sie lesen wie ein Buch mit unseren psychologischen Menschenkenner-Röntgenaugen.
David McRaney, Autor von You Are Not So Smart, schreibt von einer Studie an der Standford Uni:
Forscher befragten Menschen, wann sie „am meisten sie selbst sind“. 78 Prozent beschrieben einen inneren Vorgang, zum Beispiel ihre interne, von außen nicht beobachtbare Freude darüber, dass sich ihr Kind hervortut oder über den Applaus, den sie bekamen, nachdem sie Musik vor Zuhörern gemacht hatten.
Wenn sie gefragt wurden, wann ihre Freunde oder Verwandten „am meisten sie selbst sind“, nannten nur 28 Prozent solche internen Gefühle. Stattdessen charakterisierten die meisten „den wahren Tom“ anhand von äußeren Handlungen: Tom ist am meisten Tom, wenn er einen schmutzigen Witz erzählt. Oder: Jill ist am meisten Jill, wenn sie auf Berge klettert.
Wir können die inneren Zustände anderer Menschen nicht sehen. Also nutzen wir sie meistens auch nicht, um ihre Persönlichkeit zu beschreiben.
„Die Illusion asymmetrischer Einblicke“
… nennen die Psychologen das.
Und es erzeugt eine Menge Probleme. Es lässt uns glauben, wir könnten alle anderen verstehen, aber niemand uns. So bilden wir uns zu schnell Meinungen über Mitmenschen, die sich kaum noch korrigieren können, unterstellen Dinge („Nazi-Opa!“), geben zu viel auf unsere eigene tolle Sicht – und fühlen uns zugleich missverstanden vom Rest der Welt.
Dabei ist die Wahrheit über jeden Menschen eine höchst komplexe Angelegenheit. Wer von uns könnte auch nur von sich selbst ein vollständiges und richtiges Bild zeichnen? Die größte Mühe und Ehrlichkeit bringt uns, wenn überhaupt, nur in die Nähe. Schließlich liegt ein gewaltiger Teil unserer Persönlichkeit verborgen im Unterbewusstsein. Was wir in Worten und Taten nach außen tragen, bleibt fast immer nur ein Ausschnitt. Dem Rest der Leute geht es genauso, und wir können uns häufiger daran erinnern:
Wir kennen den anderen nie vollkommen, also können wir auch kein Urteil über ihn fällen.
Siehe auch: Diese Indianer-Weisheit zieht mir die Schuhe aus. Übrigens: Unser Blick auf andere ist auch durch unser Selbstbild verzerrt.
Photo: Igor Spasic
Lieber Tim,
dieser Post hat mich sehr zum Nachdenken gebracht. Ich muss gestehen, dass ich oft denke, eine der emphatischsten Personen im Raum zu sein und andere gut zu kennen und zu verstehen. Ein Urteil über andere fälle ich trotzdem nicht schnell, aber langfristig eben doch. Ich denke, dass ich zu den Leuten gehöre, bei denen dieses gebildete Urteil unumstößlich ist.
Darauf werde ich jetzt mal achten und wenn das wirklich so ist, stark daran arbeiten.
Viele Grüße,
Christina
Gerade (Hobby-)Psychologen sollten sich das hinter die Ohren schreiben.
Hallo Tim, ich gebe Dir da zum Teil wirklich Recht. Natürlich spielt sicher jeder von uns seine Rollen und genau das KANN es sein, was uns krank, müde und unzufrieden macht.
Eine andere Variante ist aber eben auch, dass wir unsere Ausprägungen der Lebensmotive in unterschiedlichen Bereichen eben unterschiedlich leben. Schauen wir uns einmal das Lebensmotiv „Macht“ an, was u.a. das Bedürfnis nach Führung, Entscheidungen und Leistung widerspiegelt. Habe ich hier eine durchschnittliche Ausprägung, bedeutet dass eben, dass ich durchaus in der Lage bin zu führen aber eben auch für mich einen Ausgleich haben zu wollen, in dem ich dann eher der „Dienstleister“ bin. So bin ich dann auf der Arbeit z.B. der Chef, der führt, permanent entscheidet, etc. Zu Hause ordne ich mich dann aber unter, weil dies eben der Gegenpol ist und meine Ausprägung eben durchschnittlich hoch. Ich spiele dann also keine Rolle, sondern lebe das Motiv unterschiedlich aus. Dieses Bewusstsein schafft viel Verständnis für sich selbst.
Ich gebe Dir auch Recht, dass es für viele von uns schwierig ist, von sich selbst ein Bild zu zeichnen. Gerade das kann aber jeder meiner Klienten und allein das ist oftmals ein Gewinn, der ein Leben lang Profit bringt.
Mal ein anderer Gedankenansatz, der in der Praxis sehr oft vor kommt.
Genieß die sonnigen Tage.
LG
Dirk
Wie wahr. Das ist Ausdruck des Menschseins. Zumindest mit unserem Paradigma des Getrenntseins in unserer Zeit. David Steindl-Rast z.B. schreibt von einem entstehenden neuen Paradigma, in dem auch ökologisches Denken mehr Platz hat. Wir heben damit auch unsere Bewusstheit zunehmend an und spüren die Menschen um uns zunehmend besser.
es ist für mich nicht mehr möglich ein selbstbild zu haben und ich erkenne in allen menschen die selben strukturen, da jeder der sich mit seiner person identifiziert, welche ein temporäres konstrukt ist, eine bloße idee, das produkt exogener informationen und konditionierung in einer vorstellung gefangen es etwas zu sein was es nicht wirklich gibt,
alles was temporär, veränderbar, relativ, konditionell und auf sprache basierend ist, ist nur eine idee von etwas.
ich habe keine vorstellung von mir. jeder meint irgendetwas über mich zu wissen aber dies beruht auf projektion. sie gehen davon aus dass ich wie eine person funktioniere. ich bin nicht meine gedanken, mein körper, meine emotionen, ich bin das was bleibt wenn alle begriffe wegfallen, jenseits von attributen. alles andere ist nicht mein selbst sondern eine temporäre version von mir als mensch in dieser welt und ein erlebnispunkt. da ich keinen grund habe diese version zu glorifizieren oder zu entwerten, da ich mich nicht mit ihr identifiziere und somit allen mechanismen kenne die das ego nutzt um selbst- und weltbild aufrecht zu erhalten, sehe ich in allen menschen das selbe, nur dass sie sich mit diesem identiizieren während ich es nur ohne zu werten zur kenntnis nehme.
somit ist es für mich unmöglich mich selbst zu täuschen und ich weiß wie menschen auf reize reagieren und aufgrund welcher mechanismen, kann diese antizipieren und steuern ohne dass sie es merken oder je darüber nachgedacht haben.
zudem schreibe ich nicht diesen text sondern sehe wie dieser text von meiner menschlichen gestalt verfasst wird, wobei ich einerseits beobachter bin sowie auch protagonist und autor, auch wenn meine person die geschichte bewusst oft ncht kennt und ich keinen direkten einfluss auf diese zeilen habe. denn es gibt keine trennung zwischen wahrnehmung und wahrgenommenem.
der mensch erlebt eine welt aus worten, sprache entfremdet da sie konzepte erschafft. ich brauche das wort kennen nich, wenn ich etwas kenne. was dies bedeutet kann ich nicht vermitteln, da worte nicht meine sprache sind.
ich frage mich wie es sich anfühlt sich für die person zu halten die jemand glaubt zu sein. ich kann zwar die mechanismen erkennen und was sie an sichtbaren handlungen hervorbringen, jedoch ist es für mich nicht mehr möglich mir vorzustellen wie es sein muss wenn man gedanken, welche einem passieren, für eine handlung hält die man ausführt oder sinneswahrnehmungen als realität erlebt. ich nehme mich beim wahrnehmen war, wobei das auch nur worte sind.
desweiteren hat es keinen sinn nach einer intention zu suchen denn es gibt keine, da zei nicht linear ist und es ewig gegenwart ist, ist dieser text jetzt und er ist unvermeidlich immer in der gegenwart. genau wie die vergangenheit aus erinnerungen besteht die in der gegenwart existieren.